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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 28]


4. Arbeitsplätze, Produktivität und Einkommen im deutsch-amerikanischen Vergleich

Der Anstieg der Erwerbstätigkeit ist in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten in Deutschland und in Europa allgemein ganz dramatisch hinter dem der USA zurückgeblieben. Während der Zuwachs in den USA zwischen 1970 und 1992 49% betrug, waren in den jetzigen Ländern der Europäischen Union nur 9% und in Westdeutschland 11% zu verzeichnen. Die Schwelle, ab der ein gesamtwirtschaftliches Wachstum beschäftigungswirksam wird, liegt in Deutschland derzeit bei etwas unter 2 %, in den USA noch niedriger. 1 % mehr BIP-Wachstum läßt die Zahl der Erwerbstätigen dort um knapp ein halbes Prozent ansteigen, in Deutschland jedoch nur um ein knappes Zehntelprozent.

Die dramatischen Unterschiede im Zuwachs der Erwerbstätigkeit zwischen Deutschland und den USA sind nicht durch unterschiedliche Raten im Wirtschaftswachstum zu erklären. Während das Bruttoinlandsprodukt von 1970 bis '92 in den USA um 70% anwuchs, stieg es in den Ländern der Europäischen Union um 81% und in Westdeutschland um 75%. Langfristig betrachtet sind also keine großen Unterschiede im Wirtschaftswachstum zu registrieren. Die USA sind sogar eher etwas hinter Deutschland und der Europäischen Union zurückgeblieben.

Unterschiede bei der Dauer der Arbeitslosigkeit kommen dadurch zustande, daß der US-amerikanische Arbeitsmarkt aufgrund geringerer Regulierung sehr viel unmittelbarer auf Produktionsschwankungen reagiert als der deutsche. Es gibt eine augenfällig größere Beschäftigungselastizität des US-amerikanischen Arbeitsmarktes - sowohl nach oben, als auch nach unten. In Deutschland ist der Durchschlag der Produktionsschwankungen auf die Erwerbstätigkeit sehr viel geringer und in hohem Maße verhindert worden durch Variationen der Arbeitszeit. Die Arbeitszeitregimes in Deutschland reagieren viel stärker auf die Produktionsschwankungen als die Erwerbstätigkeit. Es gibt Überstunden bei expandierender Produktion und Kurzarbeit bei rückläufiger Produktion. Kurzarbeit fängt das auf, was in den USA zu kurzen Arbeitslosigkeitsphasen aufgrund von Produktionsschwankungen führt. Und das erklärt viele kurze Arbeitslosigkeitsphasen in den USA, während in Deutschland

[Seite der Druckausgabe: 29]

dies seltener vorkommt, weil hier die arbeitsmarktpolitisch mögliche „Kurzarbeit" als gesamtwirtschaftlich sinnvolles Äquivalent praktiziert wird. Den Betrieben ist es von Vorteil, ihre eingearbeiteten Belegschaften zu erhalten.

Während der letzten fünfzig Jahre ist die Erwerbsbevölkerung in den USA jährlich um 1,7 Millionen angestiegen. Dies ist eine der wesentlichen Ursachen, daß während der letzten 50 Jahre durchschnittlich 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der flexible amerikanische Arbeitsmarkt absorbierte diese Arbeit suchenden Menschen: Je mehr Arbeitskräfte, desto mehr Arbeitsplätze werden geschaffen. In Deutschland bietet sich ein anderes Bild. Der Anstieg der Erwerbsbevölkerung verlief viel langsamer als in den USA: durchschnittlich um ungefähr 170.000 Menschen jährlich in den letzten 50 Jahren, während die Beschäftigung nur durchschnittlich um ungefähr 76.000 Arbeitsplätze pro Jahr wuchs. Es gibt also zwei Unterschiede zu den USA. Zum einen verläuft der Anstieg der Erwerbsbevölkerung viel langsamer, was primär nichts mit der Wirtschaft zu tun hat, sondern mit Migrationsströmen. Zum anderen besteht der Unterschied zum amerikanischen Arbeitsmarkt darin, daß der deutsche Arbeitsmarkt nur die Hälfte des natürlichen jährlichen Anstiegs der Erwerbsbevölkerung aufnimmt.

Aus der Sicht der deutschen Arbeitgeberverbände erklärt sich die Dynamik auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt größtenteils durch Vorteile, die die Deregulierung in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen im Unterschied zu Deutschland bietet. Die Stichworte dazu lauten: geringere Arbeitskosten, längere Arbeitszeiten, hohe Mobilität und geringere Betriebszugehörigkeitsdauer, eine kürzere Absicherung bei Arbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung, eine höhere Reallohnflexibilität, das Fehlen eines Betriebsverfassungs-, Kündigungs-, Urlaubs- und Mutterschaftsgesetzes und eine geringere Steuer- und Abgabenquote. Summa summarum sind damit die Kritikpunkte am „Modell Deutschland" in der Standort-Deutschland-Debatte der 90er Jahre aufgelistet worden, die darin münden, daß das amerikanische System mehr auf die Eigenverantwortung und den Selbstbehauptungswillen des einzelnen setze, hingegen der deutsche Sozialstaat die Anspruchsmentalität gegenüber dem Staat und Passivität kultiviere.

[Seite der Druckausgabe: 30]

Herbert Ehrenberg, Bundesarbeitsminister a.D., zeichnet in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem politisch-ökonomischen Diskussionsniveau der Standort-Deutschland-Debatte ein anderes Bild. Die Standortdebatte fand ihr offizielles Dokument in dem „Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland vom 2. September 1993", in dem u. a. festgestellt wird, daß

  • „durch den Anstieg der Ansprüche an Staat und Wirtschaft" die „Leistungsfähigkeit der Wirtschaft" in einem „gefährlichen Verteilungsstreit" zunehmend „überfordert wurde",

  • die Deutschen sich „äußerst kurze Arbeits- und Maschinenlaufzeiten" leisten,

  • dabei aber „hohe Löhne" gezahlt werden.

Fakten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung würden in diesem Bericht nur punktuell (und ohne Quellennachweise) angeführt, in der übrigen Debatte die breitgefächerten Forderungen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandortes Deutschland noch seltener mit nachprüfbaren Daten belegt. Die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesene Entwicklung der Anteile der Arbeitnehmereinkommen einerseits und der Unternehmens- und Vermögenseinkommen andererseits am jeweiligen Bruttosozialprodukt gebe Auskunft über die tatsächlichen Ergebnisse des „gefährlichen Verteilungsstreits". Die Entwicklung des Aufkommens der verschiedenen Steuerarten und der Sozialversicherungsbeiträge zeigt die Abgabenbelastung der am Produktionsprozeß Beteiligten.

Der Anteil der Nettolöhne und -gehälter am Bruttosozialprodukt reduzierte sich von 1979 bis 1995 von 33,9 auf 28,3 %, während der Anteil der Nettounternehmens- und Vermögenseinkommen von 16,1 auf 19,2 % anstieg. Die Abgabenquote der Arbeitnehmer stieg von 13,1 auf 15,9 %, die Abgabenquote aus Unternehmens- und Vermögenssteuer sank von 14,0 auf 11,5 %. Diese Daten belegten, daß der zitierte „gefährliche Verteilungsstreit" zulasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Unternehmer ging.

[Seite der Druckausgabe: 31]

Fakten zur Einkommensverteilung und Abgabenbelastung


1979

1989

1995

1979

1989

1995

Zuwachs v.
1979 - 1995 in v.H.


(in Milliarden DM)

(reale Wachstumsrate)


Bruttosozialprodukt (BSP)

1.393,8

2.249,1

3.445,6

4,0

3,8

1,9

147,2





(in v.H. des BSP)


Bruttolohn- und Gehaltssumme

653,7

992,8

1.514,1

46,9

44,2

43,9

131,6

Lohnsteuer1)

97,1

181,8

303,8

7,0

8,1

8,8

213,0

Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit u. Vermögen

289,4

516,2

742,6

20,8

23,0

21,6

156,6

1. veranl. Einkommensteuer1)

37,6

36,8

15,1

2,7

1,6

0,4


2.Körperschaftssteuer1)

22,9

34,2

19,5

1,6

1,5

0,6


3.Kapitalertragssteuern1)

3,8

12,8

31,9

0,3

0,6

0,9


4.Gewerbesteuern

28,4

36,7

42,1

2,0

1,6

1,2


5. Vermögenssteuer

4,5

5,8

7,9

0,3

0,3

0,2


Summe 1. bis 5.

97,2

126,3

116,5

7,0

5,6

3,4

19,9

Tatsächl. Beiträge zur Sozialvers.








- Arbeitgeberanteil

97,2

162,7

279,6

7,0

7.2

8,1

187,7

- Arbeitnehmeranteil

84,9

141,9

243,6

6,1

6,3

7,1

187,0

- Abgabenquote der Unternehmen2)




14,0

12,8

11,5


- Abgabenquote der Arbeitnehmer




15,1

14.,4

15,9


Steuereinnahmen, insges.

342,8

535,5

814,2

24,6

23,8

23,6

137,5

davon Umsatzsteuern:

84,2

131,5

234,6

6,0

5,9

6,8

178,6

Nettolohn- und Gehaltssumme

472,4

671.6

973,5

33,9

29,9

28,3

106,1

Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit u. Vermögen

224,6

426,3

661,2

16,1

18,9

19,2

194,4

öffentliche Einkommensübertragungen

185,5

308,5

545,8

13,3

13,7

15,8

194,2

Anlageinvestitionen

301,3

448,5

751,1

21,6

19,9

21,8

149,3

Registrierte Arbeitslose (in Millionen)

0,876

2,038












1,047

- Westdeutschland







2,565

- Ostdeutschland

1) einschl. Solidaritätszuschlag

2) 50 % der Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und volle Beiträge zur Unfallversicherung plus Steuerquote der Unternehmen.

Quellen: Statistisches Bundesamt: "Erste Ergebnisse der Inlandsproduktsberechnung 1995", Fachserie 18, Januar 1996, "Der Staat in den Volkswirtwirtschaftlichen Gesamtrechnungen", Stand: Januar 1996, "Wirtschaft und Statistik", Heft 1/1996; "Finanzbericht 1996", Bundesministerium der Finanzen, August 1995; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: "Statistisches Taschenbuch 1995", Juni 1995 und "1950-1990", Januar 1992. Deutsche Bundesbank, Monatsberichte Mai 1996, August 1994 und November 1982, Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vom 25. April 1996,

[Seite der Druckausgabe: 32]

Eine Analyse aus der Abteilung Wirtschaft beim Vorstand der IG Metall vergleicht systematisch die Unterschiede in der Entwicklung von Arbeitsplätzen, Produktivität und Einkommen in den USA und Deutschland unter Einbeziehung von Japan. Von den beschäftigungspolitischen Grundtendenzen ausgehend, werden verteilungspolitische Einflußfaktoren und realwirtschaftliche Aspekte überprüft.

Ausgangspunkt sind die gravierenden Unterschiede der beschäftigungspolitischen Tendenzen

  • nicht nur aus kurzfristiger konjunktureller Sicht,

  • sondern vor allem unter längerfristigen strukturellen Aspekten.

Das gilt nicht nur für die absoluten Zahlen, die maßgeblich durch die Größe der Wirtschaftsräume beeinflußt werden. Von 1980 bis 1994 stieg die Zahl der Erwerbstätigen

  • in den USA um fast 24 Mio.,

  • in Japan um mehr als 9 Mio.,

  • in der BRD um weit weniger als 2 Mio.

Das gilt auch für die relativen Zahlen, die den beschäftigungspolitischen Vergleich objektivieren. Von 1980 bis 1994 stieg die Zahl der Erwerbstätigen

  • in den USA um fast 24 Prozent,

  • in Japan um gut 16 Prozent,

  • in der BRD lediglich um 6 Prozent.

Beim Vergleich der beschäftigungspolitischen Grundtendenzen mit verteilungspolitischen Einflußfaktoren sind drei Punkte wesentlich, nämlich die Entwicklung

  • der Nominallöhne,

  • der Reallöhne und der Lohnstückkosten,

  • der Verteilungsposition insgesamt.

Die nominalen Stundenlöhne und -gehälter stiegen zwischen 1980 und 1994

  • in den USA um gut 100 Prozent (+ 105),

  • in Japan um gut 99 Prozent (+ 99,3),

  • in der BRD um knapp 100 Prozent (+ 99,7).

[Seite der Druckausgabe: 33]

Sie haben sich also in allen drei Ländern praktisch verdoppelt. Den gleichen Nominalsteigerungen stehen höchst unterschiedliche Preissteigerungen gegenüber. Das stützt jedenfalls - nur nebenbei - nicht die Ideologie von der Lohn-Preis-Spirale. Die Verbraucherpreise wurden 1980/94 heraufgesetzt

  • in den USA um rund 80 Prozent (+ 79,7),

  • in der BRD um gut 50 Prozent (+ 52,1),

  • in Japan um gut 30 Prozent (+ 31,0).

Aus unterschiedlichen Preissteigerungen resultieren jedoch höchst unterschiedliche Reallohnsteigerungen. Die realen Bruttostunden-Einkommen stiegen von 1980 bis 1994

  • in den USA um wenig mehr als ein Zehntel (+ 11,6 Prozent),

  • in der BRD um über ein Drittel (+ 34,7 Prozent),

  • in Japan um mehr als die Hälfte (+ 52,1 Prozent).

Die Reallohn-Hierarchien decken sich nicht mit den Beschäftigungs-Hierarchien.

Japan erreichte im Vergleich zur BRD höhere Zuwächse:

  • nicht nur bei den Arbeitsplätzen,

  • sondern auch bei den realen Arbeitseinkommen.

Die USA allerdings zeigen im Vergleich zur BRD

  • nicht nur die ungleich bessere Entwicklung der Beschäftigungszahlen,

  • sondern auch die ungleich schlechtere Entwicklung der Realeinkommen.

Daraus läßt sich als Fazit ableiten: Die These von der Unterbezahlung als Alternative zur Unterbeschäftigung scheint

  • zwar durch das japanische Beispiel dementiert,

  • aber durch das amerikanische Beispiel zementiert.

Den gleichen Nominallohnsteigerungen stehen auch höchst unterschiedliche Produktivitätssteigerungen gegenüber - allerdings in genau umgekehrter Reihenfolge wie bei den Preisen

[Seite der Druckausgabe: 34]

Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität (pro Stunde) stieg zwischen 1980-94

  • in den USA um weit weniger als 20 Prozent (+ 16,5),

  • in der BRD um mehr als 40 Prozent (+ 40,4),

  • in Japan sogar um mehr als 50 Prozent (+ 50,4).

Aus Stundenlöhnen und Stundenproduktivität ergibt sich die Entwicklung der Lohnstückkosten. Das Lohnkostengefälle entspricht dem Produktivitätsgefälle. Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten stiegen von 1980-94

  • in den USA um über 70 Prozent (+ 72,0),

  • in der BRD um über 40 Prozent (+ 42,2),

  • in Japan nur um über 30 Prozent (+ 32,5).

Auch die präzisierten Lohnkosten-Hierarchien decken sich nicht mit den Beschäftigungs-Hierarchien. Zwar erzielt Japan im Vergleich zur BRD

  • deutlich größere Zuwächse bei der Beschäftigtenzahl,

  • bei deutlich kleineren Steigerungen der Lohnstückkosten.

In den USA aber gehen im Vergleich zur BRD umgekehrt

  • eine ungleich bessere Entwicklung und Beschäftigtenzahl,

  • und eine ungleich schlechtere Entwicklung der Lohnstückkosten Hand in Hand.

Die These von niedrigeren Lohnkosten und höherer Beschäftigung scheint nun umgekehrt

  • durch das japanische Beispiel belegt,

  • durch die amerikanischen Erfahrungen widerlegt.

In den USA gehen die höchsten Beschäftigungszuwächse mit den höchsten Lohnkostensteigerungen einher. Es stellt sich nun die Frage nach einem Zusammenhang von Arbeitsplätzen und Verteilungsposition insgesamt. Die Entwicklung der Verteilungskosten ergibt sich aus der Gegenüberstellung

  • von Lohnerhöhungen einerseits,

  • von Preis- und Produktivitätssteigerungen andererseits.

[Seite der Druckausgabe: 35]

Betrachtet man die Entwicklung der nominalen Löhne, lassen sich gleiche Lohnsteigerungen feststellen. Allerdings lassen sich andererseits unterschiedliche Verteilungsspielräume registrieren. Preis- und Produktivitätssteigerungen summierten sich von 1980 bis 1994

  • in Japan auf + 97 Prozent,

  • in der BRD auf + 108 Prozent,

  • in den USA auf + 109 Prozent.

Eine Gegenüberstellung von Lohnsteigerungen und Verteilungsspielräumen zeigt:

  • Die Verteilungsposition der Arbeitnehmer hat sich in Japan zumindest geringfügig verbessert (+ 1,2 Prozent),

  • die Verteilungsposition der Arbeitnehmer hat sich in der Bundesrepublik (-4,1 Prozent) und in den USA (-4,3 Prozent) gleichzeitig gleichermaßen verschlechtert.

Die Verteilungs-Hierarchien entsprechen jedoch keineswegs den Beschäftigungs-Hierarchien.

Die japanischen Erfahrungen zeigen: Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer schließt beschäftigungspolitische Expansion offenkundig nicht aus.

Die Erfahrungen in der BRD und den USA zeigen: Umverteilung zugunsten des Kapitals schließt beschäftigungspolitische Expansionen jedenfalls keineswegs ein. Die gleichen verteilungspolitischen Fehlentwicklungen fallen

  • in den USA mit dem sogenannten amerikanischen Beschäftigungswunder zusammen,

  • in der BRD mit der unstreitigen beschäftigungspolitischen Misere.

All dies zusammen deutet - so die vorsichtige Lesart - wenigstens an: mit den verteilungspolitischen Differenzen in der Triade sind die beschäftigungspolitischen Unterschiede in der Triade nicht plausibel zu erklären.

Die beschäftigungspolitischen Entwicklungstendenzen in Deutschland, Japan und den USA müssen auch im Kontext realwirtschaftlicher Einflußfaktoren analysiert werden. Unter realwirtschaftlichen Aspekten

[Seite der Druckausgabe: 36]

hängt die Beschäftigung ab von der Entwicklung der Produktion, der Produktivität und der Arbeitszeiten. Diese realwirtschaftlichen Einflußfaktoren sind in einer Grafik zusammengefaßt. Sie zeigt im oberen Teil die Entwicklung des Arbeitsvolumens, die sich aus den Produktions- und Produktivitätsraten ableitet. Im unteren Teil gibt sie die Verteilung des Arbeitsvolumens wieder, die sich in Arbeitszeiten und Beschäftigungszahlen niederschlägt. Es gibt demnach charakteristische Unterschiede zwischen den dominanten realwirtschaftlichen Einflußfaktoren in der Triade. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen wird vorrangig beeinflußt

  • in den USA durch die Entwicklung der Arbeitsproduktivität,

  • in Japan durch die Erhöhung der Produktion,

  • in der Bundesrepublik durch die Verkürzung der Arbeitszeit.

Von entscheidender Bedeutung ist jedoch vor allem die Frage, inwieweit die beschäftigungspolitische Position einhergeht mit dem Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Erweiterung von gesellschaftlicher Reformfähigkeit.

Die USA haben mit Abstand das niedrigste Produktivitätswachstum realisiert. Der gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachs lag von 1980-94

  • in den USA deutlich unter 20 Prozent (+16,5),

  • in der BRD über 40 Prozent (+ 40,4),

  • in Japan sogar über 50 Prozent (+ 50,4).

Die Beschäftigungsexpansion in den USA war dementsprechend vor allem produktivitätsbedingt. Sie konzentriert sich auf den Dienstleistungssektor und wird mit gesamtwirtschaftlichem Produktivitätsverzicht bezahlt.

Aus der Analyse werden zwei Thesen abgeleitet:

  1. Das amerikanische Produktivitätsmodell geht mit internationalen Wettbewerbsnachteilen einher. Ein Indiz dafür ist die höchst unterschiedliche Entwicklung der Handelsbilanzsalden in der Triade. Sie summierten sich von 1980 bis 1994

  • in den USA auf ein Handelsbilanzdefizit von mehr als 1.500 Mrd. Dollar (-1.518,50),

[Seite der Druckausgabe: 37]


Verteilungsposition der Arbeitnehmer 1980 bis 1994 - Veränderung in % -Bild vergrößern


[Seite der Druckausgabe: 38]

  • in der Bundesrepublik auf einen Exportüberschuß von fast 600 Mrd. Dollar (+594,41),

  • in Japan sogar auf einen Exportüberschuß von mehr als 1.100 Mrd. Dollar (+ 1.119,32).

  1. Das amerikanische Produktivitätsmodell geht aber auch mit nationalen Wohlstandsverlusten einher, die ihrerseits zur gesellschaftspolitischen Polarisierung beitragen. Indizien dafür werden gesehen

  • in der Polarisierung der Beschäftigungsstrukturen, im Nebeneinander von „good Jobs" und „bad Jobs",

  • aber auch in der Polarisierung der Einkommensstrukturen, im Gegeneinander einer wachsenden Schicht von „working poor" und einer kleinen Schicht von Superreichen.

Die weit überdurchschnittliche Beschäftigungsexpansion in den USA hat ihr Gegenstück in einer binnenorientierten Expansion mit Schwerpunkt im tertiären Sektor, die Produktivitätsverzichte im gesamtwirtschaftlichen Maßstab hinnimmt. Sie ist in dieser Form nicht übertragbar auf die ungleich stärker exportorientierten, aber auch ungleich stärker exportabhängigen Ökonomien von Japan und Deutschland, in denen es statt dessen auf die Produktivitätsverwendung ankommt.

  • Charakteristisch für die japanische Wirtschaft war dabei eine überdurchschnittliche Weitergabe von Produktivitätssteigerungen an das Ausland durch die Senkung von Ausfuhrpreisen (in nationaler Währung).

  • Charakteristisch für die bundesrepublikanische Gesellschaft war statt dessen die überdurchschnittliche Verwendung von Produktivitätsanteilen im Inland für die forcierte Verkürzung der effektiven und tariflichen Arbeitszeit.

Auch im japanischen Produktionsmodell zeichnen sich Grenzen ab. Japan hat die mit Abstand höchsten Wachstumsraten. Die gesamtwirtschaftlichen Produktionssteigerungen von 1980 bis 1994 lagen

  • in Japan bei fast 60 Prozent (+ 58,2)

  • in den USA bei gut 40 Prozent (+ 41,5)

  • in der Bundesrepublik bei unter 35 Prozent (+ 34,2).

[Seite der Druckausgabe: 39]


Realwirtschaftliche Einflußfaktoren und beschäftigungspolitische Entwicklungstendenzen 1980 - 1994 ; Veränderung in %Bild vergrößern


[Seite der Druckausgabe: 40]


Realwirtschaftliche Einflußfaktoren und beschäftigungspolitische Entwicklungstendenzen 1980 - 1994 ; Veränderung in %Bild vergrößern


[Seite der Druckausgabe: 41]

Die Beschäftigungsexpansion ist vor allem wachstumsbedingt. Sie konzentriert sich auf die exportorientierten Industriesektoren und wurde mit der Weitergabe von Produktivitätssteigerungen an das Ausland durch gesunkene Yen-Exportpreise bezahlt. Daraus lassen sich zwei Thesen zuspitzen:

  1. In diesem japanischen Produktionsmodell standen und stehen den beschäftigungspolitischen Vorteilen gesellschaftspolitische Nachteile gegenüber. Die beschäftigungspolitische Expansion im Inland wird mit dem Transfer von realen Ressourcen an das Ausland finanziert, dessen Spiegelbild strukturelle Defizite der gesellschaftlichen Infrastruktur, vor allem des sozialen Sicherungssystems zu werden drohen.

  2. Dieses japanische Produktionsmodell baute und baut auf beschäftigungspolitische Expansion durch wettbewerbspolitische Eroberung. Unübersehbar ist jedoch, daß der Schaffung von Arbeitsplätzen im Inland durch den Export der Arbeitslosigkeit ins Ausland zunehmend Grenzen gezogen werden,
    • und zwar erst politische Grenzen durch Handelskonflikte,
    • dann ökonomische Grenzen durch die Wechselkursentwicklung.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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