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TEILDOKUMENT:


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Zusammenfassung

Seit einiger Zeit werden stadtentwicklungspolitische Diskussionen hauptsächlich von dem Problem der Gefährdung innerstädtischer Funktionen durch städtebaulich nicht integrierte Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Freizeiteinrichtungen auf der „grünen Wiese" bestimmt. Ein vergleichsweise neues und durch zunehmende Brisanz gekennzeichnetes Thema ist dagegen die aufgrund von Deindustrialisierung und (Dauer-) Arbeitslosigkeit zunehmende Polarisierung der Bevölkerung. Die räumliche Komponente dieser Entwicklungen kann in der sozialräumlichen Fragmentierung städtischer Räume und der Herausbildung benachteiligter, aus dem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext der Gesamtstadt herausfallender Stadtteile gesehen werden. Um diesen Problemen in Nordrhein-Westfalen zu begegnen, wurde auf Landesebene 1993 das integrierte Handlungsprogramm für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" als ressortübergreifendes Präventivkonzept zur sozialen Stabilisierung und städtebaulichen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen sowie ökologischen Entwicklung benachteiligter Stadtteile beschlossen. Dabei wird Stadtteilerneuerung als eine Gemeinschaftsinitiative aller relevanten Akteure unter Verknüpfung der verschiedensten lokalen Politikfelder verstanden.

Aus Sicht des Moderators ist die Wirksamkeit der Stadtteilerneuerung wesentlich davon abhängig, ob es gelingt, struktur-, sozial- sowie beschäftigungspolitische Ziele und Maßnahmen zu bündeln. Voraussetzungen hierfür sind die Kooperationsbereitschaft aller involvierten Akteure sowie die Einrichtung neuer Verwaltungsstrukturen auf kommunaler und Landesebene. In Nordrhein-Westfalen werden beispielsweise alle fachlich betroffenen Ressorts der Landesregierung durch eine interministerielle Arbeitsgruppe im Rahmen des Handlungsprogramms für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" koordiniert. In vielen betroffenen Stadtteilen wurden ämter- und dezernatsübergreifende Arbeits- und Projektgruppen gebildet, externe Entwicklungsgesellschaften eingeschaltet oder fachübergreifende Verwaltungseinheiten dezentral vor Ort eingerichtet. Die wesentlichen Koordinaten der Stadtteilerneuerung in Nordrhein-Westfalen lauten zusammengefaßt: sektorale Integration (ressortübergreifende Bündelung von Erneuerungsmaßnahmen), räumliche Integration (Sozialraumorientierung), Aktivierung und Einbindung der im Stadtteil vorhandenen Potentiale sowie Entwicklung neuer Kooperations- und Organisationsstrukturen.

Der Vertreter der Stadt Freiburg schilderte das Problem der Stadtteilentwicklung vor allem unter der Fragestellung, wie und mit welchen Akteuren sich Konzepte der Zentrenerhaltung und -bildung sinnvoll umsetzen lassen. Eine Voraussetzung dafür sei das Vorhandensein bzw. die Schaffung eines umfangreichen Einzelhandels- und Dienstleistungsangebotes, das wiederum von ausreichender lokaler Kaufkraft abhängig ist. Zur Bindung der Kaufkraft an die Zentren führte die Stadt zwischen 1989 und 1991 ein Märkte- und Zentrenkonzept ein, das unter anderem folgende Ziele beinhaltet:

  • Identifikation von zentrenrelevanten und nicht zentrenrelevanten Sortimenten; Ausschluß zentrenrelevanter Sortimente in Gewerbegebieten; rechtzeitige Erbringung eines Standortnachweises für alle Sortimentsbereiche an städtebaulich geeigneten Standorten,

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  • Aktualisierung sämtlicher Bebauungspläne für gewerbliche Nutzungen im Hinblick auf die neueste Baunutzungsverordnung,

  • Informations- und Öffentlichkeitsarbeit,

  • Abstimmung des Konzeptes mit den Nachbargemeinden,

  • Erstellung von Gutachten zur Kaufkraftentwicklung,

  • regelmäßige Aktualisierung des Konzeptes.

Weiterhin sind spezifische Kriterien bei der Entwicklung neuer Zentren zu berücksichtigen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Dazu gehören Überlegungen zu den Aspekten Zentrentyp (punktförmig oder straßenbegleitend), Erreichbarkeit, Größe der Mantelbevölkerung, Anordnungs- und Gestaltungsfragen, Nutzungsmischung und Sortimentsgestaltung sowie Einrichtung eines leistungsfähigen Zentrenmarketings. In der Praxis zeigten sich in Freiburg neben Erfolgen allerdings auch Probleme der Steuerbarkeit der Stadtteilzentrenentwicklung:

  • Das Märkte- und Zentrenkonzept wird zwar weitgehend akzeptiert, Investoren suchen aber dennoch permanent nach „Schlupflöchern" bzw. Ausnahmeregelungen.

  • Das Ansiedlungsinteresse großer Einzelhandelseinrichtungen mit Magnetfunktion hängt wesentlich von der Stärke der lokalen Kaufkraft ab.

  • Der Einzelhandels- und Dienstleistungsmix läßt sich nur begrenzt steuern.

  • Bürger, Stadt und Investor entwickeln unter Umständen extrem konfligierende Vorstellungen darüber, nach welchen Kriterien Zentren entwickelt bzw. angelegt und gestaltet werden sollen.

In Duisburg hat sich der um die Jahrhundertwende entstandene Arbeiterstadtteil Marxloh im Zuge des Strukturwandels der Montanindustrie seit den siebziger Jahren von einem prosperierenden zu einem „Problemgebiet" entwickelt. Hauptmerkmale dieses Wandels sind ein kontinuierlicher Verlust von Arbeitsplätzen sowie ein tiefgreifender demographischer Wandel der Bevölkerungsstruktur Marxlohs, der durch Rückgang der deutschen und Zunahme der nichtdeutschen Einwohnerschaft gekennzeichnet ist. Aus diesen Entwicklungen sowie strukturellen Defiziten des Stadtteils resultiert eine Vielzahl von wirtschaftlichen städtebaulichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Problemen im Viertel. Entsprechend differenziert setzen Projekte der Stadterneurung in Marxloh bei der Aktivierung sowohl baulich-technischer als auch psychosozialer, in der Bevölkerung verankerter Potentiale an. Zu den konkreten Maßnahmen gehören unter anderem die Reaktivierung von Gewerbebrachen, die Verbesserung des Wohnungsangebots, Stabilisierung und Entwicklung der lokalen Ökonomie, die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, umfangreiche Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die Festigung sozialer Netzwerke sowie - allgemein - die Aufwertung des Stadtteilimages.

Die konkrete Projektdurchführung lag bis Ende 1998 in Händen des 1994 vor Ort eingerichteten Projektes Marxloh, das aus der Entwicklungsgesellschaft Duisburg-Marxloh mbH (EGM) als Sanierungsträger und dem für Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zuständigen Stadtteilprojekt Marxloh bestand. Seit Anfang diesen Jahres wurde das dezentrale Stadtteilmanangement durch eine auf der gesamtstädtischen Ebene verortete Management

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struktur ersetzt, wobei aber die inhaltlichen Zielsetzungen für die Stadtteilarbeit vor Ort weitgehend unberührt bleiben.

Die Arbeitsfelder des Projektes Marxloh gliederten sich in die Bereiche Stadterneuerung, Beschäftigung und Qualifizierung, Sozial- und Infrastruktur, Kulturelle/Interkulturelle Arbeit, Lokale Ökonomie, Wohnen und Wohnumfeld sowie Öffentlichkeitsarbeit. Die Förderkulisse zur Projektfinanzierung setzt sich bis Ende 1999 im wesentlichen aus Mitteln der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN, der Bundesanstalt für Arbeit sowie verschiedener Förderprogramme nordrhein-westfälischer Landesministerien im Rahmen des integrierten Handlungskonzeptes „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" zusammen. Zwar werden die beteiligten Landesressorts durch die eingangs genannte interministerielle Arbeitsgruppe koordiniert, doch sind die einzelnen Förderprogramme nach wie vor sektoral und individuell nach jeweils eigenen Richtlinien organisiert. Dem integrierten Handlungsansatz auf der konzeptionellen Ebene steht damit - so der Vertreter des Difu - eine fragmentierte Verfahrenslandschaft in der Praxis gegenüber, weshalb spezifische Probleme der Mittelbündelung entstehen:

  • Die verschiedenen Fördertöpfe sind untereinander nicht abgestimmt und müssen erst auf der Projektebene kompatibel gemacht werden.

  • Die unterschiedlichen Laufzeiten der verschiedenen Förderprogramme erschweren oftmals eine zeitgleiche Bündelung der zum Einsatz kommenden Mittel.

  • Die Maßnahmengebundenheit der Fördergelder verhindert eine flexible Mittelverwendung auf der Projektebene.

Zur Erreichung einer größeren Flexibilität bei der Maßnahmenfinanzierung wird vom Stadtteilmanagement eine bessere Koordinierung der Fördertöpfe auf der geldgebenden Seite analog dem auf der Projektebene verfolgten ganzheitlichen Ansatz sowie eine größere Flexibilität beim Mitteleinsatz bzw. ein feststehendes Budget für die Umsetzungsebene ohne limitierenden Zeithorizont und ohne Maßnahmenbindung gefordert.

Auch der im rechtsrheinischen Köln gelegene Arbeiterstadtteil Kalk weist ähnliche, durch umfangreiche Deindustrialisierungsprozesse verursachte Probleme auf wie Duisburg-Marxloh. Vor diesem Hintergrund stellte die Stadt 1994 einen ersten Förderantrag im Rahmen des Handlungsprogramms für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" und beschloß im gleichen Jahr das „Kalk-Programm" zur integrativen Stadtteilentwicklung. Die Stadt Köln fokussiert darin ihre Handlungsansätze angesichts großdimensionierter industrieller Brachflächen - anders als in Marxloh - vor allem auf den industriell-gewerblichen Bereich, ohne allerdings soziale Aspekte zu vernachlässigen:

  • Wiederaufbau der Wirtschafts- und Beschäftigungsbasis: Revitalisierung brachliegender Gewerbeflächen, Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsplätze, umfangreiche Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen beispielsweise in Kopplung mit baulichen Maßnahmen.

  • Stabilisierung und Ergänzung der Wohnfunktion: Sanierungs-, Modernisierungs- und Neubaumaßnahmen - unter anderem des öffentlich geförderten Wohnungsbaus - mit dem Ziel,

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    die Sozialstruktur zu erhalten und Verdrängung zu vermeiden; Eigentümer- und Mieterberatung, Bewohnerbeteiligung durch ein vor Ort befindliches Büro des Amts für Stadterneuerung, Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung.

  • Verdichtung sozial-kultureller Netze: Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit bedrohen den sozialen Zusammenhalt im Stadtteil, weshalb neben wirtschafts- bzw. infrastrukturellen Maßnahmen auch solche zur Förderung des (interkulturellen) Zusammenlebens durchgeführt werden, beispielsweise durch die Schaffung bedarfs- und standardgerechter Gemeinbedarfseinrichtungen für alle Bevölkerungsgruppen oder die Förderung und Vernetzung von Vereinen und Initiativen.

Das größte derzeit noch in der Planung befindliche Projekt zur ökonomischen Revitalisierung Kalks ist die Um- und Wiedernutzung des CFK-Geländes als Gewerbe- und Industriepark Kalk/West. Hierbei soll die Entstehung neuer Monostrukturen sowohl im funktionalen wie auch baulichen Sinne vermieden werden. Insgesamt ist die Ansiedlung eines breit gefächerten Arbeitsplatzangebots geplant, das dem Qualifikationsniveau bzw. -potential der lokalen Bevölkerung entspricht, also auch den gewerblich-industriellen Bereich mit einschließt. Die gegenwärtig diskutierten Nutzungsvorschläge beinhalten unter anderem Großkinos oder Großeinrichtungen des Einzelhandels mit Magnetwirkung, gleichzeitig aber auch Wohnbebauung. Das CFK-Gelände ist von einem Investor gekauft worden, der mit der Sparkasse Köln als Teilgesellschafterin zusammenarbeitet. Über diese Beteiligung und die Planungshoheit der Kommune ist die Einflußnahmemöglichkeit der Stadt zur Durchsetzung ihrer Interessen gegeben, wie der Vertreter Kölns betonte. Der Referent vertrat in diesem Zusammenhang die These, eine Kommune würde das Angebot eines Investors angesichts der damit verbundenen Hoffnung auf Ansiedlung neuer Arbeitsplätze und Stabilisierung der lokalen Kaufkraft kaum ausschlagen können. Daher stelle sich weniger die Frage, ob public private partnerships generell wünschenswert sind oder nicht, sondern wie kommunale und Investoreninteressen zusammengebracht werden können.

Der Vertreter der Universität Hamburg-Harburg stellte am Beispiel von Hamburg-Eidelstedt exemplarisch vor, auf welche Weise stadtteilbasierte Gewerbe-, Dienstleistungs- und Einzelhandelszentren gegen die Konkurrenz an City- („Erlebniseinkauf") und „grüne-Wiese"-Standorten („Versorgungseinkauf") gestärkt werden können. Aus seiner Sicht können Stadtteilzentren nur dann bestehen, wenn sie zwischen diesen beiden Polen ein eigenständiges Profil auszubilden versuchen. Stadtteilbasierte Betriebe, die zwar noch wirtschaftlich überlebensfähig sind, allerdings zunehmend durch Probleme wie Mietpreisentwicklung, Nutzungskonflikte oder städtische Auflagen belastet werden, bleiben vor allem dann konkurrenzfähig, wenn sie ihr Sortiment rechtzeitig an veränderte Verbrauchergewohnheiten anpassen bzw. qualitativ verbessern, spezialisieren und ansprechend präsentieren. Die Chance inhabergeführter Kleinbetriebe liegt also vor allem - dies ist ein Ergebnis einer von der Universität Hamburg-Harburg durchgeführten Untersuchung - in ihrer Kundennähe und einer lokalspezifischen Angebotssegmentierung.

Neben ökonomischen Faktoren spielt das für jede Branche typische „arbeitskulturelle Regelwerk", d.h. gemeinsame Wahrnehmungsweisen und Deutungsmuster, Arbeitsroutinen und all

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gemein akzeptierte „Selbstverständlichkeiten" eine zentrale Rolle. Ein „Grundvokabular" schafft einen Zugehörigkeitskontext, der den Aufbau von Netzwerken steuert und Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betrieben ist. Insgesamt können diese lokalen und sozialen „Fenster zur Welt" als „berufliche Milieus" der Kleinbetriebe im Stadtteil bezeichnet werden. Der Referent wies darauf hin, daß öffentliche Akteure diese lokalspezifischen Mechanismen der Vertrauensbildung respektieren müssen, wenn sie innerhalb der Stadtteil-Milieus erfolgreich agieren wollen. Dabei spielen Personen, die im Stadtteil bekannt und dort vielleicht selbst als Gewerbetreibende verankert sind, als Mittler zwischen öffentlichen Akteuren und Milieu eine große Rolle. Die Aufgabe solcher „Integrationsfiguren" oder „Stadtteilmanager" besteht im wesentlichen darin, über Möglichkeiten zur Kooperation, Differenzierung und Weiterentwicklung der betrieblichen Sortimente sowie Erweiterung von Geschäftsfeldern zu informieren. Neben dem Aufbau solcher stadtteilbezogener Managementstrukturen ist die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zwischen Innenstadt- und „grüne-Wiese"-Standorten eine weitere Voraussetzung für die langfristige Förderung von Stadtteilzentren.

Die Vertreterin des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) schilderte Erfahrungen aus dem EU-geförderten Projekt ELSES (Evaluation of Local Socio-Economic Strategies in Disadvantaged Urban Areas) zur Evaluation der Wirkungen lokalökonomischer Strategien in sechs europäischen Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, zu denen unter anderem Duisburg-Marxloh gehört. In Anlehnung an das nordrhein-westfälische Landesprogramm für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" sind lokalökonomische Strategien vor allem ergänzende Elemente baulicher und sozialer Erneuerungsmaßnahmen und damit Bestandteile integrierter Konzepte zur Stadtteilerneuerung. Sie zielen im wesentlichen auf die Schaffung von Einkommens- bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten und die Stärkung der Wirtschaftsstruktur vor Ort ab, womit die lokale Ökonomie benachteiligter Stadteile langfristig wieder an den gesamtstädtischen Wirtschaftskontext angekoppelt werden soll. Lokalökonomische Strategien verbinden also struktur-, beschäftigungs- sowie sozialpolitische Zielsetzungen auf lokaler Ebene („Hybridcharakter") und konzentrieren sich vergleichsweise stark auf kooperatives Handeln („Prozeßcharakter") aller relevanten Akteure.

Die Vertreterin des ILS nannte als ein Ergebnis der bisherigen Arbeit im Rahmen von ELSES drei Punkte, die - zumindest im Ausland - wesentlichen Einfluß auf die Effektivität lokalökonomischer Strategien haben und auf die deutsche Projektarbeit übertragen werden könnten:

  1. Britische Beispiele zeigen, daß der Erfolg von Partnerschaften zwischen öffentlichem Sektor, privaten Akteuren und bewohnergetragenen Organisationen stark von der Kooperationsbereitschaft der Verwaltung und ihrer Bereitschaft zur Dezentralisierung von Ressourcen und Entscheidungsbefugnissen auf die Ebene von Stadtteilen bzw. Stadtteilgremien abhängt. Darüber hinaus sollten Kooperationsrunden aus entscheidungsbefugten und somit beschlußfähigen Repräsentanten der verschiedenen Akteursgruppen zusammengesetzt sein.

  2. Die Analyse der Fragen, welche Ziele mit stadtteilnahen oder gesamtstädtischen Maßnahmen zu erreichen sind, welche Entwicklungsperspektiven entsprechende Maßnahmen eröff-

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    nen und mit welchen Zielgruppen sie durchgeführt werden können, ist eine weitere Voraussetzung für die erfolgreiche Implemtierung lokalökonomischer Strategien.

  1. Die Verfügbarkeit von auf Stadtteilebene aggregierten Daten ist eine wesentliche Analysegrundlage für die Erarbeitung von Entwicklungsstrategien und Basis zur Messung von Entwicklungsfortschritten.

Das Projekt „Am Borsigturm" der Herlitz AG in Berlin-Tegel zeigt aus Sicht des Vertreters der Freien Universität Berlin (FU) beispielhaft, auf welche Weise auch unter den schwierigen Rahmenbedingungen des seit 1990 stattfindenden nachholenden Strukturwandels in Berlin die Realisierung integrierter Entwicklungskonzepte möglich ist. Das im Stadtteil Tegel gelegene Projektgelände wurde 1992 von der bereits ansässigen Herlitz AG mit dem Ziel erworben, darauf eine großflächige Entwicklungsmaßnahme durchzuführen; verantwortlich dafür ist die Entwicklungsgesellschaft Herlitz Falkenhöh AG. Im Rahmen des 1992 beschlossenen Industrieflächensicherungskonzeptes wurde das Borsiggelände mit einer planungsrechtlichen Beschränkung auf ausschließlich gewerblich-industrielle Nutzungen belegt. Innerhalb dieser Vorgaben mußte ein Nutzungskonzept entwickelt werden, wobei die günstigen Ansiedlungsbedingungen im Umland kein Interesse eines Großinvestors erwarten ließen. Die Herlitz-Falkenhöh AG entschied sich, in Kooperation mit den zuständigen Berliner Verwaltungsstellen ein Mischnutzungskonzept zu entwickeln, deren vorläufige Fassung vom Frühjahr/Sommer 1993 bereits alle wesentlichen, die spätere Entwicklung prägenden Elemente enthielt:

  • Einbindung des Geländes in die innerstädtische Umgebung,

  • räumliche Aufteilung des Geländes in verschiedene Funktionsbereiche,

  • Schaffung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen traditioneller Produktion und neuen Industrien in einem Gewerbe- und Innovationspark,

  • Bereitstellung von Industrieflächen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU),

  • Wohnungsbauprojekte zur Schließung von Bebauungslücken,

  • Errichtung eines in die Umgebung integrierten Einzelhandels- und Freizeitzentrums, eines Bürozentrums für produktionsnahe Dienstleistungen und eines Hotels,

  • Integration der noch vorhandenen, teilweise unter Denkmalschutz stehenden historischen Bausbstanz in die Gesamtkonzeption.

Dieses Konzept bildete die Grundlage für weitere Abstimmungen zwischen der Entwicklungsgesellschaft, den zuständigen Senatsverwaltungen und dem Bezirksamt Reinickendorf. Die Senatsverwaltungen verlangten unter anderem einen Nachweis darüber, daß durch das Projekt die umgebenden Strukturen nicht geschädigt würden. Dieser Nachweis konnte von der Forschungsstelle für den Handel erbracht werden, die sogar einen Bedarf an zusätzlichen Verkaufsflächen für den Stadtteil feststellte.

Zur Koordinierung des Planungsprozesses wurde zwischen den Senatsverwaltungen eine Steuerungsrunde eingerichtet, die einen städtebaulichen Rahmenplan für die weitere Entwicklung des Geländes beschloß. Das endgültige Nutzungskonzept wurde zur verbindlichen Vorgabe für einen städtebaulichen Wettbewerb, dessen Ergebnis die Unterteilung des Geländes in

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die vier Baufelder Wohnungsbau, Gewerbe- und Innovationspark inklusive PHÖNIX Gründerzentrum, Einzelhandelszentrum mit integriertem Freizeit- und Gastronomieangebot sowie Bürobebauung mit Hotel vorsah. Zur Realisierung des Projektes beschloß das Abgeordnetenhaus im September 1996 die notwendig gewordenen Änderungen im Flächennutzungsplan. Die rechtliche Grundlage für die weitere Erschließung bildeten drei Bebauungsplanverfahren; die formale Grundlage für die Zusammenarbeit der Behörden und der Herlitz Falkenhöh AG basierte auf zwei städtebaulichen Verträgen.

Insgesamt konnten also durch Zusammenarbeit der Entwicklungsgesellschaft und der Stadtverwaltung bzw. -politik sowohl die von der Herlitz Falkenhöh AG entwickelten Nutzungsvorstellungen gegen das Industrieflächensicherungskonzept verwirklicht als auch kommunale Belange im Sinne eines alle Seiten zufriedenstellenden Kompromisses durchgesetzt werden. Das Projekt „Am Borsigturm" habe damit bewiesen, daß die private Entwicklung innerstädtischer Flächen und staatliche Regionalplanung kein Widerspruch sein müssen, so der Referent.

Die Vertreterin des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MASSKS) führte aus, ob und inwieweit die Einrichtung von Gewerbehöfen, Technologie- und Gründerzentren auf der einen sowie Urban Entertainment Centers auf der anderen Seite im Rahmen von Mischnutzungskonzepten zur ökonomischen und sozialen Stabilisierung eines Stadtteils beitragen kann.

Ein wesentlicher Ansatz der kommunalen wohnumfeldverträglichen KMU-Förderung und damit der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik ist die Einrichtung von Gewerbehöfen, in denen Produktions- und Lagerflächen zu vergleichsweise günstigen und damit auch für Existenzgründer erschwinglichen Mietpreisen angeboten werden. Gewerbehöfe bieten darüber hinaus unter anderem langfristige Mietverträge und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen bzw. zur Nutzung gemeinsamer Einrichtungen.

Einen eher regionalen Ansatz verfolgen Technologie- und Gründerzentren mit ihren Angeboten an Serviceleistungen in den Bereichen Organisation, Management und Beratung. Im Gegensatz zur klassischen, auf reine Investitionen zielenden Wirtschaftsförderung soll mit Hilfe der Technologieförderung vor allem Know How vermittelt werden. Ziel der Einrichtung von Technologiezentren ist die Förderung der Zusammenarbeit innovationsfreudiger Unternehmen und Existenzgründer mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Referentin kritisierte allerdings, daß es dabei kaum zur sachgerechten Koordination von Standortentscheidungen, sondern vielmehr zu einem interregionalen Wettbewerb um projektbezogene Förderungsmittel kommt.

Analog US-amerikanischer und asiatischer Vorbilder entstehen während der letzten Jahre auch in Deutschland großflächige Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen, die oftmals mit unterschiedlichen Nutzungen aus den Bereichen Einzelhandel und Gastronomie angereichert werden, um Koppelungseffekte und damit einen größeren ökonomischen Erfolg erzielen zu können. Die weitgehendsten Entwicklungen in diesem Bereich sind Urban Entertainment Centers (UECs), d.h. räumlich komplex gebündelte Vergnügungs- und Freizeiteinrichtungen innerhalb einer baulichen Anlage. Die Philosophie des UEC-Konzeptes besteht in der Übertragung des

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Shopping-Center-Gedankens auf den unterhaltungsorientierten Freizeitbereich, wodurch für die einzelnen Einrichtungen jeweils Wettbewerbsvorteile gegenüber vergleichbaren innerstädtischen Anbietern in Einzellagen entstehen. UECs sind auf ein regionales Einzugsgebiet mit rund 100 km Radius und ca. 1 Mio. Einwohner ausgelegt. Zu den potentiellen Standorten solcher Einrichtungen gehören Bahnhöfe und Flughäfen, Shopping-Centers, Freizeitgroßanlagen, einige Innenstadtlagen sowie periphere Verkehrsknotenpunkte. Die Referentin wies allerdings abschließend darauf hin, daß sich die Einrichtung von UECs aufgrund ihrer spezifischen Standortanforderungen nur sehr bedingt als Instrument zur Aufwertung von Stadtteilen eignet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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