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1. Wir brauchen mehr Unternehmer

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Deutschland liegt mit einer Selbständigenquote von knapp zehn Prozent in Europa auf dem vorletzten Platz. Ein Defizit des Wirtschaftsstandortes Deutschland, das in den wirtschaftspolitischen Debatten der letzten Jahre nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Zu sehr fokussierte sich die Diskussion auf medienwirksame Aspekte wie Steuerbelastung, Sozialabgaben oder die Höhe der Zinssätze. Dabei bestreitet niemand die große Bedeutung von Unternehmensgründungen für den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Kommunikations- und Dienstleistungsgesellschaft.

Auch in den Medien tauchen die spezifischen Probleme von Existenzgründern und kleinen und mittleren Unternehmen in der Regel nur in Randnotizen auf. Die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse werden von den Großunternehmen dominiert, die jedoch häufiger durch Fusionen und Unternehmensübernahmen von sich reden machen als durch marktfähige Pro-duktinnovationen. Der Trend zu Großfusionen nach dem Muster Daimler-Chrysler kann jedoch nach Einschätzung des SPD- Bundestagsabgeordneten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Zukunft den Smart Companies gehören wird. Sie seien es, die den Innovationsprozeß vorantreiben, die notwendige Wachstumsdynamik forcieren und zukunftsfähige Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen. Die geringe Selbständigenquote sei keineswegs unabwendbar. Hierzulande und insbesondere in Baden-Württemberg fehle es nicht an innovativen Köpfen und Ideen. Es mangele jedoch an den entsprechenden Rahmenbedingungen, Ideen zu verwirklichen.

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1.1 Die Bedeutung von Existenzgründern für Strukturwandel und Arbeitsmarkt

Das Industrieportfolio Deutschlands wird heute immer noch durch die klassischen Branchen Automobilbau, Maschinenbau, Elektrotechnik, Stahlbau und Chemie geprägt, in denen rund 60 Prozent der Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes konzentriert sind. Das ifo-lnstitut für Wirtschaftsforschung hat ermittelt, daß mehr als die Hälfte der deutschen Industrieunternehmen in stagnierenden oder gar schrumpfenden Märkten verharren. Dagegen besteht in den neuen Zukunftstechnologien wie den Informations- und Telekommunikationstechnologien oder der Biotechnologie ein erhebli-

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cher Nachholbedarf. Besonders problematisch ist der im Vergleich zu Japan und den USA deutlich niedrigere Welthandelsanteil in der dynamisch wachsenden Informations- und Kommunikationstechnologie. Prognosen gehen davon aus, daß bereits in zehn Jahren mehr als 80 Prozent der Erwerbstätigen in erster Linie mit informationsverarbeitenden Tätigkeiten beschäftigt sein werden. Hier erreicht Deutschland derzeit lediglich einen Welthandelsanteil von 8,5 Prozent und liegt damit weit hinter den USA mit 22,6 Prozent und Japan mit 32,5 Prozent.

Die deutsche Wirtschaft steht vor einem gewaltigen Strukturwandel. Wissenschaftler entwerfen bereits die Vision einer "nachindustriellen Informations- und Dienstleistungsgesellschaft" und vergleichen die derzeitige Situation mit dem bislang tiefgreifendsten Strukturwandel in der Geschichte, dem Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft. In der Tat sind Parallelen auszumachen. So wie die Produktivitätssteigerungen der modernen Intensivlandwirtschaft dazu geführt haben, daß weniger Landarbeiter heute mehr landwirtschaftliche Produkte auf weniger Fläche erzeugen, so führen hochtechnisierte Produktionsformen dazu, daß immer weniger Industriearbeiter immer mehr Güter produzieren. Experten schätzen, daß bereits in zwei Jahrzehnten zwei Drittel der klassischen Arbeitsplätze verschwunden sein werden. Die Hoffnung von Politikern und Wissenschaftlern richten sich daher auf Zukunftsbranchen wie die Kommunikations- und Informationstechnologien oder das Dienstleistungsgewerbe. Branchen, in denen der Erfolg zunehmend davon abhängt, schnell und innovativ zu sein. Hier "fressen" die Schnellen die Langsamen, wie der Erfolg der ehemals winzigen Software-Firma Microsoft gegenüber dem Giganten IBM beispielhaft illustriert. Zeit und Schnelligkeit werden in den High-Tech-Feldern der Informationstechnologie zu den entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. Stetig kürzer werdende Innovationszyklen machen neue Unternehmensmodelle und Arbeitsformen notwendig. Bestehende Unternehmen können diese Aufgaben nur unzureichend erfüllen, die entsprechenden Spezialisten und Innovatoren sind rar. In diese Lücke stoßen junge Unternehmen, deren Gründung auf einer neuen Idee basiert und deren primäres Unternehmensziel die Umsetzung dieser Idee ist. Sie sind es, die den Strukturwandel vorantreiben.

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Unternehmensgründungen sind aber nicht nur für den Strukturwandel und damit für die langfristigen Zukunftsperspektiven der deutschen Wirtschaft als Ganzes wichtig, sondern haben auch für die Entwicklung am Arbeitsmarkt eine entscheidende Bedeutung. Da die bestehenden Unternehmen nicht in der Lage sind, die zum Abbau der Arbeitslosigkeit notwendigen Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, versprechen sich Wirtschaftsexperten und Politiker von einer Gründungsoffensive wichtige Entlastungseffekte für den Arbeitsmarkt. Neue Unternehmen schaffen einer aktuellen Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge durchschnittlich 2,6 Arbeitsplätze in den alten Bundesländern und 3,3 Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Besonders positive Effekte auf den Arbeitsmarkt gehen von jungen Technologieunternehmen aus. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBF) ermittelte, daß jede technologieorientierte Unternehmensgründung fünf Arbeitsplätze schafft. Eine Umfrage der Technologie-Beteiligungsgesellschaft (tbg) der Deutschen Ausgleichsbank bei von ihr geförderten Technologieunternehmen vom November 1997 hat ergeben, daß die Unternehmen bei einem Durchschnittsalter von vier Jahren im Schnitt 23 Mitarbeiter beschäftigten.

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Gegenüber dem Vorjahr hatte sich die gemittelte Beschäftigtenzahl damit um knapp 30 Prozent pro Unternehmen erhöht. Einer Befragung vom Dezember 1998 zufolge planten 88 Prozent der Technologieunternehmen aus dem tbg-Portfolio für 1999 eine weitere Aufstockung der Belegschaft Anvisiert werde die Einstellung von durchschnittlich 8,5 Mitarbeitern pro Unternehmen, was einem erneuten Zuwachs von 40 Prozent entspricht.

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1.2 Gründungsdynamik in Deutschland

Gesicherte empirische Erkenntnisse über die Gründungsdynamik in Deutschland liegen unverändert nicht vor. Den vorliegenden Zahlen zufolge scheint sich jedoch bei der Selbständigenquote der negative Trend der letzten Jahre umzukehren. Laut Mikrozensus ist die Anzahl der Selbständigen in Deutschland von 3,04 Mio. im April 1991 auf 3,53 Mio. im April 1997 gestiegen. Die bundeseigene Deutsche Ausgleichsbank (DtA), die Gründerbank des Bundes, bestätigt diese Zahlen. DtA-Vorstandsprecher Eckard von Reden zufolge ist Deutschland auf dem Weg, wieder ein "Gründerland" zu werden. 1998 vergab die DtA rund 68.000 Kredite im Gesamtwert von 9,8 Milliarden Mark an Existenzgründer und junge Unternehmen - 6,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) hat ermittelt, daß die Gründungsdynamik besonders positiv im innovativen Bereich ist. Im Bereich der Spitzentechnik stieg die Zahl der Neugründungen in Westdeutschland zwischen 1992 und 1996 um 15 Prozent, in der höherwertigen Technik um 40 Prozent und bei den technologieorientierten Dienstleistungen sogar um 55 Prozent.

Nach Ergebnissen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), einer repräsentative Wiederholungsbefragung von über 13.000 Personen, haben im Zeitraum von 1990 bis 1996 etwa 1,48 Mio. Personen aus Westdeutschland und 560.000 aus Ostdeutschland erstmals eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. 13,7 Prozent der neuen Selbständigen im Westen waren zuvor arbeitslos, im Osten sogar 16,2 Prozent. Dem SOEP zufolge sind knapp 90 Prozent aller westdeutschen Existenzgründer nach einem Jahr noch selbständig; nach drei Jahren sind es noch gut 75 Prozent und nach fünf Jahren noch rund 65 Prozent. In Ostdeutschland ist die Stabilität der Gründungen mit 90 Prozent nach dem ersten Jahr, 82 Prozent nach dem dritten Jahr und gut 60 Prozent nach dem fünften Jahr etwas höher.

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Abbildung 2: Umfang, Struktur und Merkmale der Existenzgründer in Deutschland 1990 bis 1996
Umfang, Struktur und Merkmale der Existenzgründer in Deutschland 1990 bis 1996

Quelle: DIW, Zunehmende Selbständigkeit in Deutschland von 1990 bis 1996, in: Wochenbericht 38/98, S. 690

Noch gibt es allerdings zu viele Hindernisse, die die potentiellen Gründer hemmen. Insbesondere die Transparenz und die Konsistenz der Förderlandschaft sind noch verbesserungsbedürftig. Risiken für junge Unternehmer müssen durch eine fundierte Beratung vor und nach der Neugründung entschärft werden. Viele Versäumnisse liegen auch in den Hoch-

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schulen selbst, die sich bislang nur unzulänglich der Unternehmerausbildung und Unternehmerweiterbildung gewidmet haben.

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1.3 Hochschulen als Reservoir für potentielle Existenzgründer

Unternehmensgründungen und deren Dynamik hängen eng mit dem Bildungssystem zusammen. Die Wahrscheinlichkeit des Aufbaus einer selbständigen Existenz nimmt mit dem Bildungsstand zu. Um so bedenklicher ist, daß nur ein kleiner Teil von Deutschlands Studenten den Weg in die Selbständigkeit wagt, während die überwiegende Mehrheit eine berufliche Zukunft im öffentlichen Dienst anstrebt. Neuesten Erhebungen zufolge landet fast jeder zweite Hochschulabsolvent im öffentlichen Dienst, während gerade mal 14 Prozent von ihnen ein Unternehmen gründen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und reichen von Mentalitätsproblemen bis zur Ausgestaltung von Studienlehrplänen und -inhalten. Dem Mainzer Ökonomie-Professor Hermann Simon zufolge tragen die Universitäten selbst in erheblichem Maße zur mangelnden Bereitschaft von Hochschulabsolventen bei, sich selbständig zu machen. Eine von ihm regelmäßig vorgenommene Befragung von Studenten der Wirtschaftswissenschaften ergab, daß die Zahl derer, die mit dem Schritt in die Selbständigkeit liebäugeln, während des Studiums kontinuierlich abnimmt. Können sich zu Beginn des Studiums noch rund die Hälfte der Studenten vorstellen, ein eigenes Unternehmen zu gründen, so sinkt diese Quote spätestens im Hauptstudium drastisch ab. Einen Hauptgrund hierfür sieht Simon in den Studieninhalten, die den Studenten eine Komplexität vermittelten, die es in der Realität gar nicht gebe. Wer einmal ein dickes Buch über Investitionsrechnung gelesen habe, traue sich danach oftmals keine Investition mehr zu. [ Fn.1: Sven 0. Clausen, "Studenten, werdet Chefs!", in: Die Zeit 11 / 1998, S. 81 ] Die Studie "Aus- und Weiterbildung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen" des BMBF aus dem Jahre 1997 bestätigt diese Einschätzung. Ein Drittel der potentiellen Unternehmensgründer an den Hochschulen sieht den Mangel an kaufmännischen Kenntnissen, Markt- und Managementerfahrungen als großes Hemmnis bei dem Schritt in Selbständigkeit.

Der Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Neue Produkte bestätigt, daß an den Hochschulen ein enormes Potential an Unternehmensgründern

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schlummert. Dies gilt nach Einschätzung des BMBF [ Fn.2: Pressemitteilung des BMBF vom 4.5.1998. ] insbesondere für die rund 690.000 Studenten und rund 66.000 jährlichen Absolventen der mathematisch-naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge. Während jeder vierte der 20.500 Wissenschaftler an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen konkrete Gründungsabsichten hat oder eine Gründung vorbereitet, haben lediglich fünf Prozent der rund 100.000 Wissenschaftler an den mathematisch-naturwissenschaftlichen und den ingenieurwissenschaftlichen Fachbereichen deutscher Hochschulen konkrete Gründungsabsichten für ein technologieorientiertes Unternehmen. Würde es gelingen, an den Hochschulen ein vergleichbares Gründungsinteresse wie an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu wecken, könnten 25.000 potentielle Gründer gewonnen werden.

Die vom BMBF in Auftrag gegebene Studie "Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands" vom Dezember 1997 hat ergeben, daß sich 18 Prozent der Universitäts- und 12 Prozent der Fachhochschulabsolventen nach dem Examen selbständig machen. Betätigungsfelder fanden sie vornehmlich in innovativen Dienstleistungsbereichen, in denen der Selbständigenanteil in der ersten Hälfte der 90er Jahre von 16 Prozent auf 22 Prozent gestiegen ist. Der Studie zufolge ist die Gründungsintensität im technologieorientierten Bereich im Umfeld von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen besonders hoch. Wurden 1990 lediglich 30 innovative Unternehmen aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausgegründet, waren es 1996 bereits 90. 1997 stieg die Zahl sogar auf rund 160 Ausgründungen. Zuwächse gab es auch bei den Ausgründungen technologieorientierter Unternehmen aus Hochschulen. So hat sich die jährliche Zahl der Unternehmensausgründungen von 1990 bis 1996 mehr als verdoppelt. 1996 hatten rund 1.000 Hochschulwissenschaftler, Studenten und Absolventen rund 700 technologieorientierte Unternehmen gegründet. Die positive Tendenz kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß bislang nur ein verschwindend kleiner Teil des Gründerpotentials aus Wissenschaft und Hochschulen ausgeschöpft wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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