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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 85 (Fortsetzung)]

9. Konversion - eine vom Bund zu fördernde Zukunftsinvestition

Die militärischen Strukturen sind in vielen Jahren des Wettrüstens entstanden, erweitert und optimiert worden. Durch das plötzliche Ende des Ost-Westkonflikts avancierte Konversion fast über Nacht zum Hoffnungskonzept zur Bewältigung der aus den Abrüstungsprozessen herrührenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen. "Schwerter zu Pflugscharen" umzuwandeln, stellt sich aber als weitaus schwieriger dar, als dies die Friedensbewegung in den 80er Jahren noch angenommen hat. Die Erfahrungen, die im wiedervereinten Deutschland gemacht wurden, zeigen: Konversion ist keine Aufgabe, die in einem kurzfristigen Kraftakt erledigt werden kann, sondern ein Anliegen von mindestens 10 bis 15 Jahren. Zu bewältigen ist ein vielschichtiger Strukturwandel mit einem Bündel an Problemen, zu denen der Verlust von Arbeitsplätzen, von Steuereinnahmen und von staatlichen Zuschüssen, aber auch die vorhandenen Altlasten und Schäden sowie regionalwirtschaftliche Gefährdungspotentiale gehören. Dies erfordert eine umfassende Handlungsstrategie auf

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 86]

europäischer, nationaler und regionaler Ebene - allein schon deshalb, weil die Aufgaben der Konversion das Ergebnis von nationalen und internationalen Entscheidungen im Bereich der Sicherheitspolitik sind.

Schmerzlich bemerkbar macht sich vor allem, daß der Bund Konversion nicht als politische Steuerungsaufgabe annimmt. Vielmehr erschwert er die Konversionsbemühungen u.a. durch nicht klare politische Rahmenbedingungen für die wehrtechnische Industrie. Insbesondere fehlt ein Bundeskonversionsprogramm, das zu einer soliden Grundfinanzierung der Konversionsaufgaben nach dem abrüstungs- und entspannungsbedingten Strukturbruch der späten 80er und frühen 90er Jahre beiträgt. Die Politik muß begreifen, daß es sich bei Rüstung und Militär um Bereiche handelt, die - wie Kohle, Stahl und Textil - in einer Krise stecken und für die Ausgleichsmaßnahmen zu finanzieren sind. Hier ist der Bund besonders gefordert, weil er zuvor auch die Impulse für Aufrüstung gesetzt hat. Da er die jetzt zu lösenden Konversionsprobleme mitverursacht hat, muß er auch in die Pflicht genommen werden. Deshalb darf nicht zugelassen werden, daß der Bund sich aus der Verantwortung stiehlt und die Lösung der Probleme den Heilkräften von Natur und Wirtschaft oder den bescheidenen Möglichkeiten der Bundesländer und Kommunen überläßt.

Es kann nicht länger hingenommen werden, daß die Bundesregierung - ebenso wie die führenden Unternehmen der wehrtechnischen Industrie - Konversion nicht gestaltet und steuert, sondern über Strukturanpassungen am Markt ablaufen läßt. Dabei werden Stillegungen von Kapazitäten und Entlassungen von Beschäftigten bewußt in Kauf genommen. Betriebliche und regionale Initiativen zur Konversion werden in diesem eher passiven Konzept nicht aufgegriffen und in einer Politik des planmäßigen und systematischen Umbaus von militärischen auf zivile Fertigungskapazitäten genutzt. Dringend erforderlich ist aber, daß Konversionsinitiativen und Konversionsaktivitäten mit Bundeshilfen unterstützt werden, weil aus ökonomischen und soziale Gründen nicht akzeptiert werden kann, daß die hohe Qualifikation und Motivation der Beschäftigten aus der wehrtechnischen Industrie durch Arbeitslosigkeit entwertet und angesichts der Massenarbeitslosigkeit Erneuerungspotentiale im Konversonsbereich verschüttet werden. Auch auf Bundesebene muß erkannt werden, daß Konversion das Gegenteil einer strukturkonservierenden, bestandssichernden Politik ist. Vielmehr kann Konversion als Teil einer komplexen ökonomischen und sozialökologischen Reformstrategie in unserer Volkswirtschaft dadurch einen Modernisierungsschub erzeugen, daß mit zukunftsfähigen Projekten und Produkten neue Beschäftigungsspielräume und Absatzmärkte geschaffen werden.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 87]

Aus diesen Gründen sollte der Bund seine bisherige Ablehnung einer (Teil-)Finanzierung von Konversionsmaßnahmen noch einmal kritisch überprüfen. Als wirksame Instrumente einer finanziellen Unterstützung könnten z.B. das Städtebauförderungsprogramm und die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" genutzt werden. Wird eine Mittelaufstockung dieser und/oder anderer Programme für Konversionszwecke nicht vorgenommen, dann sollte der Bund wenigstens seine aufgelegten Förderprogramm auf die von Truppenabbau und Einbrüchen bei der wehrtechnischen Industrie besonders betroffenen Regionen konzentrieren. Hilfreich wäre für solche Regionen auch, wenn ihnen bei Standortentscheidungen des Bundes eine Vorrangstellung eingeräumt und der in den letzten Jahren praktizierte Rückzug von Bundeseinrichtungen aus der Fläche (Post, Katastrophenschutz, Bundesgrenzschutz usw.) nicht länger fortgesetzt würde.

Die Forderung nach einem stärkeren Engagement des Bundes zielt nicht darauf ab, die Konversionsanstrengungen auf der Ebene von Betrieben, Kommunen und Ländern zu verringern. Diese Akteure werden vielmehr auch in Zukunft mit ihren relativ bescheidenen Möglichkeiten zur Lösung der Konversionsprobleme beitragen müssen. Fest steht, daß die bisher entwickelten und erfolgreich umgesetzten Konversionsansätze der Initiative von Landes- und Kommunalpolitikern sowie dem Engagement von innovationsfreudigen Unternehmern und Arbeitnehmervertretern, die auf verschiedenen Ebenen kooperieren, zu verdanken sind. Und ohne die frühzeitige transnationale Kooperation von einzelnen Städten und Kommunen hätte es keine Gemeinschaftsinitiative der EU für den Konversionsbereich gegeben mit der Konsequenz, daß viele Konversionsschritte wahrscheinlich nicht möglich geworden wären. Da das KONVER 11-Programm der EU nicht wie andere mit der Reform der EU-Strukturpolitik 1994 beschlossene Gemeinschaftsinitiativen bis 1999, sondern nur bis einschließlich 1997 laufen wird, ist zur Zeit noch unklar, ob es die benötigte langfristige europäische Förderung von Konversionsaufgaben geben wird. Ohne diese Mittel werden die Länder aber nur in einem erheblich eingeschränkten Maße in der Lage sein, eine konsequente Konversion perspektivisch zu definieren und förderpolitisch abzusichern.

Nicht nur die Flächensanierung militärischer Liegenschaften wird noch viele Jahre hohe Kosten verursachen. Auch die Umstellungsprozesse in der wehrtechnischen Industrie bleiben in der Regel längere Zeit auf flankierende öffentliche Hilfen angewiesen. Das gilt um so mehr, wenn Konversion nicht nur Diversifizierung beinhalten

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 88]

soll, sondern auch darauf zielt, neue Märkte mit neuen Produkten zu bedienen und wehrtechnische Produktionskapazitäten abzubauen. Dabei kann der Staat auch als ziviler "Übergangsauftraggeber" fungieren oder wie das Land Bremen Projekte der betrieblichen Konversion mit hohem Innovationsgehalt und mit Pilot- bzw. Modellcharakter finanziell fördern. Für die Länder bietet sich damit die Chance, Konversionsprozesse als Experimentier- und Lernfeld für industriellen Strukturwandel und für die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Handlungskompetenz in den Regionen zu nutzen.

Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, daß Konversionsprozesse - wenn sie als langfristige Strategie erfolgreich sein wollen - als Mitbestimmungs- und Kooperationsprojekte entwickelt werden müssen. Sonst werden sich die zahlreichen Hemmnisse, wie

  • das unterentwickelte Prioritätenbewußtsein relevanter Entscheidungsträger in Staat, Wirtschaft und Medien
  • die Begrenztheit der zur Verfügung gestellten Finanzmittel der öffentlichen Hand
    und
  • Ängste vor Veränderung und Frustrationen

nicht überwinden lassen. Da Konversion (noch) keine Lobby hat, muß sie vor allem in den Köpfen stattfinden. Deswegen sollten die Personen, die die betriebs- und regionalwirtschaftlichen Konversionsprozesse abarbeiten, das moralische Leitbild einer Welt mit weniger Rüstung, weniger Naturzerstörung und weniger sozialer Verelendung durch militärische Aktivitäten nicht aus den Augen verlieren.

Kurzfristig dominieren bei Rüstungskontrolle und Abrüstung die negativen wirtschaftlichen und sozialen Probleme: Es gehen militärische und militärabhängige Arbeitsplätze verloren, die wehrtechnische Industrie ist von Auftragseinbußen betroffen, die Verschrottung von Waffen und die Beseitigung von Altlasten auf ehemaligen militärischen Liegenschaften sind kostenintensiv. Infolge der angespannten Haushaltslage fällt es Bund, Ländern und Kommunen schwer, die finanziellen Mittel bereitzustellen, die für die Bewältigung dieser Konversionsprobleme benötigt werden.

Langfristig überwiegen aber die positiven Abrüstungsfolgen: Militärische Areale stehen für alternative Nutzungen - Bildungseinrichtungen, Verkehrswesen, Industrie, Handel, Freizeit-, aber auch für Renaturierungen zur Verfügung. Militärische Forschungskapazitäten (qualifizierte Wissenschaftler und Ingenieure, finanzielle und

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 89]

materielle Forschungsmittel) werden freigesetzt und können im Sektor der zivilen Forschung und Entwicklung genutzt werden. Der Rüstungsindustrie eröffnen sich völlig neue Optionen durch Substitution von militärischen durch zivile Produktionen und Produkte; dadurch entstehen zugleich alternative Arbeitsplätze. Die öffentliche Hand kann mit Einsparungen im Verteidigungsbereich sowohl produktive Forschungs-, Umwelt-, Infrastruktur- und Umschulungsprogramme als auch steuerliche Entlastungen der Unternehmen finanzieren. Da diese langfristigen Nutzen höher einzuschätzen sind als die kurzfristigen Konversionskosten, müssen die Abrüstungs- und Konversionsprozesse von der Politik als bedeutende Investitionen in die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland erkannt und genutzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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