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[Seite der Druckausgabe: 47 / Fortsetzung]


8. Freiräume - wider die Festivalisierung der Stadt

Die Wissenschaftlerin von der Universität/Gesamthochschule Paderborn definierte Festivalisierung als das Zusammentreffen vieler Menschen, die nicht alle am Ort des Geschehens wohnen, sowie als Versuch der Herstellung von Öffentlichkeit. Anlässe für solche Zusammentreffen lassen sich in vielen Bereichen (u.a. Sport, Kultur) finden, sind allerdings nie alltäglich. Dabei gilt die Regel, dass die Anziehungskraft eines entsprechenden Ereignisses um so größer ist, je außergewöhnlicher die technische Ausstattung und die zu Grunde liegende Veranstaltungsidee ausfallen.

Die Referentin betrachtete das Phänomen zunehmender Festivalisierung vor allem vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Strukturwandels, der nicht nur gewohnte Vorstellungen von Arbeitsorganisation oder städtischen Wohn- und Lebensformen, sondern auch den (individuellen) Umgang mit Zeit verändere. Wertesystem und Lebensstile unserer Gesellschaft werden zunehmend flexibler. Die Vielfalt und Veränderungsgeschwindigkeit von Optionen steigen - unter anderem im Zusammenhang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) und deren Entwicklungsdynamik. Hieraus resultieren neue qualitative Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit jedes Einzelnen.

Aus Sicht der Referentin geht die Entkörperlichung und Enträumlichung der Kontaktaufnahme zwischen Menschen nicht spurlos an den städtischen Strukturen vorüber. Computernetze greifen massiv in die Bedeutung von Öffentlichkeit ein. Hierdurch verlieren reale Orte als Stätten sozialen Austausches, in denen allgemeine Werte vermittelt sowie eigene Rollen in einem sozialen Kontext gelebt werden können, an Bedeutung. Computernetze lösen die Kategorien des privaten und öffentlichen Raums auf, „Adressen„ verlieren ihre bekannte räumliche Bindung und sind nur noch Zugriffscodes auf die Möglichkeit, Informationen im virtuellen Raum auszutauschen. Auf diese Weise zerstörten Computernetze einen traditionellen Aspekt städtischer „Lesbarkeit„.

Der Trend zur elektronischen Asynchronität menschlicher Kontakte kollidiere mit der synchronen Stadt und ihren spezifischen Raum-Zeit-Strukturen. Zur

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Virtualisierung der Städte tragen darüber hinaus telematische Verkehrsleitsysteme, e-commerce und Telearbeit bei.

Angesichts veränderter Kategorien von räumlicher Nähe und Distanz, Privatheit und Öffentlichkeit stelle sich die Frage, ob „Festivalisierung„ eine angemessene Reaktion auf den neuen, diffusen räumlichen Zustand der Stadt sei. Die Wissenschaftlerin sieht in der Festivalisierung eine durchaus konsequente Antwort auf den stattfindenden Strukturwandel, da die bloße Addition von Ereignissen, die Lieferung immer neuer Versatzstücke für ein „immer zappeliger und aufgesplitterter werdendes Leben„ Struktur und Inhalten von Computernetzen ähnele. Festivalisierung könne allerdings nicht die Stadt als Ganzes integrieren.

In einem klaren, an der Wirklichkeit der konkreten Wahrnehmung orientierten Gesamtkonzept sieht die Referentin die Grundlage für die Bewältigung des Alltags in der Stadt. Dieses Konzept müsse aufzeigen, auf welche Weise Lebensformen miteinander zusammenhängen und sich schrittweise verändern. Statt der Suche nach möglichst vielen Einzelbestandteilen des Alltags sei die Schaffung einer alle Einzelbilder verbindenden Struktur notwendig, über deren Fehlen auch die Inszenierung immer neuer „Events„ nicht hinwegtäuschen könne.

Aus Sicht ihres Fachgebietes „Planungsbezogene Soziologie, Planungstheorie und -methodik„ an der Universität/Gesamthochschule Paderborn gilt es, für die Festivalisierung im Stadtraum wieder einen Zusammenhang zwischen Orten, Zeiten und Anlässen herzustellen. Wesentlich dafür sei eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Wahrnehmung. Hierbei gehe es nicht um die Aufnahme von Informationen oder das Abbilden der Außenwelt, sondern vielmehr um einen aktiven konstruierenden Prozess, der stets in Interaktion eingebettet ist. „Ohne Kontext ist Wahrnehmung nicht möglich. Zu einer Information wird das Wahrgenommene erst dann, wenn ihr das Individuum eine Bedeutung gibt. Wahrnehmung ist damit immer von der konkreten physischen Umwelt abhängig.„ In diesem Zusammenhang wird kritisiert, dass Events lediglich Simulationen, nicht aber Bedeutungskontexte darstellen.

Betrachtet man dagegen eine „entkörperlichte, virtualisierte City-Welt„ mit Eventangeboten vor dem Hintergrundwissen um kontext- und erfahrungsrelative Wahrnehmung, werde die Aufgabe der Planung deutlich, stabile, verlässliche Orte zu schaffen und dabei den sich wandelnden Alltag in der Stadt zu berücksichtigen. Dabei stehe nicht mehr die Beteiligung am Prozess der Individualisierung mit seiner Verflüssigung und Mobilisierung der Sozialstruktur zur Wahl, denn dieser Prozess ist schon in Gang. Offen ist aber, wohin der Strukturwandel führen wird. Noch bestehe die große Chance, die Freiräume der Stadt so zu gestalten, dass die Menschen sie auch künftig im Alltag gemeinsam nutzen und genießen können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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