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TEILDOKUMENT:
Wanderschaft Friedrich Ebert wandert mehr als zwei Jahre durch Deutschland. Er trifft dabei auf Gleichgesinnte und lernt neue Arbeitstechniken kennen. Die schlechten sozialen Bedingungen und die Furcht vor Arbeitslosigkeit führen zu einem engen Zusammenschluß der Handwerker in Gewerkschaften und Fachvereinen; diese bieten verschiedene Unterstützungen an. Wann und wo Friedrich Ebert sich der Gewerkschaft, dem Fachverein der Sattler, anschließt und Mitglied der Sozialdemokratie wird, steht nicht zweifelsfrei fest. Seine Wanderschaft fällt in die Endphase des Sozialistengesetzes (1878-1890), mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck vergeblich versucht, die aufstrebende sozialistische Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Auch Friedrich Ebert, der sich als Organisator für Partei und Gewerkschaften betätigt, erwachsen aus seinem Engagement berufliche Nachteile.
Hoffnungsträger Sozialdemokratie
" ... im Hause der Eltern hieß es, bei aller Freiheit, vor allem Disziplin üben. Wie war es doch noch? Pünktlich zu Tisch, geordnetes und geregeltes Leben, absolutes Einhalten der höheren Orts aufgestellten Hausordnung." Seiner Tochter Amalie
wünscht Ebert zur Vermählung 1923 "Lebensmut, der sich geltend macht in Fleiß, Tüchtigkeit, Tatkraft und in einem oft hohen Maße von Entsagung", und ermahnt sie, sich die im Elternhaus erlernte "Pflichttreue und den geraden schlichten Bürgersinn" zu bewahren.
sein Wissen durch intensives Selbststudium. Als Inhaber zahlreicher Führungspositionen in Partei und Gewerkschaft entwickelt er zugleich organisatorische Fähigkeiten. Als Mitglied der bremischen Bürgerschaft (1900-1905) sammelt er darüber hinaus wichtige Erfahrungen in der parlamentarischen Arbeit. Die tagtägliche Konfrontation mit den Problemen des kleinen Mannes formt Eberts politischen Standpunkt. In den Grabenkämpfen seiner eigenen Partei zwischen Reformisten, Revisionisten und Revolutionären steht er auf der Seite der Reformisten. Er kümmert sich wenig um den Streit über die gültige Parteitheorie und will ungeachtet ideologischer Dispute Demokratie und sozialen Fortschritt auf dem Weg der Reform verwirklichen. Die örtliche SPD wird zunächst von reformorientierten Funktionären beherrscht. Doch die Gewichte verschieben sich allmählich zugunsten der radikalen Position. Zunehmende innerparteiliche Konflikte bestärken Ebert, der nie der unbestrittene Führer der SPD in Bremen gewesen ist, in dem Wunsch, die Hansestadt zu verlassen. Mit der Wahl zum Sekretär des zentralen SPD-Parteivorstandes auf dem Jenaer Parteitag im September 1905 geht dieser Wunsch in Erfüllung.
Im Dezember 1905 zieht Friedrich Ebert mit seiner Familie von Bremen nach Berlin, um seine Tätigkeit als Sekretär im zentralen Parteivorstand der SPD aufzunehmen. Berlin wird für die nächsten 20 Jahre die dritte und zugleich letzte Station seines Lebens nach Heidelberg und Bremen. Mit 34 Jahren ist Ebert das jüngste Mitglied im Parteivorstand. Unter den Parteivätern in diesem Gremium wie August Bebel. Paul Sinter oder
Hermann Molkenbuhr, die schon vor dem Sozialistengesetz zur Sozialdemokratie gestoßen sind, verkörpert Friedrich Ebert eine neue Generation. Wer ihn im Vorfeld des Jenaer Parteitages 1905 zur Wahl in den Parteivorstand vorgeschlagen hat und welche Argumente für seine Wahl ausschlaggebend gewesen sind, ist nicht überliefert. Friedrich Eberts Tätigkeiten im Parteivorstand sind zunächst vor allem organisatorischer Natur. Später übernimmt er weitere Aufgaben, etwa diejenige als Schlichter in Parteistreitigkeiten. Seit 1908 leitet Friedrich Ebert zudem die Zentralstelle für die arbeitende Jugend Deutschlands", die von SPD und Gewerkschaften getragen wird.
Bereits 1911, nach dem Tod Paul Singers, eines der beiden Parteivorsitzenden, erhält Friedrich Ebert auf dem Parteitag in Jena bei der Wahl von dessen Nachfolger 102 Stimmen des gemäßigten Parteiflügels, obwohl er ausdrücklich nicht für dieses Amt kandidiert hat. Gewählt wird der Kandidat des linken Parteiflügels, der Königsberger Rechtsanwalt Hugo Haase. Friedrich Eberts Stunde kommt, als 1913 August Bebel im Alter von 73 Jahren stirbt, der unumstrittene Führer der deutschen und internationalen Sozialdemokratie, der "Arbeiterkaiser". Der 42jährige Friedrich Ebert wird auf dem Parteitag in Jena im September 1913 mit über 91 Prozent der Stimmen zum Nachfolger Bebels und damit zum gleichberechtigten Parteivorsitzenden neben Hugo Haase gewählt. Die Kommentare zur Wahl Friedrich Eberts sind nicht einhellig. Während Victor Adler, der Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie, seine Freude darüber ausdrückt, daß "Ebert auf den Posten gestellt wurde, den er, das bin ich sicher, von Jahr zu Jahr besser ausfüllen wird", klingt bei dem namhaften Parteitheoretiker Karl Kautsky Skepsis durch: "Er ist sicher ein Mann von großer Intelligenz und Tatkraft, dabei aber sehr herrisch und eifersüchtig, und, wie mich dünkt, in nicht rein proletarischen Dingen etwas beschränkt."
Großmachtstellung zu sichern, glaubt die Regierung unter Reichskanzler von Bethmann Hollweg, die anderen Mächte durch eine militärische Drohpolitik einschüchtern zu müssen. Die Hoffnung, dadurch einen großen diplomatischen Erfolg zu erringen, erfüllt sich nicht. Vom Deutschen Reich durch einen "Blankoscheck" gedeckt, erklärt Österreich Serbien den Krieg. Eine Kette von Mobilmachungen löst einen Krieg zwischen den europäischen Großmächten aus, der seit Anfang August 1914 den Kontinent verwüstet. Ein erhebliches Maß an Mitschuld, wenn nicht gar die Hauptverantwortung dafür, trägt die politische und militärische Führung des Deutschen Reiches. In der Reichstagssitzung vom 4. August 1914 stimmt die SPD den Kriegskrediten zu. Diese von der Mehrheit der Partei während des gesamten Krieges vertretene Politik hat mehrere Gründe: Im Innern wird das Deutsche Reich von einer Welle der Kriegsbegeisterung erfaßt, die bis in die Arbeiterschaft hineinreicht. Der in den ersten Augusttagen pro-
klamierte "Burgfrieden" ist sichtbarer Ausdruck des Bestrebens, vorläufig alle innenpolitischen Konflikte im Interesse der nationalen Geschlossenheit zurückzustellen. Auch die Sozialdemokraten, die, wie die große Mehrheit der Bevölkerung, die Politik der Regierung in der "Julikrise" nicht durchschauen, glauben, daß das Deutsche Reich von den anderen Großmächten angegriffen wird. Sie sind daher, so auch Friedrich Ebert, bereit, das Vaterland zu verteidigen. Die Arbeiterparteien der anderen am Krieg beteiligten Länder unterstützen in gleicher Weise die Politik ihrer Regierungen. Die Internationale, der Zusammenschluß aller Arbeiterparteien, die über keine wirksamen Verhinderungsstrategien verfügt, zerbricht infolgedessen.
Die Frage der Bewilligung der Kriegskredite stellt die SPD seit Beginn des Krieges vor eine Zerreißprobe Eine wachsende Zahl von Abgeordneten hält angesichts der in der Öffentlichkeit immer lauter erhobenen Forderung nach weitreichenden Annexionen diesen Krieg nicht mehr für einen Verteidigungskrieg; da die erhofften Reformen im Innern ausbleiben, sind sie auch von der "Burgfriedenspolitik" enttäuscht. Friedrich Eberts Bemühungen, die Einheit der Partei zu erhalten, bleiben erfolglos. Die Gegner der Kreditbewilligung schließen sich 1916 zu einer eigenen Reichstagsfraktion zusammen und gründen ein Jahr später die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Die Spaltung der Partei schwächt ihre Schlagkraft. Während der Kern der alten Parteiführung um Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Hermann Molkenbuhr und Eduard David bei der Mehrheitssozialdemokratie verbleibt, finden sich bei der USPD sehr unterschiedliche Persönlichkeiten zusammen. Dazu zählen neben Hugo Haase, einem der beiden Parteivorsitzenden, zunächst die revolutionären Wortführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, daneben die beiden führenden, aber gegensätzliche Positionen vertretenden Theoretiker der SPD, Karl Kautsky und Eduard Bernstein. Beide kehren später wieder zur SPD zurück. Im Frühjahr 1917 bemühen sich Sozialisten neutraler Staaten, eine internationale Konferenz der sozialistischen Parteien einzuberufen. Die Suche nach einem für alle Staaten annehmbaren "Frieden ohne Annexionen", wie ihn auch die SPD fordert - von den Annexionisten verächtlich "Scheidemannfrieden" genannt -, soll dadurch erleichtert werden. Unter Leitung Friedrich Eberts reist im Juni 1917 eine SPD-Delegation zu Vorgesprächen nach Stockholm. Die Einberufung der Konferenz scheitert aber an unüberbrückbaren Gegensätzen vor allem im Hinblick auf die Frage der Kriegsschuld. Die seit dem Frühjahr 1917 steigende Zahl der Streiks und Massenproteste, die durch die russische Revolution weiter angefacht werden, ist ein sichtbarer Ausdruck der wachsenden Kriegsmüdigkeit und des Wunsches nach Frieden. Diese Proteste erreichen ihren Höhepunkt in den großen Streiks im Januar 1918, als über 200 000 Arbeiter ihre Arbeit niederlegen, ein "Vorspiel der Revolution". Um die dadurch verursachten innenpolitischen Spannungen zu entschärfen und einen Munitionsarbeiterstreik ohne Schaden für das Reich friedlich zu beenden, tritt Friedrich Ebert in die Streikleitung ein. Die radikale Linke verleumdet Friedrich Ebert seitdem als "Arbeiterverräter", die politische Rechte als "Landesverräter". Im Frühjahr 1918 versucht die Oberste Heeresleitung, durch eine große Offensive den Krieg im Westen militärisch zu entscheiden. Nach anfänglichen Erfolgen bleibt diese aber stecken. Im Herbst 1918 gesteht auch die Militärführung die Niederlage ein. Die Verantwortung dafür versucht sie aber auf die neugebildete Regierung unter Prinz Max von Baden abzuwälzen. Auf Drängen Friedrich Eberts ist die SPD in diese Regierung eingetreten, der mit ihm, Philipp Scheidemann und Gustav Bauer zum erstenmal auch Sozialdemokraten angehören. Die Regierung führt Verfassungsreformen durch; u.a. ist nun der Reichskanzler vom Vertrauen des Reichstages abhängig.
Die "Oktoberreformen", die für Friedrich Ebert ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Demokratie sind, können angesichts des deutschen Waffenstillstandsersuchens aber das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung nicht wiederherstellen. Unter Hinweis auf die Stimmung im Innern fordert die SPD mehrfach eindringlich die Abdankung des Kaisers. "Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde", soll Friedrich Ebert nach den »Erinnerungen« Max von Badens gesagt haben. Da der Kaiser sich aber weiterhin weigert abzudanken und sich auch die Waffenstillstandsverhandlungen dahinschleppen, ist die Revolution nicht mehr aufzuhalten. Auslöser der Revolution ist eine Revolte der Matrosen der Hochseeflotte. In Anbetracht des in Kürze erwarteten Kriegsendes weigern sie sich Ende Oktober, nur um der Ehre der Offiziere willen zu einer entscheidenden Seeschlacht gegen die englische Flotte auszulaufen. Binnen weniger Tage verbreitet sich diese Meuterei von Kiel aus über das ganze Deutsche Reich. Am 9. November 1918 erreicht die revolutionäre Welle auch Berlin. Prinz Max von Baden, der zur Beruhigung der Massen zugleich eigenmächtig die Abdankung des Kaisers verkündet, übergibt Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers. Dabei soll sich nach Max von Baden der folgende Dialog abgespielt haben: "Herr Ebert, ich lege Ihnen das Deutsche Reich ans Herz!" Ebert antwortet: "Ich habe zwei Söhne für dieses Reich verloren."
Am 9. November 1918 wird nicht nur die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekanntgegeben, der einen Tag später aus seinem Hauptquartier in Belgien in die Niederlande flieht, sondern Philipp Scheidemann schafft in der Frage der Staatsform vollendete Tatsachen. Gegen zwei Uhr
nachmittags ruft er von einem Balkon des Reichstagsgebäudes die "Deutsche Republik" aus. Er kommt damit Karl Liebknecht zuvor, der wenig später die "sozialistische Republik" proklamiert. Nach der Erinnerung Philipp Scheidemanns mißbilligt Friedrich Ebert den Schritt seines Parteifreundes, weil er in der Entscheidung über die Staatsform der künftigen verfassunggebenden Versammlung nicht vorgreifen will. Aber nicht nur im Reich und in Preußen, sondern auch in sämtlichen deutschen Bundesstaaten, vom Königreich Bayern bis zu den kleinen thüringischen Fürstentümern, werden die Monarchen gestürzt.
Friedrich Ebert bleibt nur für einen Tag "Volksreichskanzler", wie er auf einer zeitgenössischen Postkarte genannt wird. Ebert und die SPD-Führung sind der Überzeugung, daß sie weder mit der alten Regierung noch mit dem Vorkriegsreichstag von 1912 zusammenarbeiten können. Nach dem Sieg der Revolution erscheint ihnen ein Zusammengehen mit den Unabhängigen Sozialdemokraten geboten. Ebert bemüht sich um die Bildung einer revolutionären Übergangsregierung aus SPD und USPD. Er verlangt aber, daß die USPD Wahlen zu einer Nationalversammlung als
Ziel anerkennt und auf ihre Forderung verzichtet, die allenthalben sich bildenden Arbeiter- und Soldatenräte zum Träger der Macht zu machen. Der gemäßigte USPD-Flügel akzeptiert diese Bedingungen. Am 10. November kommt eine Koalitionsregierung, der Rat der Volksbeauftragten, zustande. Für die SPD gehören ihm Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg an, für die USPD Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth. Vorsitzende mit gleichen Rechten sind Friedrich Ebert und Hugo Haase. Der erste Aufruf des Rates der Volksbeauftragten beginnt mit dem Satz: "Der heutige Tag hat die Befreiung des Volkes vollendet." Er enthält die Ankündigung von Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung und die Warnung vor revolutionären Auswüchsen: "Menschenleben sind heilig. Das Eigentum ist vor willkürlichen Eingriffen zu schützen. Wer diese herrliche Bewegung durch gemeine Verbrechen entehrt, ist ein Feind des Volkes..." Am 29. Dezember 1918 verlassen die USPD-Mitglieder den Rat der Volksbeauftragten aus Protest gegen die militärische Niederschlagung der Weihnachtsunruhen in Berlin; sie werden durch Gustav Noske und Rudolf Wissell von der SPD ersetzt.
Der Rat der Volksbeauftragten unter Führung von Friedrich Ebert und Hugo Haase hat eine Fülle von Problemen zu bewältigen: Aufgrund der Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens müssen innerhalb kurzer Zeit mehr als vier Millionen deutsche Soldaten aus den besetzten Gebieten in Frankreich und Belgien zurückgeführt werden; anderenfalls droht ihnen die Gefangennahme durch die siegreichen Alliierten. Dieser Wunsch nach geordneter Rückführung der Truppen und einer reibungslosen Demobilisierung des Millionenheeres sowie die keineswegs gebannte Gefahr eines Bürgerkrieges sind die wesentlichen Gründe dafür, daß Friedrich Ebert mit der kaiserlichen Obersten Heeresleitung zusammenarbeitet. Die von den Soldatenräten geforderte Reform des Militärs wird daher nur zögernd in Angriff genommen. Zugleich muß die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gesichert werden. Da die Blockade deutscher Häfen trotz des Waffenstillstandes weiter aufrechterhalten wird und die Verantwortlichen einen Kollaps der Versorgung befürchten, wollen sie auch mit der alten Beamtenschaft weiter zusammenarbeiten. Die Umstellung der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft, die Ankurbelung der Produktion und die Wiedereingliederung von mehr als acht Millionen Soldaten sind weitere dringende Probleme. Um die ohnehin schon schwierige Lage nicht weiter zu verschärfen, werden Eingriffe in die bestehende wirtschaftliche Ordnung daher vorläufig abgelehnt. Ebert und die sozialdemokratische Führung betrachten zugleich das "Zentralarbeitsgemeinschafts"-Abkommen vom 15. November 1918, in dem u.a. die Gewerkschaften als Tarifpartner anerkannt werden, als ein Anzeichen für eine Entschärfung der traditionellen Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und als ein Mittel zur Beruhigung der Lage im Innern. Aus diesen Gründen verzichten sie auch darauf, mit der Verstaatlichung des Bergbaus wenigstens ein Signal zu setzen. Angesichts der Schwere der Probleme sehen die mehrheitssozialdemokratischen Mitglieder des Rates der Volksbeauftragten nur wenig Spielraum für die von vielen eigenen Anhängern erwartete tiefgreifende Neuordnung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Darüber hinaus ist Friedrich Ebert davon überzeugt, daß nur eine vom Volk gewählte Nationalversammlung berechtigt ist, grundlegende Reformen einzuleiten.
Trotz der Revolution erfolgt in vielen Bereichen der Gesellschaft kein Elitenwechsel: Die Spitzen von Verwaltung, Militär, Wirtschaft, Justiz und Universitäten werden nicht ausgetauscht. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist die SPD im Kaiserreich ausgegrenzt und als Systemfeind verfolgt worden; ein Reservoir sozialdemokratischer Generäle, Wirtschaftsführer, Richter, Professoren und Beamter, die für den Austausch zur Verfügung stehen, gibt es nicht. Zum anderen will die SPD allen Trägern des bisherigen Regimes ein ehrliches Angebot zur Mitarbeit in der neuen Republik machen. Friedrich Ebert erläßt daher bereits am 9. November 1918 einen Aufruf an die Behörden und Beamten zur loyalen Zusammenarbeit. Gegen Kritik von links an dieser Haltung rechtfertigt sich Friedrich Ebert in einer Rede am 25. November 1918 auch mit der schwierigen Ausgangsposition des Rates der Volksbeauftragten: "Wir mußten, nachdem wir die politische Macht in die Hand genommen hatten, dafür Sorge tragen, daß die Reichsmaschine nicht zusammenbricht; wir mußten Sorge tragen, daß diese Maschine weiterläuft, um unsere Ernährung und Wirtschaft aufrechterhalten zu können. Und das war kein leichtes Stück Arbeit. Wir haben unter Aufgebot aller Kräfte Tag und Nacht gearbeitet, um schließlich nicht den Zusammenbruch und den Niedergang in einigen wenigen Tagen vor Augen zu sehen. Das konnten wir sechs Mann allein nicht machen; dazu brauchten wir die erfahrene Mitarbeit der Fachleute."
In den ersten Tagen der Revolution bilden sich an vielen Orten Arbeiter- und Soldatenräte. Als Repräsentanten einer breiten Volksbewegung betrachten sie es in erster Linie als ihre Aufgabe, bis zum Zusammentritt einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretung die bisherige Verwaltung zu kontrollieren sowie Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten. Die Räte haben meistens eine SPD-Mehrheit und verstehen sich als lokales oder regionales Unterorgan des Rates der Volksbeauftragten. Vom 16. bis 21. Dezember 1918 tagt in Berlin der Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands. Mit großer Mehrheit unterstützen die Delegierten die Forderung der SPD nach Wahl einer Nationalversammlung zum frühestmöglichen Termin und Schaffung einer parlamentarischen Republik. Die Einführung eines Rätesystems wird gleichzeitig mit 344 gegen 98 Stimmen ausdrücklich abgelehnt. Unter Hinweis auf das Programm der SPD fordern sie von der eigenen Führung zugleich aber auch durchgreifende Reformen der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Eine Minderheit radikaler USPD- und Spartakusanhänger, die freilich oft nach außen hin das Bild der Revolution prägt, strebt ein "Rätesystem" nach sowjetischem Vorbild und ein "Weitertreiben" der Revolution auch mit gewaltsamen Mitteln an.
Die zunächst weitgehend friedlich verlaufene Revolution wird seit Dezember 1918 zunehmend von bürgerkriegsähnlichen Unruhen erschüttert. Die USPD scheidet aus dem Rat der Volksbeauftragten infolge des Vorgehens gegen die "Weihnachtsunruhen" aus. Die Unzufriedenheit in Teilen der Arbeiterschaft über die ihrer Meinung nach nicht ausreichenden Reformen nimmt zu. Beides veranlaßt die linksradikalen Revolutionären Obleute und die Zentrale der neugegründeten Kommunistischen Partei unter der Führung Karl Liebknechts, den gewaltsamen Sturz der Regierung zu versuchen. Sie entfesseln am 5. Januar 1919 den "Spartakusaufstand" in Berlin. Mit Hilfe von Freikorps wird dieser Aufstand schließlich niedergeschlagen. Doch auch danach kommt es immer wieder zu Streiks und bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Linksradikale versuchen, die Revolution gewaltsam weiterzutreiben. In Bremen und München werden nach sowjetischem Vorbild "Räterepubliken" ausgerufen.
Am 19. Januar 1919 finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Es sind die ersten wirklich demokratischen Wahlen in der deutschen Geschichte. An Stelle des Mehrheitswahlrechts, das vor allem die Sozialdemokratie benachteiligt hat, wird nach dem reinen Verhältniswahlrecht gewählt. Erstmals dürfen auch Frauen wählen und gewählt werden. Die Frauen sind deshalb eine der Zielgruppen des Wahlkampfes aller Parteien. Die Wahlbeteiligung liegt bei 83 Prozent. Die SPD erreicht zwar mit rund 38 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis und stellt 163 der 421 Abgeordneten, aber selbst zusammen mit der USPD, die 7,6 Prozent der Stimmen und 22 Abgeordnete erhält, kommt keine absolute Mehrheit der Linken zustande. Die übrigen Abgeordneten verteilen sich auf die katholischen Parteien, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (91 Mandate), auf die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP - 75), auf die rechtskonservative Deutschnationale Volkspartei (DNVP - 44), die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP - 19) und Splitterparteien (7). Die KPD beteiligt sich nicht an den Wahlen und ruft zum Wahlboykott auf. Bereits die Wahlplakate der Parteien zur Wahl der Nationalversammlung zeigen, daß sich nur die Sozialdemokraten von Anfang an uneingeschränkt zur Republik bekennen. Zentrum und DDP entwickeln sich ebenfalls zu staatstragenden Parteien. Die DVP hält an der monarchischen Staatsform fest, wird aber unter ihrem Vorsitzenden Gustav Stresemann zur Partei der Vernunftrepublikaner, die sich der Mitarbeit in der Republik nicht verschließt. Vor allem die DNVP demonstriert mit antisemitischen Parolen ihre republikfeindliche Haltung, die später nur noch von der NSDAP übertroffen wird.
Am 6. Februar 1919 eröffnet Friedrich Ebert als Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten die Nationalversammlung in Weimar. Sitz der verfassunggebenden Versammlung soll eine zentral gelegene Stadt sein, die keine revolutionären Unruhen erwarten läßt und über die notwendige Infrastruktur verfügt. Der Rat der Volksbeauftragten entscheidet sich schließlich für Weimar, die Stadt Goethes und Schillers, die damit auch dem neuen Staatswesen seinen heute gebräuchlichen Namen gibt: Weimarer Republik". Die Nationalversammlung tagt im Weimarer Nationaltheater von Februar bis August 1919 und zieht anschließend nach Berlin um. Sie beendet ihre Arbeit im Mai 1920. Innerhalb weniger Monate erledigt die Nationalversammlung ihre vier wichtigsten Aufgaben: die Wahl eines Staatsoberhauptes, die Bildung einer parlamentarischen Regierung, die Entscheidung über den Friedensvertrag und die Ausarbeitung einer Verfassung. Am 11. Februar 1919 wird Friedrich Ebert mit 277 von 379 abgegebenen Stimmen zum Reichspräsidenten gewählt. Er hat dieses Amt mit seinen umfangreichen Kompetenzen
bewußt angestrebt, um der SPD einen wichtigen Teil der Staatsmacht für einen längeren Zeitraum zu sichern. Am 13. Februar tritt die Regierung unter Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann (SPD) ihr Amt an. Sie setzt sich aus SPD, Zentrum und DDP zusammen, eine Parteienkonstellation, die fortan den Namen »Weimarer Koalition<< trägt. Die Bildung dieser Koalition entspricht dem ausdrücklichen Wunsch Friedrich Eberts. Am 23. Juni stimmt die Mehrheit der Abgeordneten dem Friedensvertrag von Versailles zu. Philipp Scheidemann ist im Vorfeld der Abstimmung zurückgetreten. Sein Nachfolger, dessen Titel jetzt Reichskanzler lautet, ist der Sozialdemokrat Gustav Bauer. Am 31. Juli wird mit den Stimmen der »Weimarer Koalition« gegen DNVP, DVP und USPD die Reichsverfassung verabschiedet.
Die Wahl Friedrich Eberts zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik symbolisiert die eingetretenen revolutionären Veränderungen. Zum erstenmal in ihrer Geschichte haben die Deutschen ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt. Friedrich Ebert ist der erste Nichtadelige in dieser Funktion, der erste Sozialdemokrat, der erste Zivilist, der erste Amtsinhaber proletarischer Herkunft, schließlich der einzige Demokrat an der Spitze des Deutschen Reiches im Zeitraum von 1871 bis 1945. Friedrich Ebert ist nie ein Parteitheoretiker gewesen, sondern Vertreter praktischer Reformen und Verfechter eines pragmatischen Politikverständnisses. Dennoch trägt sein Amtsverständnis Züge einer Vision. Ebert und die SPD wollen keine neue Ausgrenzung betreiben, sondern verstehen Demokratie als ein Angebot an alle - auch an die ehemaligen Gegner -, als eine Einladung zur Mitarbeit in der neuen Republik. Friedrich Ebert
sieht sich als der Reichspräsident aller Deutschen: "Nicht eine Partei, sondern die große Mehrheit des ganzen Volkes hat mich gewählt und kann daher auch von mir verlangen, daß ich der Präsident des Volkes und nicht einer Partei bin." Die Gründung der Weimarer Republik, an der Friedrich Ebert einen entscheidenden Anteil hat, markiert den längst überfälligen parlamentarisch-demokratischen Neubeginn und die Grundsteinlegung einer sozialen Demokratie in Deutschland.
Friedrich Ebert ist von der Nationalversammlung und nicht, wie die später verabschiedete Verfassung festlegt, vom Volk direkt gewählt worden. Wegen der schwierigen außen- und innenpolitischen Lage wird die Volkswahl des Reichspräsidenten mehrfach verschoben. Schließlich verabschiedet der Reichstag im Oktober 1922 eine Verfassungsänderung: Die Amtszeit Friedrich Eberts wird bis zum 30. Juni 1925 verlängert.
Einen Tag nach Friedrich Eberts Wahl zum Reichspräsidenten wird für die Amtsgeschäfte des Staatsoberhauptes das Büro des Reichspräsidenten eingerichtet. Die Aufgabe des Amtes besteht u.a. darin, den Reichspräsidenten zu unterrichten und zu beraten, Informationen zu sammeln und Verbindung mit der Reichsregierung und den Reichsbehörden zu unterhalten. Friedrich Ebert legt bei der Auswahl seiner Mitarbeiter ganz im Sinne des eigenen Amtsverständnisses Wert auf fachliche Kompetenz und nicht auf Parteizugehörigkeit. Er absolviert ein enormes Tagespensum und will laufend und umfassend über die politischen Entwicklungen informiert sein. Dem Recht des Reichspräsidenten, den Reichskanzler zu ernennen und zu entlassen, sind Grenzen gesetzt. Er kann nur Personen mit der Regierungsbildung beauftragen, die auch das Vertrauen des Reichstages besitzen. Nachdem bei den Reichstagswahlen im Juni 1920 die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP ihre Mehrheit verloren hat, fordert Friedrich Ebert in den Sondierungsgesprächen mit den Parteispitzen eindringlich eine Große Koalition von SPD, Zentrum, DDP und DVP, um eine kontinuierliche Regierungspolitik zu gewährleisten. Die Parteien identifizieren sich jedoch nur widerstrebend mit ihrer neuen Rolle: Sind sie im Kaiserreich weitgehend ohne Mitspracherechte bei der Regierungspolitik gewesen, so sollen sie in der parlamentarischen Demokratie als Träger der Politik Regierungsverantwortung übernehmen. Dies verlangt angesichts der Parteienvielfalt im Reichstag die Fähigkeit zum Kompromiß. Dazu sind die Parteien viel zu selten bereit, wie die schnelle Abfolge von Kabinetten unterschiedlicher Zusammensetzungen zeigt. "Der Reichspräsident vertritt das Reich völkerrechtlich", heißt es in Artikel 45 der Weimarer Verfassung. Hier besitzt der Reichspräsident Mitwirkungsrechte. Der Außenpolitik schenkt Friedrich Ebert besondere Aufmerksamkeit. Regelmäßig empfängt er den Außenminister zum Vortrag und erwartet detaillierte Berichterstattung über die außenpolitischen Entwicklungen.
Am 11. November 1918 - zwei Tage nach dem Sturz der Monarchie -unterzeichnet die von Matthias Erzberger (Zentrum) geführte deutsche Delegation den Waffenstillstand. Die deutsche Regierung hofft aber, daß der endgültige Friede erträgliche Bedingungen enthalten werde. Zu der im Januar 1919 in Versailles beginnenden Friedenskonferenz werden Vertreter der deutschen Regierung jedoch nicht zugelassen. Deshalb wirkt der im Mai 1919 der Reichsregierung überreichte Entwurf des Friedensvertrages wie ein Schock. Dieser Vertrag sieht u.a. die Abtretung großer Gebiete des Reiches, den Verlust der Kolonien sowie die Zahlung einer nicht näher bestimmten Kriegsentschädigung vor. Darüber hinaus macht er das Deutsche Reich im "Kriegsschuldartikel" 231 für den Ausbruch des Krieges verantwortlich. Die Empörung über dieses "Diktat von Versailles" in der Bevölkerung ist sehr groß. Auch Friedrich Ebert hält die Friedensbedingungen "für unerfüllbar, unerträglich und unannehmbar". Anders als viele seiner Zeitgenossen macht er seine Entscheidung aber nicht von Augenblicksstimmungen abhängig. Aufgrund der Aussichtslosigkeit militärischen Widerstandes hat die Regierung keine andere Wahl, als den Vertrag zu unterzeichnen. Angesichts der möglichen fatalen Folgen mahnt Friedrich Ebert zur Vertragserfüllung: "Ohne innere Ordnung keine Arbeit! Ohne Arbeit keine Vertragserfüllung! Ohne Vertragserfüllung keinen Frieden, sondern Wiederaufnahme des Krieges!" Der Versailler Vertrag ist eine schwere Belastung für die junge Republik. Der "Schmachfriede" stärkt vor allem die politische Rechte. Obwohl das alte Regime für den Ausbruch des Krieges und die militärische Niederlage die Schuld trägt, macht sie die Republik für die sich daraus ergebenden Folgen verantwortlich. Die "Dolchstoßlegende", mit der die Verantwortung den "Novemberverbrechern" zugeschoben wird, und die Hetze gegen die "Erfüllungspolitik" vergiften das politische Klima.
Die im Versailler Vertrag vorgeschriebene Verminderung der Reichswehr auf 100 000 Mann bedroht viele Angehörige der Freikorps in ihrer Existenz. Diese Soldaten sind daher ideale Partner für eine Gruppe der extremen Rechten, die sich seit 1919 um Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und General von Lüttwitz sammelt und den gewaltsamen Sturz der Regierung plant. Am 13. März 1920 marschiert die vor der Auflösung stehende Brigade Ehrhardt in Berlin ein und besetzt das Regierungsviertel. Da sich die Reichswehr weigert, gegen diese Truppen vorzugehen, verlassen Reichspräsident Friedrich Ebert, die Regierung und die Nationalversammlung Berlin und weichen zunächst nach Dresden, dann nach Stuttgart aus. Durch einen Generalstreik gelingt es, diesen Versuch einer "Gegenrevolution" zum Scheitern zu bringen. Dieser Putsch offenbart die Schwächen der bestehenden demokratischen Ordnung. Die von den Gewerkschaften geforderte "entscheidende Mitwirkung bei der Neuordnung der Verhältnisse", die u.a. eine gründliche "Reinigung" und Demokratisierung der Verwaltungen und die "sofortige" Sozialisierung des Bergbaus zum Ziel hat, findet nicht statt. Auf Druck der Gewerkschaften tritt jedoch der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske gegen den Willen Friedrich Eberts zurück. Der Reichspräsident ist wie eine Minderheit in der SPD-Fraktion davon überzeugt, daß allein Noske der geeignete Mann sei, "den sozialistischen Geist in das Militär hineinzubringen". Da kein Sozialdemokrat bereit ist, Noskes Amt zu übernehmen, gibt die SPD diese politische Schlüsselposition der Weimarer Republik auf. 1921 werden die Reparationsforderungen endgültig auf 132 Milliarden Mark festgelegt. Die Reichsregierung versucht zunächst, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Ein Rückstand bei Holz- und Kohlelieferungen ist für Frankreich jedoch eine willkommene Gelegenheit, am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet zu besetzen. Die französische Regierung unterstützt zugleich separatistische Bewegungen im Rheinland, um Deutschland weiter zu schwächen. Die Empörung über die Ruhrbesetzung führt zur nationalen Einigung über Parteigrenzen hinweg. Friedrich Ebert setzt seine Hoffnung auf die moralische Unterstützung der Bevölkerung im besetzten Ruhrgebiet. Im Februar 1923 verkündet er in Mannheim das Prinzip des passiven Widerstandes. Zugleich versucht er durch demonstrative Besuche, separatistischen Bestrebungen und Putschabsichten entgegenzutreten. Am 26. September 1923 müssen Reichspräsident und Reichsregierung den passiven Widerstand jedoch abbrechen, weil dieser die durch den Krieg und dessen Folgelasten ohnehin zerrüttete Währung endgültig wertlos gemacht hat. Der Wert der Mark ist innerhalb kürzester Zeit ins Bodenlose gesunken. Die Reichsregierung hat daher keine andere Wahl, als auf die Forderungen Frankreichs einzugehen. Zugleich ist dies die Voraussetzung für die Sanierung der Währung durch die Einführung der "Rentenmark ". Im Herbst 1923 spitzt sich die Krise der Republik zu. In Sachsen und Thüringen treten die Kommunisten in die SPD-geführten Regierungen ein. Gestützt auf die bewaffneten proletarischen Hundertschaften, will die KPD diese Position zu einem revolutionären Umsturz nutzen. Als sich die sächsische Regierung weigert, eine Anordnung zur Auflösung dieser Verbände zu befolgen, marschieren am 23. Oktober Reichswehrtruppen in Sachsen ein. Nach dem Scheitern aller Versuche, den sächsischen Ministerpräsidenten zur Umbildung seines Kabinetts zu veranlassen, ermächtigt Friedrich Ebert den Reichskanzler zur Reichsexekution nach Artikel 48. Die von Erich Zeigner geführte SPD/KPD-Regierung in Sachsen wird abgesetzt. Zur gleichen Zeit verschärfen sich die Spannungen zwischen Bayern und dem Reich. Die rechtsgerichtete bayerische Regierung widersetzt sich verfassungsgemäßen Anordnungen der Reichsregierung. In München werden vielmehr offen Pläne für einen Umsturz geschmiedet. Friedrich Eberts Forderung, militärisch gegen Bayern vorzugehen, lehnt die Reichswehrführung aber ab. Am 9. November unternimmt Adolf Hitler, der Führer der NSDAP, einen Putschversuch in München: Er ruft die nationale Revolution aus und erklärt die Regierung der "Novemberverbrecher" für abgesetzt. Friedrich Ebert ernennt General von Seeckt zum Inhaber der vollziehenden Gewalt und bindet ihn dadurch zugleich an das verfassungsmäßige Staatsoberhaupt. Der Hitler-Putsch bricht rasch zusammen, da selbst führende Republikgegner sich nicht hinter Hitler stellen. Sie geben dem Abenteuer keine Erfolgschancen. Die innenpolitischen Folgen dieser beiden Krisen sind schwerwiegend: Aus Protest gegen die Ungleichbehandlung von Sachsen und Bayern verlassen die sozialdemokratischen Mitglieder das Kabinett Stresemann. Einige Parteigliederungen fordern deswegen sogar den Ausschluß des Reichspräsidenten aus der Partei, weil sie nicht erkennen, daß der Reichspräsident in erster Linie die Interessen des Reiches und nicht die seiner Partei zu wahren hat. Friedrich Eberts Mahnung an seine Parteigenossen: "Was Euch veranlaßt, den Kanzler zu stürzen, ist in sechs Wochen vergessen, aber die Folgen Eurer Dummheit werdet Ihr noch zehn Jahre lang spüren", verhallt ungehört. Erst 1928 beteiligt sich die SPD wieder an einer Regierung der Weimarer Republik.
Der Reichspräsident besitzt nicht nur das Amt mit den umfangreichsten Kompetenzen der Weimarer Republik, sondern er ist auch der oberste Repräsentant des Staates. Friedrich Ebert wird bei seinen Repräsentationspflichten an seinem Vorgänger als Staatsoberhaupt gemessen. Wilhelm II. hat 30 Jahre lang das kaiserliche Deutschland mit seiner Vorliebe für Uniformen, Paraden und prunkvolle Inszenierungen geprägt. Friedrich Ebert gelingt es, im Verlauf seiner Amtszeit einen eigenen Repräsentationsstil zu entwickeln, der der politischen, wirt-
schaftlichen und sozialen Lage Deutschlands entspricht. Seine Kennzeichen sind Betonung des Zivilen, Schlichtheit, Bescheidenheit, Ernst und Würde. Friedrich Ebert sucht den Kontakt zu den Intellektuellen und meinungsbildenden Persönlichkeiten der Weimarer Republik. Positiven Urteilen über Eberts Amtsverständnis und Amtsführung, etwa von Thomas Mann oder Theodor Wolff, dem Chefredakteur des angesehenen »Berliner Tageblatts«, stehen negative Äußerungen, Spott und Häme gegenüber. Den Gegnern der Republik dient der Reichspräsident dabei lediglich als Vehikel: Ihre Kritik an Friedrich Ebert soll über den Mann das Amt und die ungeliebte Republik verächtlich machen. Auf seinen Reisen in die Länder des Deutschen Reiches versucht Friedrich Ebert für die junge Republik zu werben. Ein Erfolg seiner Reisetätigkeit wird zu Beginn seiner Amtszeit dadurch erschwert, daß ihm keine mit der Planung von Reisen erfahrenen Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Als Folge treten Pannen auf, Jubel bleibt aus, weil man einfach vergessen hat. die Bevölkerung zu informieren. daß der Reichspräsident kommt.
Friedrich Ebert hat ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Länder. Er wendet sich aber scharf gegen Separatismus und tritt für die drei Ziele ein, die für ihn den Wiederaufstieg Deutschlands begründen: der territoriale Zusammenhalt des Reiches, das harmonische Zusammenwirken aller seiner Länder und die solidarische, die Parteigrenzen überwindende Zusammenarbeit aller Deutschen. Auch auf seinen Reisen bleibt Friedrich Ebert, dem jeder Personenkult ein Greuel ist, sich und seinem einfachen, bescheidenen Repräsentationsstil treu. Sein Versuch, auch Skeptiker und Gegner in die Republik zu integrieren, ist aber nur ansatzweise erfolgreich. Die überzeugten Feinde der Republik nehmen die Besuche des Reichspräsidenten zum Anlaß für Provokationen, Beleidigungen und Proteste. Teilweise ist die Stimmung gegen Friedrich Ebert so gehässig, daß man seine Äußerung von 1921 verstehen kann: "... eine Reise als Reichspräsident ist mir nichts weniger als Freude".
Der naturverbundene Friedrich Ebert sucht so oft, wie es sein Amt erlaubt, der hektischen Betriebsamkeit in Berlin zu entfliehen. Der Unterschied zwischen dem pulsierenden Regierungszentrum und den Orten der Erholung in Süddeutschland erscheint ihm, so schreibt er an seine Kinder, wie "Nacht und Tag", wie "Verdruß und Glück". Auf die geliebten Bergtouren muß er als Reichspräsident verzichten: "Gern hätte ich mich auch irgendwo in den geliebten Bergen herumgetrieben, aber man ist eben nicht ungestraft auf diesem Posten."
Aggressive Schärfe kennzeichnet in der Zeit nach der Revolution die von rechts- und linksextremen Presseorganen als politisches Kampfmittel benutzte Karikatur. Friedrich Ebert dient als Zielscheibe stellvertretend für das System, das er verkörpert. Daß ein Mann aus dem Volk, ein Sattler, ein Sozialdemokrat, jetzt an der Spitze des neuen Staates steht, reizt viele Künstler zu spöttischen Kommentaren. Oftmals überschreiten die Karikaturen die Grenzen des politischen Anstandes und gleiten in persönliche Verunglimpfung ab. Die neue Republik steht noch zu sehr auf unsicheren Füßen, als daß sie mit solchen Angriffen leben könnte. Eine ideelle Unterstützung findet sie in der Karikatur kaum.
Die Weimarer Republik wird von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Friedrich Ebert sieht eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, das republikanische Gedankengut in einer Gesellschaft zu verankern, die den Schritt vom kaiserlichen Obrigkeitsstaat zur demokratischen Republik zwar politisch, aber noch nicht in den Köpfen vollzogen hat. Die jährlichen Feiern in Erinnerung an die Unterzeichnung der Verfassung am 11. August 1919 sollen zur Stärkung des republikanischen Bewußtseins ebenso beitragen wie das Deutschlandlied, das Friedrich Ebert anläßlich des Verfassungstages 1922 zur Nationalhymne erklärt.
Die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht markieren den Beginn einer Reihe von Attentaten, die die Weimarer Republik schwer erschüttern. Die Gegner der neuen Ordnung, vor allem aus dem rechten Spektrum, schrecken vor Gewalttaten gegen Repräsentanten der Republik nicht zurück. Ihr Haß richtet sich gegen die "Novemberverbrecher" und "Erfüllungspolitiker". Der politische Mord gehört nahezu zum Alltag der Republik. Bei der Strafverfolgung zeigt sich die Justiz auf dem rechten Auge blind: Sie verhängt gegen rechte Extremisten weitaus mildere Urteile als gegen Linksradikale.
Zur wirkungsvollsten Waffe der antirepublikanischen Propaganda in der Weimarer Zeit entwickelt sich die Dolchstoßlegende. Diese Zwecklüge will glauben machen, daß innere Unruhen und die Revolution ein Weiterkämpfen der deutschen Soldaten unmöglich gemacht hätten. Die deutsche Armee sei von hinten "erdolcht" worden. Damit soll die tatsächliche militärische Niederlage kaschiert und die Verantwortung dafür der organisierten Arbeiterbewegung und ihren Führern, die jetzt die Repräsentanten der Republik sind, in die Schuhe geschoben werden. Die Dolchstoßlegende vergiftet nachhaltig das politische Klima der Republik und bereitet den Boden für die Verleumdungen gegen Friedrich Ebert.
Als höchster Amtsträger der neuen Republik ist Friedrich Ebert Zielscheibe bösartiger Verleumdungen und Diffamierungen. Die Beleidigungsklage wird für ihn zur Waffe im Kampf um die Republik. Die mehr als 170 Verleumdungen, die er strafrechtlich verfolgen läßt, zeigen nur die Spitze des Eisberges. Keine der Anschuldigungen trifft Friedrich Ebert schwerer als der Vorwurf, er habe durch seinen Eintritt in die Streikleitung bei den Streiks im Januar 1918 "Landesverrat" begangen. Es findet sich schließlich in Magdeburg ein Richter, der dieser Unterstellung die juristischen Weihen verleiht: Im strafrechtlichen Sinne habe Ebert Landesverrat begangen.
Friedrich Ebert hinterläßt eine Republik, die sich nach Jahren der Wirren in einer Phase der Stabilisierung befindet.. Die Chance, die unter Eberts Präsidentschaft fundamentierte Demokratie fortzuentwickeln, bleibt ungenutzt. Zum Nachfolger im Amt des Reichspräsidenten wird der monarchisch gesinnte Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg gewählt. Unter seiner Präsidentschaft vollziehen sich 1933 der Untergang der Weimarer Republik und die Machtübernahme Adolf Hitlers.
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