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Die Leipziger ökonomische Sozietät 1763 bis 1825 : Horst-Springer-Stiftung für Neuere Geschichte Sachsens in der Friedrich-Ebert-Stiftung ; Rede anlässlich der Verleihung des Horst-Springer-Preises 1998 / Andreas Schöne - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 88 KB, Text . - (Horst-Springer-Preisvorträge) Titel nur online veröffentlicht. Adresse: http://library.fes.de/fulltext/historiker/01081.htm © Friedrich-Ebert-Stiftung
Einer der bekanntesten Autoren der deutschen Hausväterliteratur, Julius Bernhard v. Rohr, forderte schon 1716 in seiner "Compendieusen Hausshaltungs-Bibliotheck": "dass es vielleicht nicht übel gethan wäre, wenn ein grosser Herr eine eigene Oeconomische Societät aufrichtete, die von denen andern in dem Stücke unterschieden wäre, dass sie nicht so wohl dasjenige untersuchte, was denen Gelehrten ein Vergnügen, als der Welt einen würcklichen Nutzen schaffte, und sich überhaupt angelegen seyn liesse, die Haushaltungs-Kunst zu verbessern." Eine solche Gesellschaft, nämlich die im Gefolge des für Sachsen substantiell katastrophalen Siebenjährigen Krieges 1764 gegründete Leipziger ökonomische Sozietät, soll den Gegenstand dieses Vortrags bilden. Dabei wird in vier Schritten verfahren werden. Und zwar soll erstens über den Forschungsstand und die Quellenlage, zweitens kurz über die Gründung und die weitere Geschichte der Sozietät, drittens über die quantitative Verteilung der von der Gesellschaft behandelten Themen und viertens über die soziale Zusammensetzung ihrer Mitglieder gehandelt werden. Bei einer Sichtung der einschlägigen Forschung fällt auf, dass das Wiederaufbauwerk nach dem Siebenjährigen Kriege in der sächsischen Landesgeschichte unterschiedlich interpretiert worden ist. Für Hellmut Kretzschmar stellte es in erster Linie eine sich über mehrere Jahrzehnte hinziehende Verwaltungsreform in Verbindung mit einer sehr wirkungsvollen Wirtschaftspolitik dar, bei der eindeutig die Wiederaufrichtung der Landwirtschaft im Vordergrund gestanden habe. Die heutige Sicht auf das Rétablissement ist vor allem durch die umfassende Quellenedition von Horst Schlechte, erschienen 1958, sowie flankierende Publikationen begründet. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich denn auch, dass es fast ausschließlich Schlechtes Arbeiten sind, die im Zusammenhang mit dem Rétablissement immer wieder zitiert werden. Dieses sei eine umfassende Neuordnung der gesamten Verwaltung, verbunden mit dem Austausch großer Teile der Beamtenschaft, wobei besonders Bürgerliche und im Bürgertum verwurzelte Nobilitierte berücksichtigt worden seien. In Verbindung mit einer intensiven Förderung des Manufakturwesens sei hier durch eine Verbürgerlichung des spätabsolutistischen Staates die Grundlage für die Industrialisierung und die spätere Konstitutionalisierung Sachsens gelegt worden. Neuerdings wird verschiedentlich eine Revision dieser These gefordert. Namentlich seien hier Simone Lässig, Josef Matzerath und Uwe Schirmer erwähnt, die grundlegende Neuinterpretationen mit Spannung erwarten lassen. Neben der Literatur zum kursächsischen Rétablissement entstand eine Reihe von Untersuchungen über die Leipziger ökonomische Sozietät, von denen zwei herausgegriffen werden sollen. 1884 erschien in Dresden eine Festschrift von Christian Gottlob Ernst am Ende, gefolgt 1914 von einer Dissertation Karl Kohlsdorfs, eines Diplomlandwirtes und Gutsbesitzers auf Steinbach bei Borna, über die Leipziger ökonomische Sozietät. Diese Arbeiten tragen den typischen Charakter von Festschriften des 19. Jahrhunderts. Sämtlich wohl fleißig und akkurat recherchiert, lassen sich allerdings die benutzten Quellen nicht exakt identifizieren. Zudem kann von einer Einordnung eines Phänomens wie der Leipziger ökonomischen Sozietät in die Zusammenhänge der Landesgeschichte nicht die Rede sein. Dennoch sind die Arbeiten am Endes und Kohlsdorfs als Hilfsmittel, insbesondere für die innere Verfassung der Gesellschaft, mit Gewinn heranzuziehen. Bisher war noch kein Versuch unternommen worden, die ökonomischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts vergleichend zu behandeln. Erstmalig beschäftigte sich Rudolf Rübberdt in einer 1934 in Halle-Wittenberg entstandenen Dissertation mit ökonomischen Sozietäten allgemein, wobei er in Bezug auf die Leipziger Gesellschaft aus der bisher entstandenen Literatur schöpfte. Er betonte die Verschiedenartigkeit der Gesellschaften und ordnete sie, klar abgegrenzt von den zeitgenössischen gelehrten Gesellschaften, als überwiegend physiokratisch geprägte Assoziationen mit hauptsächlich praktischen Ambitionen auf verschiedenen Feldern der Wirtschaft ein. Ähnliches gilt auch für die 1957 in Göttingen unter dem Titel: "Die patriotischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts" erschienene Studie von Hans Hubrig. Allerdings beschränkte sich der Autor auf die sehr städtisch geprägten Gesellschaften in Erfurt, Hamburg und Lübeck und stellte so in seiner Hauptthese die patriotischen Gesellschaften als "sichtbarstes Zeichen der Emanzipation des Bürgertums" dar. Er erwähnte die Leipziger ökonomische Sozietät, vielleicht gerade deshalb, lediglich am Rande, wohl wissend, dass sie seiner These wenig dienlich wäre. Die geistigen Grundlagen der Leipziger Gesellschaft hatte ein Beitrag von Gerhard Heitz zum Gegenstand, den er 1953 in einer im Hauptstaatsarchiv Dresden als Manuskript aufbewahrten Festgabe für Hellmut Kretzschmar vorlegte. Danach sei die Leipziger Sozietät eine physiokratische Gesellschaft, die die Förderung der Landwirtschaft als vorrangige Aufgabe betrachtete, eine Veränderung der Verfassung, insbesondere der Agrarverfassung, aber keineswegs anstrebte. Deutlich ist hier zu merken, dass die Interpretation des Kursächsischen Rétablissements von Horst Schlechte noch nicht vorlag. Dagegen lassen sich Schlechtes Ansätze in einem Aufsatz von Helga Eichler, erschienen 1978 im Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus, gut wiederfinden. Die Verfasserin konzentrierte sich auf das Wirken der Gesellschaft auf dem Gebiete der gewerblichen Produktion und die wenigen Versuche von Sozietätsmitgliedern, die auf eine Änderung der Agrarverfassung Sachsens abzielten. Einen ganz anderen Themenkreis hatte ein 1992 erschienener Aufsatz von Manfred Unger zum Gegenstand, in dem er sich mit den Verbindungen der Gesellschaft zu den führenden Köpfen des Rétablissements in Sachsen beschäftigte und besonders die landwirtschaftlichen Neuerungen auf ihren Gütern hervorhob. Im Zusammenhang mit der Wiedergründung und dem 230jährigen Jubiläum der Leipziger ökonomischen Sozietät entstand darüber hinaus noch eine Reihe von Beiträgen, die aber der bisherigen Forschung nichts hinzufügen konnten. Betrachtet man die Quellensituation, so fällt sofort ins Auge, dass ein eigener Aktenbestand der Leipziger ökonomischen Sozietät heute nicht mehr existiert. Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft von 1764 an bis in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts über ein Archiv verfügt hat, das aber als Kriegsverlust gelten muss. Es muss bei der Bearbeitung des Themas also auf andere Quellen zurückgegriffen werden. Im Sächsischen Hauptstaatsarchiv existieren in den Beständen fast aller sächsischen Zentralbehörden Akten zur Gesellschaft, nämlich im Geheimen Kabinett, im Geheimen Konsilium, der Landesregierung, im Geheimen Finanzarchiv und vor allem im Bestand der Landesökonomie-, Manufaktur- und Kommerziendeputation. Sie geben Aufschluss über die Gründung, landesherrliche Bestätigung und die materiellen Zuwendungen des Kurfürsten, konkrete Projekte sowie einen langwierigen Rechtsstreit zwischen der Leipziger und der Dresdner ökonomischen Gesellschaft von 1820 bis 1825. Im Staatsarchiv Leipzig finden sich Akten im Bestand der älteren Amtshauptmannschaften, im Amt Leipzig und beim Patrimonialgericht Möckern, die vor allem über den bereits oben erwähnten Streit Aufschluss gewähren. Letztlich konnte auch im Stadtarchiv Leipzig eine einsame Akte ausgewertet werden. Eine wichtige Quelle sind die Publikationen der Sozietät, die von 1764 an in mehreren Reihen und Einzelschriften erschienen sind. Neben diesen Publikationen gab die Gesellschaft 1821 noch ihre Statuten, 1823 ein alphabetisches Gesamtregister über sämtliche von ihr herausgegebenen Schriften und 1824 ein Mitgliederverzeichnis in Druck. Bisher noch nicht in Bezug auf die ökonomische Gesellschaft ausgewertet wurden die Leipziger Stadtadressbücher, die von 1701 an in mehreren teilweise konkurrierenden Reihen erschienen sind. Hier ist ausschlaggebend, dass von 1768 bis einschließlich 1779 vollständige Mitgliederlisten im Stadtdressbuch zu finden sind. Ausgehend von der Forschungslage und der Quellensituation, ergaben sich für die diesem Vortrage zugrunde liegende Arbeit folgende Schwerpunkte: In einem allgemeinen Abriss sollte die Geschichte der Sozietät unter Hinzuziehung neuer Quellen und Literatur von den ersten Gründungsbestrebungen bis zum Jahre 1825 dargestellt werden. Dabei wurden zunächst die unmittelbare Vorgeschichte und danach die Anregungen und Vorbilder des 18. Jahrhunderts für die Leipziger Gesellschaft behandelt. Hierbei war neben der zeitgenössischen nationalökonomischen Literatur und Vorbildgesellschaften auch die Rolle des kursächsischen Staates bei der Anregung und Umsetzung der Gründung zu untersuchen. Anhand der Rechtsform und der Verfassung der Sozietät sowie von Einflussmöglichkeiten der Regierung konnte ihr Charakter als halbstaatliche Assoziation beleuchtet werden. Ein Überblick über ihre Tätigkeit sowie über die Rechtshändel, die letztendlich zur Teilung der Sozietät führten, schloss sich an. In einem weiteren Kapitel wurden durch die quantitative Untersuchung der von der Gesellschaft herausgegebenen Druckschriften ihre Tätigkeitsfelder gewichtet. Darauf schloss sich in einem Exkurs die Darstellung der Informantentätigkeit eines korrespondierenden Sekretärs der Leipziger ökonomischen Sozietät in London an, der über elf Jahre hin die Gesellschaft mit Informationen zu verschiedenen wirtschaftlichen Fragestellungen versorgte. Den Abschluss der Arbeit bildete eine Untersuchung der Sozietätsmitglieder, um anhand genügend dokumentierter Jahrgänge ihre soziale Struktur beleuchten zu können. Die Gründung der Leipziger ökonomischen Sozietät, und damit wäre der zweite der oben erwähnten vier Schwerpunkte erreicht, steht in direktem Zusammenhang mit dem kursächsischen Rétablissement. Schon im ersten Vortrag der Restaurationskommission vom 12. Juni 1762 forderte Thomas v. Fritsch mit Bezug auf die Physiokraten die Gründung einer vom Landesherrn wohlwollend begleiteten ökonomischen Gesellschaft. Nach einem Aufruf zur Gründung einer solchen Gesellschaft am 14. Oktober 1763 auf der allgemeinen Landesversammlung in Dresden fand schließlich am 26. Mai 1764 in Leipzig die Gründungsversammlung statt. Als Vorbilder können die vielen nach 1750 in ganz Europa entstandenen ökonomischen Gesellschaften gelten. Gerade Frankreich scheint ein Zentrum dieser eng mit dem Aufkommen des Physiokratismus verbundenen Sozietätsbewegung gewesen zu sein, wobei z. T. regelrechte Filiaturen auszumachen sind. Als direkte Vorläuferin der Leipziger kann die am 8. Juli 1763 in Weißensee gegründete "Thüringische Landwirtschaft-Gesellschaft" angesehen werden, die allerdings spätestens am Ende desselben Jahres wieder eingegangen war. Neben Vorbildgesellschaften waren es wohl auch Anregungen aus der Literatur, die die Gründung und Struktur der späteren ökonomischen Sozietät in Leipzig beeinflusst haben werden. Julius Bernhard v. Rohr ist bereits oben zitiert worden. Seiner Meinung nach sollte eine landesfürstlich privilegierte Gesellschaft in deutlicher Abgrenzung zu den Gelehrtengesellschaften gegründet werden, die sich hauptsächlich mit praktisch nützlichen Gegenständen, vorwiegend aber mit der Ökonomie, beschäftigen müsste. Er geht aber noch weiter und entwickelt schon konkrete Vorstellungen für Struktur und Arbeitsweise der gedachten Assoziation. Ihm folgten in den nächsten vier Jahrzehnten noch einige andere Autoren, die die Begründung von ökonomischen Gesellschaften oder einer Ackerbauakademie forderten. Nach und nach kamen so fast alle Elemente der Struktur und der Tätigkeit der nachmaligen Leipziger ökonomischen Sozietät zur Sprache. Aus Zeitgründen seien an dieser Stelle die weiteren Einzelheiten nur kurz erwähnt. Die Gesellschaft erhielt am 24. April 1765 die landesherrliche Bestätigung und erfreute sich auch in der Folgezeit immer landesherrlichen Wohlwollens, ausgedrückt durch verschiedene Privilegien und Zuwendungen. Es existierten zwei Formen der Mitgliedschaft. Ordentliche Mitglieder hatten volles Stimmrecht in der Hauptversammlung und erklärten ihren Beitritt aus eigenem Entschluss; sie hatten allerdings 10 Taler Jahresbeitrag zu entrichten. Davon waren die Ehrenmitglieder befreit, sie besaßen allerdings nur eine beratende Stimme und wurden ausschließlich auf Initiative der Sozietät ernannt. Später kamen dazu für relativ kurze Zeit noch Assoziierte, weiterhin korrespondierende Mitglieder aus dem nichtsächsischen Ausland, die allerdings zahlenmäßig kaum ins Gewicht fielen. Die beiden letzten Gruppen besaßen den Status von Ehrenmitgliedern. Die ordentlichen Mitglieder wählten aus ihren Reihen für zwei Jahre als Vorstand acht Deputierte sowie einen Direktor. Ab 1766 gab es noch eine Redaktionskommission, die die Herausgabe der Schriftenreihen zu versehen hatte. Zur Erledigung ihrer Geschäfte bestallte die Sozietät zunächst einen, ab 1766 zwei beständige Sekretäre sowie einen Aufwärter. Die Hauptversammlungen fanden immer zu Ostern und Michaelis angelegentlich der Leipziger Messe auf der Pleißenburg statt. Deputationssitzungen wurden wohl, wie übrigens auch das Sekretariat, spätestens seit 1770 nach Dresden verlegt. Darüber hinaus fanden seit 1767 hin und wieder in Leipzig, Dresden, Wittenberg, Zwickau, Freiberg, Neustadt, Suhl, Meißen und in Merseburg Provinzialversammlungen statt. In ihren Statuten legte die Sozietät fest: "Die Gesellschaft machet alles dasjenige, was der Nahrungs-Stand überhaupt im weitesten Umfange, vorzüglich aber die Land- und Stadt-Wirthschaft, und das Manufactur- und Handlungswesen, in sich begreifen, mithin auch die diesen vorteilhafte Anwendung der Mathematik, Physik und Chemie, zum Gegenstand ihrer Beschäfftigungen, insonderheit, was davon Sachsen und die zugehörigen Lande angehet." Damit war ein weiter Rahmen für ihre Arbeitsfelder gegeben. In Verbindung mit weiteren Festlegungen der Statuten ergaben sich folgende Tätigkeitsbereiche:
Dies entsprach im wesentlichen dem Programm, das im 18. Jahrhundert zum Standard aller wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien geworden war. In der Praxis ergaben sich dann aber noch weitere Tätigkeitsfelder, wie die Anstellung landwirtschaftlicher Versuche in Leipzig und Dresden, die Gründung einer Bleiweißmanufaktur bei Dresden sowie der ökonomisch misslungene Versuch der Seidenraupenzucht in Leipzig. Weiterhin die Verbesserung des Hebammen- und des Landschulwesens in Sachsen und die Einrichtung von Spinn- und Arbeitsschulen im Erzgebirge im Gefolge der Hungersnot von 1771/72. Dabei ist eine vollständige Darstellung wegen der großen Anzahl der teilweise recht skurrilen Aktivitäten schier unmöglich, wurden doch allein in den Schriftenreihen der Gesellschaft von 1764 bis 1814 insgesamt 1483 Themen behandelt. Es ist wahrlich unübersehbar, was dem mitunter auch belustigten Leser der Sozietätsschriften vor Augen tritt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, zum dritten Schwerpunkt des gegenwärtigen Vortrages überzuleiten, nämlich zu den Haupttätigkeitsfeldern der Sozietät im Spiegel ihrer Veröffentlichungen. Wie bereits oben erwähnt, stellte die Veröffentlichung von Informationen über die verschiedensten Bereiche wirtschaftlichen Lebens einen wesentlichen Anteil an der Tätigkeit der Gesellschaft dar. Seit ihrer Gründung gab sie zu diesem Zweck mehrere Publikationsreihen heraus. Die wichtigste dieser Reihen waren wohl die Anzeigen, die mit einer Ausnahme zweimal jährlich zur Leipziger Oster- und zur Michaelismesse herausgegeben wurden. Sie enthalten neben Mitgliederlisten, Angaben über die neu aufgenommenen Mitglieder und Mitteilungen über Interna der Gesellschaft auch Informationen über die durch Korrespondenz, eingesandte Manuskripte und öffentliche Verlesung auf den Versammlungen in der Sozietät behandelten Themen. Die innere Struktur der Anzeigen war nicht immer einheitlich, einzelne der genannten Bestandteile konnten durchaus fehlen. Seit 1764 wurden die Anzeigen regelmäßig als Beilage im Leipziger Intelligenzblatt veröffentlicht. Nach der Einteilung der Gesellschaft in drei Klassen wurden auch noch Auszüge aus den Klassensitzungen herausgegeben, in denen im wesentlichen die gleichen Themen wie in den Anzeigen in ausführlicherer Form behandelt wurden. Größere Abhandlungen enthielten die zwischen 1771 und 1803 unregelmäßig erschienenen Schriften der Leipziger ökonomischen Sozietät. So hinterließ die Leipziger Gesellschaft eine große Menge unterschiedlicher Schriften, die bis einschließlich 1814 durch das bereits erwähnte Sachregister von 1823 erschlossen werden. Es verzeichnet auf 72 Seiten in alphabetischer Reihenfolge viele hundert Stichwörter. Dieses Register wurde nun auf die behandelten Themenkreise hin untersucht, wobei als Gliederung die Klasseneinteilung von 1766 und die Untergliederung der Klassen in Subdivisionen gewählt wurde. Darüber hinaus erschien die gesonderte Ausweisung von Themen erforderlich, die sich nicht ohne weiteres in die Klassen- und Subdivisionseinteilung einordnen ließen. So wurde folgendes Schema entwickelt:
Um darüber hinaus noch Informationen über evtl. Häufungen einiger Themen zu bestimmten Zeiten zu erhalten, wurde der Zeitraum, über den sich das Register erstreckt, in fünf Dekaden unterteilt. Nach der Kassation von Mehrfachnennungen im Register ergab sich folgendes Bild für die Verteilung der Themen auf die einzelnen Klassen (die Prozentsätze beziehen sich auf die jeweilige Dekade bzw. in der letzten Spalte auf den Gesamtzeitraum). Tab. 1: Anzahl der von den einzelnen Klassen behandelten Themen
Vorstehende Angaben lassen sich wie folgt interpretieren: Die relativ einheitliche Zahl der Verweise für die erste sowie die dritte bis fünfte Dekade des Untersuchungszeitraums zeigt eine in etwa gleichbleibende Tätigkeit der Gesellschaft an, wobei die leicht geringere Zahl der letzten Dekade wohl auf die Beeinträchtigungen in der Zeit der französischen Herrschaft zurückzuführen ist. Das Absinken der Zahl im zweiten Jahrzehnt um die Hälfte deutet auf deutlich weniger behandelte Themen und damit auf sinkendes Interesse der Mitglieder an der Mitarbeit hin. Zieht man deskriptive Darstellungen zu Rate, so zeigt sich, dass gerade die Zeit von 1774 bis 1777 als Zeit mäßiger Aktivitäten gesehen wurde. Der Anteil der einzelnen Klassen an den Verweisen schwankt zwar etwas, bleibt aber verhältnismäßig konstant. Sehr deutlich ist zu sehen, dass über die Hälfte der behandelten Themen Gegenstand der Landwirtschaftsklasse waren. Die Manufakturklasse steht mit einem Durchschnitt von 11% sogar noch deutlich hinter der naturwissenschaftlichen Klasse zurück. Wird nun noch weiter innerhalb der Klassen differenziert, so ergibt sich folgendes Bild: Tab. 2: Verteilung der innerhalb der einzelnen Klassen behandelten Themen
Nun lassen sich auch Aussagen über die innerhalb der Klassen bevorzugten Themenbereiche machen. So zeigt sich, dass innerhalb der ersten Klasse Ackerbau und Viehzucht eine Spitzenstellung innehatten. In der Manufakturklasse überwogen Themen zur Verarbeitung von Rohmaterialien sehr deutlich. Die ansonsten geringen Zahlen für die zweite Klasse müssen allerdings noch korrigiert werden. Die Zuordnung der Verarbeitung von Mineralien und Bodenschätzen zur dritten Klasse ist wohl auf die übliche kameralistische Sichtweise zurückzuführen. So wurden damals in Sachsen auch Manufakturen, die Bodenschätze jeglicher Art verarbeiteten, unter die sogenannten Bergfabriken gerechnet und damit eigentlich vom Manufakturwesen getrennt betrachtet. Ordnet man also die Themen zur Verarbeitung von Mineralien und Bodenschätzen noch der Manufakturklasse zu, so ergibt sich ein zu ihren Gunsten verändertes Bild, das noch weiter verschoben wird, wenn der letzte Punkt der dritten Klasse näher betrachtet wird. Die Meldungen über Maschinen und Hilfsmittel aller Art weisen als einzige eine ständig steigende Tendenz auf. So erhöht sich ihr Anteil von 7% in der ersten Dekade exponentiell auf 21% in der vierten, um dann allerdings in der fünften Dekade zu stagnieren. Dies deutet auf eine durchweg wachsende Beschäftigung der Sozietätsmitglieder mit dem Bau von Maschinen und anderen Hilfsmitteln, etwa für Manufakturen oder die Landwirtschaft, hin. Der Anteil dieses Bereichs müsste ebenfalls noch auf die landwirtschaftliche und die Manufakturklasse verteilt werden, was deren Stellenwert weiter erhöhen würde. So zeigen sich einige Gebiete, auf denen die Mitglieder der Gesellschaft überwiegend tätig waren: Zuallererst wäre hier die Landwirtschaft mit ihren traditionellen Bereichen Ackerbau und Viehzucht zu nennen, wobei die Versuche zur Veredlung landwirtschaftlicher Produkte und die Hinwendung zu Maschinen und anderen Hilfsmitteln den Übergang zu einer modernisierten Landwirtschaft markieren. Damit steht die Leipziger ökonomische Sozietät durchaus im Kontext einer Entwicklung, die vor den Reformen der Agrarverfassung die Produktionsweise in der sächsischen Landwirtschaft zum Teil nicht unerheblich verbesserte. Der nächst der Landwirtschaft bedeutendste Bereich der in den Sozietätsschriften behandelten Themen ist das Manufakturwesen. Zwar ist hier eine fallende Tendenz zu beobachten, denn auch unter Hinzunahme der Meldungen, die die Bergfabriken betreffen, muss ein von 28% in der ersten Dekade auf 9% in der letzten sinkender Anteil festgestellt werden. Dennoch ist er immer noch bedeutend. Die Verringerung ist wohl mit dem Ende der sächsischen Manufakturblüte um 1800 zu erklären. Die deutliche Unterrepräsentanz von Bereichen wie Nationalökonomie, Staats-, Natur- und anderen Wissenschaften lässt auf eine überwiegend praktische Ausrichtung der Interessen schließen. So kann die Leipziger ökonomische Sozietät mit großer Wahrscheinlichkeit als eine Gesellschaft bezeichnet werden, die sich hauptsächlich mit der Verbesserung der Produktionsmethoden in der Landwirtschaft, der Veredlung und damit Ertragssteigerung landwirtschaftlicher Produkte sowie in wesentlich geringerem Umfang und mit abnehmender Tendenz mit dem Manufakturwesen beschäftigte. Die Rezeption der Sozietätsschriften ist ein Problemkreis, der hier nur gestreift werden kann. Die Auflagenhöhe der Schriften konnte etwas vage mit 1000 bis 2000 Exemplaren bestimmt werden. Bei der Verbreitung sieht das schon wesentlich schwieriger aus. Fest steht, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch den Multiplikatoreffekt von Bibliotheken, institutionalisierten wie auch informellen Lesegesellschaften und gelehrten Vereinen Zeitschriften und Bücher einen Leserkreis erreicht haben dürften, der die Auflagenhöhe um ein Vielfaches überstieg. So war das Lesen am Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Erscheinung auch in den Bevölkerungsteilen geworden, die noch fünfzig Jahre früher kaum unter die Alphabeten gerechnet worden wären. Der Allgemeine Litterarische Anzeiger vom 30. Januar 1798 schreibt: "Die Matrone greift jetzt wöchentlich einigemal zur Brille, um mit deren Hülfe die Zeitung zu buchstabieren, ja zu dechiffrieren". Und der sächsische Offizier Friedrich Ernst von Liebenroth, der angelegentlich seiner Teilnahme an der Niederschlagung des kursächsischen Bauernaufstandes von 1790 viel Gelegenheit hatte, das Leben der Bauern zu studieren, schrieb in sein Tagebuch: "Was das erste anbetrifft, so muss man wissen, dass der sächsische Bauer von Natur gerne liest (...) Sehr drollig ist es, wenn man zuweilen einen Zirkel von neugierigen Landleuten um den Schulmeister herumsitzen siehet, welcher ihnen gemeininglich die Zeitungen oder den Boten vorliest und seine weisen Anmerkungen den aufmerksamen Zuhörer darüber mitteilet. Alles sitzt unbeweglich, alles ist Ohr, nur eine dicke Dampfwolke von schwarzen Tabak überzeugt den Beobachter, dass diese zum Teil grotesken Figuren keine leblosen Bildsäulen sind. Mit Ehrfurcht schweigt ein jeder und erwartet den Augenblick, wo der Vorleser seine Brille abgenommen und das Blatt aus der Hand gelegt hat." Doch bevor das hier passieren kann, wird noch die soziale Zusammensetzung der Sozietätsmitglieder behandelt werden müssen. Die verschiedenen Formen der Mitgliedschaft sind bereits an anderer Stelle beschrieben worden. Nun sollen nach der Auswertung der überlieferten Verzeichnisse auch noch Angaben über die Zusammensetzung der Mitglieder gemacht werden. Vier dieser Verzeichnisse wurden in den Anzeigen der Sozietät gedruckt. In der Zwischenzeit wurden lediglich die neu aufgenommenen Mitglieder bekanntgegeben. Da aber jegliche Nachrichten über Abgänge, etwa durch Tod oder Austritte, fehlen, würde eine Auswertung lediglich der neuaufgenommenen Mitglieder zu einem verzerrten Bild führen. Eine wichtige Quelle sind darüber hinaus die Leipziger Stadtadreßbücher, die von 1768 bis 1779 jeweils die Mitgliederlisten der Sozietät enthielten. Lücken ergeben sich in diesem Zeitraum dadurch, dass die Adressbücher nicht in jedem Jahr herausgegeben worden sind. Durch die vorhandenen Listen konnte somit ein Untersuchungszeitraum von fünfzehn Jahren bearbeitet werden. Sämtliche Mitgliederlisten sind nach Mitgliederkategorien getrennt. Für einen Großteil der Mitglieder sind neben dem Namen auch Angaben über Rittergutsbesitz und Berufe bzw. Ämter gemacht worden. Die genannten Listen wurden nun nach verschiedenen Gesichtspunkten untersucht. Neben den absoluten Zahlen sollte auch das Verhältnis der einzelnen Mitgliederkategorien zueinander ermittelt werden. Dadurch können Rückschlüsse auf das Interesse an einem freiwilligen Beitritt sowie die Wirksamkeit der nach außen gerichteten Mitgliederwerbung der Sozietät erfolgen. Tab. 3: Mitglieder der Leipziger ökonomischen Sozietät
Es zeigt sich, dass nach kontinuierlichem Mitgliederzuwachs bis um 1769 die Zahlen zwischen 250 und 300 Mitgliedern schwankten. Die mit 702 besonders hohe Zahl für das Jahr 1811 ist wegen der Singularität dieser Angabe im zeitlichen Umfeld schwer einzuordnen. Wird das Verhältnis von ordentlichen und anderen Mitgliedern betrachtet, so fällt auf, dass der Anteil der mit vollen Rechten ausgestatteten ordentlichen Mitglieder fast kontinuierlich von 91% im Gründungsjahr bis auf 24% im Jahre 1811 gesunken ist. Diese Tatsache lässt mehrere Schlüsse zu. Einerseits zeigt sie, dass Entscheidungen in der Gesellschaft von einem immer kleiner werdenden Teil der Mitglieder getroffen wurden. Andererseits zeugt die relativ abnehmende Anzahl ordentlicher Mitglieder von weniger Bereitschaft, die mit einem nicht unbeträchtlichen Beitrag verbundene Vollmitgliedschaft der Gesellschaft durch freiwilligen Beitritt zu erwerben. Umgekehrt deuten die steigenden Zahlen vornehmlich der Ehren-, aber auch der assoziierten Mitglieder auf eine aktive und erfolgreiche Mitgliederwerbung der Sozietät hin, wurden doch diese Mitglieder von der Gesellschaft ausgewählt und ernannt. Dass die Zahl assoziierter Mitglieder nach 1773 wieder abnahm, lässt sich leicht dadurch erklären, dass sie ab 1774 nicht mehr ernannt wurden. Um weitere Aufschlüsse über die Struktur der Sozietätsmitglieder zu erhalten, soll nun der Anteil von Adligen und Rittergutsbesitzern unter ihnen betrachtet werden. Tab. 4: Anteil adliger Mitglieder
Der Anteil adliger Mitglieder in der Leipziger ökonomischen Sozietät, der mit ca. 60% in den Anfangsjahren noch sehr hoch war, sank von 1768 bis 1774 nahezu linear auf 29%, um später bei Werten um 30% zu pendeln. Der Wert von 21% für 1811 lässt eine Fortsetzung des Negativtrends auch für die nicht genügend dokumentierten Jahre vermuten. Werden nun die einzelnen Mitgliederkategorien für sich betrachtet, so zeigt sich für die ersten fünfzehn Jahre bei den ordentlichen Mitgliedern ein verhältnismäßig konstanter Wert um 70%, der bei den Ehrenmitgliedern ähnlich gleichbleibend bei ca. 12% liegt. Es fällt auf, dass die überwiegende Mehrheit der ordentlichen Mitglieder dem Adel angehörte, während die anderen Kategorien eindeutig bürgerlich geprägt waren. Damit kann für die bei den ordentlichen Mitgliedern dominierenden Adligen ein erheblicher Einfluss in der Gesellschaft konstatiert werden. Die soziale Basis der Mitglieder konnte im folgenden durch die Untersuchung der als Rittergutsbesitzer nachgewiesenen Mitglieder ermittelt werden. Tab. 5: Anteil der als Rittergutsbesitzer ermittelten Mitglieder
Noch deutlicher als bei den Adligen traten die Unterschiede zwischen der Gruppe der ordentlichen Mitglieder und den anderen Mitgliedern hervor, als der Anteil der Rittergutsbesitzer betrachtet wurde. Nach der unmittelbaren Gründungsphase ließ sich nahezu konstant für mehr als die Hälfte aller ordentlichen Mitglieder Rittergutsbesitz nachweisen. Rittergutsbesitzer stellten also einen wesentlichen Anteil dieser Mitgliedergruppe. Demgegenüber spielten sie unter den Ehrenmitgliedern fast gar keine Rolle, lag doch ihr Anteil dort bei Werten um ca. 5%. Aus den bereits bekannten Gründen nahm darum auch der Prozentsatz der Rittergutsbesitzer in der Gesamtmitgliederzahl fast stetig ab, obwohl sie ihren Einfluss innerhalb der ordentlichen Mitglieder fast konstant auf hohem Niveau halten konnten. Allerdings zeigen die Zahlen für 1811, dass bei den ordentlichen Mitgliedern der Anteil der Rittergutsbesitzer auf 33% gesunken war, während er sich bei den Ehrenmitgliedern leicht erhöht hatte. Ein ähnliches Bild ergibt die Betrachtung der Schnittmengen zwischen Adligen und Rittergutsbesitzern: Tab. 6: Schnittmengen zwischen Adligen und Rittergutsbesitzern
Besonders Tab. 6 zeigt für die Adligen mit Rittergutsbesitz gegenüber der Gesamtanzahl der Gutsbesitzer nur geringfügig niedrigere Zahlenwerte. Daraus folgt, dass die überwiegende Mehrheit der als Gutsbesitzer identifizierten Sozietätsmitglieder dem Adel angehörte. Zur Betrachtung der besonders häufig vorkommenden Berufe wurde als Arbeitshilfe die Vielzahl der genannten Tätigkeiten in vier Gruppen eingeteilt. Der Einteilung lag der Gedanke zugrunde, dass die Berufe in im weitesten Sinne staatstragende, praktisch-bürgerlich geprägte, gelehrte und praktisch-landwirtschaftlich geprägte Gruppen aufgeteilt werden könnten. So wurde folgendes Schema gewählt:
Andere als die hier aufgeführten Berufe wurden nicht oder nur vereinzelt genannt. Nach dem Schema wurden nun die Mitglieder der Sozietät untersucht. Tab. 7: Anteil einzelner Berufsgruppen bei den ordentlichen Mitgliedern
Ganz deutlich ist zu sehen, dass für die meisten ordentlichen Mitglieder ein Beruf aus der Berufsgruppe I angegeben worden war. Obschon mit leicht abnehmender Tendenz, umfasste deren Anteil durchschnittlich 77%, also mehr als drei viertel dieser Mitgliedergruppe. Hier zeigt sich, dass Personen, die in höchsten Hof- bis hin zu einfachen Verwaltungsämtern dem Staat besonders nahestanden, die größte Gruppe unter den ordentlichen Mitgliedern ausmachten. Weiterhin ist zu erkennen, dass die zweite Berufsgruppe einen stetig steigenden Anteil besaß. Offensichtlich strebten zunehmend Kaufleute, Manufakturbesitzer und Handwerker die Mitgliedschaft in der Sozietät an und konnten sie wohl auch bestreiten. Auffällig ist die deutliche Unterrepräsentanz von Gelehrten und verwandten Berufen sowie das fast völlige Fehlen landwirtschaftlicher Praktiker. Ein ganz anderes Bild ergibt die Untersuchung der anderen Mitglieder nach dem genannten Berufsgruppenschema: Tab. 8: Anteil einzelner Berufsgruppen bei den Ehren-, assoziierten und korrespondierenden Mitgliedern
Hier wird sichtbar, dass Angehörige der Berufsgruppe I zwar ebenfalls den größten Anteil der Mitglieder stellten, aber die praktisch-bürgerlichen und besonders die gelehrten Berufe häufiger vertreten sind, als bei den ordentlichen Mitgliedern. Offensichtlich sollte durch die Aufnahme von Praktikern verschiedener Wirtschaftsbereiche (Berufsgruppen II und IV) sowie von Theoretikern und Schulleuten (Berufsgruppe III) die Basis an theoretischem und praktischem Wissen vermehrt werden. Aus den bisher geschilderten Daten wird folgendes deutlich: Der Anteil der ordentlichen Mitglieder der Leipziger ökonomischen Sozietät nahm im Verlaufe ihrer ersten fünfzehn Jahre kontinuierlich zugunsten der Ehren-, assoziierten und der korrespondierenden Mitglieder ab. Innerhalb beider Mitgliedergruppen, der vollberechtigten und der beratenden, blieben die Anteile an Adligen, Rittergutsbesitzern und bestimmten Berufsgruppen verhältnismäßig konstant. Demnach stellten diese drei Gruppen den Löwenanteil, besonders unter den vollberechtigten ordentlichen Mitgliedern. Diese Aussage wird durch die Betrachtung der Schnittmengen zwischen Adligen und Rittergutsbesitzern unterstützt. Es zeigt sich, dass Adlige, evtl. auch nobilitierte Bürgerliche, die im Rittergutsbesitz ihre materielle Basis hatten und die durch die Übernahme von Hof- und anderen Ämtern in der kursächsischen Verwaltung eine feste Bindung mit dem vorkonstitutionellen Staat eingingen, die dominierende Gruppe innerhalb der Leipziger ökonomischen Sozietät stellten. Bei diesen Überlegungen muss angemerkt werden, dass Frauen in keiner der benutzten Listen jemals als Mitglied der Gesellschaft auftauchten. * Die Leipziger ökonomische Sozietät wurde 1764 in direktem Zusammenhang mit dem kursächsischen Rétablissement gegründet. Während Vorbilder und Anregungen sich in den bisher in Europa entstandenen patriotischen Gesellschaften und der nationalökonomischen Literatur finden lassen, kam der direkte Anstoß zu ihrer Gründung aus der sächsischen Verwaltung. Die Gründung ist ein Beispiel für die Verquickung von landesherrlicher Einflussnahme und privater Initiative. Auf die sehr wahrscheinliche Vorbildwirkung der 1763 in Weißensee gegründeten Thüringischen Landwirtschaftsgesellschaft wurde hingewiesen. Das häufig gezeigte landesherrliche Wohlwollen, die Einzelheiten der Gründung und die Dominanz von meist adligen und staatsnahen Amtsträgern in der Gesellschaft lassen es gerechtfertigt erscheinen, sie als halbstaatliche Einrichtung zu bezeichnen, die einer nicht unbeträchtlichen Einflussnahme durch den Landesherrn und die sächsische Verwaltung unterlag. Durch ihre Verfassung stand sie noch zwischen der Korporation ständischer Prägung und dem klassischen bürgerlichen Verein. Nach der eigentlichen Rétablissementszeit hatte sich die Gesellschaft sowohl von der Zahl ihrer Mitglieder als auch von ihrer Tätigkeit her stabilisiert. Lediglich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts schien das Interesse an ihr vorübergehend zu erlahmen. Die Vielfalt der behandelten Problemkreise ist eindrucksvoll. Ihre wohl wichtigste Tätigkeit war die Sammlung und Weitergabe von Informationen auf verschiedenen Wegen, so z. B. durch die Herausgabe mehrerer Schriftenreihen, eine umfangreiche Vortragstätigkeit auf den Versammlungen und die sehr frühe Entsendung eines besoldeten Informanten nach London. Von einer inhaltlichen Vorgabe oder Beschränkung kann überwiegend nicht ausgegangen werden. Die behandelten Gegenstände richteten sich vorwiegend nach den Interessen der Mitglieder. Mitunter wurde die Gesellschaft auch von der Landesverwaltung zu einzelnen Problemen konsultiert. Felder der nicht nur beobachtenden und informierenden Tätigkeit waren die Durchführung landwirtschaftlicher Versuche, die Ausgabe von Preisaufgaben, unternehmerische und karitative Tätigkeit sowie die Einrichtung von Spinn- und Arbeitsschulen im Erzgebirge. Den weitaus größten Anteil der behandelten Gegenstände bildete die Landwirtschaft, mit Abstand gefolgt vom Manufakturwesen. Bei diesen beiden Feldern war eine verstärkte Hinwendung zu neuen Methoden, Maschinen und Hilfsmitteln zu beobachten. Darum mag die Sozietät als Wegbereiterin einer Frühindustrialisierung der landwirtschaftlichen und der gewerblichen Produktion gelten. Die Mitgliederstruktur zeigt mit der Dominanz von Adligen, Staatsbediensteten und Rittergutsbesitzern das Überwiegen einer Gruppe, die als Stütze des Ancien Régime in Sachsen fungierte. Daraus resultierte wohl auch die bemerkenswerte Unterrepräsentanz von politischem Veränderungswillen in der Gesellschaft. Dennoch scheint es durch die zielgerichtete Aufnahme von Praktikern der gewerblichen Wirtschaft und Gelehrten zu einer Art Symbiose zwischen den Kräften der Bewegung und des Beharrens, anders formuliert, zwischen emanzipatorischen und modernisierenden Strömungen einerseits und retardierenden und konservativen Tendenzen andererseits, gekommen zu sein. In einem Satz charakterisiert, war die Sozietät eine physiokratische Gesellschaft, die, höchst praktisch ausgerichtet, technologische Aufgeschlossenheit mit der Einordnung in das Kurfürstentum Sachsen des Ancien Régime verband. Zwar nicht ausdrücklich politisch motiviert, kann die Teilung 1825, die ausschließlich von Leipziger Mitgliedern ausging, vielleicht schon als Zeichen für die Grenzen der Sozietät gewertet werden. Damit stünde auch der Teilungsprozess im Strom einer allgemeinen Entwicklung, die schließlich zu den Aufständen von 1830 und zur Verfassung von 1831 führen sollte. Mehr als allgemeine bürgerliche Emanzipationstendenzen können aber aus dem konkreten Verlauf der Teilung nicht hergeleitet werden, wobei hauptsächlich die Mitgliederstruktur der neuen Leipziger Gesellschaft für eine Verbürgerlichung spricht. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2001 |