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Zusammenfassung

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1. Bestandsaufnahme: die Entwicklung der Region Berlin/Brandenburg seit der deutschen Vereinigung 1990

Die besondere Lage Berlins läßt sich durch folgende Sonderbedingungen beschreiben: Berlin ist Bundeshauptstadt und wird in den nächsten Jahren Regierungssitz. Nach der gescheiterten Fusion mit Brandenburg bleibt das Land ein Stadtstaat, der völlig von einem Neuen Bundesland umgeben ist. Berlin bildet mit Nordostdeutschland eine Wirtschaftsregion, in der die Stadt Funktionen einer Metropole und eines Verwaltungszentrums übernimmt. Auch nach der Privatisierung ist die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft und die Integration in die internationale Arbeitsteilung Gesamtdeutschlands noch nicht abgeschlossen. Die katastrophale Situation der Landesfinanzen bildet auf Dauer die entscheidende Restriktion für Investitionen und Wirtschaftspolitik.

Nach der deutsch-deutschen Wirtschaftsunion setzte in beiden Stadthälften ein rapider, bis heute anhaltender Strukturwandel ein, der für die Gesamtregion zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen führte. Während in Westberlin die subventionierte, fertigungsintensive Industriestruktur mit einer niedrigen spezifischen Wertschöpfung der neuen Konkurrenz nicht gewachsen war und in das nun subventionierte Umland abwanderte oder stillgelegt wurde, bedeutete die Privatisierungsstrategie der Treuhand für die ostberliner Kombinate zumeist die Reduzierung auf bzw. Aufspaltung in nur noch mittelständische Unternehmen, was regelmäßig mit Massenentlassungen verbunden war. Das Resultat dieser Entwicklung ist eine Industriedichte, die weit unter der vergleichbarer westdeutscher Ballungsräume liegt. Die Wirtschaftspolitik versucht mit zwei Instrumenten gegenzusteuern: Zum einen mit einer Innovations- und Technologieförderung, die sich auf die vorhandenen Forschungs- und Produktionscluster in den Segmenten Verkehrssysteme, Biotechnik/Medizin, Automatisierung, Informations- und Kommunikationstechnologien, Innovative Bauverfahren konzentriert. Zum anderen mit einer gezielten Instandsetzung und dem Ausbau der netzgebundenen Infrastruktur, über die klassischen Wirtschaftsförderungsprogramme (vor allem: GA-Mittel), wobei Ostberlin bis auf weiteres Vorrang genießt.

Der Landeshaushalt Berlins befindet sich in einer akuten Krise, da die laufenden Ausgaben nur zu ca. einem Drittel durch das Steueraufkommen gedeckt sind. Dies führt mittelfristig zu einer explodierenden Verschuldung, die keinen Entscheidungsspielraum für eine innovative Wirtschaftspolitik mehr läßt. Diese katastrophale Perspektive hat eine Reihe von Ursachen, die nur zum Teil von der Berliner Politik zu verantworten sind: Die bis zum Mauerfall üppige Subventionierung des westberliner Landeshaushaltes durch den Bund wurde trotz der gewachsenen Aufgaben in der vereinigten Stadt in kurzer Zeit drastisch gekürzt. Die stagnierende Wirtschaftsentwicklung in Ostberlin (bis auf das Bauhauptgewerbe) führt zu

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einem Steueraufkommen, das die notwendigen Infrastruktur - Investitionen auch nicht annähernd deckt. Während der Teilung der Stadt wurde in Westberlin der Öffentliche Dienst als Regulierungsinstrument für den Arbeitsmarkt eingesetzt, so daß viele Verwaltungsbereiche und Erbringer von öffentlichen Dienstleistungen im Vergleich zu westdeutschen Großstädten überbesetzt sind. Die Große Koalition hat sich nach langen Verhandlungen auf ein Sanierungskonzept verständigt, das mittelfristig die Verschuldung begrenzen soll. Eckpunkte des Konzeptes sind: eine Verwaltungsreform, mit dem Ziel den spezifischen Aufwand zu senken, eine Begrenzung sozialer und kultureller Dienstleistungen und der Verkauf landeseigener Unternehmen(santeile). Doch selbst wenn dabei die geplanten Erlöse erzielt werden können, kann ein Ausgleich des Haushaltes nur über eine erhebliche Reduzierung der laufenden Ausgaben erreicht werden.

Der Berliner Arbeitsmarkt leidet unter einer seit der Vereinigung sinkenden Erwerbstätigkeit, was nach dem Vereinigungsboom 1991/92 auch für den Westteil der Stadt gilt. Diese Entwicklung ergibt sich aus einem dramatischen Verlust von Industriearbeitsplätzen für Un- und Angelernte. Aber auch viele Facharbeiter der ostberliner Metall-, Elektro- und Chemieindustrie verloren ihren Job. Die Arbeitslosenquote Westberlins liegt seit Jahren dauernd über der des Ostteils oder des Umlandes, was sich aus der Verdrängung leistungsschwächerer Arbeitnehmergruppen durch junge, gut ausgebildete Fachkräfte, die einpendeln, erklärt. Der einzige Lichtblick besteht in dem erheblich verbesserten Dienstleistungsangebot in Ostberlin, das in erheblichem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen hat und damit den Systembruch abfederte. Das prognostizierte, mittelfristig nur geringe Wirtschaftswachstum wird nicht ausreichen um die auf hohem Niveau stagnierende Arbeitslosigkeit abzubauen. Sollte der Aufbau Ost nicht zu einem selbsttragenden Aufschwung in Ostdeutschland führen, ist mit einem weiteren Ansteigen zu rechnen. Dabei hält der Strukturwandel an, wobei sich die Beschäftigung in der Industrie auf immer weniger hochqualifizierte Arbeitsplätze konzentriert. Ziel der Wirtschaftsförderung muß es deshalb sein, produktionsnahe Dienstleistungen in der Stadt anzusiedeln, die zu Multiplikatoreffekten führen und einfach qualifizierte Arbeitsplätze im personengebundenen Servicebereich hervorbringen. Angesichts der angespannten Haushaltslage und der sinkenden Bundesmittel wird der Zweite Arbeitsmarkt nicht mehr eine so stark stabilisierende Rolle wie bisher spielen können.

Nach dem Ende der Insellage vollzieht Westberlin die Entwicklung westdeutscher Ballungsräume nach, wobei sich die Siedlungsstruktur beschleunigt anpaßt. Das zeigt sich an zwei Trends: Am Stadtrand werden begünstigt durch steuerliche Förderung hochwertige Wohngebiete erstellt, so daß vor allem einkommensstarke Bevölkerungsgruppen in das brandenburger Umland abwandern. Daneben verlagert sich ein erheblicher Anteil der verbliebenen Industrieproduktion in neu geschaffene Gewerbegebiete vor allem westlich und

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südlich von Berlin, so daß ein wohlhabender „Speckgürtel" entsteht, wie er typisch für westdeutsche Großstädte ist. Dies führt zu Verteilungskonflikten zwischen Stadt- und Flächenstaat. Außerdem zerstört diese Verlagerung die bisher für Westberlin charakteristische „Berliner Mischung" verbundener Wohn- und Gewerbegebiete in der Innenstadt. Brandenburg hat versucht durch Gebietsreform und Förderungspräferenzen das regionale Entwicklungskonzept der „dezentralen Konzentration" durchzusetzen, um gegen den Sog - Effekt der Metropole Berlin das Entwicklungsgefälle zwischen dem Speckgürtel und der brandenburger Peripherie zu mildern. Ob dies angesichts stagnierender Investitionen durchzuhalten ist, muß sich zeigen.

2. Entwicklungskonzepte und Perspektiven der Region

Grundlage der Debatte über die wirtschaftlichen Perspektiven der Region waren zwei unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze: die laufende Berichterstattung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Leitbild für die Region Berlin einer Forschungsgruppe am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Während das WZB die Chancen der Stadt als Wissenschaftsstandort und Wirtschaftsregion betont, bleibt das DIW angesichts der stagnierenden Wirtschaftsleistung und schwerwiegender Strukturdefizite skeptisch. Beide fordern einen Dialog zwischen den politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten über Entwicklungsziele für Berlin, auch wenn kein Konsens über ein Leitbild erzielt werden sollte.

Nach der gescheiterten Fusion von Berlin und Brandenburg gibt es kein Konzept, das die Kooperation zwischen den Landesverwaltungen regelt. Zwar haben beide Regierungen die Einrichtung eines Kooperationsrates beschlossen, dem die Schlüsselministerien angehören und der gemeinsame Grundsatzentscheidungen treffen soll, aber die Zusammenarbeit bei der Raumplanung und Wirtschaftsforderung bleibt auf informelle Kontakte angewiesen.

Unter dem Druck leerer Landeskassen hat Berlin eine ehrgeizige Verwaltungsreform beschlossen: Die gesamte unmittelbare Landesverwaltung, sowohl auf Senats- als auch Bezirksebene, soll analog der Strukturen eines privaten Unternehmens gestaltet werden. Dazu wird das Rechnungswesen von der überkommenen Kameralistik zu einer doppelten Buchführung weiterentwickelt, das die Einrichtung eines umfassenden Berichtswesens erlaubt. Dieses bildet die Grundlage für ein modernes Controlling. Alle Verwaltungsleistungen werden in einem einheitlichen Produktkatalog beschrieben und kostenmäßig bewertet. Querschnittsfunktionen (Personal, Finanzen) und Sachgebiete werden in Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV) zusammengefaßt, deren Leiter im Rahmen eines Globalbudgets weitgehend eigenverantwortlich über Ablauforganisation und Leistungserstellung entscheidet. Ziel ist es, über Kundenorientierung und Ergebnisverantwortung den spezifischen Aufwand zu senken und Kosten einzusparen.

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Berlin stand und steht vor der Aufgabe, ost- und westdeutsche Wissenschafts-Einrichtungen zu integrieren, da das vorhandene Angebot nicht finanzierbar ist. Soll die intensive Kooperation von Industrie und öffentlicher Forschung erhalten bleiben, muß gezielt investiert werden. Die drastischen Globalkürzungen der letzten Jahre gefährden die in der Bundesrepublik einmalige Wissenschaftsstruktur.

Ziel der Bezirksreform in Berlin ist eine neue Aufgabenteilung zwischen Stadtbezirken und Landesebene, um über dezentralisierte Entscheidungen handlungsfähiger Kommunalverwaltungen Personal und damit Kosten zu sparen.

Eine zentrale Entwicklungschance für die Region Berlin ist die Funktion einer Drehscheibe für den Ost-West-Handel. Die Stadt bietet dafür gute Voraussetzungen: in Ostberlin leben viele Spezialisten für osteuropäische Wirtschaft und Politik aus der zentralen Wirtschaftsverwaltung und den Außenhandelsbetrieben der ehemaligen DDR. Immer mehr privatisierte Unternehmen aus Osteuropa werden im Freiverkehrshandel an der Berliner Börse notiert. Osteuropäische Banken in Berlin wickeln zunehmend Ost-West-Handelsgeschäfte über den Finanzplatz Berlin ab. Erste Institutionen für eine vertiefte Kooperation in Entwicklung und Fertigung sind die Ost-West-Wirtschaftsakademie und das Ost-West-Kooperationszentrum im Technologiezentrum Adlershof.

3. Zielkonflikte in der regionalen Wirtschaftspolitik

Das wichtigste Instrument der staatlichen Wirtschaftsförderung ist die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Sie fördert die wirtschaftsnahe Infrastruktur und gewerbliche Investitionen der überregional vertreibenden Industrie. Das Schwergewicht liegt dabei auf weltmarktfähigen High-Tech-Produkten. Von Reformern wird die Ausdehnung der Förderung auf sog. weiche Standortfaktoren und wenig kapitalaufwendige Low-Tech-Innovationen gefordert, die gerade in Ballungsregionen Arbeitsplätze im Handwerk und bei KMU schaffen.

Das ostberliner Fallbeispiel EGIZ bietet ein integriertes Konzept zur Realisierung von Low-Tech-Innovationen von der Entwicklung bis zur Produktionseinführung und Vermarktung, wobei durch eine parallele Qualifizierung marktfähige Arbeitsplätze geschaffen werden. Es zeigt auch die Inflexibilität der jetzigen Förderprogramme und Genehmigungsverfahren.

4. Ausblick: die Bundeshauptstadt Berlin zu Beginn des nächsten Jahrhunderts

Die Berliner Wirtschaftspolitik steht vor einschneidenden Entscheidungen: Verwaltungs- und Gebietsreform, Sanierung des Landeshaushaltes, Konzentration der Wirtschaftsförderung auf moderne Techniken, den Ausbau lokaler Ökonomien und die Entwicklung der Ost-West-Kooperation. Sollte sich die Große Koalition diesen Aufgaben nicht stellen, wird auch der Regierungsumzug die Probleme der Stadt nicht lösen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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