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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[25.]
Was wird nach den Reichstagswahlen?
Wahlbetrachtung am 4.8.1932 vor SPD-Mitgliedern im Stuttgarter Gewerkschaftshaus


STW v. 5.8.1932.

[Schumacher] leitete seine Ausführungen mit Dankesworten an die Parteifunktionäre und insbesondere an die Reichsbannerkameraden sowie die erwerbslosen Genossen ein, die in den letzten Wochen große persönliche Opfer im Interesse der Partei brachten und Hervorragendes leisteten. Die Versammlung unterstrich diese wohlverdiente Anerkennung durch stürmischen Beifall, der sich auch während des Referats häufig wiederholte und bewies, daß die Parteigenossenschaft mit ihrer Führung grundsätzlich eins ist.

Bei der Betrachtung des zahlenmäßigen Wahlergebnisses vom 31. Juli stellte Genosse Dr. Schumacher fest, daß dieses im Lande unsere Erwartungen erfüllt hat. Wir behaupteten vier Mandate und konnten mit unseren Reststimmen den Badenern zu ihrem dritten Sitz verhelfen. Die Stadt Stuttgart als solche schnitt für die Partei sehr gut ab. 5.000 Stimmen mehr als bei der Landtagswahl im Frühjahr und 2.000 Stimmen mehr als bei der Reichstagswahl 1930 sind angesichts der schärfsten Angriffe von ganz rechts und links achtbare Ergebnisse. In verschiedenen Stadtbezirken mit weniger günstigen Resultaten werden vorhandene agitatorische Mängel untersucht und tunlichst abgestellt. Zu dem Behuf sind eine teilweise Neuorganisation und eine umfassende Mitgliederwerbung in Vorbereitung.

Bei einer Gesamtbetrachtung konnte der Redner feststellen, daß die von den Nazis sicher vorausgesagte Mehrheit von diesen nicht erreicht wurde und auch der prahlerisch angekündigte Einbruch in die marxistische Front vollkommen scheiterte. Vielmehr trat ein Stillstand im Vormarsch der Faschisten ein, der ihre Mehrheiten in Mecklenburg, Oldenburg und Anhalt schon wieder dezimierte.

Dr. Schumacher untersuchte nun die verschiedenerlei Konstellationsmöglichkeiten in dem neuen Reichstag, die dergestalt sind, daß sie vielleicht der Papen-Regierung nach einigen personellen Änderungen das Weiteramtieren gestatten. Die kommunistische Stimmenzunahme, dieser Protest gegen das Krisenelend einerseits und die Absicht des Verbots jener Partei andererseits, trug mit bei zur Schaffung der derzeitigen karikaturhaften Verhältnisse. Der verbrecherischen Haltung der KP-Führung zur Frage der Einheitsfront muß eine Erstarkung der Eisernen Front gegenübergestellt werden.

Die Nazis mit ihren 230 Mandaten können nicht dauernd in der Opposition bleiben. Sie werden bald im hellen Rampenlicht des Parlaments stehen und Farbe bekennen müssen, wenn Papen vom Reichstag die Ratifizierung seiner Lausanner „Großtat" fordern muß. Zurzeit freilich mimt Papen vor dem Volk noch den Starken mit seinem scheinpolitischen Theater; die berühmten Verabredungen verschiedener Mitglieder der Baronenregierung können indes mancherlei Überraschungen bringen.

Die Tragödie der Demokratie, die wir zurzeit erleben, ist nicht zuletzt auf das heutige Wahlsystem mit seinen viel zu großen Bezirken zurückzuführen. In solch ernster Situation, wo es um Volksrechte und Freiheit geht, gilt es, die außerparlamentarischen Mittel der Arbeiterschaft zu pflegen und mit Elan die Aufklärung weiterzutragen.

Nicht schöne Theorien zu erörtern, sondern zur rechten Zeit unter fester Führung zu handeln.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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