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[SOZIAL- UND ZEITGESCHICHTE]
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III. Aus dem Schatten der Vergangenheit: Von der Rehabilitierung des National-Konservatismus zur Formierung der „Neuen Rechten"

Daß die Interpretation der Geschichte aufs engste mit aktual-politischen Wertungen verbunden ist, gilt auch und gerade für jene Autoren, die sich so vehement für eine wertfreie bzw. objektive Wissenschaft ins Zeug legen. So geht es ja, wie gezeigt, in den meisten der hier näher betrachteten historischen Arbeiten nicht um die Präsentation neuer Quellen oder neuer Fakten, sondern um die Neuinterpretation bereits bekannter Tatsachen und Zusammenhänge. Der Gestus des allein der historischen Wahrheit verpflichteten Wissenschaftlers und die Ablehnung „volkspädagogischer" Tendenzen der Geschichtsschreibung richtet sich - bei genauerem Zusehen wurde das deutlich - nicht grundsätzlich gegen den Anspruch, „Lehren" der Geschichte zu formulieren, sondern gegen den Inhalt der bisher vielfach gezogenen Lehren.

Mit der „Historisierung" des Nationalsozialismus sollen bestimmte Strömungen der politischen Kultur, wie sie sich in der alten Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er, beschleunigt in den 1970er Jahren herausgebildet und auch in den 1980er Jahre noch fortentwickelt haben, zurückgedrängt werden. Ins Visier geraten weit verbreitete Geschichtsbilder, in denen sich die Ablehnung von Nationalstolz mit rassistischem Einschlag, von Militarismus und Großmachtpolitik eben als Lehre der deutschen Vergangenheit durchgesetzt hatte; all diese „Werte" schienen dauerhaft durch die Erfahrung des Nationalsozialismus diskreditiert zu sein. Um also den Weg zur Wiedergewinnung einer lang vermißten innen- und außenpolitischen Handlungsfreiheit unter Einschluß aller Optionen bis hin zur Kriegführung freizumachen, wird für einen „unbelasteten" oder „unverkrampften" Umgang mit der deutschen Geschichte und damit für eine Neuinterpretation der nationalsozialistischen Zeit plädiert. „Historisierung" meint eben nicht (nur) das legitime und als solches zu begrüßende Bemühen, den Nationalsozialismus in die größeren Zusammenhänge der deutschen und europäischen bzw. internationalen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts einzubetten; sondern damit verbunden sind erkennbare Verharmlosungen, etwa im Rahmen modernisierungstheoretisch angeleiteter Bilanzierungen, sowie Ausgliederungen des Nationalsozialismus aus deutschen Kontinuitätslinien, z.B. durch die Bezeichnung von deutschen Verbrechen als „asiatische Taten". „Historisierung" des Nationalsozialismus wird somit zur Voraussetzung für die „Normalisierung" des Geschichtsbildes.

Das wurde schon deutlich in dem von Backes, Jesse und Zitelmann herausgegebenen Sammelband über „Die Schatten der Vergangenheit", der „Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus" zu geben versuchte und sich gegen die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus „in Form einer ritualisierten ‘Bewältigungsstrategie’„ wandte. In der Einleitung wurde versprochen, keiner der Autoren des Bandes habe „die Absicht, sich am Streit um die Erringung ‘kultureller Hegemonie’ zu beteiligen, wie von Exponenten der ‘Rechten’ und ‘Linken’ praktiziert." [U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 11.] Wurden in einzelnen Beiträgen auch Grundthemen einer solchen „Hegemonie-Debatte" angerissen, wenn es etwa um die Aktualität der Begriffe des Antifaschismus [Herbert Ammon , Antifaschismus im Wandel? Historisch-kritische Anmerkungen zur Aktualität eines Begriffs, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 568-594; Wolfgang Kowalsky , Die Vergangenheit als Crux der Linken. Zur Auseinandersetzung um „antifaschistische" Strategien und die „nationale Frage", in: S. 595-613. Vgl. auch Hans-Helmuth Knütter , Die Faschismus-Keule. Das letzte Aufgebot der deutschen Linken, Ullstein, Frankfurt/Main u. Berlin 1993.] und des Anti-Antisemitismus [Eckhard Jesse , Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemistismus. Vergangenheitsbewältigung und Tabus, in: U. Backes u.a. (Hrsg.), Die Schatten, S. 543-567; Michael Wolffsohn , Das Bild als Gefahren- und Informationsquelle. Von der"Judensau" über den „Nathan" zum „Stürmer" und zu Nachmann, in: ebd., S. 522-542.] ging, so war die Ausrichtung des Bandes doch trotz aller politischen Implikationen des Zugriffs weitestgehend geschichtswissenschaftlich geprägt.

Doch inzwischen präsentieren sich mit zunehmender Deutlichkeit die politischen Konsequenzen der Bemühungen um die Etablierung eines neuen Geschichtsbildes. Bekenntnis zum Nationalstaat, Plädoyer für positive Staatseinstellung und Nationalgefühl, Kritik an der „Verzwergung" Deutschlands - das sind die Versatzstücke einer z.B. von Karlheinz Weißmann nachdrücklich angemahnten „grundlegenden intellektuellen und moralischen Erneuerung", die zugleich die Voraussetzung dafür sei, dann „auch zu den Gruppierungen und Personen [zu] kommen, die praktisch agieren können. Nur auf diesem Wege kann" - so sein Fazit - „die notwendige, gleichwohl bisher versäumte Um- und Neugründung des deutschen Staates erfolgen." [K. Weißmann , Rückruf, S. 191; zu den einzelnen Forderungen bzw. Kritikpunkten siehe S. 135, S. 159f. und S. 175.]

Aufwertung der nationalstaatlichen Kontinuität und Abwertung der „alten" Bundesrepublik gehen also Hand in Hand. Daß dabei auch und gerade um „belastete" Begriffe gestritten wird, daß diese rehabilitiert werden sollen, ist nicht erstaunlich.

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Da ist z.B. der Begriff des „National-Konservatismus". Auch in dem in diesem Zusammenhang zu betrachtenden Band über „Die Männer des 20. Juli" [Klemens von Klemperer/Enrico Syring/Rainer Zitelmann (Hrsg.), „Für Deutschland".Die Männer des 20. Juli 1944.] geht es nicht primär um die Präsentation neuer Quellen und/oder Tatsachen, sondern ausdrücklich um „politische Wertungen". Den vor 1989 publizierten Forschungen wird vorgehalten, ihnen habe „generell alles ‘Konservative’ und ‘Nationale’ als verdächtig" gegolten. So sei „der ‘reaktionäre’ Charakter des ‘nationalkonservativen’ Widerstandes dezidierter Kritik unterworfen" worden. Zwar sei diese Kritik zum Teil „durchaus nachvollziehbar, denn in der Tat speiste sich der Widerstand der alten Eliten auch aus der Ablehnung jenes Modernisierungsprozesses, den die Nationalsozialisten in Gang setzten. Andererseits" hätten sich „in dieser Kritik auch politische Werthaltungen" gezeigt, „die für die bundesrepublikanische Situation vor 1989 spezifisch" gewesen seien: „Von vielen Historikern wurde der deutsche Nationalstaat als geschichtlicher Irrweg betrachtet. Demnach galt, anders als in anderen westeuropäischen Ländern, alles ‘Nationale’ per definitionem als ‘reaktionär’. Diese politischen Wertungen sind mit der Überwindung jener historischen Bedingungen, denen sie ihren Ursprung verdankten, sicherlich zu korrigieren, so daß es heute keinen Anlaß mehr gibt, den Patriotismus der ‘Nationalkonservativen’ im deutschen Widerstand von vornherein als Ausdruck eines anachronistischen Wertesystems zu denunzieren." [Ebd., S. 11; Hervorheb. im Original.]

Hier wird deutlich, worum es geht: Der Akzent liegt nicht auf der „Verführbarkeit" national-konservativer Eliten durch den Nationalsozialismus, nicht auf der Mitwirkung an Errichtung und Etablierung der Diktatur, sondern darauf, daß aufgrund dieser patriotischen Überzeugung Widerstand geleistet wurde. Nun ist das ja keine neue Erkenntnis; diese Doppelung von partieller Integration und schließlich wachsender Bereitschaft zum aktiven Widerstand gehört - soweit es um die Angehörigen der nationalkonservativen Eliten geht - zu den Grunderkenntnissen aller Studien über die „Männer des 20. Juli"; für die beteiligten Sozialdemokraten bzw. Gewerkschafter, die vielfach zunächst in Haft oder Lager waren und dennoch an ihrer Gegnerschaft gegenüber dem Nationalsozialismus festgehalten haben, gilt diese Doppelung von Mittäterschaft und Widerstand freilich nicht.

Nicht nur durch den Hinweis auf die Notwendigkeit zur Neubewertung des National-Konservatismus nach 1989/90 gliedert sich dieser Sammelband dem „Historisierungs"-Forschungszusammenhang ein. Dazu gehört auch die Distanzgebärde zur bisher vorgelegten Spezialliteratur, zu den wissenschaftlichen Konferenzen, zu den Gedächtnisfeiern und zum Geschichtsunterricht, kurz zu den „Gedenkritualen", die - so meinen die Herausgeber zu wissen - nicht darüber hinwegtäuschen können, „daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nur wenig mit dem 20.Juli anzufangen weiß". [Ebd., S. 8.] Die Abwertung von „Gedenkritualen" ist um so aparter, als sie einem Band vorausgeschickt wird, der seinerseits 1994 - zum 50jährigen Gedenken an den 20. Juli 1944 - erschienen ist. Dazu heißt es denn auch ausdrücklich: Die Menschen des 20. Juli „vorzustellen und auf diese Weise vielleicht dem Nachgeborenen ein bloßes Gedenkdatum etwas begreifbarer zu machen, ist das Anliegen dieses Bandes." [ Ebd., S. 23.]

So sehr betont wird, daß Widerstand die Entscheidung eines einzelnen Individuums sei [Siehe ebd., S. 22.] , woraus im übrigen der biographische Zugriff voll gerechtfertigt ist, so erkennbar ist, daß es den Herausgebern doch um mehr geht; denn in der Einleitung ist nicht mehr von den Individuen die Rede, sondern diese stehen für „Schichten": „Gerade diejenigen Schichten der deutschen Gesellschaft, welche so zahlreich [!] am Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt waren, wie Militärs und Beamte, hatten ursprünglich eine ‘systemimmanente’ Opposition dargestellt. Ihnen war es zunächst darum gegangen, das neue Regime, das sie anfänglich im großen und ganzen begrüßten, zu beeinflussen, vielleicht zu reformieren. An Umsturz dachte noch niemand. Aber man muß berücksichtigen, daß diese Schichten, je mehr sie dann in eine substantielle Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gerieten, gerade aus ihrer ‘Insiderlage’ Vorteil ziehen konnten. [...] Die wirksamste Möglichkeit, Opposition zu leisten, war die Opposition im Dienst unter ‘vorgetäuschter Mitarbeit’. Daher waren Militärs und Beamte in der richtigen Position, um einen strategischen Platz innerhalb der Verschwörung einzunehmen." [Ebd., S. 18.] Letzteres ist gewiß zutreffend; doch daß nun den „Schichten" insgesamt, denen die einzelnen angehörten, die am Staatsstreichversuch beteiligt waren, attestiert wird, sie hätten eine Opposition dargestellt, ist eine durch die soziale Realität der nationalsozialistischen Diktatur nicht gedeckte Behauptung. [Siehe dazu Michael Ruck , Kollaboration - Loyalität - Resistenz. Administrative Eliten und NS-Regime am Beispiel der südwestdeutschen Innenverwaltung, in: Thomas Schnabel unter Mitarbeit von Angelika Hauser-Hauswirth (Hrsg.), Formen des Widerstandes im Südwesten 1933-1945. Scheitern und Nachwirken, Ulm 1994, S. 124-151.] Gewiß ist zutreffend, daß es nicht nur eine „ganz kleine Clique" gewesen sei, die das Komplott getragen hat, daß vielmehr weitverzweigte Gruppen dahinter standen, die eine Art „stille Reserve" gebildet haben [Siehe K. von Klemperer u.a. (Hrsg.), „Für Deutschland", S. 19.] , doch daraus auf oppositionelle Schichten zu schließen, ist doch mehr als übertrieben.

Nun können hier nicht die Einzelbeiträge vorgestellt werden. In 21 Kurzbiographien wird das Spektrum der zu den Widerstandsgruppen des 20. Juli gehörenden Personen beleuchtet: Beamte wie Carl Friedrich Goerdeler und Hans Bernd Gisevius, Diplomaten wie Ulrich von Hassell, Militärs wie Ludwig Beck, Friedrich Olbricht, Hans Oster, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser, Sozialdemokraten wie Julius Leber und Geistliche wie Alfred Delp S.J. werden porträtiert.

Von den kurzen Biographien wird man nicht erwarten dürfen, sie könnten Neues bieten. Doch insgesamt ist es den Autoren und Autorinnen gelungen, die anfängliche Verwicklung und Verstrickung sowie die Lösung aus dem Regime-Netz zu zeigen, wie sie gerade den Lebensweg vieler national-konservativer Beteiligter des Aufstandsversuchs kennzeichnete; auch die Motive, die individuellen Erlebnisse und Werthaltungen, werden deutlich. Dabei entstehen keine unkritischen „Heldengemälde", sondern die innere Widersprüchlichkeit, auch das Schillernde einzelner Personen wird markiert.

Neue Bewertungen finden sich nicht; das in der Einleitung angekündigte Konzept ist eher ein Interpretament der Herausgeber, mit dem die Stoßrichtung des Bandes, kaum die der einzelnen biographischen Beiträge zu kennzeichnen ist: Die Wege des National-Konservatismus führten nicht nur zu Hitler, sondern - so soll der Leser wohl lernen - auch über ihn hinaus in den Widerstand. Also nicht die Kontinuitätslinien, die zu übersteigertem Nationalismus einerseits, zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten andererseits führten, werden herausgearbeitet; in den Mittelpunkt des Interesses rückt vielmehr der auch von einzelnen Angehörigen der traditionellen Eliten in Militär und Verwaltung geleistete Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur, der flugs ganzen sozialen Schichten zugeordnet wird. Und auch, daß der Widerstand der National-Konservativen sich aus Ablehnung der von den Nationalsozialisten in Gang gesetzten Modernisierung gespeist habe [Siehe ebd., S. 11.] , wird in den Biographien nicht deutlich. Ethisch motiviertes Entsetzen über das Unrechtsregime und der drohende Untergang Deutschlands - das waren zentrale Motive für die Entscheidung zum Widerstand, nicht die Ablehnung der Modernisierungsbestrebungen des Nationalsozialismus, deren Existenz überdies - wie oben gezeigt - höchst umstritten ist.

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Ebenso wie bei dem Gedenkbuch zum 20. Juli 1944 ist auch in dem von Rainer Zitelmann herausgegebenen Buch „Demokraten für Deutschland" [Rainer Zitelmann , Demokraten für Deutschland. Adenauers Gegner - Streiter für Deutschland. Mit einem Vorwort von Erhard Eppler, Ullstein, Frankfurt/Main u. Berlin 1993, 229 S., kart., 14,90 DM.] , einer Taschenbuchausgabe des 1991 im Verlag Dietmar Straube erschienenen Buches über „Adenauers Gegner", das Bemühen unverkennbar, einen Beitrag zur Neubewertung des Nationalismus aus der Sicht der Zeit nach der „Wende" 1989/90 zu leisten. Vorgestellt werden, ausgehend von der Alternative von Westintegration und deutscher Wiedervereinigung, die deutschlandpolitischen Konzeptionen von fünf Gegenspielern Adenauers, d.h. von Jakob Kaiser, Kurt Schumacher, Gustav W. Heinemann, Thomas Dehler und Paul Sethe.

In der Einleitung findet sich wieder der schon bekannte historisch-methodische Hinweis: „Dieses Buch beansprucht nicht, verbindliche Wertungen auszusprechen. Nach der Überzeugung des Autors vermag der Historiker als Wissenschaftler ohnehin keine moralischen oder politischen Werturteile zu fällen." Diese Zurückhaltung gilt offenbar nicht für die Beurteilung der zeitgenössischen Zunft: „Die oftmals übliche aufdringlich-volkspädagogische ‘Zeigefinger-Geschichtsschreibung’, die den Leser im Kleide angeblich eindeutiger wissenschaftlicher Befunde darüber belehrt, daß der damals beschrittene Kurs der Westintegration der bestmögliche und einzig denkbare gewesen sei, ist dem Autor zuwider." [Ebd., S. 22f.]

Zitelmann bezieht sich auf das Schlüsselerlebnis der deutschen Einheit: „Der unter bundesdeutschen Historikern und Politikwissenschaftlern lange verbreitete Glaubenssatz, das Eintreten für den deutschen Nationalstaat sei ‘rückwärtsgewandt’, weil die deutsche Geschichte in der ‘Zweistaatlichkeit’ einen für alle Zeiten zu bewahrenden idealen Endzustand erreicht habe, war ohnehin schon immer unhistorisch. Diese These braucht heute natürlich nicht mehr widerlegt zu werden." [Ebd., S. 23.] Es fragt sich, ob Historiker und Politikwissenschaftler die Zweiteilung Deutschlands wirklich, wie Zitelmann schreibt, als zu bewahrenden „idealen Endzustand" und nicht eher als kaum auf friedlichem Wege zu verändernden Zustand betrachtet haben.

So entschieden sich Zitelmann auch über die bisherigen Forschungen äußert, er selbst will sich ganz zurücknehmen: Die Akteure, die Gegner Adenauers, sollen ausführlich zu Wort kommen, weil Zitate den Vorteil haben, „das Selbstverständnis möglichst authentisch und quellennah zu dokumentieren". Darüber hinaus will Zitelmann darauf verzichten, „die Realisierungschancen der hier dargestellten Konzepte im Rahmen des beschränkten deutschen Handlungsspielraums einzuschätzen". [Ebd., S. 23f.] Das Buch verspricht also - in schon bekannter Manier - nicht mehr und nicht weniger, als „genügend Stoff zum Nachdenken" zu bieten. [Ebd., S. 25.]

Jedes Porträt, das Buch ist aus einer Serie in der „Welt" entstanden, steht für sich. Zwar werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Begriffe und Konzepte herausgearbeitet, aber da es Zitelmann nicht darum geht, die Realisierungschancen der jeweiligen Konzeptionen auszuloten, werden die Positionen und Gruppierungen in der Darstellung nur geringfügig miteinander verkoppelt.

Anders als Adenauer, der sich nur von der Alternative zwischen Westbindung als Garantie der Freiheit einerseits oder Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands andererseits habe leiten lassen und demgemäß die Wiedervereinigung zugunsten der Westbindung zurückgestellt habe, beharrten die von Zitelmann ausgewählten Kritiker dieser Politik darauf, die „Einheit in Freiheit" anzustreben, die Position Adenauers also als Schein-Alternative zu verwerfen: Deutschland könne durchaus - so wird durch Zitelmanns Rückblick auf die Kontroversen der 1950er Jahre ins Gedächtnis gerufen - als Brücke zwischen West und Ost fungieren und dennoch Teil des Westens sein. So plädierte Kaiser dafür, daß Deutschland das Land der gesellschaftspolitischen Synthese von westlichen und östlichen Ideen sein und zugleich „dem deutschen Weg" folgen solle; [Siehe ebd., S. 32.] und Sethe sah Deutschland als „Mittler zwischen Ost und West", der indessen im Westen verwurzelt bleiben solle. [Siehe ebd., S. 151.] Damit wird ein Problem angerissen, das Zitelmann (zusammen mit Karlheinz Weißmann und Michael Großheim) wichtig genug war, in einem eigenen Sammelband thematisiert zu werden - das Problem der Westbindung.

Die von Zitelmann vorgestellten „Gegner Adenauers" werden als Zeugen für bestimmte Ansichten und Einschätzungen herangezogen. Damit verlagert sich das Problem der Wertung von den direkten Aussagen des Autors hin zur Auswahl des Themas, der vorgestellten Personen und der Zitate. Das Politikum der Zeitungsserie wie des Buches liegt im Zeitpunkt des Erscheinens und in der Auswahl der Zitate, die - so darf man vermuten - die von Zitelmann gewünschte Botschaft transportieren, hebt er doch in der Einleitung hervor, daß die Befürworter der Wiedervereinigung Fürsprecher eines „gesunden Nationalempfindens" waren. [Ebd., S. 21.] Und so wird Kaiser zitiert, der betonte: „Die Selbstkritik unseres Volkes an den Übersteigerungen des Nationalsozialismus war und ist stärker als man im Ausland gemeinhin annimmt. Aber diese Selbstkritik sollte nicht mißbraucht werden. Mißachtetes Nationalempfinden ist stets Nährboden für falschen und aggressiven Nationalismus." [Ebd., S. 51.] Dehler kommt zu Wort: Auch die schlimmen Ereignisse der nationalsozialistischen Zeit hätten ihm „den Sinn für den Wert des deutschen Volkes nicht nehmen können". [Ebd., S. 127.] Und: „Ein Volk, das sich nicht selbst bejaht, wird untergehen." [Ebd., S. 146.] Schumacher ist schließlich mit dem Votum vertreten: „Es ist unmöglich, ein Volk dauernd im Zustand der Zerknirschung über die Sünden eines nicht mehr existierenden Systems zu halten." [Ebd., S. 81f.]

Enthält sich Zitelmann in den Porträts auch weitgehend eigener wertender Kommentare, was durch den Verzicht auf explizite Fragestellungen und politische Analyse erkauft wird, so ist in den Zitaten die auch von der Einleitung vorgegebene Botschaft untergebracht: Zerknirschungsmentalität behindert die Entwicklung eines gesunden Nationalbewußtseins, das als bestes Bollwerk gegen aggressiven Nationalismus (und nicht als dessen Wegbereiter) gilt.

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Die Entlastung des National-Konservatismus und des Nationalismus einerseits, die Problematisierung der Westbindung andererseits treffen sich in einem Punkt: Die Geschichte der „alten" Bundesrepublik erscheint zwangsläufig als der „Sonderweg" der deutschen Geschichte, der mit der deutschen Einheit 1989/90 zuende gegangen sei. [Siehe dazu Dirk van Laak , Nicht West, nicht Ost oder Zaungäste auf Bindungssuche, in: H.-M. Lohmann (Hrsg.), Extremismus, S. 88-104; Klaus Naumann , „Neuanfang ohne Tabus". Deutscher Sonderweg und politische Semantik, in: S. 70-87, hier bes. S. 117.] Der „alten" Bundesrepublik, insbesondere der politischen Kultur der Jahre nach der „Kulturrevolution" 1968, werden alle jene Entwicklungstendenzen angelastet, gegen die die sich formierenden „Jungen Rechten" aufbegehren.

So häufen sich denn in letzter Zeit - nicht zuletzt dank der Verlage Ullstein und Propyläen - die Kampfansagen an den Kernbestand der politischen Kultur der „alten" Bundesrepublik. Sowohl in Karlheinz Weißmanns „Rückruf in die Geschichte" wie Klaus Hornungs großangelegter historischer Betrachtung des „Totalitären Zeitalters" finden sich zahlreiche Versatzstücke neo-konservativer Kulturkritik. Und Rainer Zitelmanns Programmschrift mit dem ambitionierten Titel „Wohin treibt unsere Republik?" ist ebenso zu erwähnen wie der von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebene Sammelband über „Die selbstbewußte Nation", der, angeregt durch Botho Strauß’ Essay „Anschwellender Bocksgesang" [Botho Strauß , Anschwellender Bocksgesang, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 19-40; zunächst veröffentlicht in: Der Spiegel vom 8.2. 1993.] , eine Bestandsaufnahme der polemischen Argumentationselemente aus dem Fundus neo-konservativer Geschichts- und Gegenwartsbetrachtung erlaubt.

Die Autoren auch dieses Sammelbandes bilden keine geschlossene Gruppe; dazu sind sie ihrer politischen Herkunft und Anschauung nach zu heterogen; doch zumindest für einen Teil von ihnen kann man von einem Gruppenzusammenhang sprechen, der sich in ähnlichen Argumentationsweisen, Ressentiments und Kampfbegriffen einerseits, in übereinstimmenden Zielvorstellungen hinsichtlich einer Wiederbelebung der „Rechten" andererseits abzeichnet.

Schuld an der heutigen Misere, die Gerd Bergfleth auf den Begriff der „multikulturell-kriminellen Gesellschaft" bringt [Gerd Bergfleth , Erde und Heimat. Über das Ende der Ära des Unheils, in: S. 101-123, hier S. 102.] , sei - so Ansgar Graw in seiner Polemik gegen den „Irrtum der Gewaltlosigkeit" - die Generation der 68er. Denn „die Tabubrecher von 1968 waren keine Abbilder des ‘Zarathustra’, sondern Onanisten des Konsumzeitalters", die dafür verantwortlich seien, daß sich eine Gesellschaftsordnung entwickelt habe, in der „einem Maximum an individuellen Rechten [...] ein Minimum an moralischen Pflichten gegenüber[steht]." [Ansgar Graw , Dekadenz und Kampf. Über den Irrtum der Gewaltlosigkeit, in: S. 281-290, hier S. 283.] Und weiter: „Die Irrtümer, die uns heute existentiell bedrohen, sind vor allem Ergebnisse linksdogmatischer Bewußtseinsveränderer und liberaler Zeitgeistsurfer." [Ebd., S. 289.] Über die pointiert-griffigen Formulierungen sollte die Stoßrichtung der Polemik nicht vergessen werden, die mit aller nur wünschbaren Offenheit ausgesprochen wird: Der „Dienst an der Waffe" gelte als „lästiger Anachronismus" oder als „potentielles Killertum"; „Kämpfen" - so fährt Graw fort - „ist ‘mega-out’." „Hierzulande kuschelt man lieber." [Ebd., S. 285.]

Auch Michael Wolffsohn stimmt in die Kritik an den „68ern" ein. Dabei geht es ihm z.B. darum, die Bedingungen zu klären, unter denen sich in den letzten Jahren die Rückkehr politisch motivierter Gewalt vollzogen hat. Sein Ergebnis lautet: „Nicht unter rechten Vorzeichen, sondern unter linken Vorzeichen" habe „der antizivilisatorische Rückfall in der westlichen Welt, also auch bei uns in Deutschland", begonnen, und zwar sowohl durch die Verklärung der „mörderischen Kulturrevolution" in China und des „revolutionären Kampfes von Che Guevara" als auch durch die Gewalt-Debatte mit ihrer Verharmlosung des Einsatzes physischer Gewalt. [Siehe Michael Wolffsohn , Nationalstaat und Multikultur. Über den deutschen Zivilisationsbruch und seine Folgen, in: S. 267-280, hier S. 274ff.] Ist diese Bestimmung der Ursachen für die gegenwärtig zu beobachtende Zunahme politischer Gewalt auch zu einseitig, so verweist Wolffsohn doch - z.B. mit seinem Plädoyer für den Einsatz der „demokratisch legitimierten Gewalt des Staates und der Staatengemeinschaft gegen terroristische und expansionistische Gewalt von einzelnen oder Gruppen" [Ebd., S. 280.] - mit Recht auf Defizite der aktuellen politischen Debatte, zumindest was den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Nato- oder UN-Aktionen anlangt.

Durchaus auf dieser Linie diagnostiziert Karlheinz Weißmann, daß die Deutschen „Entscheidungsflüchter" geworden seien, die sich - als eine Folge der deutschen Geschichte - mit ihrer „ohnmächtigen Lage" nicht nur abgefunden, sondern diese sogar als „gerechte Buße" für begangene Verbrechen akzeptiert hätten. [Karlheinz Weißmann , Herausforderung und Entscheidung. Über einen politischen Verismus für Deutschland, in: ebd., S. 309-326, hier S. 323.] Aber mit „der großen Kehre, die sich seit 1989 vollzogen hat, entstand ein Impuls, der dazu führen kann, eine neue intellektuelle Formation zu bilden", die Weißmann (einen Begriff von Peter Glotz übernehmend) als „Normalisierungsnationalisten" bezeichnet. [Ebd., S. 324.] Es handele sich „noch" um „eine buntscheckige Versammlung, die sich vor allem in ihren Aversionen einig ist und die Befürchtung teilt, daß die Bundesrepublik den zukünftigen Herausforderungen nicht gewachsen sein kann." [Ebd., S. 325.]

Diese „Aversionen" werden in zahlreichen Beiträgen - mal mehr, mal weniger - deutlich artikuliert. Da fällt zunächst die Ablehnung des bisherigen Umgangs mit der Geschichte des Nationalsozialismus ins Auge: „Die Dauerretrospektive Drittes Reich, die im bundesrepublikanischen Programmkino läuft, verhindert Vergebung und Neuanfang. Das unablässige Erinnern macht gegenwarts- und zukunftsunfähig; nicht das Vergessenwollen verlängert das Exil, sondern die Unfähigkeit zu Amnesie und Amnestie." [Peter Meier-Bergfeld , Deutschland und Österreich. Über das Hissen der schwarz-rot-goldenen Flagge in Wien, in: S. 195-226, hier S. 215.] Unklar bleibt, ob damit die Opfer oder die Täter oder deren Nachfahren zu Vergebung und Amnestie gemahnt werden. Kein Zweifel lassen Klaus Rainer Röhl und Rainer Zitelmann indessen darüber, wie sie den bisherigen Umgang mit dem Nationalsozialismus einschätzen: Für den einen zeigten sich hier „Selbsthaß" und „Nationalmasochismus"; [Klaus Rainer Röhl , Morgenthau und Antifa. Über den Selbsthaß der Deutschen, in: S. 85-100, hier S. 85 u. S. 97. Vgl. ders., Linke Lebenslügen. Eine überfällige Abrechnung, Ullstein, Berlin u. Frankfurt/Main 1994.] und der andere entdeckt gar „Bewältigungsexzesse". [Rainer Zitelmann , Position und Begriff. Über eine neue demokratische Rechte, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 163-181, hier S. 175. ]

Das korrespondiere - so Roland Bubik - mit der Dominanz der Linken in den Medien, deren „Herrschaft" „faktisch [...] totalitär" sei. [Rainer Bubik , Herrschaft und Medien. Über den Kampf gegen die linke Meinungsdominanz, in: ebd., S. 182-194, hier S. 184.] Und weiter: „Worum heute faktisch gefochten wird, ist die Balancierung der relativen linken Dominanz durch eine sich tatsächlich entwickelnde demokratische Rechte. Das was die Linke vermittelt, ist die Bedrohung der Demokratie durch einen Feind, der kurz vor seinem Ziel steht und nur durch eine kollektive Kraftanstrengung noch davon abgehalten werden kann. Das so mobilisierte Potential hat sie als Chance erkannt, nun ihrerseits die absolute Herrschaft im öffentlichen Raum zu erlangen. Deutschland erlebt die zweite Revolution der 68er: Der illiberale ‘Antifaschismus’ der Radikalen von links, der früher zum guten Teil Freizeitspaß gesellschaftlicher Randgruppen war, wird zum konstitutiven Selbstverständnis unseres Staates erhoben." [Ebd.,S. 186; Hervorheb. im Original.] Gerade dem „totalitären Charakter des linken Meinungsmonopols" lasse sich jedoch „auch Nutzen abgewinnen, werden dadurch doch ganz von selbst Gegenkräfte freigesetzt", zu deren Bündelung Bubik, selbst Redakteur der „Jungen Freiheit", der „Jungen Rechten" den „Aufbau eigener Kommunikationsmittel" anempfiehlt. [Ebd., S. 188. Zur „Jungen Freiheit" siehe Helmut Kellershohn (Hrsg.), Das Plagiat. Der Völkische Nationalismus der „Jungen Freiheit", Duisburg 1994.]

Entwirft Bubik das Bild eines geradezu totalitär-kämpferischen Meinungsterrors der „Linken", dessen Realitätsnähe schwer zu belegen sein dürfte [Siehe dazu D. van Laak , Nicht West, bes. S. 96ff.] , so wendet sich Weißmann gegen die „Seichtigkeit" der herrschenden Ideologie, die er als ein „Gemisch aus hedonistischen, individualistischen und reduktionistischen Vorstellungen" charakterisiert, das unter den Bedingungen der Wohlstandsgesellschaft in Westdeutschland große Anziehungskraft entwickeln konnte. [Siehe K. Weißmann , Herausforderung, S. 324.]

Zusammen mit der Entlastung des Begriffs des „National-Konservatismus" soll auch - so Rainer Zitelmann - eine Rückeroberung des Begriffs „rechts" eingeleitet werden. Darum stellt er die Frage, ob Hitler eigentlich „rechts" gewesen sei; und da Hitler sich selbst - so das Ergebnis von Zitelmanns Analyse - nicht als „rechts" verstanden habe, meint Zitelmann den Weg zu einer „demokratischen Rechten" zumindest begrifflich freigelegt zu haben. [R. Zitelmann , Position, S. 165. Vgl. schon ähnlich ders., Hitler, S. 414ff.]

Überhaupt ist in dem Band viel von einer neuen „intellektuellen", „demokratischen", „gemäßigten" oder „jungen Rechten" die Rede, für deren Herausbildung - laut Zitelmann - die „Voraussetzungen [...] gut" seien. [Ebd., S. 178.] Dieser „demokratischen Rechten" empfiehlt er dann, sich insbesondere mit Multikulturalismus und Feminismus auseinanderzusetzen. [Siehe ebd., S. 179f.] Die Aufgabe der „demokratischen Rechten" aber sei es nicht, „‘Theoriearbeit’ im Sinne der Linken zu leisten, sondern entschlossene und wirksame Antworten auf die uns bedrängenden Problemlagen, Ängste und Krisen zu geben. Die Linke hat auf die wirklichen Probleme, nämlich die ständig steigende Kriminalität, die Einwanderungsproblematik, die Gefahren für die äußere Sicherheit, die Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschlands, die Hypertrophie des Wohlfahrtstaates etc. keine Antwort. Ihre Rolle beschränkt sich heute darauf, Problemlösungen zu behindern, weil die zur Lösung notwendigen Mittel nicht mit den Prämissen der Ideologie in Übereinstimmung zu bringen sind. Hier liegt" - so der Schlußsatz - „die Chance der demokratischen Rechten". [Ebd., S. 181.]

Auch Ernst Nolte spricht sich in seiner Reflexion „Über Geschichte und Aktualität einer politischen Alternative" für eine „gemäßigte Rechte" aus, die, wenn sie erfolgreich wäre, die „wichtigsten Züge der Linken ihres Überschwangs entkleidet und in sich aufgenommen" hätte. Als Alternativen zu diesem Prozeß vermag Nolte „nur die uneingeschränkte, aber mit Sicherheit zu neuen Konflikten führende Vorherrschaft der verschiedenen Versionen der Linken" einerseits oder „das mögliche Aufkommen einer extremen Rechten" andererseits auszumachen. [Siehe Ernst Nolte , Links und rechts. Über Geschichte und Aktualität einer politischen Alternative, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 145-162, hier S. 161.]

Hier wie in den Beiträgen von Zitelmann und Bubik zeigt sich ein bemerkenswerter und folgenschwerer Reduktionismus: Es gibt in der politischen Landschaft der Bundesrepublik offenbar nur „Linke" oder „Rechte", wobei „die" Linke eine hegemoniale Position innehabe. Diese Polarisierung ist entweder einer aufgrund von Aversionen, also emotionsgeladenen Vorurteilen deutlich verzerrten Wahrnehmung der politischen Mehrheitsverhältnisse sowie der Medienlandschaft zuzuschreiben, oder sie folgt strategischen Überlegungen, bedarf es doch zur Formierung der „Neuen Rechten" eines ausreichend scharf gezeichneten Feindbildes der „Linken" bzw. des „Antifaschismus".

Auf der Tagesordnung stehe, so hat Weißmann angemahnt, die „Um- und Neugründung des deutschen Staates". [K. Weißmann , Rückruf, S. 191.] Der damit verbundene „Rückruf in die Geschichte" ist durchaus ernst gemeint: Hand in Hand mit dem hämischen Blick auf die angeblich „einfache Welt vor 1989" [Karl-Eckhard Hahn , Westbindung und Interessenlage. Über die Renaissance der Geopolitik, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 327-344, hier S. 335.] geht das Bemühen, der heutigen Generation politische Orientierungspunkte zu liefern - die wieder die alten sind: Euphemistisch regt Michael J. Inacker an: „Für die deutsche Sicherheitspolitik bedeutet dies, zur Würde und Gelassenheit zurückzufinden, mit denen die politische Klasse in England, Frankreich und Amerika in Zeiten der Krise zu handeln pflegt." [Michael J. Inacker , Macht und Moralität. Über eine neue deutsche Sicherheitspolitik, in: S. 364-380, hier S. 367.] Dieser politischen Bestandsaufnahme gegenüber ist zum einen daran zu erinnern, daß die Geschichte der „alten" Bundesrepublik keineswegs frei von Bedrohungen und Krisen gewesen ist - oder wie sollte man die Berlin-Ultimaten und den Mauerbau, die Herausforderung durch den Terrorismus oder die Weltwirtschaftskrise im Gefolge des Ölpreisschocks 1973 nennen? Und zum zweiten wird man der deutschen Politik von den Regierungszeiten Konrad Adenauers über die Willy Brandts und Helmut Schmidts bis zu der Helmut Kohls kaum nachsagen können, sie habe gegenüber nationalen und globalen Problemen nicht Würde und Gelassenheit gezeigt.

Wenig später wird Inacker konkreter, „verlangt" er doch „von der politischen Klasse eine Abkehr vom domestizierten Leviathan, vom Verständnis des Staates als einer kollektiven Schrebergartenkolonie, und die Rückkehr zu jener demokratischen Wehrhaftigkeit, wie sie allen historisch verankerten Demokratien zu eigen ist und wie allein sie vor Extremismus schützen kann - nach innen und außen." Mit einem (allerdings verkürzten) Zitat aus Hans-Peter Schwarz’ Buch-Essay über „Die gezähmten Deutschen" [Siehe Hans-Peter Schwarz , Die gezähmten Deutschen. Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit, 2. Aufl., Stuttgart 1985.] gibt Inacker Orientierungshilfe: Die deutsche Politik müsse ein „anderes Ethos" entwickeln, dessen Eckpunkte lauten: „Wachsamkeit, Kampfbereitschaft, Durchsetzungsvermögen, Sinn für Rechtsregeln und Machtverhältnisse, Rationalität, umsichtiger Kalkül, Kaltschnäuzigkeit." [M. J. Inacker , Macht, S. 374f. Inacker läßt das Zitat hier enden, ohne zu zeigen, daß Schwarz (Die gezähmten Deutschen, S. 165) diese Ausführungen im Nachsatz relativiert hat, fährt er doch fort: „Damit verbinden sollen und können sich zwar Kooperationsbereitschaft, ein gewisses Maß an Solidarität, ein erweitertes Verantwortungsgefühl auch für diejenigen, die dem eigenen Staat und der eigenen Sicherheitsgemeinschaft nicht angehören. Doch sie dürfen nicht ausschließlich dominieren."]

Nach und nach gewinnt das angestrebte - neue - Deutschland Konturen, und zwar in der Ablehnung des gegenwärtigen: Da beklagt Graw, daß das „Kämpfen [...] ‘mega-out’„ sei, daß man hierzulande lieber kuschele. [Siehe A. Graw , Dekadenz, S. 285.] Und Heimo Schwilk konstatiert anklagend: „Die Pazifizierung der Gesellschaft zum Zwecke konsequenter Schmerzvermeidung kulminiert heute in ihrer Effeminierung, bewirkt durch Konsum-Hedonismus und die kulturrevolutionären Umtriebe des Feminismus." [Heimo Schwilk , Schmerz und Moral. Über das Ethos des Widerstehens, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 393-403, hier S. 396.] Da verkündet Peter Meier-Bergfeld in seinem Vergleich von „Deutschland und Österreich": „Der Staat aber muß - im Extremfall - vom Leben seiner Söhne als Soldaten zehren, das kann keine Frauenmoral billigen. Sich die Staatsmoral als erweiterte Familienmoral zurechtzuschustern, das bedeutet aber das Ende des Staates. Dieses Ende ist dann gekommen, wenn sich der junge Wehrpflichtige am Kasernentor mit seinem Baby auf dem Arm meldet. Oder wenn in Kriegergedenkstätten Büsten trauernder Mütter mit Kind" - wie in der Neuen Wache - „aufgestellt werden. Wer das tut, verwirkt moralisch das ius belli, das zum Staat gehört." [P. Meier-Bergfeld , Deutschland, S. 209.]

Rückkehr zur „Normalität", Ablehnung einer deutschen „Sonderrolle" - das ist die vorherrschende Devise, die im übrigen auch die einzige Autorin - Brigitte Seebacher-Brandt [Siehe Brigitte Seebacher-Brandt , Norm und Normalität. Über die Liebe zum eigenen Land, in: H. Schwilk/U. Schacht (Hrsg.), Die selbstbewußte Nation, S. 43-56, hier bes. S. 54ff.] - in dem von Schwilk und Schacht herausgegebenen Sammelband vertritt. Die hier versammelten Beiträge erwecken insgesamt den Eindruck, als werde für eine „neue Machtpolitik" plädiert, ohne deren Voraussetzungen, Notwendigkeit und Zielrichtung in den Blick zu nehmen. Zunächst wäre doch zu fragen, ob die „alte" Bundesrepublik nicht ihrerseits durchaus „Machtpolitik" betrieben hat. Wenn darunter Vertretung der eigenen wirtschaftichen und politischen Interessen verstanden wird, so wird man vom Auf- und Ausbau der Europäischen Gemeinschaft über die Durchsetzung der Entspannungs- und Ostpolitik bis hin zum Prozeß der Vereinigung Deutschlands eine - in Abstimmung mit Nachbarn und Partnern entwickelte und durchgesetzte - erfolgreiche Interessenpolitik konstatieren können. Wenn dies offenbar nicht als „wirkliche" Machtpolitik (an-)erkannt wird, kann sich hinter diesem Begriff nur eine andere Erwartung verbergen; der soldatisch-militärische Argumentations- und Sprachduktus läßt vermuten, daß mit dem Begriff der Machtpolitik die Option auf eine Politik des Alleingangs, der Durchsetzung der eigenen Ziele auf Kosten anderer oder auch der militärischen Intervention eröffnet werden soll. Keine Antwort wird auf die Frage gegeben, warum Deutschland zu derartigen überholten Formen der Machtpolitik zurückkehren soll? Nur weil es wieder einen einigen deutschen Staat gibt? Ist nicht weiter zu fragen, welche Rolle in einer Zeit wachsender internationaler Verflechtung dem Nationalstaat „alter" Prägung zukommt? Stellt sich nicht ganz pragmatisch die Frage, ob sich die deutsche Politik angesichts der massiven internationalen Herausforderungen nicht überheben würde, wenn sie versuchte, auch nur einen Teil dieser Probleme im Alleingang bewältigen zu wollen? Und schließlich: Welche vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich durch die so vehement kritisierte Politik vernachlässigt worden? Statt Großmachtträumen, deren verhängnisvolle Konsequenzen in der deutschen Geschichte mehrfach deutlich geworden sind, nachzuhängen, sollte der ebenso rationale wie kooperative Gebrauch von staatlichen Machtmitteln eher als Ausdruck eines produktiven historischen Lernprozesses verstanden werden, der auf Katastrophenvermeidung zielt. [Siehe dazu H.-U. Wehler , Angst, S. 8f.]

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Kann man schon den von Schwilk und Schacht herausgegebenen Sammelband als eine Art „Manifest" einer sich neu formierenden „Rechten" sehen, so gilt das wohl auch für die politisch-publizistischen Betrachtungen, die Rainer Zitelmann 1994 unter dem Titel „Wohin treibt unsere Republik?" veröffentlicht hat. Da er - so betont er einleitend - zusammen mit seinen „Freunden Ulrich Schacht, Heimo Schwilk, Michael Wolffsohn und Jürgen Braun" [R. Zitelmann , Wohin treibt, S. 11.] zu den Initiatoren des „Berliner Appells" vom Herbst 1994 gehörte, sich also aktiv in die (FDP-)Politik eingemischt habe, könne er, anders als bei seinen früheren Pubikationen, bei diesem Buch nicht den „Standpunkt des distanzierten und unparteilichen Geschichtswissenschaftlers einnehmen". [Ebd., S. 12.] Mit diesem Buch rückt Zitelmann immer klarer zum Stichwortgeber und Wortführer einer neuen „demokratischen Rechten" auf. In Übereinstimmung mit den inzwischen gängigen Vorurteilen über die politische Kultur der letzten Jahre, gilt es ihm als ausgemacht, daß sich ein „Tabuschleier" über „unsere Republik gelegt" habe, der die intellektuelle Debatte zu ersticken drohe. [Ebd., S. 11.] Das sei das Ergebnis der geistig-politischen Linksverschiebung seit 1968, fänden sich doch „die von den ‘Ideen von 1968’ geprägten Menschen in den wichtigsten Institutionen unserer Gesellschaft" wieder und veränderten „diese in ihrer Substanz". [Ebd., S. 37.]

Die Folgen dieser Hegemonie der „Linken" in Medien, Universitäten, Schulen, Kirchen und Parteien für die Entwicklung der politischen Kultur seien unübersehbar; Zitelmanns Katalog reicht von den gewaltverherrlichenden Deformationen der Sprache und dem allgegenwärtigen Faschismus-Verdacht über die Identifizierung der Demokratie mit plebiszitären Vorstellungen bis zur Herabsetzung konservativer Begriffe wie Autorität, Ordnung und Pflichterfüllung und zur Verächtlichmachung der Polizei. [Siehe ebd., S. 38f.]

Dieser Einfluß beruhe auf einem Zusammenspiel der „Linken", ob sie nun zur SPD, zu den Grünen, zur PDS oder zur CDU gehören. Verstärkt durch politische Grundströmungen der ehemaligen DDR, visierten sie die Umgestaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zu einer „antifaschistisch-demokratischen Ordnung", zu einer „DDR light" an. [Ebd., S. 202.] Doch gerade weil die „Linke" den Bogen überspannt habe, erhöhten sich nun die Chancen einer Gegenbewegung, die Zitelmann offenbar einerseits in einer Regeneration der bürgerlichen Parteien, andererseits in der Formierung einer „demokratischen Rechten" meint erblicken zu können.

Mag eine derartige Überzeichnung des Einflußes der „Linken" auf Politik und Kultur auch eher zum Schmunzeln anregen können [Siehe z.B. Gunter Hofmann , Kampf gegen Windmühlen, in: Die Zeit vom 16.2. 1995.] , so ist doch nicht zu übersehen, daß Zitelmann damit offenbar nicht nur in ganz kleinen Zirkeln anzusiedelnde Ressentiments bündelt. Daß derartige Aversionen entstehen und politikfähig werden können, liegt auch daran, daß es eine Fülle von Problemen gibt, bei deren Lösung sich die Politik der im Bundestag vertretenen Parteien insgesamt in der letzten Zeit als wenig handlungsfähig erwiesen hat. So kann man zwar kritisieren, daß Zitelmann mit seinem Angriff auf die „linke Hegemonie" einer grotesken Verzerrung der Wirklichkeit aufsitzt oder Vorschub leistet; doch man darf nicht glauben, durch den Nachweis des Gegenteils einen Beitrag zur Schaffung eines neuen liberal-demokratischen Grundkonsenses leisten zu können. Dazu ist vielmehr eine politische Diskussion nötig, die sich konkret und aktiv auch und gerade mit den von der „Neuen Rechten" aufgegriffenen Problemen auseinandersetzt, um die Bereitschaft und Fähigkeit des poltischen Systems zu deren Lösung unter Beweis zu stellen.


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