FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 74 = Leerseite]

[Seite der Druckausgabe: 75]

Über unsere Häupter hinweg? Das Verhältnis der SPD zur kritischen Intelligenz und Opposition in der DDR, in Polen und in der Tschechoslowakei



Page Top

Gert Weisskirchen

"Über unsere Häupter hinweg?" Das wollen wir heute früh miteinander diskutieren, und ich freue mich ganz besonders, daß Janusz Reiter an diesem Podium teilnimmt, einer der jungen Generation von Solidarnosc und heute ein Botschafter, Diplomat seines Landes hier in Bonn. Er ist verwickelt in die Kämpfe seines Landes für die Freiheit, und zugleich wahrt er die Interessen seines Landes in eben dem Land, das von den Freiheitsbewegungen und der europäischen Revolution unserer Tage profitieren konnte, nämlich Deutschland.

Neben ihm sitzt Ota Filip, einer, der aus Prag kommt und der seit vielen Jahren die kulturelle Verknüpfung zwischen Deutschland und der tschechischen kulturellen Tradition als Person lebt und zeigt und der mit den Kämpfen von 1968 verknüpft ist. Markus Meckel ist auch einer derjenigen, die von den Freiheitsüberlegungen, -bestrebungen, -wünschen und -sehnsüchten angesteckt waren, in ihrer Person, und angesteckt bleiben. In seiner Person kreuzen sich die Freiheitsrevolutionen des Ostens mit der Konzeption der Entspannungspolitik - Ostdeutschland war schließlich der Teil Deutschlands, der am allermeisten von den Revolutionen hat gewinnen können.

Karsten D. Voigt repräsentiert in einer ganz besonderen Weise diese Verknüpfung zwischen der Konzeption von staatlicher Entspannungspolitik, manchmal auch verstaatlichter Entspannungspolitik, mit 1968 von seiner Biographie der aufbegehrenden westdeutschen Jugend her.

Ich möchte gleich die erste Frage richten an Janusz Reiter: Als damals Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre die Konzeption, die wir gestern von Egon Bahr sehr plastisch wiedergehört haben, des Wandels durch Annäherung, abgelöst wurde durch einen anderen Wandel, nämlich den Wandel durch Auflehnung, hatte dieser Wandel durch

[Seite der Druckausgabe: 76]

Auflehnung etwas zu tun, und wie reflektierte dieser Wandel, wenn man das Jahr der letzten großen Rebellion, die untergegangen war, mit berücksichtigt und heranzieht, nämlich das Jahr 1968, damals in Prag?

Gab es eine innere Verknüpfung mit den Erfahrungen von 1968, und welche andere Erfahrung konnte Solidarnosc dazu beitragen und vielleicht, um gleich in unsere Probleme einzusteigen, was hatte damals Solidarnosc erwartet, z. B. von der deutschen Sozialdemokratie? Welche Erwartungen wurden erfüllt oder auch nicht erfüllt?

[Seite der Druckausgabe: 77]

Page Top

Janusz Reiter

Ich will zunächst mit einer Anmerkung beginnen: Ich glaube, es geht nicht um eine Gesamtbeurteilung der Entspannungspolitik. Ich glaube, die Zeit ist vorbei, da man diskutierte über Entspannungspolitik als Teufelserfindung oder Heilslehre für Europa.

Es gab solche Diskussionen in den 80er Jahren. Sie waren begründet durch die Emotionen, die damals herrschten. Das ist vorbei, wir haben alle Abstand dazu. Insbesondere was die Rolle der SPD anbetrifft, ist das wirklich für mich jetzt eine Frage der Vergangenheit, der Geschichte. Ich glaube, diese Frage ist für die SPD heute vielleicht wichtiger als für uns. Aber so verstehe ich auch den Sinn dieser Veranstaltung. Nun, wenn ich sage, daß es nicht um eine Gesamtbeurteilung der Entspannungspolitik gehen kann, dann aus folgendem Grunde. Ich glaube, sie war ein ganz gutes und schließlich erfolgreiches Konzept für die europäische Politik der 70er Jahre war.

Sie hat aber zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Grenzen erreicht. In Polen war das Anfang der 80er Jahre. Nach dieser Erfahrung, der Erfahrung der "Solidarität", konnte man nicht mehr weitermachen, als ob nichts geschehen wäre. Und mein Vorwurf, nicht nur meiner, war eben an diejenigen, die das versuchten, sie ignorierten die neue Realität. Die Entspannungspolitik hatte immer den Anspruch, eine Realpolitik zu sein. Die Realität hat sich aber verändert, und man mußte die neue Realität wahrnehmen. Das ist sozusagen meine Grundposition in dieser Frage. Ich sehe aber eine Ambivalenz in der Entspannungspolitik auch schon in der Anfangsphase.

Die Entspannungspolitik wollte ja die Länder des früheren Ostblocks beeinflußbar machen, das ist ihr auch weitgehend gelungen. Aber sie wollte die Länder auch stabilisieren. Durch die Öffnung der Länder des damaligen Ostblocks kamen auch ihre Widersprüche zu Tage. In den 70er Jahren konnte man das schon erkennen, in Polen noch mehr als in den anderen Ländern.

Das hat dann in Polen mit der Entstehung der "Solidarität" eine sehr drastische Form angenommen. Ich glaube, daß die Entspan

[Seite der Druckausgabe: 78]

nungspolitik den Menschen in den Ländern des damaligen Ostblocks in den 70er Jahren sehr viel gebracht hat.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern: Bis zum Jahr 1970 war Polen ein ziemlich geschlossenes Land. Der erste Deutsche, den ich traf, war einer in Danzig im Jahre 1971. Meine erste Auslandsreise führte nach Österreich im Jahre 1974. Das wäre ein paar Jahre zuvor noch unmöglich gewesen. Ich habe dann zwar Auflagen bekommen von dem Polizeioffizier, der mir den Paß gab, ich sollte die Augen offen halten und sollte ihm dann über alles berichten, was mir aufgefallen sei.

Mir ist nichts aufgefallen, und ich mußte auf die zweite Ausreise etwas länger warten. Aber immerhin, irgendwie funktionierte es meistens.

Die erste Gruppe von jungen Deutschen, der ich als Student begegnete, waren Studenten aus Deutschland auch im Jahre, ich glaube, 1974 oder 1975. All das wäre vorher unmöglich gewesen. Ich muß auch ehrlich sagen, für mich stand damals nicht die Frage zur Diskussion, ob wir dadurch den Kommunismus stürzen können oder nicht. Nicht nur für mich, weil ich vielleicht zu jung dafür war, auch für die meisten anderen stand das nicht zur Diskussion.

Wir alle sind dann, manche etwas früher, manche etwas später, politisch reif geworden, als es sich zeigte, daß das System, das sich noch Mitte der 70er Jahre so in seinem Glanz den Bürgern und der Außenwelt zeigen wollte, unfähig war, die Probleme zu lösen, und daß im Grunde genommen der Gesellschaftsvertrag gescheitert war, der darauf beruhte, daß man die Regierenden regieren ließ und sie die Leute leben ließen. Das ging dann einfach nicht mehr.

Die "Solidarität" war dann eine ganz andere, neue Erfahrung, und man hätte ihr Rechnung tragen sollen. Wie? Ich sage nur einen Satz:

Ich glaube, es ist legitim, einer Bürgerbewegung, einer Opposition, und die Solidarität hatte in den 80er Jahren den Anspruch, eine Opposition zu sein, nicht nur eine Bürgerbewegung, zu sagen: Wir können für euch nicht viel tun. Es gibt Grenzen des Machbaren, es sind Grenzen der Realpolitik, nennen wir das so. Aber, wir stehen auf eu-

[Seite der Druckausgabe: 79]

rer Seite, und daran wird es keinen Zweifel geben. Das Problem entstand dort, wo es Zweifel daran gab, auf welcher Seite die Partner im Westen standen.

Das war das eigentliche Problem. Nicht Überlegungen, ob man mit der Solidarität hätte reden sollen anstatt der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) oder anstatt mit Jaruzelski. Es ging alleine um die Frage des Grundsatzes, der eben nicht im Widerspruch stand zu der Realpolitik.

Und nun, ganz zum Schluß, ich will das nur andeuten, in der Einstellung zu Polen, speziell zu Polen, spielte noch etwas anderes eine Rolle, und zwar ein gewisses Vorurteil, die Polen seien unfähig zu Realpolitik. Vielleicht war Bismarck hier derjenige, der die Meinungen prägte, er sagte ja unter anderem, die Polen hätten eine lyrische Politik und eine politische Lyrik. Da erschienen sozusagen die Polen jetzt wieder als diejenigen, die von der Realpolitik in Europa nichts verstünden und die vielleicht alles zugrunde richten würden, was man ja so mühevoll aufgebaut hätte. Das hätte man doch verhindern müssen.

[Seite der Druckausgabe: 80]

Gert Weisskirchen: Ota Filip, gab es eine ähnliche, vergleichbare Kritik, wie sie jetzt eben von Janusz Reiter vorsichtig formuliert worden ist? Gab es etwas ähnliches bei Ihnen? Ich erinnere daran, daß Jan Patocka eigentlich eine vergleichbare Position wie Solidarnosc bezogen hat, indem er sprach von der Macht der Machtlosen und der Macht und der Solidarität der Unterdrückten. Gab es auch bei Vaclav Havel ähnliche Beobachtungen, wie sie Walesa machen mußte gegenüber einer streng etatistisch verstandenen Entspannungspolitik?

[Seite der Druckausgabe: 81]

Page Top

Ota Filip

Also, ich glaube, die Ähnlichkeiten sind nur äußere, denn für uns, die wir uns zur Sozialdemokratie bekennen oder bekannten, gab es die erste Enttäuschung in der Zeit des Prager Frühlings, und zwar in der Zeit, wo alte Sozialdemokraten - ich war nicht dabei, war damals noch zu jung - versucht haben, Gespräche zu führen mit den großen Reformkommunisten in Prag, mit Dubcek, mit Smrkowsky, mit all den Größen, die all das Positive damals verkörpert haben. Wir Sozialdemokraten wurden damals von den Reformern grausam abgeschmettert.

Es wurde uns verboten, jegliches Sozialdemokratisches überhaupt anzudeuten oder ein Programm zu entwickeln. Dabei war das Programm des Sozialismus mit menschlichem Antlitz, das ist ein Wort von Smrkowsky gewesen, eine herrliche Parole, Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Aber keiner wußte, was das ist. Aber, wenn wir dann darüber nachgedacht haben, was das sein könnte, kamen wir zu sehr in die Nähe der sozialdemokratischen Ideen, und die waren damals auch unseren Freunden, den Reformkommunisten, sehr gefährlich.

Das war schon die erste Enttäuschung, und mit der Enttäuschung gingen die Leute in den Untergrund. Und was die Ansichten im Untergrund angeht, die waren sehr vielschichtig. Es war nicht so, glaube ich, wie bei Solidarnosc. Die war eh getragen vom polnischen Katholizismus, und, wie Sie wissen, wir haben ein gebrochenes Verhältnis zur Religion überhaupt.

Obwohl ich katholisch bin, sage ich: Bei uns lebt noch die Häresie, und wir sind immer Zweifler, Zyniker geblieben. Wir glauben nicht an große Wahrheiten. Im Moment, wo jemand uns eine große Wahrheit verkündet, sind wir sofort sehr mißtrauisch und greifen diese sofort an.

Die Prager Opposition, von der hier so ein bisserl gesprochen worden ist, von Patocka, der eher diesen konservativen moralisch-christlichen Standpunkt einnahm, bis zu Uhl, der der Trotzkist war

[Seite der Druckausgabe: 82]

auf der linken Seite, also diese Opposition war sehr vielschichtig. Ich glaube, in dieser Opposition war überhaupt keine einheitliche Ansicht zu erkennen. Es war viel da beinhaltet. Aber das Schlimme war, und da möchte ich etwas über die Entspannungspolitik sagen: Natürlich, soweit wir im Westen lebten, gab es keine Alternative zur Entspannungspolitik. Die Entspannungspolitik hatte keine Alternative, aber es gab leider auch keine alternative Entspannungspolitik der SPD gegenüber den Dissidenten. Und wahrscheinlich war es dieses zu sehr deutlich gemachte, entspannungspolitische Motiv, daß man die Lage stabilisieren müßte.

Das führte wahrscheinlich, darüber kann ich ja nun etwas mehr sagen, Mitte der 80er Jahre innerhalb der geistigen Opposition in Prag zu einem mächtigen Rechtsruck. Und der wirkt sich bis heute aus. Wenn Sie sich heutzutage in Prag oder der tschechischen Republik zu einem Sozialismus bekennen oder zu einer Sozialdemokratie, da werden sie nicht so sehr akzeptiert. Auch unsere Sozialdemokratie, die es in Prag heute gibt, die schwingt von einer Wand zur anderen, hat kein klares Programm, versucht sich zu etablieren oder zu profilieren, indem sie immer gegen Havel ist, immer gegen die Regierung. Aber selbst weiß sie nicht ganz genau, was sie will. Also im Prinzip gab es keine Alternative zur Entspannungspolitik. Das wissen die Leute hier wie unsere Freunde in Prag, aber es gab auch keine alternative Entspannungspolitik der SPD gegenüber der geistigen Opposition im Osten.

Gert Weisskirchen: Markus (Meckel), war das eine Erfahrung, die in der damaligen DDR ebenso gemacht werden konnte? Gab es, eigentlich wäre das für uns sehr interessant zu wissen, gab es eigentlich innere Verknüpfungen zwischen den Erfahrungen der CSSR, Polens und der, ja, ich zögere, das Wort auszusprechen, mache es trotzdem, Oppositionsgruppen innerhalb der DDR?

[Seite der Druckausgabe: 83]

Page Top

Markus Meckel

Der Begriff "Opposition in der DDR" wird heute vielfach gebraucht, doch muß er genauer untersucht werden. So einheitlich, wie das klingt, war dies nun ganz gewiß nicht. Es waren sehr viele verschiedene Meinungen, Gruppierungen, jedenfalls mit Sicherheit keine geschlossene Größe. Das zum ersten.

Zum zweiten: Die 80er Jahre waren in der DDR geprägt durch fehlende bzw. sehr erschwerte Außenkontakte, insbesondere für die, die in dieser Weise politisch aktiv waren. Das gilt insbesondere für Polen. Nach dem Kriegsrecht war es grundsätzlich ausgeschlossen; nur mit konkreten Einladungen und entsprechender Zustimmung, die dann oft nicht erfolgte, war es überhaupt möglich, nach Polen zu fahren, so daß da sehr viele Kontakte nur sehr schwer aufzunehmen waren beziehungsweise die, die vorher in den 70er Jahren entstanden waren, rissen ab.

Das war ein wenig anders in der Tschechoslowakei. Doch konnten eine Reihe derer, die in den Gruppen aktiv waren, dann auch weder in die Tschechoslowakei noch nach Budapest etc. fahren So standen die Kontakte der Opposition in diese Länder nur auf einer sehr dünnen personellen Basis. Zwei will ich nennen, die, da sie Polnisch sprachen, die Kontakte auf Schleichwegen aufrechterhielten: Wolfgang Templin und Ludwig Mehlhorn.

Ein Freund von mir ist 1981 mit Material von Solidarnosc zurückgekommen und hat dann ein Jahr lang im Gefängnis gesessen. Das zeigt die Schwierigkeiten einer breiteren Kommunikation. Wir waren da etwas abgeschnitten. Ähnlich war es bei Kontakten zu anderen Ländern. Ich selber war in der zweiten Hälfte der 80er Jahre bzw. seit 1984 dann auch stärker in Budapest und in Rumänien und habe da versucht, Kontakte anzuknüpfen und zu halten. Das war ausgesprochen schwierig.

Das waren Einzelpunkte, aber im Endeffekt nichts, bei dem man wirklich von gemeinsamer Arbeit und Vernetzung der Arbeit sprechen konnte. Zu den Fragen der Entspannungs- und Ostpolitik will

[Seite der Druckausgabe: 84]

ich doch sehr, sehr klar sagen, daß wir, und da glaube ich wiederum für viele sprechen zu können, die Ost- und Entspannungspolitik ausgesprochen begrüßt haben. Sie war in unserem Interesse, wir unterstützten sie seit ihrem Beginn.

Sie war, wie man heute sagt, alternativlos. Das klingt im Westen etwas merkwürdig, da man sich hier durchaus in ständigen Alternativen herumzustreiten hatte. Diese Politik half uns und war für uns wichtig, sie geschah gewissermaßen für uns.

Willy Brandts Kniefall ist in der DDR sehr begrüßt worden. Wir waren der Überzeugung: Er kniet da auch für uns. Die 80er Jahre waren für uns dann doch ganz anders als die 70er Jahre. Die Nachrüstung, Gorbatschow, die Erfahrungen mit Solidarnosc - da hätten wir dann vom Westen eine andere Politik erwartet.

In bezug auf die Gespräche gestern möchte ich sagen: Daß es die Parteikontakte gab von selten der SPD, habe ich auch nicht für falsch gehalten. Ich könnte dies begründen, ob das die zur atomwaffenfreien Zone waren oder die zur Abschaffung der Chemiewaffen. Wir hielten sie abrüstungspolitisch für wichtig.

Ich habe das gestern auch betont in bezug auf das SPD/SED-Papier, obwohl man da vielleicht über manche Formulierung hätte streiten können, aber als Kommunikationsinstrument hielt ich auch das für wichtig. Dies war als Dokument etwas, das uns, wie ich denke, nicht geschadet, sondern eher genutzt hat, wenn ich den Nutzen in dieser zweiten Hälfte der 80er Jahre dann doch wieder relativ gering veranschlage. Alle diese Gespräche waren wichtig, es war eben nur die Frage, was man in diesen Kontakten gesagt hat und worüber nicht geredet wurde.

Hier fehlte uns dann doch allzuoft die Frage der Menschenrechte. Außerdem ist zu fragen, ob man nicht neben den Parteigesprächen verstärkt mit anderen hätte reden müssen. Es wird immer gesagt, und ich glaube mit einem gewissen Recht, daß es in der DDR schwierig war, die Oppositionellen zu finden. Die Grünen, die ja eine ganz andere Politik versucht haben, haben diese Schwierigkeiten unmittelbar erlebt, und Gert Weisskirchen wird davon auch einiges sagen können.

[Seite der Druckausgabe: 85]

Es war nicht so leicht, uns zu finden, wenn man das mal so sagen kann. Aber es war möglich. Das behaupte ich nun wirklich. Ich habe auch bei den Grünen damals immer kritisiert, daß es oftmals gewissermaßen Händeschüttelkontakte waren, d. h. es gab fünf Adressen, und ich könnte die Namen nennen, bei denen man in Ostberlin die Hände geschüttelt haben mußte, damit man im Westen bei den Grünen einen entsprechenden Nimbus hatte.

So etwas gab es. Und das war wiederum etwas für die Eitelkeit derer, deren Hände geschüttelt wurden, die nicht unbedingt diese Kontakte dann weiter vermittelten. D. h. also, wer in Berlin wohnte und zu diesen fünf Adressen gehörte, hatte dann die Kontakte, gab sie aber meist nicht weiter. So würde es mich wirklich mal interessieren, ob Ihr (Gert Weisskirchen u. a.) in Berlin von Euren Gesprächspartnern mal die Listen derer erhalten habt, die im Lande waren. Die Westkontakte waren nämlich auch ein interessantes Monopol, das einen wichtig machte. Da spielte sich allzu Menschliches auch in der Opposition der DDR ab.

Noch mal zur zweiten Phase der Ostpolitik. Ich glaube, was immer beschrieben wird, war mit Recht die Dominanz der Sicherheitspolitik, die auch wir grundsätzlich für dominant hielten. Auch wir waren der Meinung, die Friedensfrage steht oben an. Ich möchte nicht die Friedensfrage gegen die Freiheitsfrage ausgespielt wissen, und auch nicht umgedreht.

Aber in der Gesamtbreite der Politik der SPD war die Menschenrechts- und Demokratiefrage dann wiederum zu wenig oder oft kaum noch zu hören. Wer sie dann doch thematisierte, ohne zur Führung der SPD zu gehören, hatte es dann oft nicht so ganz leicht. Das Zweite ist, glaube ich, eine Unterschätzung dessen, was aus den Gesellschaften kam. Es war eine andere Zeit, die 80er Jahre. Man hatte nicht nur mit Staaten zu tun, sondern in diesen Gesellschaften entwickelte sich etwas, das offensichtlich nicht oder jedenfalls nicht genügend wahrgenommen worden ist. Von dort erwartete man keine Veränderungen des Systems.

[Seite der Druckausgabe: 86]

Egon Bahr hat ja gestern auch sehr deutlich gesagt: Wir wollten die Kommunisten verändern, denn es konnte nur von oben kommen. Wir dagegen waren der Meinung, oben soll sich zwar auch was ändern, und es ist gut, wenn auch die Kommunisten sich ändern, aber daß von dort die grundlegende Veränderung herkommt, daran hatten wir jedenfalls immer mehr Zweifel. Mehr Kontakte zu den oppositionellen Gruppen hätten auch bei der Konfusität, dies sage ich bewußt, der Opposition im Osten zu mehr Kompetenz beigetragen. Wir wollten ja nicht große Gelder, es ging uns nicht darum, daß man Millionen rüberschiebt, sondern es ging um Kontakte. Wie Janusz Reiter gesagt hat: Wir hofften auf Kontakte und klare Worte, die sagen: Ja, wir halten Eure Arbeit für wichtig, und wir stehen auf Eurer Seite. Schon allein das hätte die Dinge in ein anderes Licht gesetzt.

Letzter Punkt: Wir haben gestern gehört, daß der Wandel in der Konzeption "Wandel durch Annäherung" immer präsent war, zumindest bei den Hauptakteuren. Und bei diesem Zumindest möchte ich ansetzen. Ich weiß nicht, ob dies immer bei allen Juso-Beschlüssen auch in dieser Weise präsent war oder ob da nicht doch sehr stark gewisse Ideologien durchkamen. Immer wieder merkten wir das, ich denke z. B. an 1973, ich war damals Student, die Jugendfestspiele in Berlin auf dem Alexanderplatz. Damals war es für mich die Junge Union, die die besten Gesprächspartner waren. Ich erlebte Diskussionen, bei denen eine Frau aus der DDR sagte: "Was, Du bist aus dem Osten? Du müßtest längst ins Lager." Das war kein Parteimensch, sondern das war eine ganz normale Frau, die da rumlief. So dachte ich jedenfalls. Doch zurück zu den Jusos. Da war es in den Gesprächen oft so, daß man den Eindruck hatte, ein bestimmter Teil der Linken - ich will das nicht verallgemeinern -, ein bestimmter Teil glaubte, bestimmte Visionen, die sie selbst hatten, bei uns zu finden oder uns einreden zu sollen, daß, zumindest in den Grundlagen, bei uns Wirklichkeit wäre, was sie wollten. Es gäbe da gewiß noch ein paar Kindheitsfehler, die man so macht. Aber eigentlich wäre unser System von den Grundlagen her das bessere, denn Privateigentum usw. wäre abgeschafft, und wir müßten nur das Richtige draus ma

[Seite der Druckausgabe: 87]

chen. Aber wir müßten doch auch verstehen, daß die das nicht richtig machen.

Diese geistige Grundhaltung hatte dann 1989/1990 und danach interessante Folgen. Gerade die, die im Westen die grundlegende Reform wollten - manche in ähnlicher Richtung wie das, was wir in der DDR gehabt hatten (und loswerden wollten), nur ein bißchen demokratischer -, gerade die wurden, als sie die Veränderungen spürten, als sie schon fast nicht mehr bestand, zu Patrioten der alten Bundesrepublik und hatten große Schwierigkeiten, sich auf die neue Situation einzustellen.

Gert Weisskirchen: Karsten (Voigt), wie kann es kommen, daß eine Partei wie die SPD, die als Bewegung entstand, als eine Bewegung der Empörung gegen Unterdrückung, dieses Wahrnehmungsvermögen nicht präzise genug entwickelt, wenn im Osten Europas oder in Mittelosteuropa sich solche Empörungsbewegungen zu formieren beginnen, daß die Partei es nicht richtig vermocht hat, diesen gegenüber mit einem ähnlichen Impuls zu antworten?

[Seite der Druckausgabe: 88]





[Seite der Druckausgabe: 89]

Page Top

Karsten Voigt

Ich teile Deine Analyse nicht. Es hat diese Wahrnehmung gegeben, die Frage ist, welche Konsequenzen man zieht. Und Du hast ja auf die 68er Bewegung angespielt. Sie hat zwei Komponenten, nicht nur eine. Du hast angespielt auf die Erfahrung der antiautoritären Bewegung von unten gegen die Bürokratien und die daraus sich ergebende Solidarität mit solchen demokratischen Prozessen Osteuropas. Das ist richtig.

Aber ich habe auch eine zweite Erfahrung gemacht, 1968. Nämlich, daß ich demonstrieren mußte mit roten Fahnen gegen die sowjetische Militäradministration in Frankfurt, mit dem Symbol der roten Fahne und für das Prinzip des demokratischen Sozialismus, und die sowjetische Militäradministration wurde durch sowjetische Soldaten, die es dort gab, geschützt, die durch amerikanische GI's und die durch deutsche Polizisten, gegen uns, die mit roten Fahnen demonstrierten. Diese Realität, daß die Rahmenbedingung für die Möglichkeit der Entfaltung der Freiheit in Osteuropa nicht nur durch den Willen der beteiligten Bevölkerung entschieden wird, sondern durch sowjetische Macht und damit durch die Entwicklung innerhalb der Sowjetunion und durch ihre Außenpolitik, ist für mich auch prägend gewesen. Und sie galt bis 1989, und nicht nur, wie hier behauptet wurde, bis Anfang der 80er Jahre. Deshalb halte ich es für falsch, davon auszugehen, daß sozusagen die Entwicklung in Osteuropa, besonders die in der DDR, der gewaltfreie Wandel, etwa möglich war, weil dort Basisbewegungen waren. Die hat es seit dem Kriege immer gegeben. 50 Prozent meiner Klassenkameraden waren Flüchtlinge aus der DDR, nach 1953. Das Neue war 1989 vielmehr, daß die sowjetischen Truppen nicht eingegriffen haben in der DDR, die in dieser Frage verletzlicher war als Polen, obwohl sowas 1981 auch kommen konnte. Und deshalb war die Frage, wie man die sowjetische Verhaltensweise beeinflußt in der Außenpolitik gegenüber der DDR und ob man mit sowjetischen Reformern redet, schon relevant. Soweit es richtig ist, daß 1989 in Polen, in der CSSR, in gewissen Teilen der DDR, überwiegend die

[Seite der Druckausgabe: 90]

Leute die Macht übernommen haben, die zur kritischen Intelligenz außerhalb des Systems gehörten, war es richtig, auch richtig, ist es richtig, daß sie sich nur entfalten konnten, weil in der Sowjetunion kritische Leute innerhalb des Systems seit einer Reihe von Jahren die Macht übernommen hatten.

Die Kontakte, die man damals hatte mit Daschitschew, der in unseren Gesprächen eine Rolle spielte, Bogomola, Karaganow, Bogomolow, dem jungen Arbatow, Baranowski, Kokoschin, Kosyrev waren Ausdruck dafür, daß es kritische Intelligenz nicht nur gegen das System gab, sondern auch innerhalb der kommunistischen Parteien, was hier gestern und in Andeutungen auch heute bestritten wird. Ich weise nur darauf hin, um das noch zuzuspitzen, daß der begeistert von der DDR-kritischen Intelligenz gefeierte Gorbatschow, auf den man sich berief und der in der Bundesrepublik heute noch gefeiert wird, ein Wahlfälscher war. Jelzin übrigens auch.

Gyula Horn, der die Grenze geöffnet hat zwischen Österreich und Ungarn - ich war derjenige, der das zum Erschrecken der einen oder der anderen damals angekündigt hat. Ich habe damals gesagt, daß alle Deutschen raus könnten, sogar unter Mitnahme der Sachen -, dieser Gyula Horn war der internationale Sekretär der damaligen Ungarischen Vereinigten Sozialistischen Arbeiterpartei, wie er hieß, ein Altkommunist, lange Zeit später hier gefeiert mit dem Karlspreis nach der Wende und anderen Preisen wegen seines Einsatzes für die Reform und für die Freiheit.

Dann will ich noch als Gegenakzent dazu sagen, daß auch die Realität heute in Osteuropa nur in einem Teil der Staaten diejenige ist, daß die kritische Intelligenz das Bild prägt. In einem Teil der anderen Staaten sind wir immer noch in der Übergangsphase, wo noch nicht mal die damaligen Reformkommunisten die Macht übernommen haben, etwa in Rumänien. In einem Teil, wo ich hoffe, daß es wenigstens Reformkommunisten sind, wie in Rußland, bin dort nicht mal sicher, ob das so ist, und ob Jelzin jemals zu ihnen gehörte, habe ich auch meine Zweifel. In einem Teil der anderen Staaten gewinnen die ehemaligen Kräfte, die übrigens in der Verwaltung, wie in Polen ja

[Seite der Druckausgabe: 91]

auch, weil man gar keine andere hat, heute noch eine Rolle spielen, wieder an Einfluß. Der Wandlungsprozeß ist ja noch nicht definiert. Und deshalb wollte ich noch als Kontrapunkt dazu sagen, daß die Vorstellung, die wir damals hatten, daß, weil der Übergangsprozeß ein langfristiger sein würde, daß deshalb die möglichen Kräfte der Reformen in der Innen- und der Außenpolitik die geeigneten Kontaktpartner seien, nicht von vornherein dadurch widerlegt ist, für Osteuropa insgesamt, daß in einer Reihe dieser Staaten aufgrund der Veränderung in der Sowjetunion der Übergangsprozeß selber sich 1989 nicht mehr reformerisch, sondern revolutionär vollzogen hat.

Die Beeinflussung der außenpolitischen Rahmenbedingungen, ich spreche jetzt mal Klartext, ist das Wesentliche. In der Außenpolitik ist es an sich eher ungewöhnlich, daß man zur kritischen Intelligenz des eigenen Landes Kontakt hat, erst recht zu der von anderen Ländern, sondern in der Außenpolitik ist die primäre Aufgabe, daß man mit denen Kontakt hat, die die Außen- und Sicherheitspolitik dieser Länder heute beeinflussen oder auf die absehbare Zukunft beeinflussen werden, also mit Generälen, wissenschaftlichen Instituten, Außen- und Sicherheitspolitikern jeder Prägung. Das hat übrigens die Bundesregierung, auch die der CDU, nicht anders gemacht.

Es war insofern eher neu, daß wir Anfang der 80er Jahre, übrigens nach kontroversen Diskussionen in der SPD, über das Auftreten von Helmut Schmidt, nach Güstrow 1981, da gab es kontroverse Diskussionen in der SPD und auch in der SPD-Fraktion, daß man überlegte, ob und wie man darüber hinaus Kontakte zu den alternativen Eliten, von denen wir nicht annahmen, daß sie so schnell die Regierung übernehmen würden - sie selber übrigens auch nicht -, daß wir dort zusätzliche Kontaktnetze aufbauten.

Und das ist zum Teil geschehen, indem Leute wie Egon (Bahr), aber auch andere, auch ich, hier in der Bundesrepublik mit den Leuten, die sich hier aufhielten, vor allem den Kontakt hatten. Ich hatte z. B. die damals nicht immer wahrgenommene Aufgabe, bestimmte Leute in der CSSR auch mit Geld zu finanzieren, was man auch nicht vernünftigerweise an die große Glocke hängte, bei der Zeitschrift

[Seite der Druckausgabe: 92]

"Listy" und anderen, und daß man in anderen Bereichen arbeitsteilig vorgegangen ist. Zum anderen war ich - das sage ich nebenbei - Chef des Kuratoriums dieser Initiative für "Frieden, Abrüstung und internationalen Ausgleich" (IFIAS), mit der Gert Weisskirchen u. a. drüben rübergefahren ist, und daß er rüberfahren konnte, ist seinem eigenen Engagement, aber letzten Endes auch den Unterschriften von anderen Leuten zu verdanken, die dafür waren, daß er reiste. Das ist auch arbeitsteilig gelaufen.

Und man muß diesen letzten Hinweis Markus Meckel sagen, ihn ergänzen und korrigieren: Ich war 1973 auf dem Alexanderplatz, übrigens ein geglücktes Beispiel für in diesem Sinne Menschenrechtsengagement, denn die Vorbedingung der Teilnahme bei den Weltjugendfestspielen war, daß wir auf dem Alexanderplatz und woanders in Ostberlin während der Tage Broschüren der Jusos verteilen durften. Ich habe dort diskutiert, zum Teil haben Leute wie Du dort auch diskutiert, andere Leute, auch Stasi-Leute, haben auch diskutiert und die Broschüren wieder eingesammelt. Das war die Realität, aber es ging ums Prinzip und daß wir damals durchgesetzt haben, daß Dutschke Biermann besuchen durfte, und daß wir damals immer einen hatten, bevor die entsprechenden Abkommen richtig geschlossen waren, der die Berliner Grenze täglich überschreiten konnte.

Es war also ein Ausdruck, sogar diese Weltjugendspiele, wie man pokert und etwas aushandelt. Aber die spätere Friedensbewegung in Deutschland hat natürlich zum Teil mit Gert Weisskirchen und den Grünen diese Verhandlungen mit der SED kritisiert, wegen der Menschenrechtsfrage. Meine Erfahrung ist aber übrigens aus der Friedensbewegung in Westdeutschland gewesen, daß das nicht die Hauptkritik war. Die Hauptkritik war, daß wir mit der DDR und den Polen verhandelten über Abrüstung, chemische Waffen, Nuklearwaffen und konventionelle Waffen, und Verhandlungslösungen in klassischer Form der Entspannungspolitik zu machen versuchten.

Und Teile der SPD, aber auch die Grünen und erst recht der DKP-Flügel in der Friedensbewegung waren der Meinung, man dürfte nicht verhandeln, weil man einseitig abrüsten sollte. Diese Kritik spielt

[Seite der Druckausgabe: 93]

heute keine Rolle mehr. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß das einer der zentralen Konfliktpunkte war bei der Koordinierungsgruppe der Friedensbewegung und daß man mit den Grünen sozusagen Bündnisse machte in der Menschenrechtsfrage, aber Grüne und DKP-Gruppen gemeinsam gegen SPD-Gruppen, unterstützt übrigens von einem Teil der SPD-Gruppen, gegen Verhandlungslösungen waren.

Das wollte ich ein bißchen herausstellen, damit man das nicht nur aus der heutigen Sicht beurteilt.

[Seite der Druckausgabe: 94]






© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

Previous Page TOC Next Page