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[Seite der Druckausgabe: 49]

Klaus-Henning Rosen
Menschenrechte konkret: Hilfe der Sozialdemokratie für verfolgte Bürger


Für das Zustandekommen der heutigen Veranstaltung möchte ich der Friedrich-Ebert-Stiftung danken. Ich hatte im Mai vergangenen Jahres der SPD-Fraktion den Vorschlag gemacht, daß wir uns auch dort selbstkritisch mit der Schlußphase unserer Ostpolitik befassen. Es ist die Periode, die mit dem Ende der sozialdemokratischen Kanzlerschaft, 1982, beginnt und mit dem Auseinanderfallen des Ostblocks, etwa 1989 also, geendet hat. Anlaß für meine Empfehlung war der persönliche Ärger über die - auch in den eigenen Reihen - sich verstärkende Diskussion, die SPD habe mit den kommunistischen Parteien des früheren Ostblocks gemeinsame Sache gemacht. Der Streit etwa um den Versuch der Grundwertekommission, gemeinsam mit der SED einen Dialog über Trennendes und Gemeinsames in unserem damals noch geteilten Volk zu führen, das Thema also, das Thomas Meyer und Stephan Hilsberg anschließend beleuchten werden, gab den unmittelbaren Anstoß dazu. Ich meinte mich nämlich aus meiner Arbeit für die Bundestagsfraktion daran zu erinnern, daß die SPD zumindest im Bereich der Menschenrechte Erfolge, selbst wenn bescheiden, vorzuweisen hatte, die der Widerlegung vorschneller Legendenbildung dienen konnten. Aus meiner Zusammenarbeit mit Staaten des Ostblocks und den sie beherrschenden kommunistischen Parteien hatte ich nicht den Eindruck mitgenommen, ich sei damals angetreten, Systeme zu stabilisieren, als ich im Auftrag der SPD versuchte, für Menschen Erleichterungen zu erreichen.

Mir ist nicht bekannt, wie diese Kontakte auf der anderen Seite bewertet worden sind. Aus den Akten der SPD-Bundestagsfraktion, die ich vor dieser Veranstaltung noch einmal eingesehen habe, ergibt sich jedenfalls nichts, was den Vorwurf tragen könnte, man habe sich zum Diener der Diktatoren machen lassen. Man mag sagen, um eine Formulierung von Garton Ash aufzugreifen, die Begegnungen hätten

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im Rahmen "sozialdemokratischer Schattenpolitik" stattgefunden. Den Vorwurf verstehe ich gleichwohl nicht. Es ist grundsätzlich nicht unüblich, daß eine Partei bzw. Fraktion sich auf dem Feld der Außenpolitik betätigt. Daß dies nicht stets am offenen Markt geschieht, scheint mir auch selbstverständlich. Dies gilt insbesondere für Aktivitäten auf dem Feld der Menschenrechte, die, wenn es um Einzelfälle geht, vertraulich gehandhabt werden sollen. Im übrigen haben wir damals nicht gegen, sondern mit der Bundesregierung gearbeitet. Wenn wir seinerzeit Erfolge vorweisen konnten, so lag dies auch daran, daß die Bundesregierung auf diesem Feld, aus Gründen, die ich nicht zu vertiefen habe, erfolglos war.

Ich hoffe irgendwann in Moskau Gelegenheit zu haben, Gesprächspartner von damals zu treffen, weil mich - nicht erst aus Anlaß dieser Veranstaltung - interessiert, wie die sowjetische Seite seinerzeit die Gespräche bewertete. Ich habe für die Fraktion einen kleinen Arbeitsbericht über meine damalige Arbeit geschrieben, auf den ich verweisen darf. Deshalb glaube ich, mich hier auf wenige Anmerkungen beschränken zu sollen.

Zunächst zu den Gründen für die Intensivierung meiner Gespräche mit dem Ostblock. Die SPD-Fraktion hatte bereits seit Ende der 8. Legislaturperiode, also seit Ende der 70er Jahre, eine Arbeitseinheit, die sich mit Flüchtlingsfragen und Menschenrechten befaßte. Im Zuge des Helsinkiprozesses war den Menschenrechten schrittweise eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit - national wie international - zugewachsen. Vor dem Hintergrund anhaltender Menschenrechtsverletzungen in den Staaten des Ostblocks hatten sich Gruppen gebildet, die verstärkt den Kontakt zu politischen Parteien suchten und unter Berufung auf die KSZE-Schlußakte die Einhaltung der Menschenrechte einforderten.

In der öffentlichen Diskussion bestand - im Ergebnis war das sicher nicht schädlich - der vorherrschende Eindruck, die Konferenz von Helsinki 1975 sei eine Menschenrechtsveranstaltung gewesen. Genau genommen handelte es sich aber um den Versuch, bei Anerkennung des grundsätzlichen Unterschiedes der fortbestehenden Sy

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steme Bereiche übereinstimmender politischer Ziele zu definieren; solche Übereinstimmung wurde für Verteidigung, Wirtschaft, Kultur und die Zusammenarbeit im humanitären Bereich erstrebt. Letztere hat im viel zitierten Korb III ihren Niederschlag gefunden. Dort geht es um den Austausch von Meinungen, die Begegnung von Menschen und die gegenseitige Information. Ziel war es, wie es in der Präambel zum Korb I heißt, das Zusammenleben der Völker "in echtem und dauerhaftem Frieden, frei von jeglicher Bedrohung oder Beeinträchtigung ihrer Sicherheit" zu ermöglichen. Richtig ist allerdings, daß als siebtes der zehn Prinzipien zum Korb I als vertrauensbildende Maßnahme die "Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit", festgelegt worden war.

Für die SPD stellte sich die Notwendigkeit, auf den veränderten Stellenwert der Menschenrechte in der gesellschaftlichen Diskussion angemessen zu reagieren. Daraus folgte 1983 der Versuch des Vorsitzenden des Arbeitskreises I der Fraktion, Horst Ehmke, die Men-schenrechtsarbeit der SPD neu zu strukturieren. Neben die parlamentarische Arbeitsgruppe sollte eine sog. Koordinierungsgruppe unter Einbeziehung des Parteivorstandes treten. Als ihre Aufgabe wurde festgelegt,

  • Grundsatzpositionen, bezogen auf einzelne Länder, zu erarbeiten,
  • die Zusammenarbeit mit sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien, im internationalen und supranationalen Bereich sowie mit nationalen Menschenrechtsorganisationen zu fördern,
  • Menschenrechtseinzelfälle systematisch zu registrieren und aufzubereiten.

Die verstärkte Zusammenarbeit in Menschenrechtsfragen mit Staaten des Ostblocks stand also nicht im Vordergrund. Sie war nicht neu: Aus den dargestellten Gründen kam ihr jedoch ein besonderer Stellenwert zu.

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Die Organisationsfragen, etwa die Suche nach einem Vorsitzenden der Koordinierungsgruppe - es wurde Hans-Ulrich Klose -, standen lange Zeit im Vordergrund, ehe die praktische Arbeit begann. [Zur Unterstützung der Gruppe stellte Willy Brandt sein damals von mir geleitetes Alt-Bundeskanzler-Büro als ständiges Sekretariat zur Verfügung.] Den Schwerpunkt der Arbeit sollte die Behandlung von Menschenrechtsfällen aus der Sowjetunion bilden.

Zu einem ersten Kontakt mit der Botschaft der Sowjetunion in Bonn kam es auf der Grundlage der neuen Aufgabenstellung ausweislich der Akten im Juli 1984. Es wurde damals aus den vorliegenden Unterlagen eine Reihe von Haftfällen vorgetragen; mit deren Übergabe war die Bitte verbunden, in eine kontinuierliche Arbeitsbeziehung zu treten. Erwartungsgemäß nahm der sowjetische Diplomat die Liste entgegen, ohne sich im einzelnen hierzu zu äußern oder auf die vorgetragene Bitte zu reagieren. Immerhin übermittelte er bei einem der folgenden Gespräche die grundsätzliche Bereitschaft seiner Regierung, mit der SPD über solche humanitären Vorgänge kontinuierlich zu reden. Eine Zusage, den vorgetragenen Petita
- Haftentlassung, Ausreise - zu entsprechen, war damit nicht verbunden. Der wiederholte Vortrag identischer Fälle zeigt, daß die Erfolgsquote anfänglich eher bei Null lag.

Eines der grundsätzlichen Probleme war - ungeachtet der Bereitschaft zur Diskussion mit uns - der Einwand, unser Ansinnen stelle eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion dar. Es gibt in der Tat ein solches völkerrechtlich verbrieftes Verbot, sich mit dem Umgang von Regierungen mit ihren Staatsbürgern zu beschäftigen, das auch im sechsten Prinzip des Korbs I der Helsinki-Schlußakte ausdrücklich noch einmal festgeschrieben worden ist. Der Eindruck wäre aber falsch, das Abkommen von Helsinki habe deshalb auf dem Gebiet der Menschenrechte keine Wirkung entfalten können. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß die KSZE-Schlußerklärung ein politisches Dokument ist, das keine Staatenverpflichtungen zu begründen vermag. Dies geschieht aber auf einem Umweg, denn in der Schlußakte wird ausdrücklich auf ander

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weitige völkerrechtliche Verpflichtungen der Signatarstaaten insoweit abgehoben, als ihnen die innere Souveränität nur im Rahmen "ihrer rechtlichen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht" garantiert wird. Eine solche rechtliche Verpflichtung, so unsere Argumentation, sei die Sowjetunion eingegangen, als sie - bezeichnenderweise vor vielen westlichen Staaten - die Menschenrechtspakte von 1966 über bürgerliche und politische bzw. über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert hatte. Inwieweit dies angesichts der sowjetischen Bürgerrechtsbewegung taktisch begründet war, mag dahinstehen. Letztlich erwies sich dies aber als Hebel, die Menschenrechte von der Sowjetunion einzufordern.

Gleichwohl versuchte es die sowjetische Seite auch uns gegenüber zunächst mit dem Argument, wir mischten uns in ihre inneren Angelegenheiten ein. Das mochte Frucht überkommenen Denkens sein, zeigt aber, daß nicht unbedingt die Bereitschaft bestand, die Verpflichtungen aus der sowjetischen Zusage von Helsinki bzw. aus dem Völkerrecht einzulösen.

Wie sehr dieser Einwand die Gespräche belastete, macht ein dem Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel Anfang März 1985 vorgelegter Sprechzettel deutlich. Darin wurde ihm empfohlen, das Thema Menschenrechte gegenüber den sowjetischen Gesprächspartnern offensiv zu vertreten und zu betonen, daß ihre Regierung sich durch den Beitritt zu völkerrechtlichen Abkommen "eingelassen" habe - ausdrücklich wird nicht die Berufung auf die KSZE-Schlußakte empfohlen.

Zunächst brachte der von der SPD initiierte Menschenrechtsdialog keine meßbaren Ergebnisse. Es scheint, als sei erst im Mai 1985 bei der Begegnung Willy Brandts mit dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow, der entscheidende Durchbruch gelungen. Gorbatschow erklärte sich ausdrücklich bereit, eine Petition mit insgesamt 427 Fällen entgegenzunehmen, und beauftragte einen seiner Mitarbeiter, mit einem Mitglied der SPD-Delegation über diese Fälle zu sprechen.

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Gleichwohl dauerte es dann noch etwa ein Jahr, ehe meßbare Ergebnisse vorlagen. Sie bezogen sich allerdings in erster Linie auf die Ausreisewünsche Deutschstämmiger, zu einem geringeren Teil auch auf die Ausreiseanträge von Sowjetbürgern jüdischer Nationalität. Bis zum Mai 1986, also ein Jahr nach Willy Brandts Besuch, wurden 109 Fälle beschieden. Die Arbeitsgruppe hatte in dieser Zeit, zum Teil selbst, zum Teil durch Willy Brandt, Johannes Rau und Oskar Lafontaine, ca. 600 Fälle vorgetragen.

Ausweichend reagierte die sowjetische Führung auf Petitionen für Dissidenten. Zum Teil wurde erklärt, die Fälle seien nicht bekannt; bei anderen hieß es - nachweislich unzutreffend -, die Betroffenen seien entlassen. Eindrucksvoll ist diese Taktik in einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9. April 1987 dokumentiert, der sich mit dem Fall des baschkirischen Dichters und Bürgerrechtlers (Nizamedtin) Achmetow befaßt. Achmetow, etwa 40 Jahre alt, war nahezu 20 Jahre in Haft. Im November 1986 war mir erklärt worden, er werde bald freigelassen, nachdem zuvor die Existenz eines Haftfalles Achmetow bestritten worden war. Achmetow befinde sich, hieß es, wegen einer schweren Erkrankung in einem Zivilkrankenhaus in Alma Ata und nicht mehr in der uns benannten Gefängnispsychiatrie Talgar. Anfang 1987 erreichte eine in Talgar abgestempelte, mit dem Absender Gefängnispsychiatrie versehene Postkarte Freunde im Westen. Auf erneute Frage des Brandt-Büros wurde unter dem 20. Februar 1987 mitgeteilt, Achmetow sei frei. Unter dem Datum l. März 1987 kam hingegen ein in den Westen geschmuggelter Kassiber an, in dem Achmetow von Pressionen seitens des Staatsanwalts berichtet, er solle auf sein Ausreisegesuch verzichten.

Ungeachtet solcher Desinformationen entwickelte sich die Arbeit der AG Menschenrechte im Jahre 1987 überaus positiv. Inzwischen hatte der Ministerrat mit Wirkung vom l. Januar 1987 die Verordnung über Ein- und Ausreisen deutlich liberalisiert. Experten werteten dies als Resultat der KSZE-Folgekonferenzen von Madrid, Belgrad und Wien. Es wurde auch die Vermutung geäußert, daß die Sowjetunion auf diese Weise die KSZE-Menschenrechtskonferenz

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1989, um die sie sich in Konkurrenz zu den Franzosen bewarb, nach Moskau holen wollte.

Die Liberalisierung wirkte sich vor allem bei den Ausreisen Volksdeutscher aus. Die Zahl hatte 1984 bei knapp 1.000 gelegen und war 1985 mit nur 460 auf den absoluten Tiefpunkt gesunken. Während 1986 immerhin 753 Menschen ausreisen konnten, waren es 1987 fast 15.000. Dies war ein absoluter Rekord, auch 1976, also nach dem Vertrag mit der Sowjetunion, wurde lediglich 9.600 Deutschen die Ausreise gestattet. Die Arbeitsgruppe arbeitete in dieser Zeit eng mit dem Deutschen Roten Kreuz zusammen, das die Fälle mit eigenen Unterlagen abglich und unsere Listen ergänzte. Das DRK lobte uns, weil die SPD es als einzige Partei geschafft habe, den Kanal nach Osten in der kritischen Phase in der Mitte der 80er Jahre offenzuhalten. Ende November 1987 berichtete die Prawda erstmals darüber, daß mit einem Vertreter der SPD Gespräche über humanitäre Fragen geführt wurden.

1987 kam es im Zuge von Glasnost zu zwei Amnestien, in deren Verlauf - so die uns gemachte Mitteilung - 141 Gefangene freigelassen wurden. Mit dieser Liberalisierung entfiel zunehmend die Notwendigkeit, daß die Arbeitsgruppe Menschenrechtsfälle vortrug.

Die Gespräche über Einzelfälle wurden damit beendet. Später nutzte die sowjetische Seite den Kontakt zur SPD noch einmal, um mit afghanischen Mujaheddin über die Freilassung von Kriegsgefangenen zu verhandeln; diese sich über zwei Jahre hinziehenden Gespräche waren zunächst aussichtsreich, aber am Ende aufgrund von Indiskretionen ohne Ergebnis.

Zusammenfassend läßt sich über die vierjährige Gesprächsphase, wegen deren Einzelergebnissen noch einmal auf den Fraktionsbericht verwiesen wird, sagen, daß sie erfolgreich war und in bescheidenem Maße zur Entspannung beigetragen hat. Es geht dabei weniger um die zählbaren Erfolge. Wichtig ist aus der Rückschau, daß nach anfänglicher Verweigerung eine offene Diskussionsform zustande gekommen ist. Dies war zumindest der Eindruck von unserer Seite.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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