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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 12 / Fortsetzung] 3. Erfolgsstrategien mittelständischer Unternehmen Die Erfolgsstories mittelständischer Unternehmen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie begründet haben, oder die Branchen, in denen sie erfolgreich sind. Entsprechend kann es das Erfolgsrezept für Mittelständler nicht geben; zumindest keines, das ohne weiteres von einer Firma auf die andere, von einem Produkt auf ein anderes übertragen werden könnte. Fest steht nach Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden der Unicor Holding AG lediglich, daß sich derjenige, der heute am Standort Deutschland erfolgreich sein will, besonderer Methoden bedienen muß, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Auch der Vorstand der PA Power Automation unterstreicht, daß es keine pauschale erfolgreiche Unternehmensstrategie gibt, die auf verschiedene Firmen anwendbar ist. Es gebe jedoch verschiedene strategische Komponenten, die auf sämtliche innovationsorientierte Firmen grundsätzlich anwendbar seien, jedoch in ihrer spezifischen Art und Weise unterschiedlich gewichtet und genutzt werden müßten. Diese Einschätzung wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Mittelstandsberatung mbH (DGM) bestätigt, einer Gesellschaft, die sich auf die [Seite der Druckausgabe: 12] Beratung von Mittelständlern spezialisiert hat. Hierbei hat sich nach Einschätzung des Geschäftsführers der DGM sehr schnell herausgestellt, daß die bekannten und bei Großunternehmen allgegenwärtigen Krisenrezepturen wie Lean-Management oder Outsourcing bei mittelständischen Unternehmen nicht fruchten und teilweise sogar schädlich seien - Eine Reihe von Mittelständlern habe ihren Erfolg mit Maßnahmen begründet, die den bei Großunternehmen üblichen Konzepten diametral zuwiderliefen. So gebe es mittelständische Möbelhersteller, deren Erfolg auf dem Ausbau der Variantenvielfalt basiere, während die Berater Großunternehmen üblicherweise die Reduktion ihrer Varianten empfehlen. Andere Mittelständler profitierten vom Insourcing von Entwicklungsaufgaben, während bei Großunternehmen unverändert das Outsourcing von Geschäftsprozessen als Königsweg gelte. Dennoch dürfe aus derartigen Beispielen nicht automatisch geschlossen werden, daß der "Verstoß" gegen allgemeingültige Regeln alleine das Erfolgsrezept für den Mittelstand sein könne. Diese scheinbare Paradoxie könne nur unter der Prämisse verstanden werden, daß es sich im deutschen Mittelstand um wirtschaftlich-soziale Organismen handle. Die Beratungspraxis lehre, daß reine Rationalität und Logik alleine nicht ausreichend seien, um das Phänomen Mittelstand ausreichend erklären zu können. Gleichwohl ließen sich aus der Beratungspraxis Gemeinsamkeiten im Geschäftsgebaren und im Führungsverhalten erfolgreicher Mittelständler herausdistillieren, aus denen sich einige prinzipielle Bausteine mittelständischer Erfolgsstrategien ableiten lassen. Dabei müsse generell zwischen der Pflicht und der Kür unterschieden werden. Wer als mittelständischer Unternehmer überleben wolle, müsse zwingend die Pflichtanforderungen erfüllen. Wer aber dauerhaften Erfolg erzielen möchte, der müsse darüber hinaus auch in der Kür Bestleistungen erzielen. Die Pflicht beginne mit dem absolut ehrlichen Willen zur Transparenz in den mittelständische Unternehmen. Hierzu müsse zunächst die Unternehmensposition so kritisch und so gründlich wie möglich erfaßt und immer wieder im Wettbewerb überprüft werden. Die Praxis dokumentiere, daß diese scheinbare Banalität nur von relativ wenigen Unternehmen befolgt werde. Statt dessen treffe man immer noch auf Unternehmen, die intensiv über Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung oder ihre Gemeinkostenschlüssel diskutierten, obwohl es für diese Art von Pflichtübung heute längst zu spät sei. [Seite der Druckausgabe: 13] Eine zweite Pflichtkategorie sei die Frage nach Kooperation und Allianzen im Mittelstand. Die traditionelle Selbständigkeit und Autarkie, die früher den Erfolg vieler Mittelständler begründet habe, sei bei den gewandelten Rahmenbedingungen nicht mehr zeitgemäß. Auch die mittelständischen Unternehmen müßten sich heute an den Maßstäben Europa und Weltmarkt messen. Im Wettbewerb würden sich dabei insbesondere diejenigen durchsetzen, die im Verbund mit anderen Unternehmen arbeitsteilig vorgingen, während diejenigen, die immer noch auf den klassischen Individualwettbewerb setzten, zunehmend an Boden verlören. Diese Erkenntnis setze sich aber bei vielen Mittelständlern nur langsam durch. Entsprechend gebe es auch erst sehr wenige positive Beispiele wie die Firma Merz & Krell, die eine bedeutende Position im europäischen Markt für Schaltgeräte innehat. Diese Firma habe erkannt, daß sie ihren Erfolg nur fortschreiben könne, wenn sie international produzieren und, was noch wichtiger sei, international absetzen könne. Da ein Mittelständler nicht wie ein Großunternehmen bei Bedarf Werke im Ausland errichten könne, lasse sich diese Anforderung nur mittels einer Kooperation mit anderen Firmen erfüllen. Merz & Krell habe sich daher mit der Firma Rotring auf eine wechselseitige Vertriebskooperation im Ausland verständigt. Rotring, die sehr präsent auf dem englischen Markt seien, vertrieben dort die Schaltgeräte von Merz & Krell, und umgekehrt vertreiben Merz & Krell die Produkte von Rotring in Frankreich. Eine sehr einfache, aber effiziente Form der Kooperation, die für beide Unternehmen nutzbringend sei. Die mittelständische Branche, in der die Bereitschaft zu Allianzen und Kooperationen am weitesten ausgesprägt sei, ist der mittelständische KfZ-Zulieferbereich. Eine Befragung der DGM, an der Unternehmen teilnahmen, die ungefähr die Hälfte des deutschen Automobilzuliefererumsatzes repräsentieren, ergab, daß 75 Prozent aller Befragten bereits mit mehr als drei Partnern kooperierten, im Idealfall auch ohne Kapitalverflechtungen. 83 Prozent dieser kooperationserfahrenen Unternehmen waren mit ihren Kooperationen zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Und 91 Prozent der Befragten erklärten, sie wollten auch zukünftig Kooperationen eingehen. Daß gerade die KfZ-Zulieferer-Branche, die bereits frühzeitig sehr stark von der Internationalisierung des Wettbewerbs betroffen wurde, im Bereich Kooperationen und Allianzen heute führend sei, liege wahrscheinlich an dem besonders großen Leidensdruck für die Unternehmen dieser Branche. [Seite der Druckausgabe: 14] Als dritte Pflichtübung benennt der Vertreter der DGM die ausreichende Zeit für strategische Überlegungen im Unternehmen. Auch hierzu habe die DGM eine Befragung durchgeführt. Auf die Frage, wie groß der prozentuale Anteil der Arbeitszeit des Managements bzw. des Unternehmers sei, den sie auf die Analyse und die Bewältigung von Markt-, Technologie- und Wettbewerbsthemen verwendeten, lag die gemittelte Antwort bei 30 Prozent. Bei der Nachfrage, welcher Anteil hiervon auf Überlegungen für den Zeitraum der kommenden 3 bis 5 Jahre verwendet werde, ergab sich, daß ein Fünftel davon, also rund 6 Prozent der Gesamtarbeitszeit, auf diese mittelfristigen Strategiefragen verwendet werde. Schließlich sollten die Befragten Auskunft geben, wieviel sie von dieser Zeit mit ihren wichtigsten Führungskräften verbrächten. Die Antwort ergab einen Anteil von durchschnittlich 10 Prozent. Demnach verbrächten mittelständische Unternehmer bzw. deren Manager im Schnitt 0,6 Prozent ihrer Arbeitszeit - dies entspreche bei einer unterstellten Jahresarbeitszeit von 220 Tagen gerade mal 1 - 2 Tagen - mit ihren wichtigsten Führungskräften, um Markt-, Technologie- und Wettbewerbsthemen unter mittelfristigen Strategieanforderungen zu analysieren. Aus Sicht der DGM ist dieser Anteil viel zu niedrig, um dauerhaft gut und erfolgreich zu sein. Die Praxis der Mittelstandsberatung dokumentiere, daß die erfolgreichen Unternehmen viel mehr Zeit für diese wichtigen und zentralen Fragen aufwendeten. Eine vierte und letzte Pflichtübung sei die Gestaltung der Prozesse innerhalb des Unternehmens. Obwohl die Schlagwörter Umorganisation und verstärkte Kundenorientierung heute in aller Munde seien, hätten es viele Unternehmen bislang nicht vermocht, eine Unterscheidung zwischen dem Gestalten von Prozessen und dem Neudefinieren von Aufgaben und Funktionen zu vollziehen. Vielmehr werde ungebrochen in überkommenen Strukturen gedacht. Funktionsmacht zementiert und nur noch definiert, wo die individuelle Zuständigkeit anfange und wo sie aufhöre. Derartiges Denken habe eine lange Tradition in Deutschland. Es werde nur über die Arbeitsteiligkeit zwischen "machen" und "verbessern" diskutiert, also Erfinden und Durchführen, unten und oben. Dies seien jedoch überkommene Prinzipien der Organisation. Heute sei es viel wichtiger, Prozesse zu gestalten, als Funktionen zu zementieren. Zur Skizzierung der Anforderungen an eine erfolgsversprechende Kür habe die DGM auf der Basis durchgeführter Untersuchungen 2 Aktionsparameter aufgestellt: [Seite der Druckausgabe: 15]
Das Verharren auf der Stufe Eins mit dem Kennzeichen "Besser, billiger, schneller" sei fatal, da dieses Motto von allen angestrebt werde. Vielmehr gelte es, vollkommen neue Herausforderungen zu meistern. Aktuelles Beispiel hierfür sei ein innovativer Ansatz zur Lösung der großen Probleme beim Transport von Schwerstlasten in Mitteleuropa. Die Infrastruktur sei hierfür bekanntlich unzureichend geeignet und es gebe nur zwei Großraumflugzeuge, die (nicht für den zivilen Luftverkehr zugelassene) Galaxy und die russische Antonov, die überhaupt in der Lage seien, Schwerstlasten von mehr als 150 Tonnen zu transportieren. Ein zudem ausgesprochen teurer und wenig umweltverträglicher Transportweg. Ein innovatives Unternehmen habe jetzt zur Lösung dieses Problems die gute alte Zeppelin-Technik wiederbelebt. Der sogenannte CargoLifter ist ein riesiger Zeppelin mit modernster Technik, der Schwerstlasten von weit über 150 Tonnen auf umweltfreundliche, kostengünstige und schnelle Weise über erhebliche Entfernungen zu transportieren vermag. Eine Turbine könnte beispielsweise auf diese Weise binnen sechs Tagen von Deutschland nach Indien transportiert werden, knapp ein Zehntel der derzeitigen Transportzeit auf dem See- und Landweg. Neben dieser Achse gebe es eine zweite Ebene, die in der Unternehmenspraxis häufig vergessen werde. Untersuchungen hätten bestätigt, daß sich erfolgreiche Unternehmen permanent in ihrem Selbstverständnis erweiterten. [Seite der Druckausgabe: 16]
Wenn beide Achsen zusammengeführt werden, ergebe sich folgendes Schema, das anhand eines Beispiels aus der Baubranche illustriert werden soll: Schaubild 4 Die Generalisten
Quelle: Michael Schumacher, Deutsche Gesellschaft für Mittelstandsberatung Ein klassischer Branchenspezialist ist beispielsweise der traditionelle Bauunternehmer in der Region, der Hochbauten fabriziert und sich zur Zeit bei nicht ausgelasteten Kapazitäten mit seinen Kunden preislich herumstreiten muß. Daneben gibt es aber auch den innovativen Branchenspezialisten, also den Bauunternehmer, der beispielsweise Zugankersysteme zur Bau [Seite der Druckausgabe: 17] grubenabstützung entwickelt hat. Diesem Unternehmen fällt es derzeit wesentlich leichter, die schwache Baukonjunktur gut zu überbrücken. Und schließlich gibt es den kreativen Branchenspezialisten, der erkannt hat, daß in Deutschland preiswerte Häuser von der Stange angeboten werden müssen. Ein Angebot, das bei der erstmaligen Markteinführung vor 2 bis 3 Jahren in der Tat eine Rieseninnovation in Deutschland darstellte. Durch die Ausrichtung auf mehrere Branchen werde aus dem klassischen Branchenspezialisten ein "Multi". Dies gelte beispielsweise für einen Bauunternehmer, der nicht nur Häuser errichtet, sondern auch Wohn-, Verwaltungs- und andere Projektentwicklungen anböte und damit längst sein eigentliches Branchenfeld verlassen habe. Oder ein Bauunternehmer, der dies noch mit neuen Infrastrukturkonzepten ergänze oder neue Vertriebswege nutze, indem er seine Fertighäuser über ein Möbelversandhaus anböte. Als weiteres Beispiel nennt der Vertreter der DGM einen jungen Fensterbauer, den die DGM vor kurzem begleitet habe. Dieser Fensterbauer hatte ein quasi konkursreifes Unternehmen mit 10 Mio. Umsatz und einer extrem gebeutelten Belegschaft übernommen, das bisher unter dem guten alten Motto: "Besser, billiger, schneller" geführt wurde. Der junge Chef sei dann sofort in die erste Innovationsstufe eingestiegen, nachdem er erkannt hatte, daß keiner in der deutschen Fensterbaubranche Fließfertigung beherrsche, sondern ausschließlich Einzel- und Auftragsfertigung geliefert werde. Somit habe er angefangen Fließfertigung zu liefern, was einer echten Innovation gleichkam. Im nächsten Schritt habe er sein Selbstverständnis erweitert, indem es sein Sortiment um Sicherheitsfenster erweiterte, die er so preiswert anbot, daß sie sich in der Tat jedermann leisten konnte. Flankierend dazu habe er begonnen, mit Polizeiberatungsstellen und Versicherungen zusammen zu arbeiten. Und inzwischen plane er die Konzeption des "Sicheren Hauses", womit er die Gesellschaft insgesamt angesprochen habe. Die Kunst des erfolgreichen Unternehmers sei, nicht bei der Formel "billiger, schneller, bessern" zu verharren, sondern den Wettbewerbern immer voraus zu sein. Dies mache jedoch einen Rollenwechsel im Sinne der oben genannten Beispiele notwendig. Solche Rollenwechsel setzten ein hohes Engagement und die Zusammenarbeit von Führungskräften und gesamter Belegschaft voraus. Dabei mache es einen erheblichen Unterschied, [Seite der Druckausgabe: 18] wie das Unternehmen strukturiert sei, wie die Aspekte Information oder Führungseffizienz beachtet würden und ob das Unternehmen mitarbeiterorientiert, strategieorientiert oder kundenorientiert ausgerichtet sei. Und diese Profile seien je nach Rollenwechsel im Mittelstand nicht identisch, sondern völlig unterschiedlich. Wenn ein Unternehmen eine große Innovation im Hause anstrebe, sollte es absolut kundenorientiert sein. Denn Innovationen würden in der Praxis fast immer von den Kunden initiiert, entstünden also aus dem Markt heraus. Ein Rollenwechsel könne jedoch die Anforderungen an die interne Struktur des Unternehmens vollkommen verändern. Ein Unternehmen, das sich auf dem Schaubild von links nach rechts bewege, bedürfe einer ausgesprochenen Mitarbeiterorientierung. Schließlich sei es notwendig, die Mitarbeiter in ungewohnte Sphären hineinzufahren, vielleicht sogar in die Internationalität. Auch der Vorstand der PA Power Automation sieht in der Marktorientierung den entscheidenden Erfolgsfaktor eines Unternehmen. Die Entwicklung von Marktbedürfnissen müsse frühzeitig erkannt werden, damit das Unternehmen darauf mit der Plazierung innovativer Produkte reagieren könne. Eine Innovation an sich habe jedoch keinerlei unternehmerischen Wert, solange sie nicht an den Marktbedürfnissen ausgerichtet sei. Denn der seltene Fall, daß innovative Produkte neue Märkte generierten, liege bestenfalls bei eins zu zehntausend. Bei der Marktorientierung seien die deutschen Unternehmen derzeit auf dem richtigen Weg, gleichwohl bestehe unverändert ein erheblicher Nachholbedarf insbesondere gegenüber den USA. Selbstverständlich gehörten zum Thema Marktorientierung auch die Nutzung bekannter Marketingmechanismen sowie entsprechende Aktivitäten im Vertriebs- und Marketingbereich. Der Vorstandsvorsitzende der Unicor Holding AG unterstreicht die prinzipielle Notwendigkeit zur Kundenorientierung. Die Kunden dürften natürlich niemals aus den Augen verloren werden. Die Frage sei jedoch, ob die Kunden auch immer wüßten, was für sie gut ist. Die Lösung eines Kundenproblems führe häufig zu einer Insellösung. Statt sich zu sehr auf die Bedürfnisse und Wünsche einzelner Kunden zu konzentrieren, sollten daher verstärkt die Probleme eines ganzen Marktes betrachtet werden. Dies gelte zumindest für mittelständische Industriebetriebe, nicht für den Dienstleistungssektor. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |