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[Seite der Druckausgabe: 1] Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Für den Deutschen Städtetag (DST) gibt es verschiedene problematische Entwicklungstrends in deutschen Städten, die sich trotz unterschiedlicher Einzelentwicklungen wie folgt verallgemeinern lassen:
Aus Sicht des DST kann diesen Herausforderungen und Problemen nur mit einem Bündel von Maßnahmen unter Einbeziehung der Raumordnung, des Städtebaus sowie der Wohnungs- und Verkehrspolitik begegnet werden. Hierzu gehören unter anderem:
Für das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) bemerkte stellen die Folgen der globalen Veränderungen nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen für die Städte dar, mit entsprechender Modernisierungsbereitschaft und Gestaltungswillen ihre ökonomischen und ökologischen Grundlagen zu erhalten und zu verbessern. Der Beitrag des Bundes zur Stärkung sowie baulichen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Erneuerung der Städte umfasst insbesondere:
[Seite der Druckausgabe: 2]
Der Vertreter der Liverpool University stellte die Debatte um New Urbanism" und Urban Renaissance" in Großbritannien vor. Grundsätzliche Probleme der Stadtentwicklung in England resultieren aus den Negativfolgen der starken Suburbanisierung für die Kernstädte. Ursächlich hierfür sei vor allem die Desintegration der Planung: Sämtliche Planungsinitiativen liegen in Händen privatwirtschaftlicher Entwickler; alle Maßnahmen zur Siedlungsentwicklung werden top-down" entwickelt, Kommunen sind kaum involviert. Ein Beispiel für New Urbanism in England ist das Millennium Village" Allerton Bywater. Grundlegendes Prinzip für dessen Entwicklung ist die Erarbeitung eines neuen Standards für Wohn- und Siedlungsformen unter Widernutzung brachgefallener Kohleabbaugebiete. Millennium Villages sollen sich durch hohe Qualität und integrierte Verkehrssystems auszeichnen sowie neuen Wohnraum schaffen. Die Pläne für Allerton Bywater entsprechen den genannten Forderungen. Allerdings wird die Projektrealisierung rein privatwirtschaftlich finanziert, weshalb private Bauherren letztendlich über die Entscheidungsmacht verfügen und viele innovative Elemente ablehnen können. Übergeordnete Schwierigkeiten entstehen unter anderem aus der Tatsache, dass keine Kontrollmechanismen über die Realisierung aller Bestandteile der vorgelegten integrierten Pläne eingerichtet worden sind. Lösungen der Probleme stellen die Priorisierung öffentlicher Belange vor privatwirtschaftlichen Interessen, die Suche nach alternativen Finanzierungsmechanismen, die Einhaltung integrativer Konzepte, die Erneuerung des Bestands anstatt der Fokussierung auf Neubauprojekte (auf der grünen Wiese") sowie Kohärenz des gesamten städtebaulichen Planungsprozesses in Aussicht. Vor allem seien statt bisheriger top-down-Planung mehr kommunale Initiativen notwendig. Der Stadtplaner aus Tübingen versteht unter dem Begriff Stadt der kurzen Wege" die Charakterisierung von Stadtquartieren, in denen physische Nähe - also leichte Erreichbarkeit - einen lebhaften Austausch zwischen Menschen ermöglicht, die sonst eher weniger miteinander in Kontakt stehen. Als Synonym für diese Zusammenhänge schlägt er den Terminus das lebendige Stadtquartier" vor, das im Gegensatz zu Siedlungseinheiten steht, die sich auf bestimmte Funktionen und auf das Fernhalten von Störungen spezialisieren. [Seite der Druckausgabe: 3] Der Städtebau der vergangenen 80 Jahre habe allerdings das Modell städtischer Nähe als überholt betrachtet und nicht mehr selbst produziert; heute wird versucht, solche städtischen Milieus wieder in die Praxis umzusetzen. Nach den Vorstellungen des Referenten sollte die Stadt eine Patchwork"-Struktur ausbilden, die im wesentlichen aus dem modernen" Quartiersmodell (Zonierung, Funktionstrennung) und dem eher klassischen" Stadtteilmodell (Bedeutung des öffentlichen Raums, Dichte und Vielfalt) besteht. Das Beispiel einer Entwicklungsmaßnahme auf einer militärischen Konversionsfläche in Tübingen zeigt, dass der neue städtebauliche Ansatz unter anderem mit folgenden Werkzeugen" realisiert werden kann:
Notwendig für den Erfolg einer solchen Vorgehensweise sind insbesondere
Der Vertreter der Freien Universität Berlin (FU) führte zum Thema Gewalt und Stadt aus, Gewaltbereitschaft sei keine Prädisposition des Menschen, sondern Ergebnis sozialen Lernens in einem spezifischen Umfeld. Er fragte in diesem Zusammenhang nach städtischen Faktoren, die Gewalt bedingen und befördern können. Nach Karl-Dieter Keim (1998) lassen sich im wesentlichen drei Gründe für zunehmende soziale Desorganisation erkennen:
[Seite der Druckausgabe: 4] Keim fasst verschiedene Erklärungsmodelle des Zusammenspiels stadträumlicher Strukturen mit gewalttätigem und/oder kriminellem Verhalten zusammen:
Keim sieht in Gewalt und Kriminalität Zeichen für Auflösungsprozesse der Stadt: Das klassische Bild der Stadt, verbunden mit Urbanität im Sinne von Einheitlichkeit, Gemeinwesen und Bindekraft des Ortes, löst sich auf. Der gestaltete öffentliche Raum wirkt zunehmend unwirtlich, belastend und damit immer weniger identitätsstiftend. Soziale Netzwerke lösen sich auf, Individualisierung und Rückzug in die Privatsphäre nehmen zu. Städtische Reorganisation muss nach seiner Auffassung vor allem auf einem hohen Maß bürgerlicher Partizipation basieren. Der Verkehrswissenschaftler von der Universität/Gesamthochschule Kassel (GhK) vertrat die These, dass sich unsere Städte während der vergangenen fünfzig Jahre kommunikationsfeindlich entwickelt haben, und führte dies vorrangig auf Verkehrskonzepte der Nachkriegszeit zurück. So wurden nach dem von Bernhard Reichow entwickelten Leitbild der autogerechten Stadt" in vielen deutschen Städten gründerzeitliche Straßenraster durch sich verzweigende Netze analog organischer Strukturen ersetzt. Als Resultat entstanden erlebnis- und kommunikationsarme öffentliche Räume. Auch die von Collin Buchanan entwickelte und in vielen Städten umgesetzte Vorstellung, die Rasternetze der Innenstädte zu schließen und dafür innenstadtumgebende Tangenten zu errichten, unterstütze kommunikationsfeindliche Entwicklungen, da auf diese Weise schwer überquerbare Straßenbarrieren und einzelne, voneinander abgeschottete Verkehrsgebiete entstanden sind. Leider werde dieses System trotz aller bekannten Problem bis heute kaum hinterfragt. Das auch heute noch aktuelle Plädoyer der US-Amerikanerin Jane Jacobs für den Erlebnis- und Kommunikationsraum Straße steht den Konzepten von Reichow oder Buchanan diametral entgegen. Der Vertreter der GhK plädierte dafür, analog der erhaltenen, kleinteiligen Netze in Altbauquartieren wieder mehr Straßen und damit eine flexibel nutzbare Struktur zu schaffen, die Anlässe zur Lebendigkeit" bietet. Dazu müssten allerdings Verkehrs- und Stadtplanung integriert werden. Notwendige Voraussetzung für gute Planung sei weniger die Funktionsfähigkeit von Dingen" als vielmehr die Schaffung von Strukturen, in denen selbstständige Kommunikation möglich ist. [Seite der Druckausgabe: 5] Der Vertreter der AG Landschafts- und Freiraumplanung, Bremen, stellte drei Thesen zur Diskussion:
In Bezug auf die erste These versucht die im Auftrag der FES erstellte Studie Lebenswerte Stadtquartiere", Beispiele aus dem Städtebau und der Verkehrsplanung der Nachkriegszeit auf ihre Alltagstauglichkeit zu überprüfen. Vor allem Fehler müßten genau analysiert werden, um sie zukünftig vermeiden zu können. Bei der zweiten These geht es darum, dass sich die städtebaulichen Leitbilder der Nachkriegszeit in Deutschland von der gegliederten und aufgelockerten Stadt", bis zur nachhaltigen Stadtentwicklung" zwar stark gewandelt haben, herkömmliche Bauformen und die Trennung der Daseinsfunktionen jedoch nach wie vor nicht in Frage stellen. Kritisiert wird an allen Leitbildern das Fehlen der hauswirtschaftliche Einheit von Haus und Hof, also der privaten Verfügung über den eigenen Wohn- und Lebensort. Die Funktion der auf Wohnwege oder verkehrsberuhigte Flächen reduzierten Straße als Kommunikationsort sei in Vergessenheit geraten. Dies - so die dritte These - sei in gründerzeitlichen Quartieren mit ihren engen Straßenrastern, gereihten Häusern mit Höfen einem dichten Nebeneinander verschiedener Nutzungen anders gewesen: Haus und Hof hatten große Bedeutung für den Alltag zu Hause; die Straße war Kommunikationsort und Platz vor der eigenen Haustür" bzw. - als Geschäftsstraße - kommunikatives Quartierszentrum. Sollen aus der Beschaffenheit gründerzeitlicher Quartiere Regeln und Prinzipien für Reparatur und Neubau in heutigen Städten abgeleitet werden, müsse der organisatorischen Einheit von Haus, Hof und Straße mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Studie Lebenswerte Stadtquartiere" nennt in diesem Zusammenhang unter anderem folgende übertragbare Prinzipien:
[Seite der Druckausgabe: 6]
Die Wissenschaftlerin von der Universität/Gesamthochschule Paderborn definierte Festivalisierung als das Zusammentreffen vieler Menschen, die nicht alle am Ort des Geschehens wohnen, sowie als Versuch der Herstellung von Öffentlichkeit durch nicht alltägliche Anlässe. Das Phänomen zunehmender Festivalisierung stehe in enger Verbindung mit dem gegenwärtigen Strukturwandel, der nicht nur gewohnte Vorstellungen von Arbeitsorganisation oder städtischen Wohn- und Lebensformen, sondern auch den (individuellen) Umgang mit Zeit verändere. Angesichts veränderter Kategorien von räumlicher Nähe und Distanz, Privatheit und Öffentlichkeit entspreche Festivalisierung konsequent den stattfindenden Wandlungsprozessen. Vor dem Hintergrund einer zunehmend entkörperlichten, virtualisierten City-Welt mit Eventangeboten bestehe die Aufgabe der Planung in der Schaffung stabiler, verlässlicher Orte. Im Zuge der Individualisierungsprozesse der Gesellschaft müsse die große Chance genutzt werden, die Freiräume der Stadt so zugestalten, dass die Menschen diese auch künftig im Alltag gemeinsam nutzen und genießen können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |