FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 45] 7. Schaffung eines Entwicklungspols: das Beispiel Borsig-Gelände in Berlin-Tegel Das Projekt Am Borsigturm" der Herlitz AG in Berlin-Tegel zeigt aus Sicht des Vertreters der Freien Universität Berlin (FU) beispielhaft, auf welche Weise auch unter schwierigen Rahmenbedingungen die Realisierung integrierter Entwicklungskonzepte möglich ist. Gleichzeitig stehe das vorzustellende Projekt für eine in Deutschland eher ungewöhnliche Form der Planung und Entwicklung. 7.1 Zu den Rahmenbedingungen der Projektplanung Seit 1990 findet in Berlin ein rapider nachholender Strukturwandel statt, für den westdeutsche Großstädte bzw. Großstadtregionen rund 30 Jahre Zeit hatten. Im ökonomischen Bereich kam es zu umfangreichen Deindustrialisierungsprozessen bzw. zur Abwanderung von Produktion mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt, bedingt durch die Treuhandabwicklungen im Ostteil und wegbrechende Subventionszahlungen für den Westteil der Stadt. Demographische Veränderungen sind vor allem durch eine zunehmende Verlagerung kaufkraftstärkerer Haushalte aus der Kernstadt in das Umland, also in Gebiete des Landes Brandenburg, gekennzeichnet. Damit entstehen für Berlin ähnliche Probleme wie sie auch aus den Stadtsstaaten Hamburg und Bremen bekannt sind. Das Land Berlin ist aus den genannten Gründen an der Ansiedlung von Industrie innerhalb der Stadtgrenzen interessiert, steht aber vor dem besonderen Problem, daß das Umland zu Ostdeutschland gehört und damit anderen, für ein Unternehmen vorteilhafteren Förderungskriterien - insbesondere im Bereich des Steuerrechts - unterliegt. Die Verlagerung industrieller Produktion von Berlin nach Brandenburg ist daher auf günstigere Flächenpreise und Lohntarife sowie Förderkonditionen beispielsweise für den Erwerb von Maschinen zurückzuführen. Zu Beginn der 90er Jahre sahen die Einschätzungen der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung des Großraums Berlin wesentlich positiver aus als die reale Entwicklung bis jetzt gezeigt hat. Damals wurden zwei grundlegende wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen: zum einen wurde Ende 1992 das sogenannte Industrieflächensicherungskonzept beschlossen, das die Bereitstellung großer, geschlossener Industrieflächen für Investoren-Großprojekte innerhalb des Stadtgebietes Berlins zum Ziel hatte. Das Konzept wies Industriebrachen für eine erneute ausschließlich gewerblich-industrielle Nutzung aus; allerdings blieb das erhoffte Investoren-Interesse aus und ist - so der Vertreter der FU - auch in Zukunft nicht zu erwarten. Vor dem Hintergrund eines nur geringen Anteils forschungs- und technologieintensiver Produktion in Berlin wurde zum anderen die Förderung spezieller Technologiebereiche beschlossen. Dafür ist eine regionale Clusterung des Landes vorgenommen worden, mit der Berlin in eine Reihe unterschiedlicher Schwerpunktgebiete unterteilt wurde, in denen die Voraussetzungen für bestimmte Industriebereiche in erster Linie durch Ansiedlung von Forschungseinrichtungen geschaffen werden. Auf diese Weise sollen regionale Schwerpunkte oder Entwicklungspole bzw. Anreize für die Ansiedlung von Hochtechnologie entstehen - beispielsweise im Südosten der Stadt mit dem Technologiestandort Adlershof oder im Nordwesten mit dem Schwerpunkt Kommunikationstechnologie, Logistik und Bahntechnik. [Seite der Druckausgabe: 46] 7.2 Das Projekt Am Borsigturm" Das Projektgelände Am Borsigturm" liegt im Nordwesten Berlins im Stadtteil Tegel, der relativ stark von der Entwicklung der Westberliner City abgekoppelt war. Das Gelände grenzt im Westen unmittelbar an den Tegeler See und weist als Ufergrundstück eine hochwertige Lage auf. Es ist verkehrstechnisch gut erschlossen, da es unmittelbar an die Stadtautobahn angrenzt und in der Nähe einer in die City führenden U-Bahnlinie liegt. Bei dem Gelände handelt es sich um eines der ältesten Industriestandorte Deutschlands, auf dem seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst die Lokomotivproduktion von Borsig, später verschiedene andere Industrieunternehmen angesiedelt waren. Aufgrund dieser Nutzungskontinuität war das von relativ geschlossener, weitgehend einheitlicher Wohnbebauung umgebene Borsiggelände bis zur Projektrealisierung noch ein großes, geschlossenes Industriegebiet. Zu Anfang der 90er Jahre befand sich das Gelände noch in der Hand verschiedener Eigentümer, unter anderem der Deutschen Babcock AG. Bereits vor der Maueröffnung hatte die Herlitz AG ein Teilgrundstück auf dem Borsiggelände unmittelbar am Ufer des Tegeler Sees erworben und dort ihre neue Unternehmenszentrale errichtet, die 1990 in Betrieb genommen wurde. Die Herlitz AG ist einer der führenden Hersteller von Büromaterial bzw. Schreibwaren in Europa und einer der letzten großen industriellen Produzenten, der nach wie vor in Westberlin ansässig ist und dadurch - so der Referent - einen gewissen Einfluß auf die kommunale und regionale Politik hat. Als die Deutsche Babcock AG im Sommer 1992 ihre Produktion auf dem Restgelände zwischen der Herlitz AG und der Berliner Straße - der Hauptverkehrsachse Tegels - aufgab, erwarb die Gesellschaft das gesamte Gelände mit dem Ziel, dort eine großflächige Projektentwicklung durchzuführen. Dieses Vorhaben liegt in Händen der Herlitz Falkenhöh AG, einer hundertprozentigen Tochter der Herlitz AG und klassischen Entwicklungsgesellschaft, die bereits die Verlagerung eines Teils der Produktion von Herlitz in das unmittelbar hinter der Stadtgrenze gelegene brandenburgische Falkenhöh durchgeführt hatte. Im Rahmen des Industrieflächensicherungskonzeptes wurde das gesamte Borsiggelände Ende 1992 als Schwerpunkt 02a Borsigdamm" ausgewiesen, was mit einer planungsrechtlichen Beschränkung auf ausschließlich gewerblich-industrielle Nutzungen einherging. Die Herlitz Falkenhöh AG stand daher vor der Aufgabe, innerhalb dieser Vorgaben ein Gesamtkonzept für eine sinnvolle und wirtschaftlich akzeptable Nutzung für das Gelände zu entwickeln, wobei - wie bereits ausgeführt - die günstigen Ansiedlungsbedingungen im Umland eine industrielle Nutzung durch einen Großinvestor nicht erwarten ließen. Um das Gelände nicht brach liegen zu lassen, entschied man sich, in Kooperation mit den zuständigen Berliner Verwaltungsstellen ein Konzept für eine Mischnutzung zu entwickeln. Die Unternehmensleitung der Herlitz AG engagierte dazu einen Entwicklungsspezialisten und beauftragte ihn, gemeinsam mit einem kleinen Team ein vorläufiges Nutzungskonzept für das Gelände zu erarbeiten. Im Frühjahr/Sommer 1993 entstand so das Konzept einer integrierten Entwicklung bzw. einer abgestimmten Mischnutzung, das auf die Einzelbedürfnisse der jeweils beteiligten Akteure abgestimmt war und bereits alle wesentlichen, die spätere Planung prägenden Elemente enthielt: [Seite der Druckausgabe: 47]
Auf Basis dieses vorläufigen Nutzungskonzepts trat die Projektentwicklungsgesellschaft Herlitz Falkenhöh AG in Verhandlung mit den zuständigen Senatsverwaltungen und dem Bezirksamt Reinickendorf. Die Senatsverwaltungen erwarteten die Einhaltung der Vorgaben des Denkmalschutzes, der Verkehrs- und Stadtentwicklungsplanung, des Umweltschutzes und der Wirtschaftsplanung. Außerdem bestanden - auch von seiten der Vertreter des lokalen Einzelhandels - zunächst erhebliche Vorbehalte gegenüber einer großflächigen Einzelhandelsansiedlung, da man hierdurch die Verdrängung des etablierten Fachhandels im angrenzenden Bezirk Tegel befürchtete. Die Verwaltungsstellen verlangten daher einen Nachweis, daß durch das Projekt die umgebenden Strukturen nicht geschädigt würden. Die Forschungsstelle für den Handel wurde als unabhängiges Institut mit der Erstellung eines Gutachtens über die Kaufkrafteffekte des geplanten Einzelhandelszentrums beauftragt, wobei die Senatsverwaltung und die Herlitz Falkenhöh AG zuvor vereinbart hatten, dessen Ergebnisse als verbindlichen Ausgangspunkt der Planungsentscheidungen zu betrachten. Die Forschungsstelle kam zu dem Ergebnis, daß ohne Errichtung zusätzlicher Einzelhandelskapazitäten in Tegel sogar ein Fehlbedarf von ca. 40.000 m² Verkaufsfläche - vor allem für höherwertige Bedarfe - bis zum Jahr 2010 mit der Folge abfließender lokaler Kaufkraft entstehen würde. Die bereits ansässigen Einzelhändler gaben in einer Umfrage an, ihre Verkaufsfläche um insgesamt rund 10-15.000 m² erweitern zu wollen, so daß sich laut Gutachten noch ein Restbedarf von ca. 20-25.000 m² neu zu errichtender Einzelhandelsflächen im Rahmen des geplanten Einzelhandelszentrums ergaben. Um dennoch keine ungünstigen Entwicklungseffekte für den lokalen Einzelhandel entstehen zu lassen, wurde als Vorgabe die bauliche Integration des geplanten Zentrums in die bestehenden Strukturen formuliert, um einen Bruch zwischen Entwicklungsgebiet und Umgebung zu vermeiden. Darüber hinaus entwickelte die Forschungsstelle für den Handel weitere Vorgaben für den Standort, unter anderem:
[Seite der Druckausgabe: 48]
Maßnahmen übernimmt die Entwicklungsgesellschaft Herlitz Falkenhöh AG. Anschließend werden diese Privatstraßen dem Bezirk übereignet und in öffentliche Straßen umgewandelt. Zur Koordinierung des Planungsprozesses wurde zwischen den Senatsverwaltungen eine sogenannte Steuerungsrunde eingerichtet, die unter Federführung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Ende 1993 einen städtebaulichen Rahmenplan für die weitere Entwicklung des ehemaligen Borsiggeländes beschloß. Diese Empfehlungen lehnten sich eng an die oben geschilderten Bedingungen an, d.h. sie sahen eine räumliche Gliederung des Geländes um den zentralen Bereich mit dem Borsigturm sowie eine ausgewogene Mischnutzung vor. Entsprechend der Vorgaben wurden zusätzliche Gutachten für weitere Bereiche erstellt: ein Gutachten über regional- und betriebswirtschaftliche Kriterien für die Nutzung des Borsiggeländes, ein Verkehrsgutachten, eine Untersuchung zu neuen Industrien sowie alternative Stadtplanungsszenarien. Im Rahmen dieser Szenarien wurden Nutzungsvorgaben für einige erhaltenswerte Gebäude entwickelt. So wird beispielsweise der Borsigturm nach Anforderungen des Denkmalschutzes instandgesetzt, zu einem Verwaltungsgebäude ausgebaut und als Verwaltungssitz der Herlitz Falkenhöh AG genutzt. Damit ist eine sichtbare Identifikation der Gesellschaft mit dem Projekt und dem Gelände auf Dauer angelegt. In einer der Hallen entsteht ein sogenanntes Kreativ-Haus" mit Büros und Service-Angeboten für junge Unternehmen der Medien-/Werbebranche. Aufgrund der Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Studien zur optimalen Standortnutzung führte die Herlitz Falkenhöh AG zusammen mit der IHK Berlin eine Reihe von Workshops zum Thema Entwicklungsstrategien für Industriestandorte in der Region Berlin-Brandenburg" durch. Das Resultat dieses Diskussions- und Planungsprozesses, der ca. ein Jahr bis Ende 1994 dauerte, war ein Nutzungskonzept, das eine quantitative Funktionsaufteilung vorsah. Die Flächenaufteilung wurde in enger Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie entwickelt und beinhaltet:
[Seite der Druckausgabe: 49] Alle Beteiligten akzeptierten dieses Nutzungskonzept als Grundlage der weiteren Planung und verbindliche Vorgabe für den von der Herlitz Falkenhöh AG gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb. In einem mehrstufigen Verfahren erarbeiteten internationale Architektenbüros entsprechende Entwürfe für eine städtebauliche Lösung. Das Wettbewerbsergebnis sah die Unterteilung des Geländes in vier Baufelder vor:
Nach der einvernehmlichen Entwicklung des oben skizzierten Erschließungs- und Nutzungskonzeptes war es für die weitere Planung und Beantragung der Baugenehmigungen notwendig, den Flächennutzungsplan und die bisherige Bereichsplanung entsprechend abzuändern. Im September 1996 beschloß das Abgeordnetenhaus die Planreife der angepaßten Darstellung im Flächennutzungsplan. Rechtliche Voraussetzung für die weitere Erschließung des Geländes war - so der Referent - der Beschluß über drei Bebauungsplanverfahren, in denen die bezirklichen Genehmigungsbehörden auf dem Gelände ein Wohngebiet, ein Sondergebiet (Einzelhandelszentrum) und ein Gewerbegebiet festlegten. Die formale Grundlage für die Zusammenarbeit der Behörden und der Herlitz Falkenhöh AG bildeten zwei städtebauliche Verträge, mit denen sich die Gesellschaft zur Übernahme umfangreicher Erschließungsaufgaben verpflichtete. Der erste Vertrag regelte das Wohnungsbauprojekt an der Veitstraße mit einem Gesamtumfang von mindestens 200 Wohneinheiten. Die Planung der Herlitz Falkenhöh AG sah darin unter anderem die Einrichtung einer Kindertagesstätte vor, an deren Baukosten sich die Gesellschaft beteiligt. Von den Wohnungen werden mindestens zwölf Einheiten senioren- und behindertengerecht ausgebaut. Im zweiten Vertrag wird die Verkehrserschließung und die Anbindung des gesamten Geländes geregelt. Alle Straßen, Fuß- und Radwege auf dem Gelände werden danach vom Projektentwickler auf eigene Kosten gebaut, was auch die Einrichtung umfangreicher Grünanlagen einschließt. Insgesamt übernimmt die Herlitz Falkenhöh AG die vollständige Erschließung des Geländes sowie deren Anbindung an die öffentlichen Netze und stellt anschließend diese Infrastruktur dem Bezirk [Seite der Druckausgabe: 50] kostenlos zur Verfügung. Damit ist die bauliche und funktionale Integration des Projektes in die Umgebung gewährleistet. Der Wohnwert der angrenzenden Gebiete wird durch die Maßnahmen bzw. die Schaffung zusätzlicher Infrastruktur für den Bezirk zum Teil erheblich verbessert. Darüber hinaus verpflichtet sich die Herlitz Falkenhöh AG zur schonenden Sanierung der historischen Bausubstanz. Ein Beispiel hierfür ist der bereits vollständig restaurierten Borsig-Turm - das erste Hochhaus Berlins -, der heute sowohl den Anforderungen eines bewahrenden Denkmalschutzes als auch denjenigen moderner Bürokommunikation entspricht und vom Bezirk Reinickendorf mit seinem Bauherrenpreis ausgezeichnet wurde. Die städtebaulichen Verträge sehen eine mehrfache öffentliche Förderung vor, aus denen sich wiederum Verpflichtungen der Herlitz Falkenhöh AG beispielsweise zu langjährigen Mietgarantien ergeben. Aus Sicht des Vertreters der FU hat die Herlitz Falkenhöh AG mit dem Projekt Am Borsigturm" bewiesen, daß die private Entwicklung innerstädtischer Flächen und staatliche Regionalplanung kein Widerspruch sein müssen. Der von der Herlitz Falkenhöh AG initiierte Dialog mit allen an der Entscheidung über das Gelände Beteiligten führte zu einem Planungsverfahren, das - so der Referent - alle Anforderungen an ein geschlossenes Gesamtkonzept integrierte. Dabei blieb die angestrebte Mischnutzung der ersten vorläufigen Projektskizze erhalten, so daß die aufeinander abgestimmten Funktionen Wohnen, Industrie, Einzelhandel, Dienstleistungen und Freizeitangebote auf dem Gelände miteinander verbunden werden konnten. Die Bezirksverwaltung konnte eine Limitierung der Projektdimension dahingehend durchsetzen, daß die neuen Einrichtungen aller Voraussicht nach keinen Verdrängungswettbewerb im Einzelhandel verursachen werden. 7.3 Gegenwärtiger Projektstand Anfang 1996 wurde mit dem Bau des multifunktionalen Wirtschaftszentrums Am Borsigturm" begonnen. Die einzelnen Komponenten des Zentrums weisen mittlerweile, d.h. Frühjahr 1999 folgenden Entwicklungsstand auf:
[Seite der Druckausgabe: 51]
für Frühjahr 1999 geplant. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits rund 3.800 m² der Fläche vermietet. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |