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TEILDOKUMENT:
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II. Rahmenbedingungen für die mittelfristige Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft
- Der Intensität des internationalen Wettbewerbs, dem die ostdeutsche Wirtschaft mit der Währungs- , Wirtschafts- und Sozialunion schlagartig ausgesetzt wurde, waren nur die wenigsten der aus der Planwirtschaft stammenden Produktionsunternehmen gewachsen. Was den sozialistischen Unternehmen fehlte, um erfolgreich im Wettbewerb zu bestehen, ist inzwischen hinreichend deutlich geworden: ein qualifiziertes Management, daß Marktentwicklungen richtig einschätzt, notwendige Produktinnovationen, Qualitätsverbesserungen oder Verfahrensinnovationen vornimmt, die Rentabilität von Investitionen prüft, Produktionsabläufe und Organisationsstrukturen auf Effizienz hin trimmt, und die erforderlichen Vertriebs- und Marketingaktivitäten einleitet. Es fehlt also nicht allein das Geld; viel gravierender noch ist der Mangel an technischem und betriebswirtschaftlichem know-how, das sich unter dem Regime der Planwirtschaft nicht hatte entwickeln können und das auch unter den neuen Bedingungen erst allmählich entstehen kann. Diese Erkenntnis ist wenig umstritten. Ihre Implikation ist, daß dem
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Transfer von Know-how und von Kapital eine entscheidende Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer zukommt.
- Die Anforderungen, die der internationale Wettbewerb an die Unternehmen stellt, werden in den kommenden Jahre vermutlich noch größer werden. Ein Grund dafür ist die fortschreitende wirtschaftliche und politische Integration in Europa. Sie wird nicht nur den Wettbewerb um Absatzmärkte immer intensiver werden lassen, sondern auch den Standortwettbewerb immer mehr Bedeutung verschaffen. Je stärker die Märkte integriert und die wirtschaftsrelevanten Bestimmungen in Europa angeglichen werden, um so naheliegender wird es für westdeutsche Unternehmen sein, Standortvorteile, die andere EG-Partnerstaaten bieten, über Direktinvestitionen dort auszunutzen. Noch gar nicht abzuschätzen ist darüber hinaus das Potential an neuen Standorten in den Reformstaaten Osteuropas. Vor allem für arbeitsintensive Produktionen könnten sich hier lohnende Investitionsmöglichkeiten eröffnen.
- Während auf der einen Seite die Intensität des Absatz- und des Standortwettbewerbs immer stärker werden dürfte, ist auf der anderen Seite damit zu rechnen, daß sich die Kostenbedingungen für die Unternehmen in Ostdeutschland schon bald denen in Westdeutschland angeglichen haben werden. Bei den tariflichen Lohnkosten sind bereits Vereinbarungen getroffen worden, die in den nächsten Jahren einen weiterhin sehr kräftigen Anstieg der Stundenlöhne vorsehen. In einigen Bereichen (z.B. in der Bauwirtschaft) sollen die Tariflöhne pro Stunde noch deutlich vor der Mitte des Jahrzehnts das westdeutsche Niveau erreicht haben. Mit steigenden Löhnen nehmen auch die Lohnnebenkosten infolge der an die Löhne gekoppelten Sozialbeiträge der Arbeitgeber zu. Ihr Anstieg könnte angesichts der angespannten Finanzlage der Sozialversicherungen bei Beitragssatzsteigerungen sogar noch etwas höherer ausfallen als der der Tariflöhne selbst. Die Struktur der Tariflöhne nach Tätigkeitsmerkmalen (Lohngruppeneinteilung) ist schon im Jahre 1991 weitgehend an westdeutsche Verhältnisse angeglichen worden. Ein gewisser Lohnkostenvorteil könnte in den neuen Bundesländern allerdings auch mittelfristig
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bestehen bleiben, weil Sonderzahlungen der Unternehmen, wie Prämien, Zuschläge oder Urlaubsgelder nicht so schnell an westdeutsches Niveau angepaßt werden. Es ist aber unwahrscheinlich, daß diese Differenzierung bei den Effektivlöhnen der Wirtschaft einen gravierenden Wettbewerbsvorteil verschafft.
- Auch bei anderen Kostenkomponenten werden bald annähernd einheitliche Bedingungen in Deutschland gelten. Die Kosten importierter Vorleistungsprodukte sind schon heute aufgrund des einheitlichen Wechselkurses identisch. Auch bei Energie-, Telekommunikations- oder Güterverkehrsleistungen herrschen weitgehend einheitliche Bedingungen. Unterschiede bestehen noch bei den Zins- und Kapitalkosten aufgrund der speziellen Sonderabschreibung und der Investitionsforderung in Ostdeutschland. Sie werden aber, wenn nicht neue wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen werden, bis 1995 verschwunden sein.
- Hohes (westdeutsches) Kostenniveau und intensiver weltweiter Wettbewerb: das sind die harten Bedingungen, unter denen sich die Angebotskräfte in Ostdeutschland entwickeln müssen. Unter diesen Bedingungen ist es absehbar, daß die Produktionsstrukturen in Ostdeutschland nicht völlig unterschiedlich zu denen in Westdeutschland sein werden. Arbeitsintensive Produktionen, die niedrige Löhne voraussetzen, werden sich langfristig nicht halten lassen. Ebenso wie in Westdeutschland werden sich im Bereich der handelbaren Güter Produktionen mit hoher Arbeitsproduktivität durchsetzten. Hohe Produktivitäten lassen sich durch die Anwendung fortschrittlicher Produktionstechnologien, durch eine hohe Kapitalintensität, einen hohen Humankapitaleinsatz oder eine Kombination dieser Faktoren erzielen.
Es wäre zweifellos von großem wirtschaftspolitischen Interesse, wenn man diese allgemeinen Aussagen zur Strukturentwicklung in den neuen Bundesländern weiter differenzieren und auf einzelne Branchen beziehen könnte. Genau hier beginnen aber die Probleme. Aus den Überlegungen zur Höhe der Arbeitsproduktivität und den dahinter
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stehenden Faktoreinsatzverhältnissen läßt sich kaum etwas über die Überlebensfähigkeit und die Zukunftsaussichten einzelner Branchen oder gar Unternehmen aussagen. Die Unsicherheit, welche Produktionsschwerpunkte sich in Ostdeutschland letztendlich herausbilden werden, hängt auch mit der immer größeren Bedeutung des intraindustriellen Handels zusammen. So ist es durchaus wahrscheinlich, daß Ostdeutschland sowohl Exporteur als auch Importeur von Maschinenbauerzeugnissen sein wird. Die Art der Spezialisierung auf einzelne Produkte innerhalb dieser Branchen ist aber a priori kaum vorsehbar. Wo, wieviel und in welche Produkte investiert wird, beruht in einer Marktwirtschaft auf dezentralen Entscheidungen der Unternehmen. Sie werden versuchen, Marktpotentiale und Standortbedingungen in konkreten Rentabilitätsrechnungen zu erfassen und sich nach der relativen Vorteilhaftigkeit entscheiden. Was im Ergebnis dieser dezentralen Entscheidungen für eine bestimmte Region oder eine bestimmte Branche letztlich an Produktionsvolumina und an Arbeitsplätzen herauskommen kann, ist a priori ungewiß und kaum zu prognostizieren.
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fes-library | November 2000
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