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Teildokument zu: Modell Neuseeland?


2. Der marktwirtschaftliche Siegeszug der Labourparty

Dieses Desaster fand die neue Labourregierung nach ihrem erdrutschartigen Wahlsieg (56 Sitze Labour zu 34 Sitzen National Party) im Juli 1984 vor. Der neue Premierminister Lange, selbst an Wirtschaftspolitik weniger interessiert, überließ die Sanierungsaufgabe seinem Finanzminister Roger Douglas. Douglas stammte aus einer traditionell links stehenden Familie (sein Großvater war Minister in der ersten neuseeländischen Labourregierung gewesen, sein Vater Gewerkschafter), hatte aber schon 1980 ein programmatisches Buch mit dem Titel "There's got to be a better way" veröffentlicht, in dem er für eine marktwirtschaftliche Strategie zur Lösung der Probleme Neuseelands eintrat. Diese Haltung hatte ihn 1981 zeitweilig in Konflikt mit der Partei gebracht.
Aber er sah in den Reformen den einzigen Weg aus einem Modell, das auch den Armen mehr schadete als nutzte. Seine Wahl zum Schattenfinanzminister und später zum Finanzminister zeigt aber, daß Labour keine Alternativen zu einer marktwirtschaftlichen Reform sah und bewußt diesen Weg einschlug. Ihr standen auch sonst kaum unverbrauchte Optionen offen, da die konservative Vorgängerregierung unter Muldoon die typisch "linke", d.h. keynesianisch-interventionistische Strategie schon erfolglos verfolgt und damit diskreditiert hatte.
Douglas und der rechte Labourflügel sahen kaum Konflikte zwischen traditionellen sozialdemokratischen Werten und ihren strategischen Konzepten. Viele erwarteten, daß die Reformen weitgehend letztlich verteilungsneutral bleiben würden. 1993 erklärte Douglas, der dann allerdings die Labourparty schon verlassen hatte, das Wesen struktureller Reformen bestünde in der Abschaffung von Privilegien ("The abolition of privilege is the essence of structural reform").
Bis 1988 führte die Regierung unter seiner wirtschaftspolitischen Führung eine Reihe tief greifender Reformen in allen Bereichen (Währungspolitik, Handelspolitik, Subventionen, Besteuerung, Geldpolitik, Privatisierung, Verwaltung) durch, die unten (Abschnitt 4) im einzeln nachzulesen sind. Im wesentlichen liberalisierte Douglas damit die Kapital- und Gütermärkte Neuseelands, gefolgt von einer Reform des Staatssektors. Diese Liberalisierung setzte die Unternehmen unter harten Anpassungs- und Wettbewerbsdruck; gleichzeitig räumte ihnen aber die Deregulierung größere Handlungsspielräume und die Steuerreform bessere Gewinnchancen ein.
Mehrere Faktoren erleichterten der Labour-Regierung die Durchsetzung einer derartig weitreichenden und radikalen Reformstrategie:

Neuseelands politisches System verfügt über extrem wenig "checks and balances" und wird gelegentlich als "gewählte Diktatur" gekennzeichnet. Die Legislative kennt nur eine Kammer. Das Mehrheitswahlrecht erleichtert dort klare Mehrheiten. Eine sehr kleine Gruppe von Abgeordneten, die selbst meist der Regierung angehören oder ihr sehr nahe stehen, dominiert dank straffer Fraktionsführung im Westminsterstil ("whips") die kaum größere Regierungsfraktion in dem kleinen Parlament (99 Sitze). Das Gesetzgebungsverfahren ist mangels einer schriftlichen Verfassung rasch. So kann die Exekutive zwischen den Wahlen fast ungehemmt und ohne Rücksicht schalten. Es gibt auch keine Länder oder größeren Gebietskörperschaften mit weitreichenden eigenen Kompetenzen.
Die Wähler waren 1984 von der Notwendigkeit harter Maßnahmen überzeugt und zu Opfern bereit. Eine von der Regierung 1984 einberufene Konferenz der Sozialpartner unterstützte die Politik.
Politische Alternativen boten sich bis 1990 kaum an. Da Labours Reformprogramm die marktwirtschaftlichen Werte und Ziele besetzte, sah sich die oppositionelle konservative National Party ohne klares Gegenmodell. Bei den Wahlen 1987 hatte sie viele ihrer traditionellen Wähler an Labour verloren, ohne die Stimmen der Reformverlierer an sich zu ziehen.
Labour verband eine - ihr programmatisch traditionell eher fremde - marktorientierte Wirtschaftspolitik mit einer "linken" Politik in anderen Bereichen, vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Premierminister Lange profilierte sich hier u.a. mit einer harten Haltung gegenüber den USA und Frankreich, indem er gegen Flottenbesuche amerikanischer Schiffe mit Atomwaffen und gegen französische Tests im Pazifik eintrat. In diese Zeit fiel auch die Affäre der Versenkung eines Greenpeace-Schiffes im Hafen von Auckland durch französische Agenten. Gesellschaftspolitisch richtete die Regierung z.B. ein Ministerium für Frauenfragen ein und entkriminalisierte die Homosexualität. Damit sicherte er sich die Loyalität traditioneller Wählergruppen trotz deren Bedenken gegenüber der Reformpolitik
Die problematische Sozialpolitik klammerte Lange aus den Reformen aus, indem er eine "Royal Commission" bildete und beauftragte, Optionen zu ihrer Reform zu untersuchen. Diese legte ihren Bericht erst 1988 vor. Bis dahin gab es keine wesentlichen Einschnitte in den neuseeländischen Wohlfahrtsstaat.

Die nächsten Wahlen 1987 konnte Labour wieder mit großer Mehrheit gewinnen - dank der Verunsicherung der Opposition und der Unterstützung durch neue Wählergruppen aus den Reihen der Reformgewinner. Bis 1987 erreichte die Börse Rekordhöhen, die Wirtschaft wuchs, und die Arbeitslosigkeit stieg kaum weiter an. Allerdings wies das Land weiter eine hohe Inflation und ein enormes Zinsniveau auf . Die Defizite im Staatshaushalt und im Außenhandel sanken nur wenig, da die Regierung die Staatsausgaben nicht senkte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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