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TEILDOKUMENT: [Seite der Druckausg.: 8] Wolfgang Tiefensee
Sie kommen alle, und darüber bin ich sehr froh, an einen historischen Ort. Das wird heute Abend noch mehrfach anklingen, 23. Mai 1863 und alles, was damit im Zusammengang steht. Schaut man auf Johann Sebastian Bach, dann war Eisenach vor Leipzig, schaut man auf die Sozialdemokratie, dann ist der Streit oder Konflikt oder mindestens die Debatte wohl nicht abgeschlossen, aber mindestens relativiert, wie es denn nun mit diesen beiden Daten 1863 und 1869 bestellt ist. Welches ist eigentlich das Entscheidende? Wir haben das Prä gegenüber Berlin zumindest, was die zeitliche Abfolge angeht, und ich bin froh, dass wir diesen Tag hier so begehen. Leipzig darf also mit Fug und Recht als die Wiege der Sozialdemokratie oder zumindest einer der wesentlichen Gründungsorte der Sozialdemokratie bezeichnet werden. [Seite der Druckausg.: 9] Wenn man sich die Debatten der vergangenen Jahre um 1863 und 1869 noch einmal vor Augen führt, finde ich auch im Bezug auf die Gegenwart spannend, dass es im Kern um die soziale Frage ging. Nun wird die Diskussion viel besser, als ich das im Grußwort machen kann, auf diese Herausforderung der damaligen Zeit und der heutigen eine Antwort zu geben versuchen. Gibt es da Parallelen, gibt es Ähnlichkeiten? Aber eines ist wohl sicher: Die Sozialdemokratie, die Sozialdemokratische Partei, ist die traditionsreichste oder, können wir sagen, wirkungsmächtigste Partei über diese 140 Jahre gewesen. Und wenn ich meine Mitgliedschaft in der Sozialdemokratie auch nicht wie Anke Fuchs auf 1956 datieren kann, nein, sie ist weitaus jünger, dann vereint wohl diejenigen, die damals noch nicht eintreten konnten, dass sie nach den Visionen der Sozialdemokratie gestrebt haben: Mündigkeit, Selbstverwirklichung, Gerechtigkeit, dass auch ein Menschenbild dahinter gestanden hat, das nicht in wichtige und unwichtige Menschen einer Gesellschaft sortiert, diejenigen, die eher randständig und damit nicht beachtenswert sind, und diejenigen, die im Zentrum stehen sollten. Die Sozialdemokratie versucht, die Balance zu schaffen, die Balance in der Gesellschaft. Das haben wir vor 1989 mit unseren schmalen Kräften versucht und versuchen es jetzt auch innerhalb der Sozialdemokratischen Partei. Auch ich will dezidiert sagen, als Stadtpolitiker, dass die Sozialdemokratie unverzichtbar ist, wenn es um die Demokratie geht. Wir brauchen diese Stimme vernehmbar. Die Schwierigkeit ist, die aktuellen Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit zu finden, so als würde man Ferdinand Lassalle oder Wilhelm Liebknecht oder eben auch Willy Brandt jetzt in diese Zeit setzen - Willy Brandt ist ja einer derjenigen, die immer wieder betont haben, dass wir zeitgemäße Antworten brauchen. Und da scheiden sich dieser Tage die Geister. Deshalb finde ich es gut, dass man in so schwieriger Zeit, im schwierigen Fahrwasser der Sozialdemokratie sich noch einmal zurück besinnen kann auf die Wurzeln. Es bleibt dabei, wir [Seite der Druckausg.: 10] brauchen Mündigkeit, wir brauchen die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, und wir müssen alles tun, dass diese Gesellschaft gerecht ist. Darüber muss man streiten. Seien wir auf der Hut, dass diese Gesellschaft nicht aus der Balance gerät. Seien wir auf der Hut, dass der Staat nicht zurückgestutzt wird, so weit, dass er nicht mehr die Rahmenbedingungen schafft für eine gerechte Gesellschaft. Wachsam muss man sein; die Sozialdemokratie hat einen wichtigen Auftrag. Ich persönlich räume dieser Partei eine riesige Zukunft auch in den nächsten 140, mindestens 140 Jahren, ein, sollte es dann noch Parteien in dieser Form geben. Auf alle Fälle wird der Grundgedanke, die Grundmelodie auch in der Zukunft erhalten bleiben, und wir sollten sie laut und vernehmbar in dieser Gesellschaft zu Gehör bringen. Vielen Dank! © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2003 |