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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 59 / Fortsetzung] 8. Erfolgsfaktor Mitarbeiter Der wichtigste Erfolgsfaktor für kleine und mittlere Unternehmen ist das sogenannte Humankapital, die Mitarbeiter. Nur mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern können kleine und mittlere Unternehmen heute den Erfolg erreichen, den sie brauchen, um am Markt dauerhaft reüssieren zu können. Um so größere Bedeutung wird daher in erfolgreichen Unternehmen der Auswahl, Qualifizierung und Motivation der Mitarbeiter beigemessen . Der Vertreter der Schitag, Ernst & Young Unternehmensberatung erläutert, daß das Potential motivierter Mitarbeiter heute zunehmend von den Unternehmern erkannt wird. Dies dokumentiere auch die unter Schirmherrschaft der EU-Kommission erarbeitete Studie Europe's 500 Dynamic Entrepreneurs der European Foundation for Entrepreneurship Research (EFER) in [Seite der Druckausgabe: 60] Brüssel Im Rahmen dieser Studie wurden europaweit Unternehmen gesucht, die entgegen dem allgemeinen Trend Arbeitsplätze schaffen Als Auswahlprozeß zur Studie Europe's 500 wurden aus insgesamt 75 000 stark wachsenden Unternehmen diejenigen mit einem besonders starken Mitarbeiterwachstum herausgefiltert Am Ende blieben nach vielfältigen Auswahlprozessen europaweit 424 Unternehmen übrig, von denen 60 aus Deutschland stammten Diese 60 Unternehmen, zu denen auch die Firma Unicor gehörte, wurden von Mitarbeitern der Schitag, Ernst & Young interviewt und nach ihren Erfolgsmerkmalen befragt Schaubild 12 Erfolgskomponenten ausgewählter Unternehmen
Quelle Schitag Ernst & Young Unternehmensberatung Als ein Fazit lasse sich festhalten, daß erfolgreiche Unternehmen ihre Mitarbeiter intensiv in die Entscheidungsprozesse einbezogen Von den genannten sechs Erfolgskomponenten beruhten lediglich zwei nicht auf der Einbeziehung der Mitarbeiter, wobei berücksichtigt werden müsse, daß einer dieser beiden Falle die Firma Unicor sei, die ebenfalls stark mitarbeiterorientiert arbeite. Im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz konnten diese Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen, eine erfreuliche Bilanz, die auch für die Schitag, [Seite der Druckausgabe: 61] Ernst & Young Unternehmensberatungsgesellschaft selbst gilt. Deren Mitarbeiterzahl ist alleine in der Stuttgarter Depandance in den letzten vier Jahren von 30 auf 140 Mitarbeiter angewachsen. Die Schitag, Ernst & Young Unternehmensberatung ist als Beratungsgesellschaft erst vor rund fünf Jahren aus dem Schatten der großen Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsgesellschaften herausgetreten. Der Grund für diesen Erfolg liegt nach Einschätzung des Mitglieds der Geschäftsführung der Schitag, Ernst & Young schlicht darin, den am Markt vorhandenen Bedarf zu erkennen, die Mitarbeiter hierfür entsprechend auszubilden und dies zusammenzuflechten. Dabei verfolge man bei Schitag, Ernst & Young zwei fast schon klassische Leitsätze: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" (Erich Kästner) und "Willst Du ein Schiff bauen, so treibe deine Männer nicht zur Arbeit, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten Meer" (Antoine de St. Exupery).
8.1 Mitarbeiterauswahl
Der Aufbau eines qualifizierten Mitarbeiterstammes beginnt bei der Einstellung neuer Mitarbeiter. Bewerber sollten bei der Schitag, Ernst & Young die folgenden vier Kriterien erfüllen, die sie im Laufe ihrer Tätigkeit als Berater ständig weiter entwickeln müßten:
Die Auswahl der Mitarbeiter erfolge mittels Assessment-Center und der üblichen Auswahlverfahren. Letztendlich entscheidend sei aber der persönliche Eindruck. Zur beruflichen Weiterentwicklung im Hause werde der neue Consultant dann kontinuierlich geschult. Diese Schulung beginne mit einem einwöchigen Basisseminar, in denen die neuen Mitarbeiter ausgiebig mit den Methoden, Konzepten und Umsetzungswegen vertraut gemacht würden. Nach dieser theoretischen Einführung beginne die Schulung on the Job. Dabei lege die Unternehmensleitung großen Wert auf selbständi- [Seite der Druckausgabe: 62] ges Arbeiten, wobei es zur Unternehmensphilosophie gehöre, daß die neuen Mitarbeiter niemals mit ihren Problemen im Unternehmen allein gelassen werden dürften. Deshalb stehe dem jungen Consultant immer ein Projektleiter oder Seniorberater zur Seite, der die Aufgabe zu meistern habe, in einem kollegialen Umfeld zu selbständigem Arbeiten zu motivieren. Bei der PA Power Automation sind fachliche Qualifikation und soziale Kompetenz die entscheidenden Faktoren bei die Mitarbeiterauswahl. Dabei hat nach Aussage des Vorstands der PA Power Automation die soziale Kompetenz, also die Fähigkeit miteinander umzugehen und gemeinsam Probleme zu lösen, vor der fachlichen Qualifikation Vorrang. Denn selbst bei bester fachlicher Qualifikation leide die Effizienz der Firma massiv unter einem Mitarbeiter mit schlechter sozialer Kompetenz. Flexibilität und Motivation sind die entscheidenden Auswahlkriterien bei der Planungsgruppe IFB Dr. Braschel. Die Mitarbeiter müssen heute bereit sein, auch in Arbeitsgebieten tätig zu sein, die nicht ihrer Ausbildung entsprechen, denn nach Einschätzung des Vertreters der Planungsgruppe IFB Dr. Braschel hat die erlernte Ausbildung heute lediglich die Funktion eines Startbretts, von dem aus man sich laufend fortbilden muß. Ein Mitarbeiter müsse bereit sein, längere Anfahrtswege zur Arbeit und flexible Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen. Diese Anforderungen setzten natürlich bei vielen Menschen eine erhebliche Mentalitätsänderung voraus, die sich nicht von heute auf morgen, sondern erst langfristig einstellen könne.
8.2 Motivation der Mitarbeiter
Der Vorstandsvorsitzende der Unicor Holding AG bezeichnet es als zentrales Problem, Mitarbeiter dauerhaft zu einem überdurchschnittlichen Engagement zu motivieren. Die meisten klassischen Motivationsinstrumente und incentives wie das "Candle-Light-Dinner" mit dem Chef oder andere Festivitäten können nur einen temporären Motivationsschub initiieren. Daraus erwachse für den Unternehmer der in der Praxis undurchführbare Zwang, seine Mitarbeiter ständig aufs Neue motivieren zu müssen. Notwendig sei daher eine möglichst einmalige "Langzeitmotivation". [Seite der Druckausgabe: 63] Dieser Ansatz treffe in der Praxis jedoch auf naheliegende Schwierigkeiten, weil der Angestellte eines Unternehmens natürlich vollkommen andere Zielvorstellungen habe als der Unternehmer selbst. Wegen dieser unterschiedlichen Ansätze müßten alle Versuche scheitern, den Mitarbeiter durch Zureden und Überzeugen dazu bringen zu wollen, so zu handeln, zu denken und zu entscheiden wie ein Unternehmer. Ein solches Umdenken lasse sich nur dadurch erzielen, daß man die Mitarbeiter wirklich zu Unternehmern mache. Das Instrument hierfür sei die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen. Denn Mitarbeiter, die am Erfolg des Unternehmens beteiligt sind, hätten automatisch eine andere Einstellung zu ihrem Unternehmen als reine Lohnempfänger. Der Erfolg dieses Ansatzes lasse sich anhand eines Eisenbahnzuges illustrieren: Das klassische Unternehmen gleiche einem Zug, bei dem eine Lokomotive (der Unternehmer) eine Vielzahl von Waggons ziehen müsse. Mache man die Mitarbeiter durch eine Beteiligung zu Mit-Unternehmern, würde aus jedem einzelnen Waggon eine eigenständige Lokomotive. Ein solcher Zug mit vielen Lokomotiven sei natürlich viel leistungsfähiger als der Zug mit nur einer Lokomotive. Für den Unternehmer bedeute dies jedoch, daß er etwas von seinen Kompetenzen und seinem Eigentum abgeben müsse. Eine Perspektive, mit der sich manch klassischer Unternehmer schwer tue. Bei Unicor wurden die zehn GmbHs in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in eine Holding überführt. Den Unicor-Mitarbeitern wurde der Erwerb von insgesamt 10 Prozent des Aktienkapitals zu Vorzugskonditionen vor dem für Mitte nächsten Jahres anvisierten Börsengang angeboten. Über 100 Mitarbeiter hätten sofort zugegriffen und Aktien gekauft. Dadurch gebe es jetzt mehr als 100 Unternehmer im Unternehmen, was zu einer erheblichen Motivationssteigerung geführt habe. Jeder könne nun in seinem Bereich nicht nur abstrakt zum Erfolg der Firma beitragen, sondern auch direkt an dem daraus resultierenden Gewinn durch Kurssteigung und Dividende partizipieren. Die Mitarbeiter könnten sich also selbst eine direkte Erfolgsbelohnung verschaffen, was sie wiederum zu weiterem Engagement motiviere. Das Mitglied der Geschäftsführung der TVM bestätigt die motivationsfördernde Bedeutung der Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen. Bei den Firmen, in die die TVM investiere, sei es Voraussetzung, daß die Mitarbeiter über Aktienoptions-Modelle beteiligt würden und mindestens 30 Prozent der Anteile von Mitarbeitern gehalten würden. [Seite der Druckausgabe: 64] Bei der Advance Bank gibt es keine Mitarbeiterbeteiligung, aber andere Formen leistungsabhängiger Bonifikationen. So können sich die Mitarbeiter bei der Urlaubsregelung zwischen einem normalen Urlaubsanspruch mit den üblichen 30 Urlaubstagen oder einer flexiblen, erfolgsabhängigen Regelung entscheiden. Bei dieser Regelung hätten die Mitarbeiter lediglich einen Festanspruch auf 26 Urlaubstage, der aber, wenn es dem Unternehmen gut gehe, auf insgesamt 34 Urlaubstage aufgestockt werden könne. Analog zu dieser erfolgsabhängigen Urlaubsregelung gebe es auch einen erfolgsabhängigen Gehaltsbonus ab der Gehaltsstufe III. Wenn das Unternehmen erfolgreich war, bekämen die Mitarbeiter diesen Bonus, bei ausbleibendem Erfolg würde der Bonus entsprechend gekürzt. Ausschlaggebend für die Gewährung des Bonus sei das Erreichen der zuvor festgelegten Unternehmensziele und des jeweiligen Beitrags des Einzelnen hierfür. Die Vertreterin der IG Metall kritisiert, daß bei den prinzipiell positiven Ansätzen der Mitarbeiterbeteiligung selten an die Beteiligung von Betriebsräten gedacht wird. Großunternehmen wie Daimler Benz und Bosch könnten ihre Gesamtkonzeption jedoch ohne die Beteiligung des Betriebsrats gar nicht mehr umsetzen. Bei den jungen Unternehmen spielten Betriebsräte offensichtlich noch keine große Rolle. Dies sei jedoch auf Dauer ein Fehler. Nur mittels einer qualifizierten Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Unternehmen könne dauerhaft eine alle Interessen berücksichtigende Unternehmenskultur geschaffen werden, die zum langfristigen Erfolg des Unternehmens notwendig ist. Auch mittelständische Unternehmer sollten erkennen, daß sich diese Form der Mitgestaltung auf Dauer rechne. Problematisch sei zudem, daß in der Wirtschaft zulange einseitig auf eine ausgeprägte Form der Mißerfolgsbeteiligung der Mitarbeiter gesetzt wurde, nämlich die Entlassung von Mitarbeitern bei fehlendem oder nicht ausreichendem Erfolg des Unternehmens. Entlassung seien das einfachste Konfliktlösungsmodell, bei dem die Folgen direkt auf die Mitarbeiter abwälzt würden. Es stelle sich die Frage, inwieweit die Führungskräfte gleichermaßen bei Mißmanagement in die Pflicht genommen würden.
8.3 Qualifikation der Mitarbeiter im Unternehmen: Das Beispiel Mann + Hummel Holding GmbH
Die Mann + Hummel Holding GmbH ist ein alteingesessenes mittelständisches Unternehmen aus dem Automobiltechnik- und Industrietechnikbereich [Seite der Druckausgabe: 65] mit Stammsitz im schwäbischen Ludwigsburg, das unter anderem Luftfilter, Ölfilter oder Saugrohre produziert. In Deutschland gibt es sieben Werke und Standorte, weltweit noch einmal elf. Insgesamt hat Mann + Hummel 8.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz in Höhe von fast 1,4 Mrd. DM. Mann + Hummel hat seit 1992 konsequent einen Weg der Mitarbeiterqualifikation und -involvierung eingeschlagen. Motiv hierfür war die Erkenntnis, daß das Unternehmen nur dann am Markt überleben könne, wenn die Mitarbeiter in den permanenten Verbesserungs- und Veränderungsprozeß des Unternehmens einbezogen würden. Ursache dieser Neuorientierung war der erhebliche Wettbewerbs- und Preisdruck, unter dem Mann + Hummel damals wie alle Unternehmen der Automobilzulieferindustrie geriet. Dieser Entwicklung habe das Unternehmen nach Einschätzung des Mitglieds der Geschäftsführung von Mann + Hummel entgegensteuern müssen, um überlebensfähig zu bleiben. Zudem habe die Unternehmensleitung 1993 festgestellt, daß die Organisation des Unternehmens nicht genügend auf die Märkte und die Kunden ausgerichtet war. Daher sollte eine markt- und kundenorientierte Organisation entwickelt und Verantwortung in die einzelnen Standorte delegiert werden. Hierzu seien eigenständige Geschäftsbereiche, sogenannte units, gebildet worden, die weltweit für ihren Bereich Verantwortung tragen. Die Mitarbeiter sollten in umfassenden Weiterbildungsmaßnahmen qualifiziert werden. Die Initiativen zur Mitarbeiterqualifizierung orientierten sich an den Unternehmensvisionen und Leitsätzen sowie den daraus abgeleiteten Strategien und Zielsetzungen. Die Basis sei die Unternehmensphilosophie ZEMA (Zeitgemäß Erfolgreich Miteinander Arbeiten). Der Unternehmensleitung sei von Anfang an klar gewesen, daß die Neuorientierung der Unternehmenskultur nur dann umsetzbar sei, wenn die Mitarbeiter einbezogen und hierfür begeistert werden könnten. Zu Beginn der Kampagne habe die Unternehmensleitung von Mann + Hummel den Mitarbeitern in Betriebsversammlungen mitgeteilt, daß eine Qualifizierungsoffensive für alle etwa 5.000 Mitarbeiter in Deutschland gestartet werden sollte. Bei der Präsentation hätten die Mitarbeiter verständlicherweise mit einer gewissen Skepsis reagiert. In einem zweiten Schritt seien dann in allen Standorten in Deutschland Gruppen mit zwischen 6 und 15 Mitarbeitern in der Fertigung und der Verwaltung gebildet worden. Jede Gruppe wählte einen Gruppensprecher. Die Gruppen und ihre Sprecher [Seite der Druckausgabe: 66] bekamen die Aufgabe, Arbeitsplatzanalysen durchzuführen; d.h. die Mitarbeiter wurden aufgefordert zu sagen, was ihnen an ihrem Arbeitsplatz nicht gefällt. Diese Ist-Analyse der Arbeitsplätze sollte der Einstieg in eine Entwicklung sein, in der die Mitarbeiter animiert werden sollten, selbst mitzudenken und mitzuverantworten. Diese Umstellung sei rückblickend betrachtet das Schwierigste in diesem Prozeß gewesen. Denn es sei unmöglich, Mitarbeitern quasi zu verordnen, ab morgen sollten sie mitdenken und Verantwortung übernehmen. Eine solche Umorientierung sei vielmehr ein sehr langer Prozeß von mindestens fünf Jahren, der in sehr kleinen Schritten gegangen werden müsse. Innerhalb der ersten vier Wochen seien von den insgesamt 230 Gruppen, die im gesamten Unternehmen gebildet wurden, fast 4.000 Verbesserungsvorschläge vorgelegt worden. Diese Verbesserungsvorschläge wurden überprüft, wobei sie sich überwiegend als nützlich und sinnvoll erwiesen hätten. Im nächsten Schritt wurde versucht, die Abläufe im Unternehmen zu verbessern, zunächst in den einzelnen Bereichen und dann über die Bereiche hinweg. Auch hierbei sei den anfangs gebildeten Gruppen eine wichtige Bedeutung eingeräumt worden. Eine derartige Einbeziehung der Mitarbeiter setze natürlich ihre entsprechende Qualifizierung voraus. Zu diesem Zweck seien die Gruppensprecher darin geschult worden, wie man im Team arbeitet, wie man Gruppen moderiert. Arbeitsabläufe überprüft und auf Schwachstellen abklopft. Zur Unterstützung habe Mann + Hummel ein externes Team hinzugeholt. Für jeden Standort sei ein verantwortlicher Projektleiter gewählt worden, der ein Vierteljahr geschult wurde. Parallel dazu wurden alle Führungskräfte angehalten, diese Aktivitäten zu unterstützen. Die Einbindung der Führungskräfte in diesen Prozeß habe sich als zweites großes Problem erwiesen. Denn es habe sich sehr schnell gezeigt, daß es insbesondere im mittleren Management viele Führungskräfte gab, die das Projekt blockierten, weil sie Angst hatten, Befugnisse und Macht abzugeben. Dieselben Probleme hätten sich auch bei vielen Betriebsräten ergeben, obwohl der Betriebsrat von Beginn an in das Projekt einbezogen worden sei. Nachdem diese Anfangsphase mit viel Euphorie und gutem Erfolg vollzogen wurde, habe Mann + Hummel auch schwierige Zeiten durchstehen müssen, weil im Gesamtunternehmen und insbesondere im Stammwerk Ludwigsburg Mitarbeiter entlassen werden mußten. Trotz dieser zwischenzeitlichen Probleme profitiere das Unternehmen heute in erheblichem Maße [Seite der Druckausgabe: 67] von den 1992 eingeleiteten Maßnahmen. So konnte beispielsweise im Werk Speyer mit 450 Beschäftigten die Produktivität um 20 - 40 Prozent gesteigert werden. Verantwortlich für diesen Produktivitätszuwachs seien einzig und allein die Mitarbeiter, ihre gesteigerte Motivation und ihre Verbesserungsvorschläge. Es gebe aber im Unternehmen auch Bereiche, in denen derartige Erfolge nicht realisierbar waren. Die Erfahrung bei Mann + Hummel lehre, daß der wichtigste Erfolgsfaktor für ein Unternehmen die Qualifizierung und Involvierung von Mitarbeitern sei. Entscheidend für den Erfolg solcher Maßnahmen sei aber auch die Fähigkeit und die Bereitschaft der Führungskräfte, den neuen Führungsstil und die verstärkte Mitarbeiterinvolvierung auch in die Praxis umzusetzen. Heute würden die Mitarbeiter von Mann + Hummel ganzheitlich in drei Zielrichtungen qualifiziert:
Die Qualifizierung erfolge hauptsächlich durch interne Trainer. Fallweise und wenn Expertenwissen gefragt sei, würden externe Trainer und Referenten eingebunden. Die Trainer würden in Absprache mit den Fachbereichen sorgfältig unter Berücksichtigung vor allem inhaltlicher und methodischer Aspekte ausgewählt. 1995 nahmen 3.000 Mitarbeiter insgesamt an 6.900 Tagen in Qualifizierungsmaßnahmen teil; 1996 waren es 3.100 Teilnehmer und 6.400 Teilnehmertage, 1997 3.700 Teilnehmer und 7.000 Teilnehmertage (geschätzt). Der Bedarf an Weiterbildung werde systematisch ermittelt, dokumentiert und nach Kriterien der Effektivität und Effizienz bewertet. Hierzu finde ein jährliches Mitarbeitergespräch statt, bei der der individuelle Weiterbil [Seite der Druckausgabe: 68] dungsbedarf ermittelt werde. Darüber hinaus werde der strukturelle Weiterbildungsbedarf in Gesprächen zwischen Personalentwicklung und den Bereichen ermittelt. Und schließlich werde der strategische Weiterbildungsbedarf anhand der strategischen Entscheidungen der Geschäftsführung festgelegt. Der Einbezug der Mitarbeiter in den Veränderungsprozeß (Change Management) und dessen Gestaltung sei wichtigster Bestandteil der Unternehmenskultur ZEMA. Um den Herausforderungen des Marktes gerecht werden zu können und zur weiteren Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit zur Sicherung von Arbeitsplätzen müsse das gesamte Wissens- und Kreativitätspotential der Mitarbeiter genutzt werden. Dazu sei es erforderlich, daß die Mitarbeiter ihr Wissen und ihre Fähigkeiten stetig weiterentwickeln können. Hierzu habe Mann + Hummel m den letzten Jahren unter anderem flächendeckende Mitarbeiterbefragungen (1993 und 1996) durchgeführt. Außerdem fanden folgende Maßnahmen statt: Ausbildung von 232 Multiplikatoren (ZEMA-Sprecher) aus allen Bereichen, Entwicklung der Mann + Hummel Visionen und Leitsätze gemeinsam mit allen Mitarbeitern, KVP-Workshops mit Mitarbeitern vor Ort, Einführung von Gruppenarbeit mit hohem Selbständigkeitsgrad der Mitarbeiter und erheblicher Produktionsverbesserung, Stärkung des betrieblichen Vorschlagswesens, bei dem die Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter schnell realisiert und attraktiv honoriert werden, Einführung von Projektmanagement und Simultaneous Engineering, Einführung leistungs- und ergebnisorientierter Vergütung, Einführung flexibler Arbeitszeitsysteme.
8.4 Employee Value als Unternehmensziel
In den Unternehmen muß nach Auffassung der Vertreterin der IG Metall ein Perspektivenwechsel initiiert werden. "Shareholder value", also die Mehrung des Unternehmenswertes für die Aktionäre, dürfe nicht zum alleinigen Unternehmensziel avancieren. Wichtiger sei "Employee value" - ein Begriff, den der ehemalige Kohl-Berater Horst Teltschik kreiert habe -, also die Mehrung des Wertes der Belegschaft. Dies setze die Einsicht des Managements voraus, daß die Anforderungen der Globalisierung und des verschärften Wettbewerbs nicht durch Entlassungen und Kostenminimierung gelöst werden können. Solche Defensivstrategien seien auf Dauer un [Seite der Druckausgabe: 69] geeignet, um vor den neuen Herausforderungen bestehen zu können. Das Humankapital dürfe nicht allein als Kosten- oder gar Störfaktor begriffen werden, sondern müsse als ein Potential entdeckt werden, dessen Qualifizierung und Weiterentwicklung sich für das Unternehmen lohne. Die Gewerkschaften begrüßten die neuen Tendenzen für Qualifizierungsstrategien innerhalb der Unternehmen ausdrücklich. Dabei dürfe nicht übersehen werden, daß den Mitarbeitern oftmals sehr viel im Hinblick auf Flexibilität und Bereitschaft abverlangt werde. Anforderungen, denen in vielen Unternehmen nicht mehr zeitgemäße und demotivierende Formen der Arbeitsorganisation gegenüberständen. Nachdem die Mitarbeiter jahrelang unter massivem Leistungsdruck arbeiten mußten, sollten sie nun quasi von heute auf morgen mitdenken und Verantwortung für das Ganze übernehmen. Ein Paradigmenwechsel, mit dem viele Mitarbeiter verständlicherweise Probleme hätten. Um so mehr sei die Unternehmensleitung gefordert, die Ernsthaftigkeit dieses Ansatzes unter Beweis zu stellen. So sei beispielsweise in Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie versucht worden, in Großveranstaltungen ein kollektives Umdenken zu erzeugen. Nachdem die damit angestrebten Ergebnisse nicht direkt erzielt wurden, sei das Projekt alsbald abgebrochen und auf altbekannte Rationalisierungsmaßnahmen zurückgegriffen worden. Diese fehlende Ernsthaftigkeit der Maßnahmen werde jedoch von den Mitarbeitern durchschaut. Mitarbeiterbeteiligung dürfe keine Marktstrategie sein, sondern müsse tatsächlich ernst gemeint sein. Auch die Weiterbildung der Mitarbeiter müsse als Prozeß entwickelt werden, der die Persönlichkeitsbildung und die berufliche Qualifikation nicht nur als Produktivitäts- und Innovationsreserve begreife, sondern auch an den Bedürfnissen der Mitarbeiter orientiert sei. In der Metallindustrie treffe man derzeit auf Entwicklungen, die einerseits von starker Automatisierung, anderseits aber auch durch den Abbau von Hierarchien, die Delegation von Verantwortung und die Verlagerung von Kompetenzen gekennzeichnet seien. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Tätigkeiten würden zunehmend fließend. Dies setze aber auch voraus, daß die Mitarbeiter auch auf diese neuen Arbeitsabläufe vorbereitet würden. Diese Vorbereitung finde derzeit weder an den Hochschulen noch an den Schulen statt. Insbesondere an den Hochschulen würden die Studenten unverändert fachspezifisch ausgebildet, wobei der soziale Prozeß in der Regel zu kurz komme. [Seite der Druckausgabe: 70] Die Einbindung der Mitarbeiter könne nur dann das gewünschte Ergebnis zeitigen, wenn die Anstrengungen der Mitarbeiter bei ihrer Qualifizierung auch in irgendeiner Form belohnt würden. Dies könne durch eine Höhergruppierung oder in anderen Formen der Anerkennung praktiziert werden. Dagegen sieht die Vertreterin der Advance Bank in der Qualifizierung an sich bereits einen Mehrwert für den Mitarbeiter, da sich sein Marktwert aufgrund der Weiterbildung verbessere. Dessen ungeachtet habe die Advance Bank die Möglichkeit geschaffen, daß Mitarbeiter durch Qualifikationsmaßnahmen in andere Bereiche oder auch in Führungsfunktionen aufsteigen könnten.
Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter seien das entscheidende Kapital der Advance Bank. Entsprechend intensiv würden die Mitarbeiter nach Eintritt in die Bank betreut. Zu Beginn ihrer Tätigkeit durchliefen sie ein sechswöchiges Trainingsprogramm, in dem sie die Produkte, die Philo [Seite der Druckausgabe: 71] sophie und die Arbeitsabläufe kennenlernten. Diese Einarbeitungsphase sei für jeden Mitarbeiter im Vertrieb Pflicht, alle anderen Mitarbeiter könnten die Einarbeitungsphase freiwillig nutzen. Es gehöre zur Philosophie der Advance Bank, daß alle Mitarbeiter in Schnuppertagen auch andere Bereiche der Bank kennenlernen könnten, um in der alltäglichen Praxis über den Tellerrand ihres originären Arbeitsgebietes hinausschauen zu können. Und auch später werde der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Mitarbeiter viel Bedeutung beigemessen. So gebe es regelmäßige Trainingsprogramme, deren Praxisbezug dadurch gewährleistet sei, daß Mitarbeiter Mitarbeiter trainierten. Im Call Center seien zudem 5 Prozent der Arbeitszeit als echte Lernzeit angelegt, in denen die Mitarbeiter neue Dinge lernen oder bestehendes Wissen verfestigen könnten.
[Seite der Druckausgabe: 72] Das Qualifizierungskonzept der Bank setze auf eine weitgehende Selbständigkeit der Mitarbeiter bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Weiterbildungsstrategie. Als Idealform sieht die Vertreterin der Advance Bank die Einrichtung eines individuellen Weiterbildungsbudgets an, in dessen Rahmen sich jeder Mitarbeiter eigenverantwortlich weiterbilden kann. Diese Idealform sei bei der Advance Bank noch nicht erreicht, aber immerhin könnten die Mitarbeiter bereits einen persönlichen Erfolgsplan für ihre persönliche Weiterbildung aufstellen. Sie könnten somit eigenständig ihr Lernpotential bestimmen und Schritte zur persönlichen Weiterqualifikation vorschlagen. Dieser Erfolgsplan werde zweimal im Jahr in Mitarbeitergesprächen mit der Führungskraft besprochen. Eine Regelung, mit der die Bank bislang sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Die Vertreterin der IG Metall bezeichnet dieses Modell als ausgesprochen positiv. Es sei bedauerlich, daß es so etwas beispielsweise in der Metallindustrie nicht gebe. Dort werde unverändert von oben bestimmt, welche Maßnahme für die Weiterbildung eines bestimmten Mitarbeiter sinnvoll sei. Solche hierarchischen Vorstellungen müßten aufgebrochen werden, vor allem weil viele Mitarbeiter heute durchaus bereit seien, auch eigene Freizeit in Weiterbildungsmaßnahmen einfließen zu lassen. So gebe es inzwischen eine Reihe von Betriebsvereinbarungen, die von den Gewerkschaften eigentlich sehr kritisch gesehen werden, bei denen sowohl Arbeitszeit als auch freie Zeit in die Qualifizierungsmaßnahme hineinfließt. Um so wichtiger sei, daß diese positive Bewegung nicht an tradierten Strukturen innerhalb der Unternehmen scheitere. Da bestehe in der Metall- und Elektroindustrie leider ein erheblicher Nachholbedarf gegenüber dem Dienstleistungssektor. Der Vertreter der Planungsgruppe IFB Dr. Braschel bestätigt, daß Weiterbildung natürlich kein Garant, aber ohne Zweifel eine ganz wichtige Voraussetzung für den Erfolg ist. Denn wenn Mitarbeiter einbezogen werden sollen, setze dies notwendigerweise ihre Qualifizierung voraus, nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf ihre sozialen Fähigkeiten. Die Erfahrung bei Mann + Hummel habe gezeigt, daß sich manche Gruppen, die zur Lösung konkreter Probleme gebildet wurden, erst einmal unsäglich in interne Konflikte verstrickt hätten. Hier habe sich bestätigt, daß diese Mitarbeiter zuvor nicht gelernt hatten, im Team zu arbeiten und gemeinsam Problemlösungen zu erarbeiten. In diesem Bereich ein Umdenken zu erzielen sei ein langwieriger Prozeß von mindestens 5 bis 10 Jahren.
[Seite der Druckausgabe: 73]
8.5 Führungskultur
Der Unternehmensberater und Privatdozent gibt zu bedenken, daß viele Hochschulabsolventen, die nach dem Studium in die Betriebe zurückgehen, feststellen müssen, daß sie ihre theoretischen Kenntnisse in der Praxis nicht anwenden dürfen, weil in der Führungsetage altgedientes Personal tätig ist, das diese modernen Methoden nicht kennt. Vielleicht solle man Qualifizierung auch einmal bei den Führungskräften vornehmen. Das Mitglied der Geschäftsführung der Schitag, Ernst & Young konstatiert, daß solche Blockierer nicht mehr in die heutige Zeit passen. In der Beratungspraxis werde inzwischen verstärkt auf Prozesse und die zentrale Frage nach der Prozeßverantwortung geachtet. Klare Verantwortungsverteilung gebe es üblicherweise für die Technik, die Materialwirtschaft und das Rechnungswesen, aber für den durchlaufenden Prozeß gebe es in der Regel keine zentrale Verantwortung. An dieser Verantwortung müßten sich alle beteiligen. Natürlich sei die Einsicht in die kollektive Verantwortung nicht immer leicht zu vermitteln. Aber in der Unternehmensberatung gehe man von dem Ansatz aus, man beeinflusse jemanden am besten, wenn man ihm eine Pflanze in den Kopf setzt. Eine Pflanze, die langsam wachse und eines Tages Früchte trage. Entscheidend für den Erfolg einer Neuorientierung ist nach Einschätzung des Vertreters von Mann + Hummel, daß die Unternehmensphilosophie nicht nur von oben vertreten wird, sondern daß die Führungskräfte in diesem Prozeß vorangehen. Solche Prozesse müßten immer bei der Geschäftsführung anfangen. Wer von seinen Mitarbeiter Änderungen verlange, dürfe sich selbst von diesem Prozeß nicht ausnehmen. Dabei stoße man natürlich auch auf retardierende Kräfte, da auch die Führungskräfte von 20 bis 30 Jahren Berufspraxis in tradierten Unternehmensstrukturen geprägt seien. Bei Mann + Hummel sei es notwendig gewesen, einzelne Führungskräfte, die das neue Konzept nicht mittragen wollten, aus der Verantwortung herauszunehmen. Denn ein solcher Prozeß könne nur gelingen, wenn er konsequent auf allen Hierarchieebenen umgesetzt werde. Entsprechend würden heute Führungskräfte nur dann eingestellt, wenn sie in diese Kultur hineinpaßten. Der Vorstand der PA Power Automation bezeichnet den Aufbau der Führungs- und Entscheidungsstruktur eines Unternehmens als eine zentrale [Seite der Druckausgabe: 74] Voraussetzung für den Unternehmenserfolg. Dabei sei entscheidend, daß die Führungsspitze absolut zielorientiert, d.h. zum Wohle der Firma und der Mitarbeiter, arbeite. Außerdem bedürfe es einer sehr großen Offenheit bezüglich der Firmenziele und der individuellen Interessenlage von Führungsmannschaft und Mitarbeitern. Ehrlichkeit sei die grundsätzliche Voraussetzung für den Unternehmenserfolg; Ehrlichkeit der Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern und Ehrlichkeit des Unternehmens gegenüber dem Markt. Hierzu gehöre auch die Ehrlichkeit über die individuelle Motivation; so müsse der Unternehmer offen zugeben, daß er diesen Weg eingeschlagen habe, um reich zu werden. Dazu gehöre auch das Thema Kostenbewußtsein. So sei ein kaufmännischer Geschäftsführer nicht akzeptabel, der phantastische Kalkulationen zur Kostenreduktion im Unternehmen vorlege, sich aber gleichzeitig einen neuen Schreibtisch für 10.000 DM kaufe. Mitarbeiterorientierung bedinge, daß die Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern konsequent ehrlich sein müßten. Außerdem bedürfe es klarer Vereinbarungen darüber, was vom Mitarbeiter erwartet werde und welche Möglichkeiten und Aufstiegschancen der Mitarbeiter habe. Wichtig seien auch klare Kompetenzzuweisungen. Bei PA Power Automation hätten die Mitarbeiter eine weitgehende Kompetenz, nicht nur bei Entscheidungen über technische Aspekte, sondern auch in organisatorischen und - zumindest teilweise - in finanziellen Aspekten. Die Vertreterin der Advance Bank bestätigt die Bedeutung klarer Kompetenzverteilungen. Niemand könne sich als souveräner Mitarbeiter verstehen, wenn er sich im Zweifelsfall bei jeder halbwegs wichtigen Entscheidung bei seinem Vorgesetzten absichern müsse. Deshalb hätten die Mitarbeiter im Vertrieb oder im Beschwerdemanagement der Bank die Kompetenzen erhalten, selbständig Entscheidungen bis zu einem festgelegten Limit zu treffen. Generell setzte die Förderung unternehmerischer Fähigkeiten in der Belegschaft unabdingbar die Bereitschaft der Führungskräfte voraus, Kompetenzen abzugeben und loszulassen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |