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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 28] 4. Arbeitsplätze, Produktivität und Einkommen im deutsch-amerikanischen Vergleich Der Anstieg der Erwerbstätigkeit ist in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten in Deutschland und in Europa allgemein ganz dramatisch hinter dem der USA zurückgeblieben. Während der Zuwachs in den USA zwischen 1970 und 1992 49% betrug, waren in den jetzigen Ländern der Europäischen Union nur 9% und in Westdeutschland 11% zu verzeichnen. Die Schwelle, ab der ein gesamtwirtschaftliches Wachstum beschäftigungswirksam wird, liegt in Deutschland derzeit bei etwas unter 2 %, in den USA noch niedriger. 1 % mehr BIP-Wachstum läßt die Zahl der Erwerbstätigen dort um knapp ein halbes Prozent ansteigen, in Deutschland jedoch nur um ein knappes Zehntelprozent. Die dramatischen Unterschiede im Zuwachs der Erwerbstätigkeit zwischen Deutschland und den USA sind nicht durch unterschiedliche Raten im Wirtschaftswachstum zu erklären. Während das Bruttoinlandsprodukt von 1970 bis '92 in den USA um 70% anwuchs, stieg es in den Ländern der Europäischen Union um 81% und in Westdeutschland um 75%. Langfristig betrachtet sind also keine großen Unterschiede im Wirtschaftswachstum zu registrieren. Die USA sind sogar eher etwas hinter Deutschland und der Europäischen Union zurückgeblieben. Unterschiede bei der Dauer der Arbeitslosigkeit kommen dadurch zustande, daß der US-amerikanische Arbeitsmarkt aufgrund geringerer Regulierung sehr viel unmittelbarer auf Produktionsschwankungen reagiert als der deutsche. Es gibt eine augenfällig größere Beschäftigungselastizität des US-amerikanischen Arbeitsmarktes - sowohl nach oben, als auch nach unten. In Deutschland ist der Durchschlag der Produktionsschwankungen auf die Erwerbstätigkeit sehr viel geringer und in hohem Maße verhindert worden durch Variationen der Arbeitszeit. Die Arbeitszeitregimes in Deutschland reagieren viel stärker auf die Produktionsschwankungen als die Erwerbstätigkeit. Es gibt Überstunden bei expandierender Produktion und Kurzarbeit bei rückläufiger Produktion. Kurzarbeit fängt das auf, was in den USA zu kurzen Arbeitslosigkeitsphasen aufgrund von Produktionsschwankungen führt. Und das erklärt viele kurze Arbeitslosigkeitsphasen in den USA, während in Deutschland [Seite der Druckausgabe: 29] dies seltener vorkommt, weil hier die arbeitsmarktpolitisch mögliche Kurzarbeit" als gesamtwirtschaftlich sinnvolles Äquivalent praktiziert wird. Den Betrieben ist es von Vorteil, ihre eingearbeiteten Belegschaften zu erhalten. Während der letzten fünfzig Jahre ist die Erwerbsbevölkerung in den USA jährlich um 1,7 Millionen angestiegen. Dies ist eine der wesentlichen Ursachen, daß während der letzten 50 Jahre durchschnittlich 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der flexible amerikanische Arbeitsmarkt absorbierte diese Arbeit suchenden Menschen: Je mehr Arbeitskräfte, desto mehr Arbeitsplätze werden geschaffen. In Deutschland bietet sich ein anderes Bild. Der Anstieg der Erwerbsbevölkerung verlief viel langsamer als in den USA: durchschnittlich um ungefähr 170.000 Menschen jährlich in den letzten 50 Jahren, während die Beschäftigung nur durchschnittlich um ungefähr 76.000 Arbeitsplätze pro Jahr wuchs. Es gibt also zwei Unterschiede zu den USA. Zum einen verläuft der Anstieg der Erwerbsbevölkerung viel langsamer, was primär nichts mit der Wirtschaft zu tun hat, sondern mit Migrationsströmen. Zum anderen besteht der Unterschied zum amerikanischen Arbeitsmarkt darin, daß der deutsche Arbeitsmarkt nur die Hälfte des natürlichen jährlichen Anstiegs der Erwerbsbevölkerung aufnimmt. Aus der Sicht der deutschen Arbeitgeberverbände erklärt sich die Dynamik auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt größtenteils durch Vorteile, die die Deregulierung in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen im Unterschied zu Deutschland bietet. Die Stichworte dazu lauten: geringere Arbeitskosten, längere Arbeitszeiten, hohe Mobilität und geringere Betriebszugehörigkeitsdauer, eine kürzere Absicherung bei Arbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung, eine höhere Reallohnflexibilität, das Fehlen eines Betriebsverfassungs-, Kündigungs-, Urlaubs- und Mutterschaftsgesetzes und eine geringere Steuer- und Abgabenquote. Summa summarum sind damit die Kritikpunkte am Modell Deutschland" in der Standort-Deutschland-Debatte der 90er Jahre aufgelistet worden, die darin münden, daß das amerikanische System mehr auf die Eigenverantwortung und den Selbstbehauptungswillen des einzelnen setze, hingegen der deutsche Sozialstaat die Anspruchsmentalität gegenüber dem Staat und Passivität kultiviere. [Seite der Druckausgabe: 30] Herbert Ehrenberg, Bundesarbeitsminister a.D., zeichnet in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem politisch-ökonomischen Diskussionsniveau der Standort-Deutschland-Debatte ein anderes Bild. Die Standortdebatte fand ihr offizielles Dokument in dem Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland vom 2. September 1993", in dem u. a. festgestellt wird, daß
Fakten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung würden in diesem Bericht nur punktuell (und ohne Quellennachweise) angeführt, in der übrigen Debatte die breitgefächerten Forderungen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandortes Deutschland noch seltener mit nachprüfbaren Daten belegt. Die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesene Entwicklung der Anteile der Arbeitnehmereinkommen einerseits und der Unternehmens- und Vermögenseinkommen andererseits am jeweiligen Bruttosozialprodukt gebe Auskunft über die tatsächlichen Ergebnisse des gefährlichen Verteilungsstreits". Die Entwicklung des Aufkommens der verschiedenen Steuerarten und der Sozialversicherungsbeiträge zeigt die Abgabenbelastung der am Produktionsprozeß Beteiligten. Der Anteil der Nettolöhne und -gehälter am Bruttosozialprodukt reduzierte sich von 1979 bis 1995 von 33,9 auf 28,3 %, während der Anteil der Nettounternehmens- und Vermögenseinkommen von 16,1 auf 19,2 % anstieg. Die Abgabenquote der Arbeitnehmer stieg von 13,1 auf 15,9 %, die Abgabenquote aus Unternehmens- und Vermögenssteuer sank von 14,0 auf 11,5 %. Diese Daten belegten, daß der zitierte gefährliche Verteilungsstreit" zulasten der Arbeitnehmer und zugunsten der Unternehmer ging. [Seite der Druckausgabe: 31] Fakten zur Einkommensverteilung und Abgabenbelastung
Quellen: Statistisches Bundesamt: "Erste Ergebnisse der Inlandsproduktsberechnung 1995", Fachserie 18, Januar 1996, "Der Staat in den Volkswirtwirtschaftlichen Gesamtrechnungen", Stand: Januar 1996, "Wirtschaft und Statistik", Heft 1/1996; "Finanzbericht 1996", Bundesministerium der Finanzen, August 1995; Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: "Statistisches Taschenbuch 1995", Juni 1995 und "1950-1990", Januar 1992. Deutsche Bundesbank, Monatsberichte Mai 1996, August 1994 und November 1982, Gemeinschaftsgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vom 25. April 1996, [Seite der Druckausgabe: 32] Eine Analyse aus der Abteilung Wirtschaft beim Vorstand der IG Metall vergleicht systematisch die Unterschiede in der Entwicklung von Arbeitsplätzen, Produktivität und Einkommen in den USA und Deutschland unter Einbeziehung von Japan. Von den beschäftigungspolitischen Grundtendenzen ausgehend, werden verteilungspolitische Einflußfaktoren und realwirtschaftliche Aspekte überprüft. Ausgangspunkt sind die gravierenden Unterschiede der beschäftigungspolitischen Tendenzen
Das gilt nicht nur für die absoluten Zahlen, die maßgeblich durch die Größe der Wirtschaftsräume beeinflußt werden. Von 1980 bis 1994 stieg die Zahl der Erwerbstätigen
Das gilt auch für die relativen Zahlen, die den beschäftigungspolitischen Vergleich objektivieren. Von 1980 bis 1994 stieg die Zahl der Erwerbstätigen
Beim Vergleich der beschäftigungspolitischen Grundtendenzen mit verteilungspolitischen Einflußfaktoren sind drei Punkte wesentlich, nämlich die Entwicklung
Die nominalen Stundenlöhne und -gehälter stiegen zwischen 1980 und 1994
[Seite der Druckausgabe: 33] Sie haben sich also in allen drei Ländern praktisch verdoppelt. Den gleichen Nominalsteigerungen stehen höchst unterschiedliche Preissteigerungen gegenüber. Das stützt jedenfalls - nur nebenbei - nicht die Ideologie von der Lohn-Preis-Spirale. Die Verbraucherpreise wurden 1980/94 heraufgesetzt
Aus unterschiedlichen Preissteigerungen resultieren jedoch höchst unterschiedliche Reallohnsteigerungen. Die realen Bruttostunden-Einkommen stiegen von 1980 bis 1994
Die Reallohn-Hierarchien decken sich nicht mit den Beschäftigungs-Hierarchien. Japan erreichte im Vergleich zur BRD höhere Zuwächse:
Die USA allerdings zeigen im Vergleich zur BRD
Daraus läßt sich als Fazit ableiten: Die These von der Unterbezahlung als Alternative zur Unterbeschäftigung scheint
Den gleichen Nominallohnsteigerungen stehen auch höchst unterschiedliche Produktivitätssteigerungen gegenüber - allerdings in genau umgekehrter Reihenfolge wie bei den Preisen [Seite der Druckausgabe: 34] Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität (pro Stunde) stieg zwischen 1980-94
Aus Stundenlöhnen und Stundenproduktivität ergibt sich die Entwicklung der Lohnstückkosten. Das Lohnkostengefälle entspricht dem Produktivitätsgefälle. Die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten stiegen von 1980-94
Auch die präzisierten Lohnkosten-Hierarchien decken sich nicht mit den Beschäftigungs-Hierarchien. Zwar erzielt Japan im Vergleich zur BRD
In den USA aber gehen im Vergleich zur BRD umgekehrt
Die These von niedrigeren Lohnkosten und höherer Beschäftigung scheint nun umgekehrt
In den USA gehen die höchsten Beschäftigungszuwächse mit den höchsten Lohnkostensteigerungen einher. Es stellt sich nun die Frage nach einem Zusammenhang von Arbeitsplätzen und Verteilungsposition insgesamt. Die Entwicklung der Verteilungskosten ergibt sich aus der Gegenüberstellung
[Seite der Druckausgabe: 35] Betrachtet man die Entwicklung der nominalen Löhne, lassen sich gleiche Lohnsteigerungen feststellen. Allerdings lassen sich andererseits unterschiedliche Verteilungsspielräume registrieren. Preis- und Produktivitätssteigerungen summierten sich von 1980 bis 1994
Eine Gegenüberstellung von Lohnsteigerungen und Verteilungsspielräumen zeigt:
Die Verteilungs-Hierarchien entsprechen jedoch keineswegs den Beschäftigungs-Hierarchien. Die japanischen Erfahrungen zeigen: Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer schließt beschäftigungspolitische Expansion offenkundig nicht aus. Die Erfahrungen in der BRD und den USA zeigen: Umverteilung zugunsten des Kapitals schließt beschäftigungspolitische Expansionen jedenfalls keineswegs ein. Die gleichen verteilungspolitischen Fehlentwicklungen fallen
All dies zusammen deutet - so die vorsichtige Lesart - wenigstens an: mit den verteilungspolitischen Differenzen in der Triade sind die beschäftigungspolitischen Unterschiede in der Triade nicht plausibel zu erklären. Die beschäftigungspolitischen Entwicklungstendenzen in Deutschland, Japan und den USA müssen auch im Kontext realwirtschaftlicher Einflußfaktoren analysiert werden. Unter realwirtschaftlichen Aspekten [Seite der Druckausgabe: 36] hängt die Beschäftigung ab von der Entwicklung der Produktion, der Produktivität und der Arbeitszeiten. Diese realwirtschaftlichen Einflußfaktoren sind in einer Grafik zusammengefaßt. Sie zeigt im oberen Teil die Entwicklung des Arbeitsvolumens, die sich aus den Produktions- und Produktivitätsraten ableitet. Im unteren Teil gibt sie die Verteilung des Arbeitsvolumens wieder, die sich in Arbeitszeiten und Beschäftigungszahlen niederschlägt. Es gibt demnach charakteristische Unterschiede zwischen den dominanten realwirtschaftlichen Einflußfaktoren in der Triade. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen wird vorrangig beeinflußt
Von entscheidender Bedeutung ist jedoch vor allem die Frage, inwieweit die beschäftigungspolitische Position einhergeht mit dem Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Erweiterung von gesellschaftlicher Reformfähigkeit. Die USA haben mit Abstand das niedrigste Produktivitätswachstum realisiert. Der gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwachs lag von 1980-94
Die Beschäftigungsexpansion in den USA war dementsprechend vor allem produktivitätsbedingt. Sie konzentriert sich auf den Dienstleistungssektor und wird mit gesamtwirtschaftlichem Produktivitätsverzicht bezahlt. Aus der Analyse werden zwei Thesen abgeleitet:
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Die weit überdurchschnittliche Beschäftigungsexpansion in den USA hat ihr Gegenstück in einer binnenorientierten Expansion mit Schwerpunkt im tertiären Sektor, die Produktivitätsverzichte im gesamtwirtschaftlichen Maßstab hinnimmt. Sie ist in dieser Form nicht übertragbar auf die ungleich stärker exportorientierten, aber auch ungleich stärker exportabhängigen Ökonomien von Japan und Deutschland, in denen es statt dessen auf die Produktivitätsverwendung ankommt.
Auch im japanischen Produktionsmodell zeichnen sich Grenzen ab. Japan hat die mit Abstand höchsten Wachstumsraten. Die gesamtwirtschaftlichen Produktionssteigerungen von 1980 bis 1994 lagen
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[Seite der Druckausgabe: 41] Die Beschäftigungsexpansion ist vor allem wachstumsbedingt. Sie konzentriert sich auf die exportorientierten Industriesektoren und wurde mit der Weitergabe von Produktivitätssteigerungen an das Ausland durch gesunkene Yen-Exportpreise bezahlt. Daraus lassen sich zwei Thesen zuspitzen:
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