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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[9.]
Die politischen Aufgaben des Reichsbanners.
Rede am 30.8.1924 auf der Gründungsversammlung der Ortsgruppe Groß-Stuttgart des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold


STW Nr. 265 v. 1.9.1924

Viele Bewegungen in Deutschland haben wir als Ausnutzung von nationalen und sozialen Elendskonjunkturen entstehen und mangels positiver Ziele scheitern sehen. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ist zum erstenmal seit der Revolution eine positive Volksbewegung. Gerade heute am 60. Todestag Ferdinand Lassalles [Ferdinand Lassalle (1825-1864), erster Präsident des ADAV (1863/64), einer der Mitbegründer der SPD.] können sich die sozialdemokratischen Arbeiter zum Reichsbanner bekennen. Lassalle war der erste große staatspolitische Erzieher der Arbeiterschaft. Er hat uns gelehrt, daß der Arbeiter nicht nur in seiner Klasse, sondern auch im Staate lebt, daß er auf Gedeihen und Verderben mit ihm verbunden ist. Diese Republik wäre schon recht, wenn die Republikaner besser wären. Ihre Schwäche liegt in dem Fehlen einer aktuellen republikanischen Tradition und vor allem in den Überbleibseln der Mentalität der wilhelminischen Epoche. Wir müssen den Materialismus und Mechanismus dieser Epoche überwinden, der uns als Nation zerstört hat.

Die praktischen Notwendigkeiten zur Gründung der Reichsbannerorganisation sind nicht geringer als die seelischen. In dem weltpolitischen Augenblick, der England, Amerika und Frankreich zu einer Umkehr bzw. Revision ihrer Politik zwingt, kann nur ein neues Deutschland und nicht ein altes Kaiserreich mit republikanischer Firma etwas für uns erreichen. In dem heutigen Deutschland aber gehört mehr Mut dazu, Republikaner zu sein als Monarchist. Die „Süddeutsche Zeitung" [Die „Süddeutsche Zeitung" war das Parteiorgan der württembergischen DNVP. Vgl. Walter Nachtmann: Wahlkampfmittel und Wahlkämpfe in Stuttgart 1928-33, in: Stuttgart im Dritten Reich. Prolog. Hg. unter der Redaktion von Karlheinz Fuchs. Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, S. 223.] spricht von „provokatorisch aufgezogenen Verfassungsfeiern". Es entbehrt nicht der Komik, die Berufung auf die Verfassung als Provokation aus einem Munde gekennzeichnet zu hören, der einer Partei angehört, die die künstlichen und alkoholisierten Kaisergeburtstagsfeiern als Ausdruck der Volksstimmung betrachten möchte.

Die Vorwürfe gegen das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold faßt eine Artikelserie der „Süddeutschen Zeitung" zusammen. Danach sei die Frage Monarchismus oder Republik dem Reichsbanner ganz nebensächlich, es käme ihm auf den Kampf gegen die nationale Erhebung des deutschen Volkes an. Worin soll nun diese nationale Erhebung bestehen? In der verantwortungslosen politischen Hetze der Rechtsparteien? In einer außenpolitischen Befreiung mit militärischen Mitteln? Daran glauben nur einige sehr junge Leute. In einer Ablehnung der Erfüllungspolitik? Dann wären jetzt die Deutschnationalen auch gegen die nationale Erhebung.

In einem Hochzüchten von militärischen Organisationen zu innerpolitischen Zwecken? Das Volk als bloßes Objekt und Instrument zu betrachten ist das Gegenteil von national. Die gesellschaftliche Ächtung, die Verleumdung und Beschimpfung der republikanischen Führer, die Aufwärmung der Dolchstoßlegende und die Großzüchtung von Mordorganisationen dürften auch nicht gerade eine „nationale" Erhebung sein. In Wirklichkeit läßt sich gar nichts Nationales unter dieser „nationalen Erhebung" vorstellen. In Wirklichkeit ist es nur reaktionärer und monarchistischer Klimbim, fast allgemein die Ansicht, daß, wer nicht Monarchist ist, auch nicht national ist. Und die völkischen „Republikaner" sind keine demokratischen Republikaner, sondern nur mit der einen oder anderen Dynastie unzufrieden. Man kämpft um die Erhaltung der Zeichen des kaiserlichen Deutschlands. Man kämpft fanatisch um die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, man zwingt durch den Kampf für die alten Embleme uns den Kampf für die Zeichen der Republik auf. Innerhalb der nationalistischen Verbände finden Richtungskämpfe statt, in denen alle abgesägt werden, die nicht monarchistisch und reaktionär genug sind. Gerade das Geschrei um diese Dinge ist der Hauptinhalt der nationalistischen Bewegung und wird erst dann „unwichtig", wenn man den Gegenstoß der Republikaner fürchtet.

Unser Kampf gilt allerdings in erster Linie den vaterländischen Verbänden. Es gibt gar keine parteipolitisch neutralen Verbände. Sie sind alle parteimäßig völkisch-deutschnational eingestellt. Aber diese Verbände sind viel schlimmer als die politischen Parteien, weil sie verantwortungslos und anonym handeln können. Sie beherrschen die Stammtische und träufeln ihr Gift überall ein. Vor dem Kriege haben vaterländische Vereinigungen aller Art die öffentliche Meinung in Deutschland beherrscht und sind von einer kleinen Clique bösartiger Drahtzieher so regiert worden, daß sie die Staatsmänner des kaiserlichen Deutschlands in alle möglichen außerpolitischen Situationen hineinzwangen. Nach dem Krieg ist das noch schlimmer geworden. Wir haben das in Berlin, vor allen Dingen aber in München gesehen. Die Cliquenwirtschaft der Hochstapler und Karriereschnaufer, die ohne zur Verantwortung gezogen werden zu können, für ihre Zwecke sorgen, ist das Wesen dieser Verbandspolitik. Den vaterländischen Verbänden muß der schärfste Kampf angesagt werden.

Ein anderer Vorwurf der „Süddeutschen Zeitung" ist der, daß wir die Schutztruppe der Entente seien. Nun wird uns ja diese Rolle, Gott sei Dank, von den Deutschnationalen abgenommen werden, die stramm und fleißig für die Erfüllung der Verträge sorgen werden. Im übrigen ist es typisch deutschnationale Gemeinheit, mit solchen unbewiesenen und unbeweisbaren Verdächtigungen zu operieren. Hitler und Ludendorff haben Poincaré und den Separatisten mehr genützt. Die Hoffnung der französischen Militaristen und Chauvinisten sind unsere Völkischen und Deutschnationalen. Sie setzen auch die Militärkontrolle in Nahrung. Um innenpolitisch die Macht gegenüber den Arbeitern zu erhalten, verstoßen sie in der Klassenfrage gegen die Vertragsbestimmungen und gefährden so das Schicksal des Reichs aus den Interessen ihres Portemonnaies heraus. Wir können außerdem eine nationale Ehre nicht gar so hoch einschätzen, deren Träger sich ihr Ehrgefühl für eingie Mark Getreidezoll abkaufen lassen.

Gegenüber der leichtfertigen und reichsgefährdenden Politik der Nationalisten ist das andere Hauptziel des Reichsbanners die Erhaltung der Reichseinheit. Diese Reichseinheit ist entstanden gegen die deutschen Dynastien und gegen die deutschen Rechtsparteien. Sie ist nach der Revolution gefährdet worden durch deutsche Dynastien und durch deutsche Rechtsparteien in Bayern sowohl wie bei den Versackungsmanövern im Rheinland.

Der letzte große Vorwurf ist abwechselnd der des „Pazifismus" und der des „Militarismus". Wenn Vernunft und Friedfertigkeit in der äußeren Politik Pazifismus sind, dann sind wir gerne Pazifisten. Die Deutschnationalen sind ja auf dem besten Wege, es zu werden. In Österreich sind die Bürgerlichen viel stärker für den Abbau des Heeres als die Sozialdemokraten. Wenn wir in Deutschland eine sozialistische und demokratische Reichswehr hätten, wäre es ebenso. Wir können nicht zugeben, daß antirepublikanische Kreise in Deutschland das militärische Monopol haben. Darum sind wir für die militärische Erziehung der Jugend. Es gibt keine Demokratie, in der der eine Teil des Volkes in den Waffen erfahren ist und der andere nicht. Die Republik kann nur von Republikanern geschützt werden. Das zeigen am besten die skandalösen Verhältnisse in der württembergischen Hilfspolizei im Herbst vergangenen Jahres. Da haben völkische Jünglinge die Republik gegen ihre Münchener Parteigenossen schützen sollen. Im Gegensatz zu den Geheimbündlern wünschen wir keine militärische Selbständigkeit, sondern nur zu sein das große Reservoir der Verfassungstreuen zur Aufrechterhaltung der republikanischen staatlichen Ordnung.

Wir lassen uns die Republik nicht verekeln. Weder durch eine jammervolle Justiz, noch durch eine schikanöse Verwaltung, noch durch polizeiliche Übergriffe. Wir lassen auch die Arbeiter nicht mehr abdrängen vom Staate. Wir bekämpfen jede Verdrossenheit einer staatlich-republikanischen Einrichtung. Wir sind gegen die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, die 1870 noch kein Mensch gekannt und von der 1914 kein Mensch innerlich erfüllt war. Wir haben für Deutschland gekämpft und nicht für die Monarchie und irgend eine Fahne, am wenigsten für eine so „konstruierte". Während der 50 Jahre Schwarz-Weiß-Rot aber sind diese Farben belastet mit chauvinistischen Exzessen aller Art, mit den Taten politischer Mörder, mit der Kulturschande des Radauantisemitismus. Um die Fahne Schwarz-Rot-Gold aber hat sich schon immer alles kristallisiert, was der Ausdruck nationalen Sehnens war. Darum stellen wir dem Gedanken der monarchistischen Aristokratie den Gedanken der demokratischen Republik gegenüber. Wir müssen bereit sein, für das bloße Ideal ohne die Aussicht auf irgendwelchen Nutzen einzutreten mit Leib und Leben. Auf der Gegenseite gibt es Leute, die zu demselben entschlossen sind. Hier wird die große moralische Probe aufs Exempel gemacht. Darum Kampf gegen alles Schwarz-Weiß-Rote, politischer, seelischer und staatsrechtlicher Natur. Rücksichtsloser Kampf mit dem Schwerte in der Hand, das wir uns selbst geschmiedet haben: dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold!


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