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Heinrich Potthoff
Kurt Schumacher - Sozialdemokraten und Kommunisten


[Seite der Druckausg.: 133 ]

Die Scheidung zwischen der Sozialdemokratie und dem Kommunismus war schon in der revolutionären Umbruchperiode am Ende des l. Weltkrieges vollzogen worden. Sie war endgültig. Selbst in der Zeit der NS-Diktatur, als im Zeichen des Widerstandes eher die Gemeinsamkeit gegen das Unrecht-Regime in den Vordergrund rückte, blieb es im Kern dabei. Denn der Graben, der Sozialdemokraten und Kommunisten voneinander trennte, war tief. Es handelte sich um einen Gegensatz grundsätzlicher Art im Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis. Dennoch läßt sich nicht übersehen, daß nach der Niederwerfung der NS-Diktatur durch die Alliierten 1945 zunächst eine Stimmung nach antifaschistischem Konsens und Einheit der Arbeiterklasse verbreitet war.

Kurt Schumacher hat von Beginn an allen Einheitsbestrebungen eine unzweideutige, harte und konsequente Absage erteilt. Schon in seinem berühmten Grundsatzreferat vom 6. Mai 1945 in Hannover, in dem er sich in einem eigenen Abschnitt mit dem Verhältnis der Sozialdemokratie zu den Kommunisten befaßte, setzte er unzweideutige Eckpunkte. Zu diesem Zeitpunkt - noch vor der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai - war weder die spätere Gestalt Deutschlands abzusehen, noch zu erkennen, wie sich überhaupt die Wirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Deutschen unter alliierter Besatzung entfalten und entwickeln würden. Erst auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli - 2. August 1945) verständigten sich die "Großen Drei" auf eine begrenzte Mitwirkung deutscher Organe mit dem Ziel einer "endgültigen Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage". Zu den "demokratischen Parteien", die den Neuaufbau mit gestalten sollten, gehörten nach dem Willen der Alliierten, also auch der westlichen Siegermächte, wie selbstverständlich auch die Kommunisten.

I.

Um die Konsequenz der Grundsatzentscheidung Kurt Schumachers zu ermessen, darf nicht nur isoliert auf das Verhältnis Sozialdemokratie

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- Kommunismus gesehen werden. Ihre ganze Tragweite erschließt sich vielmehr erst vor dem Hintergrund der machtpolitischen Konstellationen der Nachkriegszeit, der Vorgaben, Auflagen und Intentionen der Alliierten und dem Verhalten der Gesamtheit des politischen Parteienspektrums, das sich damals formierte. Kommunisten wurden auch in den Westzonen als Partner in einer Art antifaschistischem Konsens akzeptiert, von den drei Westalliierten unter "Demokraten" geführt und in ihren jeweiligen Besatzungszonen in Landesregierungen bzw. deren Vorläufer berufen.

Offenkundig sahen in den ersten Nachkriegsjahren aber auch verantwortliche Christ-, Zentrums- und Sozialdemokraten darin kein wirkliches Problem, mit Kommunisten zusammen zu regieren und Koalitionen einzugehen. So saßen denn noch in einer ganzen Reihe demokratisch durch Wahlen legitimierter westdeutscher Landesregierungen Kommunisten (zum Teil in Allparteienkoalitionen, zum Teil in Koalitionen unter Ausschluß der FDP und ihrer Vorläufer): so in Bremen (bis Januar 1948), Hamburg (bis Juli 1948), Niedersachsen (bis Februar 1948), Nordrhein-Westfalen (bis Februar 1948), Rheinland-Pfalz (bis April 1948) und Württemberg-Baden (sogar bis Juli 1949). Erst der volle Durchbruch des Kalten Krieges bewirkte eine reinliche, endgültige Scheidung. Wir müssen uns deshalb davor hüten, gängige heutige Vorstellungen einfach auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre zu projizieren. Sie führen auf einen Holzweg und leiten leicht in die Irre.

II.

Während sich im politischen Spektrum insgesamt erst allmählich die Ausscheidung der Kommunisten aus dem "demokratischen" Aufbaukonsens herauskristallisierte, hatte Schumacher in seiner Mairede 1945 schon sehr deutlich abgesteckt, wo die Grenze des "demokratischen" bei Sozialisten zu ziehen sei. Die "einheitliche Partei" für alle "demokratischen Sozialisten", die er forderte, griff über die alte Weimarer Sozialdemokratie hinaus. Denn in ihr sollten sich auch die sozialistischen Splittergruppen, wie SAP, ISK, finden, die sich in Weimar und danach abgespalten hatten. [Fn 1: Siehe dazu den Beitrag von Helga Grebing in diesem Heft, S. 73-89.] Die Kommunisten als Protagonisten einer anderen "politischen Welt" und Sachwalter "fremden imperialen Interesses" aber schloß Schumacher ausdrücklich von

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dieser Partei des demokratischen, freiheitlichen, nationalen Sozialismus aus.

Schumacher bezog damit eine Position, wie sie in der sozialdemokratischen Emigration abgesteckt worden war. Dort, wo während der NS-Zeit fast allein noch eine freie Diskussion möglich war, lassen sich die Etappen dieses Prozesses am ehesten nachzeichnen. Unter dem Schock der NS-Diktatur brachen zuerst erhebliche Kontroversen aus. Zündstoff lieferte dabei, besonders nach der Kurskorrektur der Kommunisten 1934/35, die Frage, ob und wieweit auch Kommunisten in die Einheitsfront der Sozialisten gegen den Hitler-Faschismus einbezogen werden sollten. Der Bogen spannte sich von bedingungsloser Ablehnung bis zur Hoffnung auf Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung.

Mit dem Hitler-Stalin-Pakt, der die Skrupellosigkeit der sowjetischen Machtpolitik dokumentierte, schwand der Boden für eine Gemeinsamkeit im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Der Stalinismus mit seinen Säuberungen und Schauprozessen, denen auch Tausende emigrierter Kommunisten zum Opfer fielen, entlarvte den totalitär-terroristischen Charakter eines Systems, das nur vorgab, sozialistisch zu sein. Selbst bei den linkssozialistischen Strömungen verlor der Gedanke an Kooperation mit den Kommunisten nun ganz entscheidend an Kredit und Gewicht. Unter Betonung eines Sozialismus demokratischer Freiheiten, "ohne bürokratische Diktatur", setzte ein rascher Annäherungsprozeß an die Exil-Sozialdemokratie ein, der dann im März 1941 in Großbritannien zur Gründung der "Union deutscher sozialistischer Organisationen" (aus Sopade, SAP, ISK, Neu Beginnen) führte.

Die bedingungslose Loyalität der Exil-KPD zu Stalin, die Beschimpfung der Sozialdemokratie als "Agentin des Hitlerismus im Ausland" und die Rechtfertigung von Vertreibungen und Annexionen durch die siegreich vordringenden Sowjettruppen besorgten den Rest und machten eine "Einheitsfront" endgültig illusorisch. Die Kommunisten, so Willi Eichler [Fn 2: Willi Eichler, Hundert Jahre Sozialdemokratie, Bonn o.J. (1962), S. 69.] , gehörten "nicht zur Einheit der sozialistischen Bewegung", war die Botschaft des Exils und die Überzeugung Kurt Schumachers, als er sich anschickte, die neue Sozialdemokratie zu formen.

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III.

Einen besonderen Akzent legte Schumacher schon in seiner Grundsatzrede vom 6. Mai 1945 darauf, daß die "Kommunisten fest an eine einzige der großen Siegermächte und damit an Rußland als Staat und an seine außenpolitischen Ziele" gebunden seien. Dahinter verbargen sich mehr als nur der klare Blick für die Realitäten von 1945 und der Drang nach einer Profilierung der Sozialdemokratie als der einzig berufenen Vertretung der nationalen, freiheitlichen Belange der Deutschen. Die Wurzeln reichten zurück zu den Erfahrungen mit den Kommunisten aus den Endjahren der Weimarer Republik, die bei Schumacher tiefe Spuren hinterlassen hatten. Ganz in der Tiefe schwang dabei wohl auch ein tradierter antirussischer Affekt eines liberal geprägten Grenzland-Deutschen mit.

Der junge Schumacher, d.h. der Redakteur der "Schwäbischen Tagwacht" und Stuttgarter Landtagsabgeordnete, lag mit seiner Kritik an den Kommunisten anfänglich eher daneben, bedingt durch seine Fixierung auf einen Organisationsstaat, in dem die "Individualität" aufgehen sollte. Seine Kritik galt dem "Rätegedanken" statt den entlarvenden 21 Bedingungen der Moskauer Internationale. Schumacher sah die Entwicklung der kommunistischen Bewegung zunächst auch in einem viel zu rosigen Licht. Das ging so weit, daß er den Kommunisten attestierte, auch in ihren Reihen habe der Staatsgedanke entscheidend an Boden gewonnen und auch sie "wollen kämpfen für die demokratische Republik". [Fn 3: Schwäbische Tagwacht, 31.12.1921.]
Erst ab Ende der 20er Jahre distanzierte er sich unzweideutig von jeder Art der "Einheitsfront". Dies hing wohl auch mit seinem Wechsel in die Reichspolitik und einem Einfügen in den Kurs der Parteiführung zusammen, weit stärker aber mit der Entwicklung der KPD.

Als sich die deutschen Kommunisten ab 1928/29 die von Stalin und Sinowjew vorgegebene "Sozialfaschismusthese" zu eigen machten, schlug die Rivalität zur Sozialdemokratie in Todfeindschaft um. Moskau und die Komintern wiesen ihrer Marionettenpartei die Aufgabe zu, die Sowjetunion im Vorfeld abzudecken, die Revolutionierung Deutschlands zu besorgen und die Sozialdemokratie als "besonders gefährliche Form" des Faschismus zu entlarven. Die SPD wurde als Kriegshetzer gegen die Sowjetunion gebrandmarkt und als konterrevolutionäre Speerspitze der Bourgeoisie bekämpft, gegen die entsprechend dem Willen Stalins zum "Kampf bis zur Vernichtung"

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geblasen wurde. Dafür war der KPD fast jedes Mittel recht, auch das Zusammenwirken mit Nationalsozialisten und Deutschnationalen.

Diese Erfahrungen haben sich bei Schumacher tief eingegraben. In einer aufsehenerregenden Rede auf einer Gaukonferenz des Reichsbanners (am 30.3.1930 in Eßlingen) attackierte er Nationalsozialisten und Kommunisten als gleichermaßen gefährliche Feinde der demokratischen Republik und gemeinsame Brüder im Geiste. Er gebrauchte darin das vielzitierte Wort von den "Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind", und fuhr fort: "Beiden gemeinsam ist der Haß gegen die Demokratie und die Vorliebe für die Gewalt. Die Kommunisten zumal, die nur in ökonomisch und kulturell zurückgebliebenen Ländern Fortschritte machen können, sind die stehenden Heere der sowjetrussischen Außenpolitik."

Die konkreten Erfahrungen, die Schumacher und die Sozialdemokratie in der Endphase von Weimar mit den Kommunisten machten, waren die, daß sie primär als Moskauer Marionette fungierten und operierten. Die Einheitsfrontangebote der KPD-Führung waren kein wirkliches Zeichen zu einem gemeinsamen Kampf für die Republik - erst recht nicht für die demokratische Republik -, sondern zielten auf eine Zersetzung der SPD. Noch nach dem Machtantritt Hitlers und der Unterdrückung und Zerschlagung der Arbeiterbewegung blieb die Sozialdemokratie für die KPD der "sozialfaschistische Feind" und die "soziale Hauptstütze der Kapitalsdiktatur".

Trotz aller nur zu berechtigten Vorbehalte war Kurt Schumacher kein blindwütiger Antikommunist, der in ihnen nur Feinde sah. In der Stunde der existentiellen Gefahr schien er bereit, Sünden der Kommunisten zu vergessen, um sie zum Kampf gegen die Despotie und für Freiheit, Demokratie und "soziale Errungenschaften" zu gewinnen. Es blieb eine Episode, gezielt zudem auf die Anhänger und Sympathisanten der KPD, nicht ihre Führung. Die letzten Illusionen verflogen. Willy Albrecht [Fn 4: Willy Albrecht, Kurt Schumacher. Ein Leben für den demokratischen Sozialismus, Bonn 1985.] hat in seiner Studie prägnant die Konsequenzen herausgearbeitet, die Schumacher - noch vor seiner Verhaftung im Juli 1933 - und ihm nahestehende kämpferische Sozialdemokraten zogen. Die Sozialdemokraten müßten sich beim Kampf gegen die Diktatur von den Kommunisten absetzen und die "bolschewistische Zielsetzung verwerfen". Es könne nicht "das Ziel des großen Frei

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heitskampfes gegen den faschistischen Staat sein, daß an Stelle des faschistischen das Arbeiterzuchthaus gesetzt wird".

IV.

Kurt Schumacher hat 1945 daran wieder angeknüpft. Andere hatten die gleichen oder doch ähnliche Erfahrungen gemacht. Aber bei dem langjährigen, unbeugsamen KZ-Häftling, der unter diesen mörderischen Bedingungen eher Distanz zu den "Politischen" wahrte, blieben sie besonders lebendig. Er hat sie immer wieder beschworen. Entscheidend war, daß er sie unzweideutig schon artikulierte, als noch jede Kritik an jeder Besatzungsmacht untersagt und verpönt war und am ehesten noch eine gewisse Stimmung nach Einheit der Arbeiterklasse und antifaschistischem Konsens spürbar wurde. Sie schlug sich auf verschiedenen Ebenen nieder, u.a. auch in den sog. Antifa-Ausschüssen, die von den West-Alliierten schnell wieder aufgelöst wurden. Ein maßgeblicher Beweggrund war das auf der Linken verbreitete Gefühl, daß die Gegnerschaft der beiden verfeindeten Lager Sozialdemokratie und Kommunisten den Nationalsozialisten die Etablierung ihres diktatorischen Systems zumindest erleichtert habe.

Stärker ausgeprägt als bei den alten gestandenen Führungseliten, die noch im Kaiserreich und der frühen Weimarer Republik sozialisiert worden waren, war diese Stimmung wohl bei jüngeren Sozialisten, die ihre Prägung durch den drohenden, siegreichen Faschismus bekommen hatten, und an der sogenannten Basis, bei der emotionale, tradierte Sehnsüchte von Einheit lebendiger waren. Zudem überdeckte die fast alle Vorstellungen sprengende Tenor- und Morddiktatur des Nationalsozialismus zumindest partiell negative frühere Erfahrungen mit den Kommunisten. Hinzu kamen eine Art schlechten Gewissens, nicht tatkräftig genug gegen die Nazis gekämpft zu haben, und die Tatsache, daß beide, demokratische Sozialisten und Kommunisten, Opfer des NS-Regimes waren. Doch im Grunde wissen wir über diese unmittelbare Nachkriegszeit viel zu wenig, um wirklich gesicherte Aussagen machen zu können.

Ein diffuser Drang nach Einheit der Arbeiterbewegung war jedenfalls vorhanden. Er reichte bis in das christlichsoziale Lager hinein. Die zumindest zeitweise von einigen angestellten Überlegungen zur Schaffung einer deutschen "Labour Party" zeugen davon, weit stärker aber noch die Tatsache, daß es nach 1945 nicht zur Rekonstituierung von Richtungsgewerkschaften, sondern zur Schaffung der Einheits

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gewerkschaft kam. Ex-post wird der Gründungskonsens zwar gerne auf sozialdemokratische und christliche Gewerkschafter verengt, tatsächlich aber gehörten in den ersten Nachkriegsjahren kommunistische Gewerkschafter maßgebend dazu. (Am schwächsten waren die ehemaligen liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften vertreten.)

Um Mißdeutungen und denkbaren politischen Instrumentalisierungen vorzubeugen, ist festzuhalten, daß 1945 unmittelbar aufkeimende Wünsche nach einer Einheitspartei der Sozialisten etwas anderes meinten als die spätere SED. Es war mehr der Traum und die Wunschvorstellung, durch Abstreifen dessen, was in Weimar die Gegner- und Feindschaft konstituierte, eine neue sozialistische Partei zu formen, die an das Erbe der bis zum l. Weltkrieg geeinten Arbeiterbewegung anknüpfte und die Konsequenzen aus dem Faschismus zog. Die verschiedenen Varianten und Facetten, in denen sich diese Bestrebungen niederschlugen, sind in dem Beitrag von Helga Grebing zu diesem Band eindrucksvoll und differenziert ausgeleuchtet worden.

Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, daß selbst Schu-macher im Mai 1945 die Wünsche nach einer Einheitspartei nach den Erfahrungen von 1933 als sehr begreiflich bezeichnete. Doch "leider", so fügte er an, seien sie unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht erfüllbar. Das entscheidende Hindernis war für ihn die einseitige, feste Bindung der deutschen Kommunisten an die Sowjetunion, d.h. ihre Funktion als Instrument sowjetrussischer Macht- und Systempolitik. In diesem Punkt bewies Schumacher eine Klarsicht, Umsicht und Voraussicht, die ihn gegen jede Anfechtung feite und den Konflikt mit dem Berliner Zentralausschuß, der sich Mitte Juni 1945 konstituierte, unausweichlich machte.

V.

Denn der Zentralausschuß bemühte sich von Beginn an um eine enge Zusammenarbeit mit der schon vorher von der Sowjetischen Militärregierung zugelassenen KPD. In seinem Aufruf vom 15. Juni 1945 sprach er vom Nahziel der "organisatorischen Einheit der Arbeiterklasse", und vier Tage später trafen sich Vertreter des Zentralausschusses und des ZK der KPD zu einer ersten offiziellen Besprechung, bei der Walter Ulbricht für die KPD eine sofortige organisatorische Verschmelzung ablehnte.

Damit kein schiefes Bild entsteht, haben wir uns die Lage zu dieser Zeit und an diesem Ort zu vergegenwärtigen. Die Parteien traten

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damals im Sommer/Herbst 1945 erst in ihre Findungs- und Formierungsphase ein, bei der noch vieles im Fluß war und sich durchaus unterschiedliche Konstellationen zeigten. Die führenden Zentralausschußmitglieder gehörten wie Schumacher zu den jetzt etwa Fünfzigjährigen, die vom Ende vom Weimar besonders geprägt worden waren. Aber sie agierten in einem anderen Umfeld, unter der Sowjetischen Besatzungsmacht, und ihnen fehlten die stählerne Härte und das Sendungsbewußtsein eines Kurt Schumacher, daß nur die demokratischen Sozialisten die Feuerprobe bestanden hätten, sie allein die unabhängige wahre Vertretung der deutschen arbeitenden Klasse und zur Führung des neuen, sozialen demokratischen Deutschland berufen seien.

Die Unbedingtheit und Rigorosität, mit der Schumacher für diese geschichtliche Sendung focht, paßt nur schwer in das Bild unserer heutigen Vorstellungen von parlamentarischer Demokratie, geprägt von Parteiengerangel mit Politikinszenierungen und medienorientierter persönlicher Profilierungssucht. Schumacher aber war gleichsam die Identifikation einer antitotalitären, in KZ und Widerstand gehärteten, eigenständigen und unabhängigen national-sozialen Mission, bei der Kommunisten auf der einen Seite, Kapitalisten und Bürgerliche auf der anderen jeweils nur als Sachwalter und Handlanger imperialistisch-nationalistischer Interessen der Siegermächte fungierten. Das schuf ein Maß an Abgrenzung und Unversöhnlichkeit, das einen Brückenschlag zu Christ- und bürgerlichen Demokraten erschwerte, ihnen so nicht gerecht wurde und auch innerhalb der Sozialdemokratie strittig war. Gegenüber den deutschen Kommunisten, so wie sie mit und unter Walter Ulbricht operierten, befand er sich historisch mit dieser rigorosen Härte im Recht.

Der Kampf, den Kurt Schumacher und seine Vertrauten und Anhänger mit Kommunisten und "Einheits"-Apologeten ausfochten, war deshalb nicht nur ein Kampf für die Selbstbehauptung der Sozialdemokratie, sondern die Wegweisung für einen damals noch keineswegs so selbstverständlichen antikommunistischen Konsens aller deutschen Demokraten.

Daß die Kommunisten bei freien Wahlen so schwach abschneiden würden, wie sie das schon 1946/47 taten, war damals so wenig abzusehen wie erst recht das Wirtschaftswunder im Westen. Doch eine quantite negligeable - wie später in der Bundesrepublik - waren sie auch nicht. Immerhin erhielten sie in Hamburg, Hessen und Württemberg-Baden über 10%, in Nordrhein-Westfalen 1947 sogar 14,0% der abgegebenen gültigen Stimmen. (Durch den Wahlaus-

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schluß der ehemaligen Nationalsozialisten - im Schnitt der westlichen Besatzungszonen etwa 15% der sonst insgesamt Wahlberechtigten - verzeichneten die Stimmergebnisse allerdings das reale Bild der politischen Präferenzen.) In der Vier-Sektoren-Stadt Berlin waren es im Oktober 1946 sogar 19,8% für die SED, fast soviel wie für die CDU (22,2%) und mehr als doppelt soviel wie für die FDP (9,3%), und es war nicht nur der sowjetische Ost-Sektor, der SED wählte (29,8%), auch im französischen Sektor erreichte sie deutlich über 20% (21,2%). Schumachers Sorge, daß sich bei wachsender Verelendung Arbeitslose und notleidende Arbeiter in Massen der KPD zuwenden würden, wie es in Italien und Frankreich geschah, war nicht einfach von der Hand zu weisen, obwohl die beschwörenden Warnungen vor einem "nationalen Kommunismus" die Bedrohung wohl überzeichneten.

Mit dem Führungsanspruch, den der Zentralausschuß über Berlin und die SBZ hinaus erhob, drohte zumindest die Gefahr, daß von Berlin ein Sog ausging, der zur Unterminierung einer wirklich eigenständigen, unabhängigen Sozialdemokratie führen konnte. Tatsächlich mußte Schumacher seinen anfänglich weitgesteckten Führungsanspruch zurückstecken. In den Mitte August 1945 verbreiteten "Politischen Richtlinien" sprach er sich eher moderat "ohne Vorbehalt" für eine "praktische Zusammenarbeit" mit den Kommunisten "in allen sozialen Fragen und in allen Dingen der Austilgung des Faschismus" aus. Eine organisatorische Vereinigung von SPD und KPD lehnte er jedoch ebenso entschieden ab, wie er die sog. "Antifaschistische Front" der Parteien, die im Juli 1945 für die SBZ etabliert worden war, als "Versuch" entlarvte, "Nichtkommunisten für kommunistische Zwecke einzusetzen und für die Kommunistische Partei zu erziehen".

Leicht wird nach 50 Jahren übersehen, daß der Zentralausschuß damals - verglichen mit Schumacher und seinem "Büro" - in der eher stärkeren Position war. Berlin war für Besiegte und Sieger nach wie vor die deutsche Hauptstadt und der Mittelpunkt des alle Deutschen angehenden Geschehens. Dort residierte seit August 1945 der Alliierte Kontrollrat, das oberste Organ für "Deutschland als Ganzes", und dort sollten die von der Potsdamer Konferenz vorgesehenen wichtigen "zentralen deutschen" Institutionen ihren Sitz haben. Allein in Berlin hatte die SPD bald annähernd 70.000 Mitglieder. In Mitteldeutschland lagen die traditionellen Hochburgen, und was für die Machtgewichte in der Sozialdemokratie bedeutend war, die Mitgliederzahlen in der SBZ auf der einen und den drei Westzonen

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(zusammen) auf der anderen hielten sich in etwa die Waage. (Auf 620.000-630.000 wurde die Mitgliederzahl der SPD in der SBZ im Frühjahr 1946 geschätzt, in den drei Westzonen waren es am Jahresende 1946 ca. 650.000.)

Schließlich drückten im Osten nicht nur die Sowjets, sondern die Prädispositionen für eine Näherung von Sozialdemokraten und Kommunisten schienen zum Teil wohl auch günstiger zu sein - sei es aus einer gewissen Kooperationstradition heraus wie in Sachsen und Thüringen, wo Kommunisten um 1921-23 SPD-Regierungen gestützt hatten, sei es aus einem gewissen Trauma wie den in Berlin zum Blutvergießen eskalierten Gegensätzen in Weimar, sei es durch Elemente einer gewissen verbindenden Widerstandstradition, wie sie sich in der Saefkow-Gruppe und im Buchenwalder Manifest dokumentiert hatte.

VI.

Man muß diese Realitäten sehen, um Schumachers Agieren im Vorfeld und Umfeld von Wennigsen verstehen zu können. Was anfänglich als "Reichskonferenz" ohne Anführungszeichen angekündigt, dann als "Art Reichskonferenz für die drei westlichen Zonen" firmierte und schließlich als "Konferenz" für die Westzonen lief, diente zunächst der Selbstbehauptung und Konsolidierung. Als sich abzuzeichnen schien, daß aus dem Osten eine größere Zahl von Delegierten kommen sollte, blockte Schumacher ab. Nur die "Spitzen", d.h. die Führung des Zentralausschusses und der Londoner Emigration, sollten zugelassen werden, aber ohne "beschließende Funktionen".

Weil Schumacher sich nicht als regionaler, sondern als nationaler Parteiführer verstand und der "Zentralausschuß" seinerseits eine nationale Führungsrolle beanspruchte, kam es nicht zu einem denkbaren Miteinander in einem alle Zonen umgreifenden gesamtdeutschen Führungsgremium der SPD, sondern zu dem Kompromiß des Nebeneinanders von Schumacher im Westen und dem Zentralausschuß im Osten. Ob bei einer anderen Entscheidung der Weg in die Zwangsvereinigung hätte verhindert werden können, bleibt letztlich Spekulation. Denkbar, wenn nicht sogar wahrscheinlich scheint immerhin, daß sich in einer gesamtdeutschen Repräsentation der Sozialdemokratie trotz Drucks keine Mehrheit dafür gefunden hätte. Aber gleichgeschaltet und unterdrückt worden wäre die Sozialdemokratie in der SBZ auch dann, wie das Geschick der Blockpar-

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teien und die Unterwerfung aller Parteien unter das stalinistische System in allen anderen von den Sowjets okkupierten Ländern zeigen.

Schließlich ist noch daran zu erinnern, daß die Gründung der Bundesrepublik ja auch unter dem Zeichen erfolgte, zuerst einmal Freiheit und Demokratie im Westen zu konsolidieren. Im Kern bedeutete Wennigsen etwas ähnliches, nur in einer noch ungleich schwierigeren, viel offeneren und - jedenfalls für Schumacher -gefährlicher erscheinenden Situation. Er befürchtete, so Willy Albrecht [Fn 5: Willy Albrecht, Kurt Schumacher. Ein Leben, S. 44.] , "daß die in Berlin auf sowjetischen Druck immer mehr wachsenden Tendenzen zur Schaffung einer Einheitspartei eine selbständige SPD auch in den Westzonen gefährden könnten". Die Härte dieses Druckes, die Zwänge und Wirkungsmechanismen hat Schumacher zweifellos realistisch, jedenfalls realistischer als andere, eingeschätzt, ebenso die Strategie und Taktik der kommunistischen Führung, sich die Sozialdemokratie im Osten zu unterwerfen. Politisch-historisch war er so auch im Recht, daß er nicht nur eine "Einheitspartei" rigoros ablehnte, sondern auch gemeinsame Wahllisten mit der KPD verwarf und sich dagegen verwahrte, das NS-Regime und seine Überwindung mache eine antifaschistische Einheitsfront zwingend notwendig.

Die Gefahr der Einheitstendenzen im Westen aber hat er wohl überschätzt oder - was nicht auszuschließen ist - überzeichnet. Manches, was ihm als Gespenst einer möglichen Einheitsfront erschien, waren schlicht praktische Kooperationszwänge mit sehr begrenztem Ziel (Beispiel München), anderes der Drang nach einer Sammlung und Bündelung der sozialistischen Kräfte in einer wirklich neuen Partei (Beispiel Hamburg), wieder anderes im Grunde nur Kritik an Schumachers Rigorismus und Zentralismus. Die wohl wirksamsten Barrieren gegen eine Verschmelzung aber resultierten daraus, daß die Sozialdemokratie im Westen trotz der Schumacherschen Öffnungsversuche im Kern doch eine Partei der Funktionäre und der Mitglieder war, die fest im alten sozialdemokratischen Milieu des Kaiserreichs und der Weimarer Republik verankert waren, tiefsitzende Vorbehalte gegen die Kommunisten hegten, dem sowjetischen Stalinismus mißtrauten und die Russen fürchteten.

Die Zwangsvereinigung bedeutete für die Sozialdemokraten im Osten das Beugen unter einen ungeheuren Druck und Zwang, verbunden mit der Fehleinschätzung und dem Fehlverhalten einzelner, voran Grotewohls. Wie sehr sich die Mehrheit, sofern sie noch eini

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germaßen frei agieren konnte, dagegen stemmte, bezeugen nicht nur die bekannte Urabstimmung im Westen Berlins, sondern auch die große Funktionärskonferenz von März 1946 im Berliner Admiralspalast und viele andere Dokumente, Belege und Äußerungen.

Mit dem Vollzug der Zwangsvereinigung war das Schicksal der Sozialdemokratie in der SBZ und der nachfolgenden DDR besiegelt. Gewiß, Otto Grotewohl und etliche andere saßen in Ämtern und Funktionen der SED und der DDR und bemäntelten doch nur immer weniger, daß Einheitspartei und Staat schlicht zu einer kommunistisch-stalinistischen Diktatur verkamen. Gustav Dahrendorf, Mitglied des Zentralausschusses und Vater des bekannten Sir Ralf, floh noch vor der Zwangsvereinigung, sein Kollege Erich Gniffke folgte 1948 nach, Max Fechner wurde 1953 aus der SED ausgeschlossen. Viele nicht so prominente Sozialdemokraten, die mit ihnen den Schritt in die SED gegangen waren, traf es oftmals viel härter. Sie wurden Opfer der Säuberungen, die den Weg der SED zur kommunistischen Kaderpartei säumten. Auch sie teilten nun ein ähnliches Los wie die Sozialdemokraten, die sich der Zwangsvereinigung widersetzt hatten und von den Sowjets und ihren kommunistischen deutschen Alliierten verfemt und verfolgt worden waren.

VII.

Die Schumacher-SPD als prononciert antitotalitäre und somit antikommunistische Partei trug die Hauptlast der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Machtpolitik und dem Stalinschen System, und sie brachte dafür die größten Opfer. Doch in einer Zeit, in der in Europa noch viele eher auf Kooperation mit Kommunisten und Osteuropa eingestellt waren, erregte sie mit ihrer betont antikommunistischen Einstellung eher Anstoß denn Ermutigung. Nicht zuletzt [Fn 6: Willy Albrecht, Schumacher, S. 57 spricht sogar von "ausschlaggebend".] daran scheiterte zunächst 1947 ihre Aufnahme in die Sozialistische Internationale. Aber auch das bürgerliche Parteienlager in der Bundesrepublik hat Schumacher und seiner SPD erst ex post und aus zum Teil durchsichtigen parteitaktischen Motiven die Anerkennung gezollt, die sie für ihren offenen, harten Kampf gegen den "östlichen Totalitarismus" verdienten.

Nicht umsonst konzentrierten sich die Attacken aus dem Osten vorrangig auf die Schumacher-SPD. Sowjets, ihre deutschen Gehilfen

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in SED, SBZ und DDR wie die kommunistischen Organe in den Satellitenstaaten und im westlichen Europa verunglimpften Schumacher als zweiten Hitler, Werkzeug des Monopolkapitalismus, "sozial-faschistischen Führer" und potentiellen eroberungswütigen Aggressor. Als sich im Juni 1953 Arbeiter in der DDR gegen das Regime erhoben, wurden sofort die "Schumacherleute" dafür verantwortlich gemacht. Völlig abwegig waren ihre Verdächtigungen nicht. Denn Schumacher und das Ostbüro gehörten zu den wenigen, die den Widerstand und die Opposition standhafter Sozialdemokraten im Untergrund stützten und ermutigten.

Schumacher wäre nicht Schumacher gewesen, wenn er nicht seiner ganzen Verachtung für die "niederträchtigen" deutschen "Kollaborateure" der sowjetischen Führung freie Bahn gelassen hätte. Verbal waren manche Attacken vielleicht überzogen, und man muß sich auch fragen, ob es politisch immer klug war und wirklich im deutschen Interesse lag, so heftig und erbittert gegen "Annexionen" durch Sowjets und Polen, Vertreibung und brutale Ausbeutung der Deutschen in der SBZ zu protestieren. Denn machtpolitisch zu ändern vermochte er damit nichts, einer Klimaverbesserung war es wohl nicht förderlich, und auch manchen im Westen erschien er eher als Störenfried und kaum berechenbares Risiko.

Um sich die Wirkung nach außen zu vergegenwärtigen, muß man sich aus der sozialdemokratischen, von Schumacher-Faszination geprägten Binnensicht lösen. Aus der Warte der alliierten Sieger auch im Westen, die große Opfer für die Niederringung des Nationalsozialismus gebracht hatten, erschien Schumachers Agieren fast wie eine Anmaßung, die Konsequenzen des von Hitler-Deutschland entfesselten Krieges zu verweigern. Selbst der dezidierte Antikommunismus geriet dabei potentiell mit in ein Zwielicht. Denn zum einen dürften in den Ohren vieler Amerikaner Schumachers marxistische Terminologie und klassenkämpferisches Vokabular kaum anders als Floskeln von Kommunisten geklungen haben, zum anderen befand er sich bei seinem "Nein" zum "Ersatzeuropa von Straßburg" in einem Boot mit den Kommunisten.

Es lohnt sich, den Einwand von Herrmann Brill, einem der Unterzeichner des Buchenwaldes Manifestes und zunächst Anhänger einer einheitlichen sozialistischen Partei, dann Kritiker und Warner, zu zitieren: "Es ist mir unmöglich, die auf die Zerstörung Europas gerichteten Tendenzen der KPD faktisch dadurch zu unterstützen, daß ich mit ihr zusammen gegen das Europaratsgesetz stimme. Deshalb ist es mir ein Anliegen des Gewissens, auch optisch nicht in einem anti

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europäischen Abstimmungsblock mit den kommunistischen Bundestagsabgeordneten zu erscheinen." [Fn 7: Schreiben an Schumacher vom 12.6.1950.]
Brill fügte sich der Fraktionsdisziplin, und die SPD stimmte geschlossen dagegen.

Auch bei Schumachers Auseinandersetzung mit dem Kommunismus kommt man bei allem Wohlwollen nicht daran vorbei, daß er die Realitäten und Zwänge der Nachkriegsepoche nicht zureichend antizipierte und illusorischen Vorstellungen von einem demokratisch-sozialistischen Deutschland und Europa zwischen der Sowjetunion und den USA anhing. Obwohl die Ablehnung des "östlichen Tota-litarismus" eine ganz andere Qualität besaß als seine Distanz zu den Vereinigten Staaten, wurden diese Grundsatzunterschiede zu wenig sichtbar, weil Schumacher verbal nach beiden Seiten fast mit den gleichen Warfen focht und die Grotewohls wie die Adenauers jeweils als Kollaborateure ausländischer Mächte attackierte. Dadurch machte er es denen leichter, die den Sozialdemokraten Reserven gegenüber dem Westen vorhielten und ihre Vorbehalte gegen konkrete Schritte der Westintegration mit kritischen Augen sahen. Obwohl gerade Schumacher für eine konsequente Demokratie und Freiheit focht, wurde wohl nicht immer hinreichend deutlich, daß die Sozialdemokratie einem freiheitlich westlichen Wertesystem verpflichtet und in ihm tief verwurzelt war.

Schumachers Stärke und sein großes Verdienst in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus war, daß er die deutschen Kommunisten nie als eigenständige Kraft, sondern als den verlängerten Arm und das willfährige Instrument sowjetischer Machtpolitik sah und daraus die Konsequenzen zog. Wie ein roter Faden zog sich dies bei ihm von Weimar über Hannover nach Bonn. Schumachers zentrales Anliegen galt der Abwehr des totalitären Bolschewismus und der sowjetrussischen Expansion. Das hieß für ihn 1945 und in den folgenden Jahren sehr konkret, ein Gesamtdeutschland nach sowjetischem Muster zu verhindern. Als die Sowjetunion dann, so sah es Schumacher [Fn 8: Rede vom6.l2.1947.] , nach dem Scheitern dieser Pläne "die Umwandlung ihrer Besatzungszone in einen totalitären Einparteienstaat nach eigenem Muster vorantrieb", war der Weg zu einer Weststaatsgründung fast unausweichlich geworden.

Mit dem Schritt zur Grundlegung eines westlichen staatlichen Provisoriums und der Etablierung und Festigung der Bundesrepublik deuteten sich bei Schumacher und der Sozialdemokratie Verän

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derungen in der Art der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen System an. Sie wurde, soweit sich dies aus der kurzen Zeit, die ihm noch blieb, ablesen läßt, nun stärker ausdifferenziert.

1. Gegenüber der Sowjetunion wies die Richtung eher auf eine Entideologisierung und die Ausrichtung auf eine deren Belange und die Folgen der NS-Expansion berücksichtigende Politik. Sichtbar wurde dies in Überlegungen, über eine Neutralisierung eines Gesamt-Deutschlands und selbst eine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie zu verhandeln. Unter veränderten Vorzeichen - das hieß vor allem die Akzeptanz der Westeinbindung - wurde Realpolitik über Moskau zum Markenzeichen der Deutschland- und Ostpolitik der sozialliberalen Ära.

2. Die Stoßrichtung zielte nun mehr gegen die SED-Machthaber und die Unterdrückung in der SBZ/DDR. Als vorrangig galt, die Menschen dort aus den "menschlich, sozial und politisch unerträglichen Zuständen zu befreien." [Fn 9: Rede im RIAS am 15.7.1952.]
Das Prinzip Freiheit besaß also die Priorität, und deshalb führte der Weg zur Wiederherstellung der nationalen Einheit nur über freie Wahlen und Demokratie. Einheit durch Freiheit war das Credo - 1990 hat es sich, als noch kaum jemand damit mehr in absehbarer Zeit rechnete, erfüllt.

3. Die Unterschiede zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus wurden deutlicher als zuvor auf den grundlegenden Punkt gebracht. Kommunismus war nicht ein Sozialismus mit Fehlern, so stellte 1951 die Grundsatzerklärung der Sozialistischen Internationale fest, sondern ohne Demokratie wurde das sozialistische Ziel überhaupt verfehlt. Als Verfechter eines totalitären Systems konnten sie keine Partner im Ringen um die Stabilisierung der demokratischen Ordnung sein und mußten bekämpft werden. Demokratische Freiheitsrechte, Rechtsstaatlichkeit und die Würde des Individuums als unveräußerliche Grundrechte und Werte, wie sie die Sozialdemokratie mit ihrem Demokratischen Sozialismus festschrieb, standen zur Ideologie und Praxis des Kommunismus in einem fundamentalen Gegensatz.

In den späteren Jahren ist diese grundlegende Differenz vielleicht nicht immer in allem und jedem zureichend sichtbar geworden. Mit der Gewöhnung an den Umgang mit den kommunistischen Machthabern im Osten als einer Art von Normalität ging gelegentlich etwas verloren, daß es sich im Kern noch immer um einen "östlichen Tota-

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litarismus" handelte, den Kurt Schumacher mahnend beschworen hatte. Das Erbe der Schumacher-SPD als einer antitotalitären Partei, die Faschismus wie Bolschewismus bekämpfte, gilt es zu bewahren, auch nachdem der Kommunismus im Osten zusammengebrochen ist. Schumachers Traum von einem "dritten Weg" eines demokratischen, freiheitlichen Sozialismus in Europa hat sich weder damals noch 1989/90 erfüllt. Aber als Partei der Freiheit, wie sie Schumacher formte, ist die Sozialdemokratie auch heute gefordert - gegen Unterdrückung, Willkürherrschaft und Diktaturen auf der Welt.

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Zur Diskussion des Referats von Heinrich Potthoff

Es wurde darauf hingewiesen (Peter Brandt), daß es wichtig sei, für die SBZ verschiedene Phasen der Einheitskampagne genau zu unterscheiden. Während im Juni/Juli 1945 die Einheit der Arbeiterbewegung bei Sozialdemokraten einen hohen, emotional besetzten Wert dargestellt habe, hätten, so ein damals junger Berliner Zeitzeuge (Heinz Westphal), bereits im August Skepsis und Kritik gegenüber den Kommunisten wegen der praktischen Erfahrungen mit diesen und der sie unterstützenden SMA überwogen.

Auch für den Westen wurde mit Bezug auf den Einheitsgedanken ein zeitweiliges Hin und Her konstatiert, wenn auch, insbesondere bei den Gewerkschaften (Ausnahme zeitweise der Bergbau), eine sehr breite Funktionärsschicht wegen ihrer Erfahrungen in der Weimarer Zeit die Kommunisten, auch in der Einheitsgewerkschaft, früh marginalisiert habe, seit 1947 ganz bewußt auch organisatorisch (Klaus Schönhoven). Der Bruch der Linkssozialisten mit den Kommunisten (nicht erst wegen des Hitler-Stalin-Pakts, sondern schon wegen der Moskauer Schauprozesse und des kommunistischen Verhaltens im Spanischen Bürgerkrieg) sei für Schumacher schon früh ausschlaggebend für ihre Aufnahme in die SPD gewesen (Beispiel Willi Eichler). Daß die antikommunistische Einstellung der SPD 1947 entscheidend gewesen sei für die Verweigerung ihrer Aufnahme in die Comisco, wurde allerdings angesichts der Erfahrungen vieler osteuropäischer und jüdischer Sozialdemokraten mit den Kommunisten bestritten (Susanne Miller).

Ob für die SBZ die Erfahrungen mit den Kommunisten in der Weimarer Zeit, im KZ oder in der SBZ entscheidender gewesen seien, wurde von verschiedenen Diskutanten unterschiedlich akzentuiert, wenngleich letztere Ansicht überwog. (Für Schumacher wurde durch den Referenten eindeutig die Prädisposition durch Weimar betont.) Die neueren Forschungen - die weitere Bearbeitung russischer Archive ist dringend erforderlich - verstärken das bisherige Bild des massiven Drucks seitens der SMA und der Leitung der KPD durch die Sowjetunion sowie der Verhinderung einer offenen, freien Willensbildung in der SBZ (B. Faulenbach). Hingewiesen wurde auf die (ungeklärten) Gerüchte von sowjetischen Angeboten an Grotewohl mit Bezug auf eine angeblich vorgesehene führende Rolle der SPD in der SBZ nach dem Versagen der KPD (Tilman Fichter). Ein Zeitzeuge (Stanislaw Trabalski) berichtete über Gespräche seines Vaters mit Paul Löbe, der im Herbst 1945 gesagt habe, aus Furcht vor Verhaf

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tung von 20.000 Sozialdemokraten durch die Sowjets sehe sich die sozialdemokratische Führung nicht in der Lage, dem Einigungsprozeß Widerstand entgegenzusetzen. Andeutungen im Referat in Richtung auf Einheitswilligkeit bei Sozialdemokraten wegen eines bestehenden antifaschistischen Grundkonsenses wurde energisch widersprochen und hervorgehoben, im Osten seien die noch weiter zu untersuchenden sozialpsychologischen Bedingungen für die Einheit schlechter gewesen als im Westen (Helga Grebing).

Schumacher wurde einmal als ein Politiker herausgestellt, dessen Westoption trotz bestimmter rhetorischer Figuren wegen seiner Demokratievorstellungen erheblich eindeutiger, als im Referat ausgedrückt, gewesen sei - der Referent sah das jedoch als Mißverständnis. Anders als der Zentralausschuß in Berlin habe Schumacher keine Äquidistanz zum Westen wie zum Osten gesucht (B. Faulenbach). Allerdings habe Schumachers Argumentation manchmal durchaus den unzutreffenden Eindruck einer Äquidistanz aufkommen lassen können (H. Potthoff). Auf der anderen Seite wurde argumentiert, es sei zu einfach, Schumacher undifferenziert als eindeutig westlichen Politiker zu qualifizieren, was zwar zutreffe hinsichtlich seiner Vorstellungen von Demokratie und demokratischem Sozialismus, nicht aber hinsichtlich seiner Position zur Westernization, zum sozialen Kapitalismus (K. Schönhoven). Im übrigen wurde darauf verwiesen, daß Schumacher durchaus an eine Einheitspartei gedacht habe, aber eine durch Sozialdemokratisierung der Kommunisten in einem demokratischen System agierende sozialdemokratische Einheitspartei (P. Brandt).


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