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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[14.]
Republikanische Machtpolitik und Armee


Das Reichsbanner. Zeitung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold / Bund Deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner e.V., Nr.24/1929 v. 15.6.1929 *

* [Dieses Dokument sowie die folgenden Dokumente Nr. 15-17 und 19 sind bereits abgedruckt in: Kurt Schumacher in der „Schwäbischen Tagwacht" über Demokratie und Kommunisten. Aufsätze und Redeberichte (1926-1933). Ausgewählt und kommentiert von Ulla Plener zu seinem 100. Geburtstag am 13. Oktober 1995. Berlin 1995, S. 83-86, 92-97, 141f., 165f.]

Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold hätte niemals seine Größe erreicht, diesen in vielen Kämpfen bewiesenen Elan aufgebracht und sich vor allem zeitlich nicht bis heute über alle theoretischen Debatten und praktischen Schwierigkeiten hinweg in voller Stärke erhalten, wenn seine einzige Kraftquelle in dem Gedanken der Abwehr putschistischer Angriffe gegen die deutsche Republik liegen würde. Hinter seinem defensiven Zwecke steckt ein starker politischer Offensivwille, der darauf gerichtet ist, den Republikanern die Macht in der Repu-blik zu geben. Aus der Diskrepanz dieses Willens und den vielfach so ganz anders gearteten Tatsachen in Deutschland, aus diesem unbefriedigten republikanischen Machtbedürfnis, zieht es einen großen Teil seiner Kraft. Nicht nur klassenmäßig, sondern auch beim Ringen um die republikanische Staatsmacht wird um Zwischenstellungen gekämpft, ein Umstand, der die Möglichkeiten der Koalitionspolitik so gut wie die Existenz des Reichsbanners erklärt. Bei vielen führenden Männern der Reichsbannerparteien hat man die Aufgaben dieser Organisation darin gesehen, speziell die breiten Massen der Arbeiterschaft zu republikanischem staatspolitischem Denken zu erziehen. Gewiß liegt dies im Rahmen der Aufgaben des Reichsbanners. Aber letzten Endes hätten solche Aufgaben auch parteimäßig erfüllt werden können. Das Reichsbanner hat sich stets mehr als Dränger und Mahner, denn als Pädagoge gefühlt. Dränger und Mahner mögen oft unbequem sein. Man kann aber das Reichsbanner nicht damit abtun, daß man ihm erklärt, es mische sich hier in die Aufgaben der politischen Parteien hinein. Daran darf eine solche Organisation auch nicht einmal im Traume denken. Wohl aber darf es den Gedanken aussprechen, daß über alle parteitaktischen Bindungen hinweg die Machtmittel der Republik noch weit mehr als bisher für die Republikaner erobert werden müssen.

Der stärkste Machtfaktor der deutschen Republik, der potenzierte Ausdruck der Staatsmacht ist die Armee. Es gibt keine demokratische Republik ohne die republikanisch-demokratische Reichswehr. Die Frage, wie man den Staat erobert, führt letzten Endes immer auf die Frage, wie die Reichswehr einer Republik gewonnen wird, an der die republikanischen Massen nicht nur äußeren, sondern auch inneren Anteil haben.

Wie die Reichswehr erobern? Sämtliche anderen Sparten des republikanischen Staates, vor allem die Verwaltung, stehen viel stärker unter dem machtpolitischen Einfluß der republikanischen und demokratischen Volksmassen. Die Reichswehr ist innerhalb des Staatsganzen derjenige Teil, in dem sich die Reaktion am frühesten und am stärksten wieder in den Sattel gesetzt, zum großen Teil sogar völlig restauriert hat.

Für den praktischen Tageskampf und seinen Erfolg kaum weniger gefährlich als die reine Intransigenz sind die Illusionen über die Mittel, mit denen man die Reichswehr erobern kann, die Vorstellung, daß eine hofierte und möglichst wenig kritisierte Armee die staatspolitischen Tugenden absoluter Neutralität und Loyalität ganz von selbst entwickeln werde. Bedenklich nach dieser Richtung scheinen uns Ausführungen auf dem Magdeburger Parteitag zu sein, die vor der Illusion warnten, die Reichswehr demokratisieren zu können, und die bloße Republikanisierung empfahlen. Solche Axiome können verhängnisvoll wirken. Wir stellen uns unter Demokratisierung der Reichswehr nicht ein Palavergeschnatter sämtlicher Reichswehrangehöriger vor, wohl keine republikanische Partei tut das, und das Aktionsprogramm der sozialdemokratischen „Magdeburger Richtlinien" tut das auch nicht, sonst hätte es nicht unter seinen zehn Forderungen vier aufgestellt, die uneingeschränkt den Zwecken der Demokratisierung dienen. Wenn wir an Schwierigkeiten nicht herangehen, dann werden sie zu uns kommen. Die geschichtliche Entwicklung dürfte sich hier zu entscheidenden Situationen hinbewegen. Außerdem entspricht ein Autoritäts- und Disziplinbegriff, der in der Wahrung der staatsbürgerlichen und sozialen Rechte der Soldaten eine Gefährdung der militärischen Qualitäten der Armee sieht, mehr den historisch gewordenen Anschauungen vom Wesen des Militärs als den neuen Tatsachen soziologischer und vor allem kriegstechnischer Natur. Mit dem gesellschaftlichen Unterbau ändern sich die Begriffe der Autorität und Disziplin wie überhaupt die ganze Struktur der Armee.

Unbeschadet der Tatsache, daß auch die deutsche republikanische Bevölkerung, die Arbeiterschaft zumal, die Rolle der Reichswehr im republikanischen Staat in mancher Hinsicht nicht restlos begriffen und darum eine Reihe von Fehlern ihr gegenüber gemacht hat, muß doch herausgestellt werden, daß nicht in dieser Kritik der entscheidende Grund für die Fremdheit der Armee gegenüber der demokratischen Republik liegt. Eine solche Anschauung würde sowohl auf die Verkennung der Tradition des preußischen Militärs wie auch des Wesens einer Herrenkaste beruhen. Die preußisch-deutsche Armee hat jahrhundertelang eigentlich außerhalb des Staates gelebt. Verfassungsmäßig war sie so gut wie gar nicht gebunden. Ihre einzige Verbindung mit allem staatlichen Geschehen lag in der Person des obersten Kriegsherrn. Die preußisch-deutsche Armee war nicht nur um des Landes, sondern um des Kaisers willen da, war weniger nationale Armee, sondern ein Machtinstrument der Dynastie, stellte sich bewußt in Gegensatz zum Volke, war nicht unpolitisch, sondern dynastisch-feudal, fühlte sich außerhalb der Verfassung genau so wie der Träger der obersten Kommandogewalt.

Seitdem der Oberste Kriegsherr nicht mehr existiert, hat sich die Armee einen neuen soziologischen Standort suchen müssen. Ähnlich ist es ja auch den Richtern gegangen , die einst „im Namen des Königs" Recht sprachen. Nur steht die Armee viel fester und viel geschlossener in sich selbst und viel isolierter gegenüber allen äußeren Bedingungen. Die Verpflichtungen im Gehorsam, die die alte Armee gegenüber dem Kaiser freudig gehabt hat, zeigt sie nicht einmal andeutungsweise [gegenüber] dem Reichspräsidenten (daß es heute bei Hindenburg anders ist, liegt in der Tatsache, daß er kaiserlicher Generalfeldmarschall war, und nicht daran, daß er republikanischer Reichspräsident ist). Innerlich gehorcht die neue Armee nicht irgendeiner republikanischen Instanz, sondern nur sich selbst, zieht aus sich und den politischen und gesellschaftlichen Anschauungen ihrer Kreise ihre Kraft.

Aus diesem Zustand erwächst die Tatsache, daß die Generalität und nicht die verfassungsmäßigen Institutionen die Truppe auch innenpolitisch in der Hand hat. Ja, ein großer Teil der Unterführer würde eine stärkere Aktivität der obersten Führung auf dem Gebiete der Mißachtung der verfassungsmäßigen Institutionen sogar begrüßen. Die Mannschaften sind demgegenüber ziemlich wehrlos, zum größeren Teil sich nicht einmal der Möglichkeit einer anderen Einstellung voll bewußt. Wie sehr die Führung sich auf die Truppe als einen ihr zur Verfügung stehenden Machtfaktor verläßt, zeigen die politischen Tatsachen der letzten zehn Jahre.

In einer ganzen Reihe von zum Teil sehr schwerwiegenden Fällen hat sich die Reichswehr praktisch nicht in den verfassungsmäßigen beziehungsweise von der Politik der verfassungsmäßigen Regierung gezogenen Rahmen eingefügt. Sie hat sich außenpolitisch und innenpolitisch in einer Weise frei bewegt, wie es weder staatsrechtlich noch im Sinn eines geordneten Staatslebens erträglich, sondern nur aus dem [ihr] eigenen fast ungezügelten Machtbewußtsein zu erklären ist. Der Umstand, daß man solche Solotänze mehr oder weniger freiwillig duldet, zum größeren Teil stillschweigend übergangen hat, niemals aber den Schuldigen restlos zur Verantwortung zog, hat noch zur Stärkung dieses Machtbewußtseins geführt.

Man muß nun einmal vorsichtig sein mit dem Bauen auf die Loyalität der Generale zur Republik. Auf wirklich harte Proben ist diese Loyalität nicht gestellt worden. Die geringe Qualität der reaktionären Versucher hat viele Generale vor politischen Dummheiten bewahrt. Überwiegend beruht diese Loyalität auf der Freiwilligkeit der Generale, auf der Art ihres persönlichen politischen Urteils und nicht auf einem bewußten Dienst an der Verfassung und der Republik. Damit wollen wir keineswegs die naive Behauptung aufstellen, daß die Generalität aus finsteren Verschwörern besteht, die nur auf den Augenblick lauert, die Republik zu meucheln. Es ist weniger die republikanische Staatsform, die bei diesen Generalen in unsicheren Händen ist, trotzdem es auch hier oft genug an der notwendigen Entschiedenheit fehlt. Viel mehr zu fürchten sind die Konsequenzen ihres politischen Machtgefühls und der Tatsache, daß sie sich als zu politischem Handeln autorisiert betrachten. Es ist ihre außerhalb des eigentlichen militärischen Aufgabenkreises liegende tatsächliche Bewegungsfreiheit, die einen Zustand geschaffen hat, der absolut nicht zu der allein richtigen, so oft öffentlich verkündeten Theorie vom politischen Kopf und dem militärischen Arm paßt, mögen die Führer auch noch so oft versichern, daß ihnen nichts ferner läge, als Politik zu machen.

Die Reichswehr verläßt sich auf ihren eigenen Kopf und seine Ansichten, und die sind politisch rechts. Ein Zustand, der schließlich zu unerträglichen Zuspitzungen führen muß und auf die Dauer das glatte Funktionieren der demokratischen Verfassung gefährdet. Die beliebten Redensarten, daß das gar nicht so gemeint sei, daß die Herren von der Generalität „politische Kinder" seien, sind eben weiter nichts als Redensarten. Gerade Volksmänner neigen leicht dazu, in einem einer anderen, der alten Graduierung nach höheren Gesellschaftsschicht angehörende Gegner einen Mann von besonders strengem Ehrenkondex zu sehen. In republikanischen Kreisen ist die Legende von den alten ehrlichen Haudegen, die etwa in gerader Linie vom Alten Dessauer über Zieten, Blücher und Wrangel zu Hindenburg führt, sehr verbreitet. Man übersieht hier gern, daß sich in den Stäben ein billiger Machiavellismus herausgebildet hat, der an Hemmungslosigkeit seinesgleichen sucht und mit den traditionellen Vorstellungen von der biederen geraden Soldatennatur nur noch verdammt wenig Berührungspunkte hat. Andere Vorurteile wieder kann man bei den radikalsten Kritiker der Reichswehr treffen, die beispielsweise die literarischen Ausflüge der Generale Seeckt und anderere moderner Militärs ins staatsphilosophische und politisch-theoretische Gebiet mit Gesten der Ehrfucht zitieren, die vielleicht auf die Offenbarung St. Johannis passen würden. In allen Fällen steckt aber ein Stück von der maßlosen geistigen und sachlichen Überschätzung der Generalität und des Generalstäblertums, das zu der unseligen Konsequenz führt, militärische Dinge überwiegend der militärischen Entscheidung der Offiziere, anstatt der politischen Entscheidung der Politiker zu überlassen. Damit verführt man die Offiziere geradezu zur Politik.

So sehen wir als Ergebnis dieser Entwicklung die Tatsache, daß die Armee den anderen Faktoren des staatlichen Lebens nicht gleichgeordnet, sondern vielmehr allen Einflüssen der Demokratisierung entzogen ist. Dazu haben gewisse Vorgänge der letzten zehn Jahre, vor allen Dingen der Druck von links gegen ein geordnetes Staatsleben, ihren Teil mit beigetragen. Letzten Endes beruht diese Position der Reichswehr auf dem geschichtlich gewordenen Respekt des größten Teiles des deutschen Bürgertums vor dem Militär, auf dem den meisten Deutschen noch immanenten Militarismus als Gesinnungsform, dem ewigen Untertan und dem Tabu, das aus all diesen Gründen das Bürgertum über alle Militärische ausgesprochen hat.

Unter diesem mächtigen Tabu hat sich die Reichswehr heimisch eingerichtet. Man hat sich die Reichswehr eingerichtet, wie es ihrem Offizierskorps am besten gepaßt hat, das heißt, man lebt im großen und ganzen in ähnlich gesellschaftlichen Anschauungen wie in der Vorkriegszeit, und man hat nicht ein Offizierskorps der Republik aufgebaut, sondern weitgehend ein Offizierskorps des Kaiserreichs restauriert, ohne einen Kaiser zu haben. Alles Unbequeme, Republikanische, der neuen Zeit Zugewandte, ist ausgeschieden worden, und fast das einzige, was zu der Restauration nicht paßt, ist eine verhängsnisvolle Politisierung des Offizierskorps im Sinne der Erweckung seines Glaubens an eine besondere politische Mission der Reichswehr.

Die Welt ist in der Demokratie nicht halb so entgöttert wie mancher Vertrauensselige meint. Diese Feststellung können wir im Akademikertum treffen. Mit noch mehr Recht gilt sie für das Offizierskorps. Die Menschen, die in den Mahlstrom der Organisation und des gesellschaftlichen Lebens der Reichswehr hineingezogen werden, bekommen das zu spüren. Wir denken da z. B. an die zu Offizieren beförderten Korporale, ihre zwangsläufige Assimilierung und ihre trotz allem so unglückliche Rolle. Es gilt aber, diese Welt zu entgöttern, wenn wir die Armee auch nur bis zu dem Punkte demokratischer Entwicklung bringen wollen, den die anderen Institutionen bereits erreicht haben. Die Ausnahmestellung der Reichswehr muß gebrochen, die Generalität in jeder Hinsicht der Verfassung ein- und untergeordnet werden. Zur Erreichung dieses Zieles müssen die Machtmittel der Demokratisierung auch angesetzt werden. Da müssen nicht nur republikanische Mannschaften eingestellt, sondern sie müssen in ihren Rechten erhalten und gefördert werden, da muß man auch den Mut haben, an das Offizierskorps selbst heranzugehen. Keine noch so herbe Kritik und kein noch so weitgehender Schritt können so viel Unheil anrichten als die Strategie des Wartens auf die Wunder der Entwicklung.

Wir sind [uns] dessen voll bewußt, daß diese Aufgabe nicht eine Frage der Tagesorganisation, sondern der Bedeutung und der zeitlichen Dauer nach eine Aufgabe von geschichtlichem Ausmaß ist. Aber wenn wir die einzige wirkliche Machtpolitik treiben, die dann auch imstande ist, die Massen bei der Republik zu halten und sie für republikanische Staatspolitik zu erwärmen, dann müssen wir uns diese Aufgabe auch aus der Nähe ansehen und an sie herangehen. Es wird gut sein, wenn die Republikaner die Erfüllung von Verpflichtungen selbst beherzt in Angriff nehmen, ehe sie durch Übergriffe von der einen oder starken Druck von der anderen Seite dazu gezwungen werden. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu übersehen, daß der innenpolitische Kampf um die Reichswehr die Tendenz hat, zu der großen Koalitionsfrage zu werden. Diese Tendenz ist unvermeidlich, denn man kann die Tatsachen der Machtverteilung im Staat auf die Dauer nicht totschweigen. Das Schwergewicht der Dinge hat die Situation geschaffen, in der um die Reichswehr gekämpft werden muß. Jetzt bleibt noch übrig - wirklich zu kämpfen!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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