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[Seite der Druckausgabe: 21 / Fortsetzung]


3. Neuer Urbanismus in Großbritannien

Der Vertreter der Liverpool John Moores University und der Eco-Logica Ltd., England, stellte die Debatte um „New Urbanism" und „Urban Renaissance" in Großbritannien vor, die bisher viel Rhetorik, aber eine nur schwache Umsetzungspolitik hervorgebracht habe.

3.1 Zur Ausgangssituation

Anhand der Beispiele von Lancaster und Liverpool können die grundsätzlichen Probleme der Stadtentwicklung in England verdeutlicht werden. In Lancaster, einer Stadt mit rund 100.000 Einwohnern, gibt es zur Zeit rund 2.700 leerstehende Wohngebäude, während gleichzeitig 1.600 neue Häuser in Form von Masterplansiedlungen auf der „grünen Wiese" entstehen sollen. Diese Neubebauung werde bereits als nachhaltige Stadtentwicklung betrachtet, weil die Siedlungen an das Busliniennetz angeschlossen sind. Dabei zeige sich allerdings, dass dieses Angebot von den Bewohnern nicht genutzt wird.

Die schnell voran schreitende Suburbanisierung im Südosten Englands übt einen enormen Druck auf ländliche Gebiete aus und ist Ursache für den allmählichen Niedergang der Kernstädte. Dies zeigt sich vor allem in Liverpool mit 470.000 Einwohnern und einer Arbeitslosenrate von 16,4%. Hier stehen rund 16.000 Wohneinheiten leer, und 55% des Sozialwohnungsbestands sind dringend sanierungsbedürftig. Entsprechende Sanierungs- und Modernisierungspläne fehlen jedoch gänzlich.

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3.2 Probleme der Stadtplanung in England

Das wesentliche Problem der Stadtentwicklung in England stellt die Desintegration der Planung dar. So liegen sämtliche Planungsinitiativen in Händen privatwirtschaftlicher Entwickler. Alle Maßnahmen zur Siedlungsentwicklung werden „top-down" geplant, Kommunen sind kaum involviert. Für die Entwicklung des öffentlichen Raums werden von staatlicher Seite zu wenige Mittel be-

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reit gestellt. Der private Autobesitz und die Privatisierung des ÖPNV werden in England als politische Instrumente zur Problemlösung im städtebaulich-verkehrlichen Bereich gesehen.

Nach Plänen der englischen Regierung sollen pro Jahr 43.000 neue Wohneinheiten in Südostengland geschaffen werden, um den bis zum Jahr 2020 prognostizierten Mehrbedarf decken zu können. Dies bedeutet unter den bisherigen Planungsbedingungen einen weiteren enormen Flächenverbrauch auf der „grünen Wiese". Flankiert werden diese Entwicklungen durch die Schaffung großflächiger Einkaufs- und Vergnügungscenters mit Einzugsbereichen bis zu 100 km und entsprechend großzügigen Stellplatzangeboten für private Pkws. Die Ausweitung des Flughafens von London Heathrow um den Terminal 5 soll das Passagieraufkommen von derzeit 50 Mio./a auf 80 Mio./a vergrößern. Die damit verbundene Verschlechterung der Lebensqualität für rund 250.000 Einwohner West-Londons werde von der Regierung bewußt in Kauf genommen.

Zusammenfassend nannte der Referent die Simulation der Vorstellungen von Stadt in den künstlichen Welten von suburbanen Siedlungen, Einkaufs-Malls und Urban Entertainment Centers - also eine desintegrierte Realität angesichts niedergehender Kernstädte - als wesentliches Problem heutiger Stadtentwicklung in England. Die zur Problemlösung im Jahr 1998 gegründete Urban Task Force formulierte folgende Ziele der Stadterneuerung (Urban Renaissance): Stadterneuerung ist eine nationale Strategie zur kompakten Stadtentwicklung, mit der die kernstädtischen Probleme gelöst und Millionen neuer Wohneinheiten geschaffen werden sollen. Stadterneuerung basiert auf qualitätvoller Planung, sozialer Kohäsion und Umweltverantwortung.

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3.3 New Urbanism

Das „Millennium Village" Allerton Bywater in der Nähe von Leeds ist ein Beispiel für New Urbanism in England. Grundlegendes Prinzip für die Entwicklung von Millennium Villages ist die Erarbeitung eines neuen Standards für Wohn- und Siedlungsformen im 21. Jahrhundert unter Widernutzung aufgegebener Kohleabbaugebiete. Millennium Villages sollen sich durch hohe Qualität und integrierte Verkehrssystems auszeichnen sowie neuen Wohnraum schaffen. Die zu realisierenden Konzepte werden in einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb ermittelt.

Die Pläne für Allerton Bywater wurden vom Büro des Referenten entwickelt und entsprechen den genannten Forderungen: Auf einem ehemaligen Kohleabbaugebiet sollen 700 Häuser errichtet werden, die sich in bereits vorhandene Siedlungseinheiten integrieren. Energieeffizienz und ausgewählte Baustof-

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fe, die Reduktion von Autostellplätzen sowie ein Mischnutzungskonzept aus Wohnen und Arbeiten sollen einen internationalen Standard setzen und das Prinzip der Nachhaltigkeit verwirklichen.

Bei der Realisierung der Pläne gibt es allerdings schwerwiegende Probleme. Die Umsetzung der Projekte wird rein privatwirtschaftlich finanziert, weshalb die privaten Bauherren letztendlich über die Entscheidungsmacht verfügen. Diese wünschen größere Stellplatzkapazitäten für private Pkws und lehnen die konzeptionellen Neuerungen wie Mischnutzung und Energieeffizienz als zu radikal ab. ÖPNV-Konzepte als Anreiz zur Reduktion des Pkw-Gebrauchs erhalten keine Finanzierung. Schließlich schränkt das Negativimage ehemaliger Kohleabbaugebiete - unter anderem verbunden mit der Furcht vor Altlasten - Investoren und potenzielle Nutzer ab.

Übergeordnete Schwierigkeiten entstehen aus den Tatsachen, dass der Projektentwickler maßgeblich an der Entscheidung des städtebaulichen Wettbewerbs beteiligt ist, und dass keine Kontrollmechanismen über die Realisierung aller Bestandteile der vorgelegten integrierten Pläne etabliert worden sind. Als Folgen dieser Entwicklungen wird in Allerton Bywater die ursprüngliche Planung mittlerweile kritisiert. Das Projekt liegt derzeit 18 Monate hinter der Zeitplanung zurück. Als Reaktion auf diese Missstände sind einige involvierte Planer und Architekten bereits abgesprungen.

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3.4 Zukünftige Entwicklungen

Aus Sicht des Referenten sind die von der Urban Task Force formulierten Ziele der Stadterneuerung richtig und die kreativen Potenziale zur Problemlösung vorhanden. Der politische Umsetzungswille und die Strukturen des Lokalstaates seien dagegen vollkommen unzureichend. Die Lösung der beschriebenen Probleme erfordere die Priorisierung öffentlicher Belange vor privatwirtschaftlichen Interessen, die Suche nach alternativen Finanzierungsmechanismen, die Einhaltung integrativer Konzepte, die Erneuerung des Bestands anstelle der Fokussierung auf Neubauprojekte (auf der „grünen Wiese") sowie Kohärenz des gesamten städtebaulichen Planungsprozesses. Vor allem seien statt bisheriger top-down-Planung mehr kommunale Initiativen notwendig und umzusetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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