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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.:1-2 = Titelblatt] Vorwort Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, seinerzeit maßgeblich von der Sozialdemokratin Renate Schmidt in die politische Debatte eingeführt, spielte im frauen- und familienpolitischen Diskurs seit Mitte der achtziger Jahre eine wesentliche Rolle. Die Forderung nach familienfreundlicheren Erwerbsarbeitswelten sowie generell der Ruf nach mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge für die Familie durch Politik und Wirtschaft hat gegenwärtig sogar an politischer Aktualität gewonnen. Aufgeschreckt nicht zuletzt durch anhaltend niedrige Geburtenraten, die u.a. in Zusammenhang mit der aktuellen Rentenstrukturdebatte und Fragen der Zuwanderungspolitik verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt sind, wird gegenwärtig im gesellschaftspolitischen Diskurs der Ruf nach stärkerer Unterstützung der Familie durch Politik und Wirtschaft immer lauter. Vertreter und Vertreterinnen aus Verbänden, Wissenschaft und Politik stimmen darin überein, dass
ein Mentalitätswechsel in Politik und Wirtschaft dringend notwendig seien und die Zukunft der Gesellschaft nicht nur von Wachstumsraten und Aktienkursen abhänge. Dabei ist die Ausgangslage hinsichtlich der Bereitschaft von Frauen und Männern, eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen, gar nicht so negativ, wie man angesichts der extrem niedrigen Geburtenraten in der Bundesrepublik und in anderen westeuropäischen Ländern meinen könnte. Ergebnisse von Untersuchungen und Umfragen deuten darauf hin, dass die Familie als soziale Institution im letzten Jahrzehnt sogar einen Bedeutungszuwachs erfahren hat. Offenbar wächst in Zeiten der Globalisierung und Grenzenlosigkeit das Bedürfnis der Menschen nach Verlässlichkeit und einem festen Ankerplatz. Laut Sternumfrage aus dem Jahr 1998 waren für 80 % der Menschen in Deutschland die Familie wichtig bis sehr wichtig.1980 hingegen nur für 68 %. Bei den jungen Menschen im Alter zwischen [Seite der Druckausg.:6 = Leerseite] 12 und 19 Jahren sieht das Bild mit einer Zustimmungsrate bis zu 90 % sogar noch positiver aus. Allerdings betonen Jungen wie Mädchen mehrheitlich, dass für sie Familie und Beruf gleichrangig nebeneinander stehen. Festzustellen ist allerdings: Dem verstärkten Bedürfnis in der Bevölkerung nach mehr Zeit für die Familie, nach sog. Quality time" in der Familie, trägt die Arbeitswelt in der Informationsgesellschaft mit ihren rigiden Anforderungen an Mobilität, Leistungsbereitschaft und langen Arbeitszeiten nur unzureichend Rechnung. Durch das ständige Flexibilitätsgerede der Wirtschaftstheoretiker und Betriebspraktiker fühlen sich immer mehr Menschen verunsichert und zu hoher Leistungsbereitschaft gedrängt, die in der Konsequenz zu extrem langen Arbeitszeiten führt, und dadurch um ein erfülltes Familienleben betrogen. Immer mehr junge Frauen (mittlerweile mehr als ein Drittel) versagen sich den Wunsch nach einem Kind, da sie glauben, Beruf und Familie nicht miteinander vereinbaren zu können oder schieben den Kinderwunsch bis zum letzten Moment hinaus. Zunehmend jedoch breitet sich die Erkenntnis aus, dass ein Umdenken in Politik und Wirtschaft erforderlich sei. Familie dürfe nicht länger aus der Erwerbswelt wegorganisiert werden, vielmehr müsse in ihr gezielt Zeit für die Familie eingeplant sein. Das Primat von Ökonomie in unserer Gesellschaft müsse gebrochen und die herrschende Arbeitsethik durch eine Ethik der Fürsorglichkeit ergänzt werden. Vor diesem Hintergrund fand Ende des Jahres 2000 in Bonn die Gesprächskreisveranstaltung Weichenstellung für einen Mentalitätswechsel in der Familienpolitik. Mehr Aufmerksamkeit und Fürsorglichkeit für die Familie statt. Auf ihr berieten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Verbänden, Gewerkschaften und den Medien darüber, was getan werden könne, um Wirtschaft und Gesellschaft familien- und frauenfreundlicher zu gestalten. Als Referentinnen und Referenten stellten sich der Diskussion:
Die vorliegende Broschüre enthält die überarbeiteten Referate von dieser Gesprächskreisveranstaltung. Prof. Dr. Uta Meier, Universität Gießen, geht in ihrem Einführungsreferat von der These aus, dass wir ZeitzeugInnen des Zerfalls eines Grundprinzips moderner Industriearbeit seien. Das Prinzip hochgradiger Spezialisierung als Lebensberuf (insbesondere des Mannes) mit dem Pendant der Haus- und Fürsorgearbeit leistenden Ehefrau sei insbesondere ein in den 60er und 70er Jahre verbreitetes Lebensmodell gewesen. Nunmehr sei ein dramatischer Strukturwandel der Gesellschaft in Richtung Pluralisierung und Entstandardisierung eingetreten. Der großen Vielfalt an neu entstandenen Lebensformen und Biografieverläufen würden die vorhandenen gesellschaftlichen Institutionen allerdings nicht gerecht. Nach wie vor würden Familien- und Erwerbsarbeitswelt als weitgehend getrennte Lebensbereiche gesehen werden, die nichts miteinander zu tun hätten. Die nach wie vor festzustellende strukturelle Freistellung von Männern von der Betreuungs- und Fürsorgearbeit hätte zu einer strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Leben mit Kindern geführt und zu einer Abwertung von Fürsorge- und Sozialisationsarbeit, ohne die die Gesellschaft allerdings nicht überlebensfähig sei. Uta Meier plädiert daher vor allem für familiengerechte Erwerbsarbeitsverhältnisse und Zeitstrukturen, die das Zusammenleben in familiaren Lebensformen ermöglichen. Sie seien eine notwendige Investition in das soziale und kulturelle Kapital der Gesellschaft, setzten allerdings einen grundlegenden Mentalitätswechsel in großem Stil in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik voraus. [Seite der Druckausg.:7] Die frauen- und familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Hildegard Wester sieht in der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine der vordringlichsten gesellschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Jahre. Mit der Reform des Erziehungsgeldgesetzes und Erziehungsurlaubsgesetzes, das am 1.1.2001 in Kraft trat und nun Elternzeitgesetz heißt, sei ein wichtiger Schritt zur Realisierung dieser Zukunftsaufgabe getan. Neben Leistungsverbesserungen beim Erziehungsgeld und der Möglichkeit der Budgetierung sieht das Elternzeitgesetz vor allem eine Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten von Eltern bei der Betreuung ihrer kleinen Kinder vor. Die Erhöhung der zulässigen Teilzeitarbeit, der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, die Möglichkeit, dass Vater und Mutter gleichzeitig Elternzeit nehmen können und das flexible dritte Jahr seien in diesem Zusammenhang wichtige gesetzliche Neuregelungen. Diese würden es nicht zuletzt auch Vätern erleichtern, sich für die Elternzeit zu entscheiden. Allerdings: Politik für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf dürfe - so Hildegard Wester - nicht isoliert gesehen und gestaltet werden. Familienpolitik, Sozialpolitik, Steuerpolitik, Rentenpolitik und Wirtschaftspolitik müssten ineinander greifen. Die Erhöhung des Kindergeldes und der steuerlichen Freibeträge, die Steuerreform mit ihrer besonderen Entlastungswirkung für die Familien, der Abbau von Arbeitslosigkeit und die Erhöhung des Wohngeldes seien wichtige politische Erfolge, die die finanziellen Spielräume von Familien erweiterten. Weitere wichtige Schritte zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien darüber hinaus das geplante Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft sowie eine Verbesserung der Betreuungssituation von Kindern. Prof. Dr. Artur Wollert, seit Jahren intensiv mit Fragen einer familienbewussten Personalpolitik in der Privatwirtschaft befasst, u.a. für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung, geht in seinem Beitrag zunächst von der Feststellung aus, dass Unternehmen mehrheitlich heute noch nicht bereit seien, die Verantwortung gegenüber der Familie als gleichwertig gegenüber beruflichen Verpflichtungen zu akzeptieren. Es sei eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, hier zu Lösungen zu kommen, die den Interessen der MitarbeiterInnen dienten und den Nutzen der Unternehmen mehrten. Basis für ein ganzheitliches Konzept der Verein-barkeit von Familie und Beruf sei die Annahme, dass jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin neben beruflicher Verantwortung eine solche auch im Privatleben habe. Familienbewusste Personalpolitik müsse darauf hinwirken, dass beide Geschlechter eine Balance zwischen der Berufs- und der Familienarbeit fänden. Profi im Beruf und Profi zu Hause das müsse die Lösung sein. Die Wirtschaft müsse sich von der Vorstellung lösen, dass der Mensch, der seinen familiären Verpflichtungen nachkomme, im Unternehmen nur halbe Leistungen zu erbringen imstande sei. Die 1974 gegründete Gemeinnützige Hertie-Stiftung habe das Thema seit einigen Jahren erfolgreich aufgegriffen und u.a. im Rahmen eines empirischen Projekts detaillierte Lösungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in verschiedenen klassischen Feldern des Personalmanagements, z.B. Arbeitszeit, Arbeitsort, Führungskompetenz, Fortbildungsmaßnahmen für Beschäftigte mit Familien, flankierender Service für Familien, untersucht und aufgezeigt. Es bestand unter den KonferenzteilnehmerInnen weitgehend Konsens darüber, dass die Maßnahmen der Bundesregierung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf erste Schritte in die richtige Richtung seien. Kritische Äußerungen in der Diskussion bezogen sich u.a. auf die nach wie vor fehlende Anerkennung von Familienarbeit, z.B. sei das Erziehungsgeld lediglich ein Taschengeld, auf Defizite hinsichtlich der sozialen Infrastruktur, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwerten, auf die weiterhin bestehende steuerliche Förderung der (Hausfrauen-)Ehe im Rahmen des Ehegattensplittings sowie auf die fehlende Verpflichtung von Vätern, Verantwortung für die Familienarbeit zu übernehmen und den insgesamt niedrigen Stellenwert der Familienpolitik. Einige TeilnehmerInnen wünschen sich wesentlich weitergehende Lösungen als die bisher diskutierten. Kontrovers wurde von Seiten der KonferenzteilnehmerInnen die Frage der (gerechten) materiellen Entlohnung der Familienarbeit, z.B. in Form eines Erziehungsgehaltes, diskutiert. BefürworterInnen derartiger Modelle forderten vor allem eine stärke- [Seite der Druckausg.:8] re materielle Unterstützung und Anerkennung der von der Familie erbrachten Leistung. Man dürfe die finanzielle Unterstützung von Familien nicht nur unter sozialen Gesichtspunkten, d.h. als soziale Wohltat betrachten. Als Gegenargumente wurden u.a. genannt: Verfestigung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen durch ein Erziehungsgehalt, das vornehmlich von Müttern in Anspruch genommen würde sowie die Gefahr, dass finanzielle Mittel an anderer Stelle eingespart würden z.B. bei den Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Palette der diskutierten Modelle und Maßnahmen war breit gefächert. Sie reichte vom oben erwähnten Erziehungsgehalt bzw. Lohnersatzleistungen für Zeiten der Kinderbetreuung über steuer- und rentenrechtliche Maßnahmen bis hin zu Forderungen nach einer drastischen Verbesserung des Angebots an Kinderbetreuungseinrichtungen. Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf aktuelle familienpolitische Diskussionen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf lenken. Wir danken den AutorInnen für ihr Einverständnis, ihre Referate in der vorliegenden Form veröffentlichen zu dürfen. Dr. Monika Langkau-Herrmann © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |