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III. Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Arbeitsplatzdefizit


In der öffentlichen Debatte wird häufig davon gesprochen, daß sich die Arbeitslosenquoten zwischen Ost- und Westdeutschland immer mehr angeglichen hätten. So habe zwischenzeitlich Bremen eine ähnlich hohe Arbeitslosenquote wie Brandenburg. Richtig ist zum Beispiel, daß im Dezember 1995 im Arbeitsamtsbezirk Dresden eine Arbeitslosenquote von 11,7 % verzeichnet wurde, während sie im Arbeitsamtbezirk Wilhelmshaven bei 16,6 % lag. Hieraus wird dann geschlossen, daß eine spezifisch ostdeutsche Förderung von Wachstum und Beschäftigung immer mehr entbehrlich werde.

Dieses Argument zieht jedoch in zweifacher Hinsicht nicht. Zum einen spiegelt der bloße Vergleich der Arbeitslosenquoten nicht das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit wider, zum anderen ist die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit in den letzten 12 Monate in Ostdeutschland stärker gestiegen als in Westdeutschland.

Arbeitslose und Unterbeschäfigte

Um die tatsächlichen regionalen Disparitäten auf den Arbeitsmärkten in Deutschland angemessen zu beurteilen, reicht die Analyse der Arbeitslosenquoten bei weitem nicht aus. Die offiziell registrierten Arbeitslosenzahlen Ostdeutschlands geben nur die Hälfte des wahren Ausmaßes der tatsächlichen Arbeitsmarktkrise wider. Das ist anders in Westdeutschland. Hier liegen Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Arbeitsplatzdefizit enger beieinander.

Die Bundesanstalt für Arbeit zählt unter der Rubrik "Unterbeschäftigte" weder die Zahl derjenigen, die in Alterübergangs- und Vorruhestandsmaßnahmen sind, noch die Zahl derjenigen, die an vollzeitlichen Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen teilnehmen. Sie gelten als "Nichterwerbstätige in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen". Dieser Zuordnung wird hier nicht gefolgt. Alle arbeitsmarktpolitschen Hilfen der Bundesanstalt für Arbeit dienen auch dazu, das Angebot an Arbeitskräften auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verringern. Unter diesem Aspekt ist eine Unterscheidung in erwerbstätige und nichterwerbstätige Teilnehmer von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht sinnvoll. Werden Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit gekürzt, steigt das Arbeitskräfteangebot. Bei unverändertem Arbeitsplatzangebot wird dann die Arbeitslosigkeit entweder steigen oder die Zahl der Nichterwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter nimmt zu. Unter dem Begriff der Unterbeschäftigung werden deshalb hier alle Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der

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Bundesanstalt für Arbeit einschließlich der Teilnehmer in Alterübergangs- und Vorruhestandsmaßnahmen subsumiert.

Doch sehen wir uns zunächst einmal die offiziell registrierten Arbeitslosenzahlen näher an. Ende Mai 1996 waren in Ostdeutschland 1.135.175 Menschen arbeitslos gemeldet, das waren 15,2 % aller zivilen Erwerbspersonen oder 16,2% aller abhängig Beschäftigten. Im Vorjahreszeitraum waren es zwei Prozentpunkte weniger, nämlich 14,2% oder 995.178 Arbeitslose. Saisonbereinigt liegt somit die Arbeitslosigkeit im Mai 1996 um 139.997 höher als im Mai 1995.

In Westdeutschland nahm dagegen die Arbeitslosigkeit im gleichen Zeitraum nur um 0,9 Prozentpunkte von 2.465.910 auf 2.683.238 zu. Saisonbereinigt waren das 217.328 Arbeitslose mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Arbeitslosenquote lag bei 8,7 % aller zivilen Erwerbspersonen oder 9,8 % aller abhängig Beschäftigten.

Im Ost-West-Vergleich hat sich in den vergangenen zwölf Monaten somit die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern relativ verschlechtert. Dafür gibt es zwei Gründe: einmal ist die Zahl der Erwerbstätigen und der abhängig Beschäftigten seit dem Spätsommer 1995 wieder rückläufig, zum anderen hat sich der Bund aus den arbeitsmarktpolitischen Hilfen für Ostdeutschland zurückgezogen. Anders in Westdeutschland: hier sind die arbeitsmarktpolitischen Hilfen des Bundes deutlich ausgeweitet worden. Wir werden später auf diese Diskrepanz noch zu sprechen kommen.

Betrachten wir im folgenden die regionale Verteilung der offiziell registrierten Arbeitslosen in Deutschland nach Ländern. Die hier verwendeten Zahlen sind für Mai 1996 und Mai 1995 ermittelt worden.

Zunächst gehen wir auf Ostdeutschland ein: In Ostberlin war die Arbeitslosenquote im Mai 1996 mit 14,5% aller abhängig Beschäftigten unter den ostdeutschen Ländern am niedrigsten und lag sogar günstiger als die Arbeitslosenquote Westberlins, die 15,5% aufwies. Am schlechtesten schnitt mit 18,4 % Sachsen-Anhalt ab, dicht gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 17,1%. Im zeitlichen Vergleich - Mai 1996 gegenüber Mai 1995 - sehen wir in allen ostdeutschen Ländern einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der fast überall etwa gleich stark ausfiel, nämlich bei knapp 14 Prozent.

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Der Anstieg der Arbeitslosigkeit blieb allerdings hinter den Kürzungen bei den arbeitsmarktpolitischen Hilfen zurück, die im Jahresverlauf um 28 Prozent zurückgingen. Bei gleichzeitigem Rückgang der Erwerbstätigen und der abhängig Beschäftigten bedeutet dies, daß die Zahl der Nichterwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter in dieser Zeitspanne weiter angestiegen ist.

Während im Osten die regionale Spreizung der Arbeitslosenquoten auf Länderebene relativ gering ist (14,5% zu 18,4% bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 16,2 % im Mai 1996), sehen wir in Westdeutschland deutliche Unterschiede: während Baden-Württemberg und Bayern Arbeitslosenquoten von 7,8 % und 8,2% aufwiesen und damit um 2,0 und 1,6 Prozentpunkte unter den Bundesdurchschnitt (9,8%) lagen, betrug die Arbeitslosenquote in Bremen 15,5%. Sie lag damit um 5,7 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt und war fast doppelt so hoch wie in Baden-Württemberg und Bayern. Den Bundesdurchschnitt erreichten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Die regionale Verteilung der Unterbeschäftigung

Das Bild ändert sich nun dramatisch, wenn wir die Teilnehmerinnen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mitberücksichtigen, die ja - wie die offiziell registrierten Arbeitslosen auch - einen Arbeitsplatz nachfragen, bislang jedoch noch keinen haben finden können.

Gegenüber Mai 1995 sehen wir, daß die Zahl der ostdeutschen Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im Mai 1996 deutlich zurückgegangen ist, und zwar um 299.854 oder 28%. Das führt zu dem mathematisch folgerichtigen, aber arbeitsmarktpolitisch paradox erscheinenden Ergebnis, daß die Zahl der Unterbeschäftigten vom Mai 1995 zum Mai 1996 um 159.857 oder knapp 8 % zurückging, während demgegenüber die Zahl der Arbeitslosen im gleichen Zeitraum um 139.997 oder 14% gestiegen ist.

Die Unterbeschäftigungsquote war besonders hoch in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt, während sie in Ostberlin am niedrigsten lag. Interessant ist, daß Brandenburg im Mai 1996 eine deutlich niedrigere Unterbeschäftigungsquote aufwies als im Jahr zuvor, obwohl hier die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen überdurchschnittlich abgebaut wurden und die Beschäftigungsentwicklung nur durchschnittlich zurückging.

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Anders ist die Lage in Westdeutschland. Die Zahl der Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nimmt von Mai 1995 bis Mai 1996 um 94.331 oder 14 % zu. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt im gleichen Zeitraum um knapp 9 % oder 217.328 zu, während die Zahl der Unterbeschäftigten um 5.612 oder 0,2 % abnimmt.

Regionale Differenzierung der Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern

Die regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit nach Arbeitsamtbezirken zeigt, daß die Spreizung in Ostdeutschland relativ gering ist. Zumindest ist sie deutlich geringer als in Westdeutschland. Im Juni 1996 lag die niedrigste Arbeitslosenquote in Ostdeutschland bei 12,0% (Dresden) und die höchste bei 20,9% in Sangerhausen. In Westdeutschland hatte Freising die niedrigste Arbeitsisoenquote (4,5%), die höchste wurde in Helmstedt mit 17,0% registriert.

In der nachstehenden Tabelle werden die fünf Arbeitsamtbezirke mit den jeweils geringsten und den höchsten Arbeitslosenquoten aufgeführt. Der Arbeitsamtsbezirk mit der geringsten Arbeitslosenquote war Dresden mit 11,2% (Novemberzahlen 1995), der Arbeitsamtsbezirk mit der höchsten Arbeitslosenquote war Sangerhausen mit 18,7%. Im Durchschnitt aller ostdeutschen Arbeitsamtbezirke lag die Arbeitslosenquote bei 14,8%.

Regionale Verteilung der Arbeitslosenquote nach Arbeitsamtsbezirken
November 1995

Arbeitsamtbezirke

mit den höchsten Quoten

Arbeitsamtbezirke

mit den niedrigsten Quoten

Sangerhausen

18,7

Dresden

11,2

Oschatz

18,5

Potsdam

11,4

Dessau

18,3

Leipzig

12,5

Stralsund

18,1

Suhl

13,2

Altenburg

18,1

Halle

13,6

Stendal

18,0

Gotha

13,6

Im Vergleich zur Verteilung der Arbeitslosenquoten liegen die Quoten der regionalen Arbeitsplatzdefizite (in der Berechnung der Bundesanstalt für Arbeit) deutlicher auseinander. Dresden und Sangerhausen sind auch hier die Extremfälle. Dresden hatte ein Arbeitsplatzdefizit von 15,8% und lag somit relativ nahe an der Arbeitslosenquote, während Sangerhausen mit einem Arbeitsplatzdefizit von 34,6% die Arbeitslosenquote fast verdoppelte.

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Die durchschnittliche Arbeitsplatzdefizitquote in den neuen Ländern lag bei 26,1%. Dabei gibt es interessante Abweichungen von Arbeitslosenquote und Arbeitsplatzdefizit. So wies das thüringische Altenburg eine der höchsten Arbeitslosenquoten (im Nov. 1995 18,1%), gleichzeitig jedoch eines der niedrigsten Arbeitsplatzdefizite ( 23,1%) auf. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind hier bislang wohl unbekannt geblieben. Umgekehrt liegt der Fall Suhl: hier lag die Arbeitslosenquote bei nur 13,2%, das Arbeitsplatzdefizit jedoch bei 31,8%. Suhl hat die höchste Pendlerquote in Ostdeutschland: jeder fünfte Arbeitnehmer im Arbeitsamtbezirk Suhl pendelt nach Westdeutschland

Verteilung der Arbeitsplatzdefitzitquote nach Arbeitsamtsbezirken
im November 1995

Arbeitsamtbezirk

mit der höchsten Quote

Arbeitsamtsbezirk

mit der niedrigsten Quote

Sangerhausen

34,6

Dresden

15,8

Berlin/Ost

33,7

Leipzig

20,4

Nordhausen

33,0

Pima

22,3

Suhl

31,8

Chemnitz

22,7

Dessau

31,4

Altenburg

23,1

Das Arbeitsplatzdefizit in Ostdeutschland

Die Zahl der Unterbeschäftigten plus die Nettozahl der ostdeutschen Pendler hinzu
(= ostdeutsche Pendler nach Westdeutschland/Westberlin minus die westdeutschen Pendler nach Ostdeutschland) macht das Defizit an Arbeitsplätzen einer Region sichtbar. Die Nettopendlerzahl liegt bei ca. 480.000. Unterbeschäftigte und (netto) Pendler summierten sich dann im Mai 1996 auf ein Arbeitsplatzdefizit von 2,380 Mio. Das Arbeitsplatzdefizit macht somit gut 34% der abhängig Beschäftigten in Ostdeutschland aus.

Würden die ostdeutschen Quoten für Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Arbeitsplatzdefizit auf westdeutsche Verhältnisse hochgerechnet, dann läge die offiziell registrierte Arbeitslosenzahl in Westdeutschland bei 4,8 Millionen (und nicht bei2,5 Millionen wie tatsächlich Anfang 1996), die Zahl der Unterbeschäftigten läge bei 8,5 Millionen, das Arbeitsplatzdefizit sogar bei 10,2 Millionen. Dieser Vergleich allein macht deutlich, daß die Arbeitsmarktprobleme Ostdeutschlands von anderer Qualität sind als die Westdeutschlands.

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Frauen sind ganz besonders von Arbeitslosigkeit betroffen

Im Mai 1996 waren von den 1,135 Mio. offiziell registrierten Arbeitslosen 656.029 Frauen. Das ist ein Anteil von 57,8%. Die Arbeitslosenquote der Frauen lag damit bei 19,4 %, die der Männer bei 13,3%.

Frauen sind stärker als Männer von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Der Anteil der Frauen an den Langzeitarbeitslosen ist in den vergangenen Jahren ständig gewachsen und liegt mit etwa 70 Prozent noch deutlich höher als der Anteil der Frauen an der Zahl der Arbeitslosen.

Bei der regionalen Verteilung der Frauenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland ergibt sich folgendes Bild: Im November 1995 lag der Frauenanteil an der Gesamtzahl der Arbeitslosen bei 62,7 %. Besonders hoch war dabei der Anteil in Sachsen mit 66,2 % und Thüringen mit 63,7 %. Überdurchschnittlich war er auch in Brandenburg mit 63,0 %. Dagegen war er in Sachsen-Anhalt mit 61,4 % und Mecklenburg-Vorpommern mit 61 % unterdurchschnittlich. Am geringsten war er in Ostberlin mit 52,8 %.

Die Hoffnung der Bundesregierung, daß - wie in Westdeutschland - immer mehr weibliche Arbeitslose in die "Stille Reserve" abtauchen, ist bisher nicht aufgegangen - und wird vermutlich auch nicht aufgehen. Zum einen sind die Menschen in den neuen Ländern stärker als im Westen auf ein Arbeitseinkommen angewiesen, zum anderen ist zu bezweifeln, daß der Anspruch auf Erwerbsarbeit von den ostdeutschen Frauen trotz der übermächtigen Arbeitsmarktprobleme so einfach aufgegeben wird. Diese Feststellung wurde kürzlich in einer Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bestätigt. Der Wunsch nach Berufstätigkeit ist bei ostdeutschen Frauen in den vergangen vier Jahren sogar deutlich angestiegen. Gaben im Jahre 1991 86% der Frauen in den neuen Ländern an, daß sie sich mit einer Berufstätigkeit am wohlsten fühlten, so waren es 1996 95%. In Westdeutschland dagegen hat der Berufswunsch der Frauen im gleichen Zeitraum abgenommen: von 88% in 1991 auf 70% in 1996.

Aufgrund der Frauenförderpolitik der letzten Jahre konnte die häufig zu beobachtende Diskriminierung von Frauen bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen merklich abgebaut werden. Der Frauenanteil bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen lag bei 63,5 %, der Frauenanteil bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sogar bei 66,1 %. Beim Altersübergangsgeld wurde ein unterdurchschnittlicher Frauenanteil von 48,4 % erreicht, der Frauenanteil bei Maßnahmen nach § 249 h AFG lag sogar nur bei 40 %. Allerdings muß hier daran erinnert werden, daß

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Lohnkostenzuschüsse nach §249h in der Regel Großbetrieben des Grundstoffsektors bzw. des verarbeitenden Gewerbes gewährt werden, in denen der Beschäftigungsanteil von Frauen insgesamt geringer ist als der der Männer.

Arbeitsmarktpolitik in der Defensive

Die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben bisher eine soziale Katastrophe in Ostdeutschland verhindern können. Wurde unmittelbar nach der Wiedervereinigung vor allem durch das Instrument der Kurzarbeit eine millionenfache offene Arbeitslosigkeit vermieden, so traten in der zweiten Hälfte des Jahres 1991 andere Maßnahmen der passiven und aktiven Arbeitsmarktpolitik in den Vordergrund, so z.B. Altersübergangsgeld, Weiterbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen, Arbeitsbeschaftungsmaßnahmen und Lohnkostenzuschüsse nach §249h AFG. Der Höhepunkt der arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten wurde in der Jahreswende 1991/92 erreicht. Seither geht die Zahl der Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zurück. Die Bundesregierung war davon überzeugt, daß ein kräftiger Anstieg der Erwerbstätigenzahlen eine aktive Arbeitsmarktpolitik überflüssig machen werde. Spätestens seit dem Herbst des vergangenen Jahres wissen wir, daß diese Rechnung nicht aufgehen wird. Die Erwerbstätigenzahl geht seither zurück, die Arbeitslosigkeit steigt - auch saisonbereinigt.

Trotz der bedrohlichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist die Bundesregierung entschlossen, die für die neuen Länder existentiell wichtigen arbeitsmarkt-politischen Hilfen weiter drastisch zusammenzustreichen. Dabei weiß jeder, wie wichtig die arbeitsmarktpolitischen Hilfen zur Stabilisierung des ostdeutschen Arbeitsmarktes sind. In den vergangenen Jahren gab es mehr Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit als registrierte Arbeitslose. Bereits in den vergangenen Monaten stiegen die Arbeitlosenzahlen in Ostdeutschland vor allem deshalb, weil die arbeitsmarktpolitischen Hilfen in den Bundeshaushalten 1995 und 1996 gekürzt worden waren.

Allein im Jahre 1995 sind die Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen kontinuierlich zurückgegangen: von 1.100.357 im Januar 1995 auf 835.411 im Dezember 1995. Das war ein Rückgang um 264.946. Insbesondere laufen die Altersübergangsfälle aus (von 444.574 auf 262.318), aber auch die arbeitsmarkt-politischen Maßnahmen im engen Sinne wurden von 655.783.000 auf 573.093 reduziert. Hier sind vor allem die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu erwähnen, die von 221.220 auf 165.099 im Jahresverlauf abnahmen, die Teilnehmerzahl in

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beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen wurden von 270.992 auf 232.263 abgeschmolzen.

Wie im Vorjahr ging die Zahl der Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auch im Jahresverlauf 1996 (Januar bis Mai) weiter zurück. Der Rückgang ging im wesentlichen auf das Konto der Empfänger von Altersübergangsgeld, die um knapp 50.000 abnahm. Die Teilnehmer in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im engeren Sinne nahmen vom Januar bis Mai zwar zu (um knapp 36.000), gegenüber den jeweiligen Vorjahresmonaten nahmen sie jedoch ab: bei der Kurzarbeit um 3.863, der beruflichen Weiterbildung um 27.066, bei den Arbeitsbeschaftungsmaßnahmen um 24.170 und bei den produktiven Lohnkostenzuschüssen nach § 242h AFG um 16.794.

Die von der Bundesregierung vorgesehene Streichung des Bundeszuschusses zur Bundesanstalt für Arbeit, der bereits im Haushalt 1997 und "grundsätzlich auch für die Folgejahre" vorgesehen ist, wird in den neuen Ländern zu einem wahren Kahlschlag bei den arbeitsmarkt-politischen Maßnahmen führen.

Die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen/

Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen in Ostdeutschland
in den Jahren 1996 bis 2000

Jahr

ABM/F+U Mittel in Mrd. DM

Zahl der Teilnehmer im Jahresdurchschnitt für Ostdeutschland*

1996

14,5

389.000

1997

12,5

336.000

1998

10,5

283.000

1999

7,5

203.000

2000

4,5

123.000

* Bei der Berechnung der TeilnehmerInnen ist davon ausgegangen worden, daß die durchschnittlichen Kosten pro Förderungsfall auf dem Niveau von 1996 eingefroren werde. Werden die Unterhaltsleistungen an die Nettollohnentwicklung angepaßt, steigen die Kosten pro Förderungsfall, dann würde die Zahle der TeilnehmerInnen noch niedriger ausfallen.

Wenn in den nächsten vier Jahren, wie von der Bundesregierung angekündigt, die arbeitsmarktpolitischen Hilfen im Osten an westdeutsches Niveau angeglichen werden sollen, dann heißt das nichts anderes, als daß die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit für Ostdeutschland um zwei Drittel gesenkt werden. Ein Anstieg der Zahl der Arbeitslosen um einige Hunderttausend ist damit für die nächsten Jahre vorprogrammiert.

Daß die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland nicht schon in den letzten Jahren erheblich stärker gewachsen ist, ist - wie wir sahen - nicht einem Beschäftigungs-

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zuwachs zu verdanken, sondern im wesentlichen der innerdeutschen Migration, den ostdeutschen Pendlern und im wachsenden Maße auch der Resignation der Arbeitslosen, die sich in die sogenannte "stille Reserve" zurückgezogen haben und damit aus den Arbeitslosenstatistiken verschwanden. Es waren diese drei Faktoren, die - neben den arbeitsmarktpolitischen Hilfen - entscheidend zu der Verknappung des Arbeitskräfteangebot beigetragen haben.

Ob es bei dem zu befürchtenden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu einer erneuten Wanderungsbewegung von Ost nach West kommen wird, ist noch nicht abzusehen. Ob die Zahl der Ostpendler zunehmen wird, ist ebenfalls schwer vorauszusagen. Beides würde jedoch die Arbeitsmarktprobleme in den alten Bundesländern verschärfen und geriete auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt zu einem Nullsummenspiel. Bleiben als strategische Ansätze zur Reduzierung des Arbeitskräfteangebot die arbeitsmarktpolitischen Hilfen der Bundesanstalt für Arbeit und das Herausdrängen von Erwerbswilligen in die Nichterwerbstätigkeit. Es scheint, als habe die Bundesregierung die letztere Option gewählt, die sie nun mit entsprechenden arbeitsmarktpolitischen Rahmensetzungen durchzusetzen gewillt ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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