FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 41 / Fortsetzung]


6. Dienstleistungsstandort Region Stuttgart

6.1 Defizite im Dienstleistungssektor

Der tertiäre Wirtschaftssektor ist sowohl in der Region Stuttgart als auch im gesamten Bundesland Baden-Württemberg unterdurchschnittlich entwickelt. So sind nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg trotz relativ hoher Steigerungsraten pro Jahr lediglich 48 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig - in Bayern sind es dagegen 53 Prozent und in Hessen sogar 60 Prozent. Erstaunlich ist, daß in Deutschland im europäischen Vergleich generell ein Rück-

[Seite der Druckausgabe: 42]

stand im tertiären Wirtschaftssektor vorliegt. So diagnostiziert die OECD für die alten Bundesländer Defizite in den Bereichen Lohnveredelung, Kommunikation, Versicherungen, computerbezogene Dienste, Provisionen, Managementleistungen, Werbung, Film und Fernsehen sowie Beratungsdienstleistungen.

Die gängigen Statistiken über Beschäftigungsstruktur und Wertschöpfung in den verschiedenen Wirtschaftssektoren sind jedoch zumindest in Baden-Württemberg tendenziell irreführend. Denn in vielen Industriebetrieben und ganz besonders in den hochtechnologischen Unternehmen werden zu beachtlichen Prozentsätzen echte Dienstleistungstätigkeiten verrichtet, die jedoch statistisch dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden. Diese Zuordnung von hausinternen Dienstleistungen in Industrieunternehmen des verarbeitenden Gewerbes verdeckt den effektiven Grad der "Tertiärisierung" moderner Industriezweige, beispielsweise in der Computer- und Elektronikindustrie.

Gleichwohl läßt sich das Defizit der Region Stuttgart im Dienstleistungsbereich nicht übersehen. Deutlich wird dies, wenn man den Versuch macht, der schwäbischen Metropole ein spezifisches Dienstleistungsimage zuzuordnen. Fast alle anderen Großstädte Deutschlands haben solch ein typisches Image: Hamburg ist eine "Pressestadt" mit großen renommierten Zeitschriften, Magazinen und Verlagen, Düsseldorf ein "Mode- und Werbezentrum", Köln ist nicht nur Kunst- und Museumsstadt, sondern entwickelt sich unter tatkräftiger Mithilfe der nordrhein-westfälischen Landesregierung zunehmend auch zu einer Stadt der Radio- und Fernsehsender (Deutsche Welle, Westdeutscher Rundfunk, Deutschlandradio, RTL, Vox), Frankfurt ist die Stadt der Banken, die führende "Finanzdienstleistungs-Metropole" mit vielen kulturellen Alternativen und München ist eine "Film- und Kulturstadt". Stuttgart dagegen hat zwar von allem etwas, aber eben kein ausgeprägtes Stuttgarter Image. Ein solches Image läßt sich auch nicht auf die Schnelle aufbauen, da es hierfür wichtiger struktureller Voraussetzungen bedarf. Eine Stadt wie Stuttgart kann weder durch die Ansiedlung eines Fernsehsenders wie "RTL-2" quasi über Nacht zur "Medienstadt" werden, noch kann die Stadt durch die Fusion verschiedener Banken zum Finanzdienstleistungszentrum avancieren. Für solche Profilbildungen bedarf es einer gewachsenen Struktur, aus der heraus sich dann das Image einer Stadt entwickelt. Die notwendigen Voraussetzungen hierfür sind vielfältig: So bedürfte es beispielsweise für die Entwicklung einer Medienstadt der Existenz einiger großer Medienunternehmen von nationaler Bedeutung vor Ort und eines Umfeldes mit den wichtigsten benachbarten Dienstleistungsunternehmen. Zu einem Medienstandort gehören weiter eine Vielfalt von Zeitungen, Zeitschriften, Radio, TV und Film und gleichermaßen eine medienumgebende Infrastruktur, wie zum Beispiel Ausbildungsstätten für Journalisten oder Medientechniker. Auch in diesem Bereich sieht es in Stuttgart düster aus, denn dieser Ausbildungszweig wurde hier bislang sträflich vernachlässigt. Und schließlich müßten audiovisuelle Medien, eine aktive Werbebranche oder eine "Zeitgeistszene" in Kultur und Musik vorhanden sein. All diese Strukturen sind in Stuttgart zwar prinzipiell vorhanden, aber ihnen fehlt die nationale oder gar internationale Bedeutung: Trends werden eben nicht in Stuttgart gesetzt, resümiert ein Stuttgarter Medienfachmann. Dies gilt auch für den Bereich von Presse und Rundfunk.

Page Top

6.2 Medienstandort Region Stuttgart

Stuttgart hat als Medienstandort trotz dieser Defizite eine überraschend große Bedeutung in Deutschland. Gemessen am Umsatz ist Stuttgart nach Gütersloh, Hamburg und Berlin der

[Seite der Druckausgabe: 43]

viertgrößte Medienstandort der Republik. Dies verdankt die Region vor allem den klassischen Medien. Die drei wichtigsten Branchen in der Stuttgarter Medienwirtschaft sind das Verlagswesen, die Drucktechnik, die eigentlich dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden müßte, und die Werbebranche. Die Betriebe dieser Branchen sind überwiegend mittelständisch organisiert. Über 300 Buch- und Zeitschriftenverlage haben ihren Sitz in der Region; sie erwirtschafteten im Jahre 1993 immerhin 22,3 Prozent des Gesamtumsatzes in Deutschland. Zusammen mit den Druckereien und den grafischen Betrieben stellt das Verlagswesen daher einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für die Region dar. Allein der Umsatz der Druckindustrie lag 1993 bei 7,9 Mrd. DM, der der Werbewirtschaft bei 4,3 Mrd. DM. Stuttgart ist vor allem ein Druckstandort für Fachmedien. Hier werden überwiegend "unauffällige" Fachzeitschriften und konfessionelle Blätter verlegt und auch bei den Buchverlagen dominieren die Fachbücher aller Art, so zum Beispiel Schulbücher bei Klett und wissenschaftliche Bücher bei der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) oder Kohlhammer.

Analog zur mittelständischen Industriestruktur existiert in der Region Stuttgart auch noch eine vergleichsweise reichhaltige Zeitungslandschaft mit insgesamt 17 selbständigen Regionalzeitungen und einer Vielzahl von Lokal-Ausgaben, Anzeigenblättern und neuerdings auch Stadt-Illustrierten. Aber es gibt eben keine Zeitung von nationaler Bedeutung, auch nicht in den Sparten, für die der Standort Stuttgart eigentlich prädestiniert zu sein scheint. So wird in der Region Stuttgart weder eine führende Autozeitschrift noch eine wichtige Wirtschaftszeitung herausgegeben, obwohl hier neben der Verlagsgruppe Holzbrinck auch andere Presseverlage ansässig sind (Deutscher Sparkassenverlag. Verlagsgruppe "Motor Presse"). Auch das Haus "Burda" produziert seine Publikationen seit langem in München, obwohl "Burda" seinen Stammsitz in Baden-Württemberg hat.

So trübt sich das Bild vom national wichtigen Medienstandort Stuttgart bei näherer Betrachtung erheblich. Vergleichbar mit der industriellen Entwicklung in der Region zeigen sich auf in der Medienwirtschaft Defizite im Strukturwandel. So resümiert der Geschäftsführer der Stuttgarter Klett-Gruppe, Michael Klett, über die Situation der Medienwirtschaft in der Region: "In Wahrheit sind wir doch eine veraltete Industrie... Wenn sich die Dinge nicht rasch ändern, sind in zehn Jahren vielleicht auch die Verlage aus Stuttgart weg".

Die Medienwirtschaft gilt neben der Umwelttechnik als eine der wichtigsten Zukunftsbranchen mit großem Wachstums und Arbeitsplatzpotential. Daher ist sie in vielen Bundesländern bereits zu einem Schwerpunkt der Wirtschafts- und Strukturförderung geworden. So erzielt die Kultur- und Medienwirtschaft in Nordrhein-Westfalen bereits heute höhere Umsätze und stellt mehr Arbeitsplätze als etwa klassische Industrien wie der Bergbau oder die Textil- und Bekleidungsindustrie. Prognosen gehen davon aus, daß in der EU die Zahl der Arbeitsplätze in der Kommunikations- und Medienbranche von 18 Millionen im Jahre 1990 auf 60 Millionen im Jahre 2000 ansteigen wird, womit die Branche dann mehr Menschen beschäftigen würde als die Automobilindustrie. Analog dazu erwartet man für das Jahr 2000 in der Kommunikations- und Medienbranche höhere Umsätze als in der Automobilbranche.

Rundfunkpolitisch ist das Bundesland Baden-Württemberg eine Besonderheit in Deutschland, denn es ist rundfunkpolitisch geteilt. Entlang der Autobahn von Ulm nach Karlsruhe verläuft auf der Basis der ehemaligen Grenze zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone die Rundfunk-Grenze zwischen dem Süddeutschen Rundfunk (SDR) mit Sitz in Stuttgart und dem Südwestdeutschen Rundfunk (SWF) mit Sitz in Baden-

[Seite der Druckausgabe: 44]

Baden. Beide Rundfunkanstalten haben die Frequenz-Grenze Anfang der 90er Jahre durch eine Vielzahl von Kooperationen zwar teilweise überwunden, die prinzipielle Zweiteilung blieb jedoch bestehen. Ein Zustand, der nach Einschätzung eines Vertreters des SDR angesichts der dramatischen Veränderung auf dem Rundfunkmarkt zunehmend "anachronistisch" wird. Dem wachsenden Druck durch die privaten Konkurrenzsender werden die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nach seiner Einschätzung auf Dauer nur durch eine Konzentration ihrer Strukturen standhalten können. Die Aufrechterhaltung zweier kompletter, moderner Sendeanstalten in einem Bundesland dürfte daher schon aus ökonomischen Gesichtspunkten wenig Zukunftschancen haben. So ist mittelfristig mit einer Verschmelzung der beiden Sendeanstalten zu einer gemeinsamen leistungsfähigen Organisation zu rechnen. Eine mögliche Arbeitsteilung könnte so aussehen, daß in Stuttgart die baden-württembergischen Landesprogramme für Radio und Fernsehen hergestellt werden, während Baden-Baden zu einem Produktionsschwerpunkt für große und serielle, fiktionale Radio- und TV-Programme und neue Rundfunk-Dienste ausgebaut wird. Durch die Schaffung eines modernen Produktionszentrums in Baden-Baden könnten auch entsprechende Aufträge aus anderen Landesanstalten, der gesamten ARD oder sogar von privaten Sendern gewonnen werden.

Auch der privat-kommerzielle Rundfunk in Baden-Württemberg ist sehr dezentralisiert und insgesamt noch wenig konkurrenzfähig. Sein Marktanteil liegt zur Zeit bei weniger als einem Drittel, trotz lokaler Presse- und Radio-Konzentrationen und daraus erwachsender Chancen von "cross-ownership"-Strukturen. So bewerten Fachleute die Marktchancen der im Herbst 1993 neu lizensierten Bereichssender eher skeptisch. Auch im Fernsehen ist die Nutzung privater TV-Anbieter unterdurchschnittlich, zudem es bislang nur wenige private TV-Anbieter in der Region (Rhein-Neckar-Fernsehen, SAT 1 Baden-Württemberg) und nur einige landesspezifische Programmangebote gibt. Keine großen Impulse für die Entwicklung der regionalen Fernsehstrukturen erwarten sich Fachleute von dem Projekt des Ballungsraumfernsehen Stuttgart, bei dem in ein aus der Markenartikelwerbung finanziertes überregionales Mantelprogramm ein regionales Stuttgarter Fenster eingeschoben werden soll.

"Interaktives Fernsehen" heißt das Zauberwort für das Fernsehen der Zukunft. Vorbei sind dann nach Vorstellungen der Multimediaforscher die Zeiten, in denen sich die Zuschauer über langweilige Programme ärgern mußten. Denn der Zuschauer stellt sich sein Fernsehprogramm mittels "Video on demand" selbst zusammen und kann zudem eine Fülle weiterer neuer Angebote nutzen: "Telelearning on demand" bietet den freien Zugang zu Lernprogrammen aller Art, das "Teleshopping" ermöglicht dem Konsumenten den Einkauf am Bildschirm mit allen möglichen Serviceangeboten und natürlich kann der interaktive Fernsehzuschauer auch seine Bank- oder eine Fülle sonstiger Geschäfte direkt über den Fernseher erledigen. Der Clou dieses Zukunftsfernsehens ist, daß der Zuschauer aktiv die Programmgestaltung oder die sonstige Nutzung des heimischen Fernsehgerätes bestimmt, das auf Grund seines digitalen Anschlusses an eine Fülle von Datenbanken eher einem gigantischen Computer gleicht als unserem herkömmlichen Fernsehgerät. Noch sind diese interaktiven Fernsehangebote Zukunftsmusik, doch in den USA und einigen europäischen Staaten wird mit einem erheblichen Forschungsaufwand daran gearbeitet. Für die Zukunft der Fernsehanstalten in Deutschland wird es von entscheidender Bedeutung sein, den Einstieg in diesen Zukunftsmarkt nicht zu verpassen.

[Seite der Druckausgabe: 45]

Die Voraussetzungen für einen Einstieg in das interaktive Fernsehzeitalter sind dabei in den beiden baden-württembergischen Fernsehanstalten durchaus gut. Umfangreiches Archivmaterial für ein attraktives "Video on demand"-Programm sind ebenso vorhanden wie eine Fülle von relativ zeitlosem Material für "Telelearning on demand" aus den Reihen Telekolleg und Schulfernsehen oder den diversen Sprachkursen. So ließen sich aus den bestehenden Produktions- und Archivstrukturen neue Rundfunkdienste entwickeln, die in Pilotprojekten erprobt werden könnten.

Im Wirtschaftsministerium in Stuttgart wird zur Zeit über ein interaktives Multimediaprojekt in Baden-Württemberg diskutiert, bei dem in einzelnen "Inseln" verschiedene Formen neuer interaktiver Dienste erprobt werden sollen. Derartige Pilotprojekte könnten an die vorhandenen Strukturen in der Region anschließen, die für das Zusammenwachsen von Telekommunikation und Computertechnik gute Voraussetzungen bieten. Neben diesem geplanten Multimediaprojekt sollen weitere landesweite Projekte den Weg in die neuen multimedialen Techniken unterstützen. Das kürzlich beschlossene Pilotprogramm für den digitalen terrestrischen Hörfunk (DAB) ist aus Sicht eines Medienexperten ein Musterbeispiel für die Arbeitsteilung bei solchen Projekten. Das Land stellt die Startgelder zur Verfügung, die hiesige Telekommunikationsindustrie soll die wichtigen technischen Investitionen erbringen und die Rundfunkanstalten SDR und SWF sollen die neue Technik in die Praxis umsetzen. Dabei soll ein zusammenhängendes Gebiet entlang der Hauptverkehrsachsen "Karlsruhe-Stuttgart-Ulm" und "Heidelberg/Mannheim-Karlsruhe-Freiburg" vorrangig mit DAB-Programmen versorgt werden. Der digitale terrestrische Hörfunk ist ebenfalls ein Markt der Zukunft. In den kommenden Jahren wird der gesamte UKW-Hörfunk und die traditionelle Mittelwelle auf DAB umgestellt werden, was natürlich besonders für die Ausrüstungsindustrie ein großes Absatzpotential bieten wird. Denn in einem absehbaren Zeitraum werden die Empfänger in allen Haushalten vom analogen auf digitalen Empfang umstellen.

Die Filmproduktion in Baden-Württemberg ist bislang wenig ausgeprägt. Die hiesige Produktion beschränkt sich hauptsächlich auf Industriefilme und die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten SDR und SWF. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen gibt es in Baden-Württemberg auch keine systematische Filmförderung. Gleichwohl sieht ein Medienexperte in der letzter Zeit einige positive Ansätze. So ist offenbar eine Einigung über die Schaffung einer "Filmstiftung" des Landes in Sicht, auch wenn es nicht zu der vom Staatsministerium ursprünglich angestrebten "Medienagentur" kommen wird. Weitere positive Beispiele sind die neue Filmakademie in Ludwigsburg, ein - jedoch bescheiden ausgestattetes - "Haus des Dokumentarfilms" beim SDR und einige Film-Festivals wie die Öko-Filmtage in Freiburg, das Film-Festival in Mannheim, ein Trickfilmfestival oder die französischen Filmtage in Tübingen.

Das Beispiel Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren deutlich gemacht, welch positive Wirkung die Landespolitik gerade im Bereich Filmförderung und Medienstandort haben kann - auch wenn das Projekt des Informationssenders "Vox" in Köln nicht gerade erfolgreich war. Insofern werden auch in Baden-Württemberg Ansprüche an die Landesregierung artikuliert, den Strukturwandel in der Medienwirtschaft aktiv zu unterstützen. Vor allem die notwendigen Pilotprojekte für den Einstieg in das multimediale Fernsehen bedürfen dabei der Unterstützung der Landesregierung. Denn solche Pilotprojekte können nicht lokal oder regional betrieben werden, sondern müssen im gesamten Bundesland Baden-Württemberg angegangen und genutzt werden. Die Landeshauptstadt Stuttgart oder auch die Region

[Seite der Druckausgabe: 46]

Stuttgart sind als Einheit hierfür viel zu klein. Dies zeigt sich auch im Bereich der Werbung. In der nationalen Werbung, vor allem der Markenartikelwerbung, wird nach der Einheit "Nielsen-Gebiete" geplant und gebucht und Baden-Württemberg ist als "Nielsen 3 b-Gebiet" eine der kleinsten Einheiten. Deshalb müssen sich konkurrierende privat-kommerzielle Radioveranstalter im Lande zu "Radiokombis" zusammenschließen, um so wenigstens eine gewisse Abdeckung des Werbegebietes zu erreichen. Baden-Württemberg ist somit in der Werbung einer der Testmärkte für neu entwickelte Produkte. Ebenso könnte das Land auch ein Zukunftsmodell werden, in dem neue Dienste angeboten und für die Werbung erkundet werden. Anstelle der herkömmlichen Massenkommunikation ist die technisch vermittelte, digitalisierte Individualkommunikation das zu einer sich wandelnden Industrielandschaft passende Entwicklungsfeld. In Baden-Württemberg sollte deshalb in "Inseln" erprobt werden, was schließlich als "Gesamtsystem" vermarktet werden kann. Und auch ordnungspolitisch muß das gesamte Bundesland in den Bereichen der staatlichen Wirtschaftsförderung, der Ansiedlungspolitik und der Kulturpolitik als Struktureinheit betrachtet werden.

Schließlich bleibt das Land Baden-Württemberg, sein Parlament und seine Regierung auch im geeinten Europa und nach der Konstituierung der Regionalversammlung die erste Adresse in allen kulturpolitischen Grundsatzfragen für die Region. Nur das Landesparlament kann die Voraussetzungen dafür schaffen, daß in Baden-Württemberg einheitliche Strukturen und Landesprogramme für Radio und TV geschaffen werden.

Page Top

6.3 Hochschulpolitik

Für die Entwicklung des Dienstleistungsstandortes Region Stuttgart ist außerdem eine Hochschulpolitik notwendig, die die Voraussetzungen dafür schafft, daß in der Region junge Menschen für die Anforderungen einer modernen Dienstleistunggsesellschaft qualifiziert ausgebildet werden. Gerade die Verknüpfung herkömmlicher Industrietechnologien mit neuen Telekommunikationsformen stellt sehr hohe Anforderungen an die Hochschulpolitik und die Flexibilität von Universitäten und Fachhochschulen, die ihre Ausbildungsschwerpunkte dringend modifizieren müssen. Aus neuen interdisziplinären Ausbildungsmöglichkeiten können ebenso wie aus großen Multimedia-Unternehmen kleine innovationsfähige Unternehmen in Produktion und Dienstleistung entstehen, wie es das Beispiel des perfekten Zusammenspiels zwischen der Stanford-University und dem Silicon-Valley in den USA überzeugend vormacht. Hierzu bedarf es aber eines industriepolitischen Konzepts und einer speziellen Förderung und Ansiedlung von solchen "intelligenten" Dienstleistungen, die in technischer Planung und Beratung, in Kundenbetreuung und -schulung die modernen Produkte begleiten, die hier in der Region hergestellt werden.

Page Top

6.4 Systemangebote

Die Autoren des "Industriewissenschaftlichen Instituts" in Wien haben in ihrem Gutachten vom April 1994 für die Region Stuttgart den Übergang vom Dienstleistungs- zum Systemangebot gefordert. Sie sehen die Chancen der Region in der Entwicklung von integrativen Pilotprojekten mit "Speerspitzenfunktionen" für moderne Technologien hiesiger Firmen, wie beispielsweise neue Verkehrsmittel, Umweltprodukte oder den Bereich Telekommunikation. Mit den hier gemachten Erfahrungen könnten auf internationalen Märkten komple-

[Seite der Druckausgabe: 47]

xe Systemlösungen angeboten werden, die weit über die bloße Lieferung exzellenter Einzelprodukte hinausgehen. Denn entscheidende Determinanten für den Markterfolg intelligenter Güterbündel werden zunehmend die gleichzeitig mit den materiellen Gütern zur Verfügung gestellten komplementären Dienstleistungen wie Management, Kundenberatung, Engineering, Projektmanagement, Software, Schulung, Reinigung und Wartung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page