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TEILDOKUMENT:
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Die Plattenbausiedlungen in der DDR waren Instrument der sozialistischen Wohnungspolitik. Ziel der industriellen Bauweise war die Erstellung des in den Ballungsgebieten und Industriestandorten benötigten Wohnraumes und gleichzeitig die Realisierung eines zentralen politischen Projektes; Im Rahmen der auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 formulierten 'Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik' wurde die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990" beschlossen. Die einseitige Forcierung der industriellen Bauweise hatte auch das Ziel, eine neue Wohnform für die entwickelte sozialistische Persönlichkeit zu erstellen. Entsprechend negativ waren die westdeutschen Einschätzungen zur Zukunft der Platte" nach der Vereinigung. Die Großsiedlungen galten als in Beton gegossener Ausdruck eines gescheiterten autoritären Regimes: monoton, häßlich, wenig nutzerfreundlich und schludrig gebaut. Man sah in ihnen Objekte eines frühen Verfalls und die Ghettos der Zukunft. Die Forderungen schwankten zwischen einer weitgehender Neugestaltung und dem vollständigen Abriß. Die Umwandlung der Kommunalen Wohnungsverwaltungen in privatrechtliche Wohnungsgesellschaften, die Sanierung, Modernisierung und Privatisierung ihrer Wohnungsbestände, kurz die Entwicklung eines funktionierenden Wohnungsmarktes ist ein zentraler Bereich der Transformation Ostdeutschlands. Darüber hinaus wirkt die Entwicklung und soziale Stabilisierung der Großsiedlungen entscheidend auf die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der ostdeutschen Regionalzentren und Industriestandorte (Berlin, Leipzig, Halle/Chemiedreieck, Magdeburg, Rostock etc.). Umgekehrt erfordert ihre Stabilisierung die Neuansiedlung konkurrenzfähiger Arbeitsplätze über eine gezielte Investitionsförderung. Nach einer ersten Bestandsaufnahme von Bausubstanz und Wohnumfeld, unter der Restriktion begrenzter öffentlicher Mittel und zögernder privater Investoren, verlief die Umgestaltung der Großsiedlungen ziemlich undramatisch, aber erfolgreich. Bei einer genaueren Analyse zeigte es sich, daß große Teile des Bestandes, nach einer Grundsanierung mit begrenztem finanziellen Aufwand, durchaus eine akzeptable Wohnqualität bieten. Dieser liegt etwas unterhalb der Standards des westdeutschen Sozialen Wohnungsbaus. Mit erheblichem Aufwand wurde das Wohnumfeld verbessert und die [Seite der Druckausgabe: II] sozialen und kulturellen Angebote ausgebaut. Das für viele erstaunliche Resultat: die Großsiedlungen stabilisierten sich, der Wegzug und damit verbundene Leerstand hielt sich in Grenzen und die meisten Bewohner sind mit ihrer Platte" im großen und ganzen zufrieden. Dies gilt besonders dort, wo die Wohnungsgesellschaften über ausreichende öffentliche Fördermittel und durch eine zügige Planung/Genehmigung, in die Lage versetzt wurden, die Grundsanierung voranzutreiben. Dabei wird von den Bewohnern auf besondere Vorteile der Plattenbausiedlungen verwiesen: dies ist vor allem ihre Stadtrandlage bei guter ÖPNV-Anbindung zu den Stadtzentren und das gute Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen, das schon auf die DDR-Konzeption zurückgeht. Die Großsiedlungen in den ostberliner Bezirken Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen zeichnen sich durch eine besondere Situation aus, die sie von vergleichbaren ostdeutschen Siedlungen wie Leipzig-Grünau oder Halle-Neustadt unterscheidet. Zum einen die schiere Größe: So ist Marzahn mit ca. 160.000 Einwohnern die größte Wohnsiedlung Deutschlands. Zum anderen ist relativ früh nach der Vereinigung Berlins die politische Grundsatzentscheidung zur Weiterentwicklung der Großsiedlungen gefallen. Dies hat dafür gesorgt, daß im Rahmen des Modernisierungsprogramms der Senatsbauverwaltung der Löwenanteil der öffentlichen Bauförderung in diese Gebiete geflossen ist. Der Erfolg ist bereits absehbar. Die Grundsanierung wurde z.B. in Hellersdorf zu über fünfzig Prozent durchgeführt und wird im Laufe der nächsten fünf bis sieben Jahre abgeschlossen sein. Die Anerkennung dieser Entwicklungsperspektive läßt sich an den zunehmenden privaten Gewerbeinvestitionen in diesen Bezirken ablesen. Die Sozialstruktur in der 'Platte' entspricht (noch) nicht denen vergleichbarer Siedlungen in Westdeutschland, die sich durch einen hohen Anteil von Haushalten mit niedrigem und Transfer-Einkommen auszeichnen. Dies zeigt sich am noch niedrigen Leerstand, dem eine wachsende Nachfrage aus den Innenstadtbezirken nach einer Plattenwohnung in bestimmten Quartieren gegenübersteht. Diese vergleichsweise positive Ausgangslage der ostberliner Plattenbausiedlungen ist nicht repräsentativ für andere ostdeutsche Großsiedlungen, in denen angesichts des wachsenden Leerstandes mittlerweile über einen Abriß größerer Teile des Wohnungsbestandes nachgedacht wird. Doch die bisher erfolgreiche Stabilisierung der Großsiedlungen ist von einem Bündel gesellschaftlicher Entwicklungen bedroht: [Seite der Druckausgabe: III]
Daraus ergibt sich ein Entwicklungspfad nach unten: bei anhaltender Arbeitslosigkeit und sinkenden Realeinkommen besteht die Gefahr, daß es zu einer Konzentration sozialer Problemgruppen in den Großsiedlungen kommt. Durch eine soziale Entmischung der Bewohner kommt es zu einer schleichenden Verslumung und schließlich entstehen am Stadtrand Ghettos für die Modernisierungsverlierer. Die auf der Tagung diskutierten Lösungsvorschläge bieten oft wenig mehr als eine genaue Problembeschreibung und kommen nicht über erste Ansätze hinaus. Damit spiegeln sie den Stand der politischen Diskussion in der Bundesrepublik zu den Problemen der Großsiedlungen in West und Ost. Trotzdem lassen sich zwei unterschiedliche Ansätze erkennen: der entscheidende Unterschied besteht in der Einschätzung, wie eine erfolgversprechende Strategie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik aussehen muß. Ist man der Auffassung, daß die Arbeitslosigkeit auf gesamtstaatlicher Ebene bekämpft werden muß, so wird man lokalen Konzepten nur eine begrenzte Wirkung zubilligen. Dann ist die Massenarbeitslosigkeit nicht das Problem der Großsiedlungen, sondern muß über eine andere Wirtschaftspolitik bekämpft werden. [Seite der Druckausgabe: IV] Von denen, die nicht an eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt glauben, wurde die Notwendigkeit lokaler Initiativen betont. Hier zeigten sich im Laufe der Diskussion die unterschiedlichen Interessen der Akteure. Von Vertretern der Wohnungsgesellschaften wurde eine gezielte Vermietungsstrategie zur Anwerbung finanzkräftiger Mieterschichten formuliert, mit dem ausdrücklichen Ziel, der sozialen Entmischung entgegenzuwirken. Dabei sollen verhaltensauffällige Mieter möglichst aus den Großsiedlungen verdrängt werden und der Zuzug für Angehörige konfliktträchtiger Randgruppen begrenzt sein. Von Seiten der Städtebauer und Stadtsoziologen wurde der Aufbau lokaler Netzwerke als eine Grundlage für den Ausbau lokaler Ökonomien propagiert. Dabei steht die Schaffung von bewohnernahen Arbeitsplätzen im Bereich einfacher Dienstleistungen im Vordergrund, bis hin zur staatlichen Tolerierung, ja Förderung eines begrenzten informellen Sektors, als eines notwendigen Regulativs, um die Schere zwischen Bedürfnissen und Kaufkraft nicht zu groß werden zu lassen. Diese Fraktion glaubt offensichtlich nicht daran, daß die Wirtschaftspolitik über Technologieförderung und Investitionsanreize Ersatz für die weggefallenen Arbeitsplätze schaffen kann. Welche Forderungen an die Berliner Wohnungspolitik lassen sich aus dieser kritischen Einschätzung für die nächsten Jahre ableiten:
Darüber hinaus ergeben sich weitergehende Aufgaben, die nur in der Kooperation aller Beteiligten gelöst werden können. Dabei besteht in den neuen Bundesländern anschei- [Seite der Druckausgabe: V] nend eine größere Bereitschaft, die eigene Position in Frage zu stellen und Kompromisse unterhalb der formal zuständigen Entscheidungsebene anzustreben. Um für die Großsiedlungen eine eigenständige Perspektive entwickeln zu können, müssen folgende Aufgaben gelöst werden:
Die Zukunft der ostberliner Großsiedlungen hängt vor allem von der ökonomischen und sozialen Entwicklung der gesamten Region ab. Jedoch hat es sich gezeigt, daß die Plattenbausiedlungen nach ihrer Sanierung eine gute Chance haben, sich zu lebenskräftigen Stadtteilen mit einem eigenen Profil zu entwickeln. Dabei stehen sie in den nächsten Jahren vor einem Scheideweg. Mittelfristig wird sich eine soziale Differenzierung der Bewohnerschaft nicht völlig verhindern lassen. Sollte es Politik und Wirtschaft aber nicht gelingen, die sich abzeichnende soziale Entmischung zu begrenzen, so besteht die Gefahr, daß sich die Großsiedlungen zu sozialen Brennpunkten entwickeln, was sie in Westdeutschland bzw. Westeuropa vielfach schon sind. Sollte die städtebauliche Integration der Großsiedlungen aber gelingen, wäre das ein Erfolgsbeispiel gerade für die osteuropäischen Staaten, die in den nächsten Jahren vor ähnlichen Sanierungsaufgaben stehen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |