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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 32] 5. Stadt als Lernort oder als Ort der Gewalt? Der Vertreter der Freien Universität Berlin (FU) bezeichnete im Rückgriff auf den Titel seines Beitrags die Stadt polemisch als Lernort der Gewalt". Gewaltbereitschaft sei keine Prädisposition des Menschen, sondern Ergebnis so-zialen Lernens in einem spezifischen Umfeld. Der Referent fragte in diesem Zusammenhang nach städtischen Faktoren, die Gewalt bedingen und befördern können. Keim [Fn. 2: Der Aufsatz: Keim, Karl-Dieter: Gewalt, Kriminalität. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Groß stadt. Soziologische Stichworte.- Opladen, 1998: 67-78 wird im folgenden ergänzend zu den Ausführungen des Vertreters der FU Berlin ausgewertet.] sieht Städte ambivalent als Wiegen der Zivilisation" und Brennpunkte gesellschaftlicher Probleme und Konflikte, (...) als Orte von Desorganisation und Unsicherheit." Eine Folge des Strukturwandels der 90er Jahre ist die Zunahme unterschiedlicher Erscheinungsformen städtischer Desorganisation, zu denen Gewalttätigkeit, Kriminalität, die Erosion zivilisierter Formen des Umgangs in öffentlichen Stadträumen sowie ein steigendes subjektives Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung gehören, wie auch der Vertreter der FU betonte. Nach Keim lassen sich im wesentlichen drei Gründe für zunehmende Desorganisation erkennen:
Die Fachliteratur spricht von einem Ansteigen der Häufigkeit von Gewaltdelikten in Städten seit Mitte der 60er Jahre mit einer besonderen Konzentration in Großstädten. Seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre wird im Zusammen- [Seite der Druckausgabe: 33] hang mit der Öffnung des Ostblocks und Tendenzen der Privatisierung von Teilbereichen des öffentlichen Raumes erneut über die Zunahme gewaltförmigen bzw. kriminellen Handelns in deutschen Städten berichtet. Dabei wird zwischen den Begriffen Gewalt" und Kriminalität" unterschieden, deren gemeinsame Schnittmenge die Gewaltdelinquenz" ist. Der Gewaltbegriff muss differenziert betrachtet werden. Beispielsweise kann Gewaltanwendung ein normativ gesichertes Privileg von Machtausübung, einen normativ zu sanktionierenden Rechtsbruch oder auch subkulturellen Normen entsprechendes, allerdings gesetzeswidriges Verhalten beschreiben. Keim differenziert den Gewaltbegriff, indem er Gewaltverhältnisse (gesellschaftliche Chancen von Macht), Gewalttätigkeit (Ausübung von Gewalt mit der Folge von Personen- oder Sachschädigung) und Gewalterleiden (körperliche Wirkung physischer und indirekt wirksamer Gewalt) unterscheidet. Der Vertreter der FU betonte den Begriff der strukturellen Gewalt, die sich beispielsweise in sozialräumlichen Verdrängungsprozessen manifestiere. Der Kriminalitätsbegriff dagegen faßt diejenigen als sozialschädlich beurteilten Handlungen zusammen, die strafrechtlich sanktioniert werden." [Der Aufsatz: Keim, Karl-Dieter: Gewalt, Kriminalität. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Groß stadt. Soziologische Stichworte.- Opladen, 1998: 67-78 wird im folgenden ergänzend zu den Ausführungen des Vertreters der FU Berlin ausgewertet., S. 70.] In diesem Zusammenhang werden vom Vertreter der FU und von Keim polizeiliche Kriminalstatistiken als problematische Informationsquellen über das Ausmaß von Kriminalität (in Städten) bezeichnet, da sie lediglich auf den tatsächlichen Ermittlungsfällen basieren. Damit sind diese Statistiken stark durch das Anzeigeverhalten der Bevölkerung, polizeiliche Kontrollstrategien und räumliche Kontrollschwerpunkte beeinflußt; über Dunkelziffern - vor allem im Bereich von Privathaushalten - können nur Schätzungen abgegeben werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch Städtevergleiche zur Kriminalstatistik in ihren Aussagen fragwürdig. Schließlich weicht das Faktenwissen oftmals stark vom subjektiv empfundenen Unsicherheits- oder Bedrohtheitsgefühl der Bevölkerung ab, das vor allem durch Beobachtungen im Alltag und die Medienberichterstattung aufgebaut wird. Keim unterscheidet unter anderem folgende Erklärungsmodelle des Zusammenspiels spezifisch stadträumlicher Strukturen mit möglichem gewalttätigem und/oder kriminellem Verhalten:
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chen Umbruchsituationen (...)." [Fn. 4: Der Aufsatz: Keim, Karl-Dieter: Gewalt, Kriminalität. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Groß stadt. Soziologische Stichworte.- Opladen, 1998: 67-78 wird im folgenden ergänzend zu den Ausführungen des Vertreters der FU Berlin ausgewertet, S. 72.] Dazu gehören Teile der City, ältere Innenstadtquartiere, aber auch Teile neuerer Wohngebiete. Keim weist auf Thesen hin, nach denen bestimmte städtebauliche Strukturen (z.B. monofunk-tionale Hochhaussiedlungen) zwar nicht selbst Gewalt und Kriminalität hervorbringen, aber im Sinne von Mediatoren Erscheinungsformen städtischer Desorganisation Vorschub leisten können. [Seite der Druckausgabe: 35] chen Raums. Sachbeschädigungen durch Jugendliche könnten als Aggressionen gegen eine wenig Orientierung und Integration stiftende städti-sche Umwelt, als Missachtung der in der städtischen Umwelt materialisierter Werte oder als Mittel zur Erreichung von Aufmerksamkeit interpretiert werden. Keim sieht in Gewalt und Kriminalität Zeichen für Auflösungsprozesse der Stadt, die er in drei Punkten zusammenfasst:
Städtische Reorganisation basiert nach Keim vor allem auf stärkerem Bürgerengagement, das von Kommunalpolitikern und anderen wichtigen Akteuren der Stadtöffentlichkeit flankiert werden muss. Die Stadt - so der Vertreter der FU - muss (wieder) als politische und damit gesellschaftliche Einheit begriffen werden, in der ein hohes Maß bürgerlicher Partizipation möglich ist. Damit stehen auch für ihn die Fragen im Vordergrund, welche Faktoren Einheit in der Stadt stiften und wie soziale Kontakte zustande kommen. Die Stadt sei immer Spiegel der sozialen Verhältnisse. Konzepte zur Veränderung von gewalt- und kriminalitätsfördernden Rahmenbedingungen müssten langfristig angelegt und Schritt für Schritt umgesetzt werden, um der Geschwindigkeit von Verhaltensänderungen Rechnung zu tragen; Schnellschüsse" in Form kurzfristiger Programme und Initiativen seien nicht ausreichend. Sicherheitspolitisch, d.h. mit rein (privat-)polizeilichen Strategien, dem Rückzug einkommensstärkerer Haushalte in gated communities" oder der Privatisierung des öffentlichen Raumes - beispielsweise in shopping malls US-amerikanischen Stils - lasse sich das Gewaltproblem nicht lösen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |