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TEILDOKUMENT:
4. Zum Standortpotential Ostdeutschlands
[Seite der Druckausgabe: 80] Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung der Standortfaktoren in West- und Ostdeutschland müssen diese beiden Regionen auch hinsichtlich der Standortqualität getrennt betrachtet werden. Es wurde in diesem Gutachten schon betont, daß ein Standort immer nur relativ bewertet werden kann im Vergleich zu anderen, konkurrierenden Standorten. Im Falle Ostdeutschlands ist schon die Frage nach den angemessenen Referenzländern schwierig. Für sich genommen würde es der Entwicklungsstand in dieser Region nahelegen, Entwicklungs- oder Schwellenländer als relevante Konkurrenten zu identifizieren. Dagegen spricht aber die Perspektive, daß Ostdeutschland schon in absehbarer Zeit ein Hochlohnland werden wird und von daher schon die typische Angebotsstruktur eines Entwicklungs- oder Schwellenlandes am internationalen Markt nicht absetzbar wäre. Im Falle Ostdeutschlands dürfte deshalb inzwischen Einigkeit darüber bestehen, daß einer der Hauptkonkurrenten "im eigenen Land steht", also der Industriestandort Westdeutschland ist. Auch andere EG-Länder dürften wichtige Konkurrenten sein. Die Bewohner Ostdeutschlands haben mit der friedlichen Revolution 1989/90 ihrem Wunsch nach einem anderen Staat und auch einer anderen Wirtschaftsordnung als der der DDR ausgedrückt. Die von ihnen (mit)gewählten Vertreter haben rasch Grundsatzentscheidungen gefällt, die zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Produktion in Ostdeutschland beigetragen hatten: Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit einer hohen realen Aufwertung in Ostdeutschland, staatliche Integration, Rückgabe von enteignetem Eigentum etc. Es ist hier nicht der Ort, diese Entscheidungen zu bewerten, sondern ihre Folgen. Eine der Folgen war eine institutionell bedingte drastische Verknappung des Grund und Bodens. Durch die vielen Anträge [Seite der Druckausgabe: 81] zur Rückerstattung von Eigentum, die von der Verwaltung nicht bewältigt werden konnten, konnten potentielle Investoren ihre Vorhaben nicht immer auch an dem gewünschten Standort realisieren. Es wird noch viele Jahre dauern, bis hier Rechtssicherheit in jedem Falle hergestellt ist. Hinzu kommt die in vielen Fällen vorhandene, aber in ihrem Ausmaß nicht immer bekannte Belastung der Böden mit ökologischen Altlasten, die wiederum zu Beschränkungen der potentiellen Investoren bei der Standortwahl führt. Beides sind schwerwiegende negative Faktoren für die Standortqualität Ostdeutschlands, und beide werden zwar mittelfristig an Gewicht verlieren, aber weiterhin bestehen bleiben. Die Möglichkeit einer indirekten, über die Treuhandanstalt vermittelten, Übernahme der Altlasten durch den Bund schafft hier keine ausreichende Linderung. Über die Übernahme der Altlasten muß in jedem einzelnen Fall neu, und häufig langwierig, verhandelt werden. Die Kosten solcher Verhandlungen sind zwar nicht zu quantifizieren, verzögern aber die Realisierung von Investitionsvorhaben nicht unwesentlich. Dies gilt auch für die - ähnliche - Behandlung der finanziellen Altlasten. Mit dem Ende der produktspezifischen Subventionen, dem Übergang im Osthandel zur Abrechnung in konvertible Währung, der Freigabe der Preise und dem freien Warenverkehr mit anderen Regionen, wurde deutlich, daß der für die Produktion in Ostdeutschland vorhandene Kapitalstock für die Produktion in einer Marktwirtschaft weitgehend unbrauchbar war. In der DDR wurde insofern lange Zeit über die Verhältnisse gelebt, als veraltete Anlagen weiter in Betrieb blieben und Ersatzinvestitionen vernachlässigt wurden. Man lebte von der Substanz. 1990 ist fast der gesamte Bestand an produktivem Kapital von der Treuhandanstalt übernommen worden. Sie verwaltete und verwaltet somit diesen Teil des Vermögens der Bevölkerung der DDR. Bisher hat sie ihre Er- [Seite der Druckausgabe: 82] öffnungsbilanz noch nicht vorgelegt, in der sie dieses Vermögen bewerten muß. Die Erwartung der Autoren geht dahin, daß zu dem Zeitpunkt, zu dem die Treuhandanstalt aufgelöst wird, ihr Reinvermögen wohl negativ sein wird. Auch wenn dabei eine Rolle spielen mag, daß die rasche Privatisierung in Ostdeutschland zu einem gewissen Preisverfall bei ostdeutschen Unternehmen führt, wird er hier doch nicht sehr hoch eingeschätzt. Vielmehr dürfte das vermutlich negative Reinvermögen der Treuhandanstalt vor allem darauf beruhen, daß der von der DDR hinterlassene Kapitalstock für eine effiziente Produktion unter marktwirtschaftlichen Bedingungen weitgehend ungeeignet scheint. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, daß die Treuhandanstalt Aufgaben übernimmt, die nicht direkt mit der Privatisierung zusammenhängen und auch aufgrund politischer Überlegungen Strategien verfolgt, die nicht immer den Verkaufspreis maximieren. Zu dem veralteten Kapitalstock hinzu kommen Defizite beim lokalen Leistungsangebot, die für Investoren von Bedeutung sind. Unternehmensbezogene Dienstleistungen etwa wurden in der DDR kaum angeboten. Sicherlich, gerade in diesem Bereich sind viele neue Investitionen zu beobachten, aber noch besteht hier ein deutliches Hemmnis für Investitionen in andere Bereiche. Das ganze, auch lokal notwendige, Geflecht von Zulieferer- und Abnehmerbetrieben muß erst noch aufgebaut werden. Insofern sind die geringe Qualität und der in wichtigen Bereichen geringe Umfang des existierenden Kapitalstocks auch für neue Investitionen ein Hindernis. Teilweise wird dieser Nachteil - vorerst - durch die deutlich geringeren Kosten des Kapitals in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland auf gewogen. Während die Zinskosten gleich sind. werden in Ostdeutschland hohe direkte und indirekte Kapitalsubventionen gezahlt bzw. niedrigere Abgaben verlangt, und zwar in einem kaum mehr überschauba [Seite der Druckausgabe: 83] ren Umfang. Sie können sich zu einem Drittel der Investitionssumme kumulieren. Diese Obergrenze laut EG-Recht gilt Tabelle 30: Dienstleistungsangebot in Ostdeutschland 1990 und 1991, Bruttowertschöpfung1 -
l Unbereinigt.
Quelle: DIW, IfW.
auch für Ostdeutschland; die Kommission scheint zunehmend auf ihre Einhaltung zu dringen. Da die Kontrolle sehr schwierig ist, etwa wenn das Subventionsäquavalent einer günstigen Grundstücküberlassung zu berechnen ist, wird die tatsächliche Höhe der Subvention vermutlich in einer ganzen Reihe von Fällen eher noch über einem Drittel liegen. Diese Fördersätze für Investitionsvorhaben werden aber auch in einer Reihe von Regionen mit Entwicklungsrückstand und "altindustriellen" Regionen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft erreicht, mit denen Ostdeutschland als Investitionsstandort konkurriert. Hier relativiert sich dieser Kostenvorteil Ostdeutschlands. [Seite der Druckausgabe: 84] Die über den Kapitalstock in der Endphase der DDR getroffenen Aussagen treffen weitgehend auch für die Infrastruktur zu. Sie ist in weiten Bereichen veraltet und erneuerungsbedürftig. Die Probleme der Anpassung an eine neue Preis- und Nachfragestruktur finden sich auch hier wieder, allerdings in abgeschwächter Form. So ist bei den .Verkehrswegen etwa eine - weitere - Verlagerung von der Schiene auf die Straße zu erwarten, bei den Energieträgern weg von der Braunkohle hin zu Naturgas, Mineralöl und wohl auch Steinkohle. Erheblicher Bedarf besteht auch bei der Modernisierung der Abwasserbeseitigung. Die Engpässe im Telekommunikationsbereich sind inzwischen zwar verringert, aber nicht beseitigt. Tabelle 31: Primärenergieverbrauch nach Energieträgern, West- und Ostdeutschland 1990
SKE = Steinkohleeinheit. Quelle: BUNDESMINISTERIUM FÜR RAUMORDNUNG. [Seite der Druckausgabe: 85] Auch im EG-weiten Bereich gehört Ostdeutschland zu den in Bezug auf die Infrastruktur eher schlechter ausgestatteten Bereichen. Der schon erwähnte Indikator für die produktionsrelevante Infrastruktur weist für die neuen Länder - mit Ausnahme des Ostteils Berlins - eine Größenordnung auf, wie sie etwa in Spanien vorliegt, wobei allerdings eine rasche Verbesserung zu erwarten ist.24 Tabelle 32: Netzdichten der Verkehrswege, West- und Ost-deutschland 1988/89
Quelle: BUNDESMINISTERIUM FÜR RAUMORDNUNG Tabelle 33: öffentliche Abwasserbeseitigung, West- und Ostdeutschland 1987/1991
l Ostdeutschland Stand 1989, Westdeutschland Stand 1987. 2 neue Länder Behandlungskapazität, alte Länder behandelte Abwassermenge. 3 Die Anteile ergänzen sich nicht immer zu 100, weil weitere Behandlungsarten nicht genannt sind.
Quelle: BÜNDESMINISTERIUM FÜR RAUMORDNUNG.
[Seite der Druckausgabe: 86] Mit der Einbeziehung Ostdeutschlands in die Bundesrepublik Deutschland wurde ein gemeinsamer Staatshaushalt gebildet. Jetzt erst wurden Transferzahlungen nach Ostdeutschland in einem Ausmaß möglich, das für andere "Reformregionen" völlig unrealistisch wäre. Trotz des drastischen Rückgangs der Produktion und damit auch des Bruttoinlandsproduktes in Ostdeutschland konnte so ein Absinken der Gesamtnachfrage vermieden werden; die letzte inländische Verwendung nahm im Gegenteil sogar noch zu. Es gibt durch die staatliche Vereinigung eine Art "Bestandsgarantie für die Gesamtnachfrage" . Tabelle 34: Struktur der letzten inländischen Verwendung, West- und Ostdeutschland
l Ostdeutschland 1990 nur 2. Halbjahr.
Quelle: STATISTISCHES BUNDESAMT, eigene Berechnungen.
Alle diejenigen Unternehmen, die vorwiegend für eine lokale Nachfrage produzieren, fanden in Bezug auf diesen Punkt daher bald recht hohe Anreize für Investitionen vor. Zudem ist auf solchen Märkten auch die mögliche Anbieterzahl [Seite der Druckausgabe: 87] begrenzt. Es bestanden also Anreize, hier rasch Positionen zu besetzen. Beispiele sind hier regionale Tageszeitungen, Handel, Banken, Versicherungen und Versorgungsunternehmen.25 Auch in Zukunft wird in Ostdeutschland das Risiko eines Nachfrageeinbruchs, insbesondere seitens der privaten Haushalte, gering bleiben, insofern ergibt sich ein positiver Standorteffekt. Aufgrund der hohen Zahlungen an öffentliche Haushalte in Ostdeutschland ist der Anteil des öffentlichen Verbrauchs an der letzten inländischen Verwendung vorerst höher als in Westdeutschland. Da die Erwartung dahin geht, daß diese Zahlungen auch mittelfristig erheblich bleiben, dürfte dies auch weiterhin der Fall sein. Anders würde die Entwicklung ausfallen, wenn der Anteil der Investitionen an den Ausgaben der ostdeutschen Gebietskörperschaften zunähme. Die Aufteilung der Investitionen in Ostdeutschland kann bisher nur geschätzt werden. Danach lag der Anteil der staatlichen Investitionen in Bauten und Ausrüstungen an der letzten inländischen Verwendung mit etwa 3,7 v.H. über der in Westdeutschland (2,5 v.H., Angaben für 1991), der der privaten darunter (16,3 v. H. in Ostdeutschland gegenüber 21,1 v.H. in Westdeutschland)26. Daß die privaten Investitionen in Ostdeutschland bisher eher gering geblieben sind (vgl. Tabelle 35), erklärt sich schon aus den langen Planungszeiträumen für Investitionsvorhaben und den noch bestehenden Unsicherheiten (Eigentumsfrage). Umfragen zeigen, daß hier für 1992 mit einem kräftigen Anstieg auch im Verarbeitenden Gewerbe zu rechnen ist, wo bisher eher wenig investiert wurde. Sollten die kommenden Jahre von einer guten Entwicklung gekennzeichnet sein, wird auch das bisher geringe Engagement - nur 268 Unternehmen wurden bisher an das Ausland verkauft - ausländischer Investoren wahrscheinlicher.27 Mißt man die Inve [Seite der Druckausgabe: 88] Tabelle 35: Investitionstätigkeit westdeutscher1 Unternehmen in Ostdeutschland (Sachanlagen, Stand Anfang Februar 1992)
l In den Sektorschätzungen sind auch ausländische Unter-nehmesaktivitäten enthalten, soweit die Investitionsvorhaben über westdeutsche Tochtergesellschaften bzw. in Gemeinschaft mit einem westdeutschen Investor abgewickelt werden.
Quelle: Ifo (1992 a) .
stitionsvolumina aber an dem Maßstab, daß ein Kapitalstock aufgebaut werden muß, der dem Umfang und der Qualität nach in den einzelnen Branchen pro Arbeitsplatz gerechnet mit dem in Westdeutschland vergleichbar ist, so bleiben die Investitionen noch weit hinter der so definierten Anforderung zurück. [Seite der Druckausgabe: 89] Teilweise wurden von westdeutschen Unternehmen auch bedeutende Investitionsentscheidungen zu einem so frühen Zeitpunkt getroffen, daß eine Investitionsplanung, wie sie üblicherweise vorgenommen wird, gar nicht sorgfältig stattgefunden haben kann. Hier waren andere als im engeren Sinne ökonomische Faktoren ausschlaggebend. Gleichwohl wurden so Kerne - etwa in der Automobilindustrie - gebildet, um die sich nun weitere Vorhaben von Zulieferern und Abnehmern entwickeln. Diese frühen Investitionsentscheidungen können nicht als eine positive ökonomische Beurteilung des Standortes Ostdeutschland interpretiert werden, sondern dürften wohl von politischen Überlegungen und traditionellen Bindungen mit bestimmt sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der technologische Stand eines neuen ostdeutschen Kapitalstocks sehr hoch sein wird. Dies ist auf drei Effekte zurückzuführen. Erstens sind moderne Investitionsgüter nun durch die Öffnung der Märkte verfügbar. Zweitens machen die Löhne nur hochproduktives Kapital lohnend und drittens wird der Kapitaleinsatz durch die Wirtschaftsförderung in den neuen Bundesländern massiv subventioniert. Als ein positives Element des Standortes Ostdeutschland wird häufig die - hohe - Qualifikation der Arbeitskräfte angeführt. Die formale Qualifikationsstruktur in Ostdeutschland kann sowohl im Vergleich zu Westdeutschland als auch im internationalen Vergleich als gut bezeichnet werden. 78,7 v.H. aller Erwerbspersonen in Ostdeutschland besaßen 1988 einen Bildungsabschluß gegenüber 72,5 in Westdeutschland (vgl. Tabelle 24). [Seite der Druckausgabe: 90] Die Daten zur formalen Qualifikationsstruktur sollten allerdings nicht dazu führen, die Qualität des Arbeitskräfteangebotes in Ostdeutschland zu überschätzen. Einerseits ist fraglich, ob die Qualität der Ausbildung das westdeutsche Niveau erreichen konnte. Andererseits wird auch häufig angeführt, daß die Arbeitskräfte für die Tätigkeiten, die sie ausführten, oftmals überqualifiziert waren und so die Qualifikation nicht aufrecht erhalten konnten. Für die Beurteilung der Standortqualität Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung ist besonders bedeutsam, daß durch die Umstellung des Wirtschaftssystems ein Teil des Humankapitals entwertet worden ist. Nach der Öffnung der Märkte und der weitgehenden Freigabe der Preise haben sich viele Arbeitsplätze und Tätigkeiten als nicht wettbewerbsfähig erwiesen. So wurden die beruflichen Kenntnisse i.d.R. bei der Arbeit mit einem im Vergleich zu Westdeutschland veralteten Kapitalstock erworben. Weiterhin können die Unternehmen in der Marktwirtschaft vielfach nur dann erfolgreich mit westdeutschen oder ausländischen Unternehmen konkurrieren, wenn sie andere Produkte als vorher herstellen. Dadurch wird zusätzlich ein Teil der Erfahrungen und Kenntnisse der Arbeitskräfte entwertet. Zudem fand der Einsatz hochqualifizierter Arbeitskräfte in anderen Schwerpunkten als in der Bundesrepublik statt. Schon der Anteil der im FuE-Bereich Beschäftigten der DDR mit 4,1 v.H. 1988 lag unter dem der Bundesrepublik mit 5,4 v.H. Schwerer wiegt, daß in der Bundesrepublik Hochschulabsolventen zu einem höheren Anteil (18,9 v.H.) im FuE-Bereich tätig waren als Ostdeutschland (12.0 v.H.), während das Schwergewicht der Beschäftigten mit Hochschulabschluß der DDR mit 51,2 v.H. im Verwaltungsbereich lag (vgl. Tabelle 36). Diese Werte verschlechtern sich noch mehr, d.h. die Beschäftigungsstruktur weist noch höhere Werte im Büro- und Verwaltungsbereich auf, wenn man die Tätigkeitsstruktur nur innerhalb der Industrie von DDR und Bundesrepublik [Seite der Druckausgabe: 91] betrachtet. In den neuen Bundesländern mag somit in den für Organisationsverbesserungen und Innovationen relevanten Bereichen ein Engpaß bei qualifizierten Arbeitskräften entstehen. Die Wende in Ostdeutschland hat auch hinsichtlich der Qualifikation der Arbeitskräfte zu einem erheblichen Anpas- Tabelle 36: Ausbildungs- und Tätigkeitsstrukturen in der Bundesrepublik und der DDR 19881 - in v.H. der Tätigkeitsfelder -
l aufgrund von Erhebungen im Rahmen des Sozio-ökonomischen Panels des DIW.
Quelle: Görzig/Gornig (1991).
[Seite der Druckausgabe: 92] sungsbedarf geführt. Für die Standortqualität Ostdeutschlands ist daher wichtig, wie flexibel sich das Humankapital den neuen Bedingungen anpaßt. Hier besteht z.B. eine große Bereitschaft zur Teilnahme an Weiterbildung - oder Umschulungsmaßnahmen. In einer Umfrage im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit im November 1990 gaben 78 v.H. der befragten Erwerbspersonen an, Interesse an der Teilnahme an Lehrgängen oder Kursen zur beruflichen Qualifikation zu haben.28 Die Bundesanstalt für Arbeit hat auf den Bedarf in Ostdeutschland reagiert und Ende 1990 mit Qualifikationsmaßnahmen für ostdeutsche Arbeitskräfte begonnen. Die Zahl der Personen, die sich in von der Bundesanstalt geförderten Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung befanden, erhöhte sich von 138.000 im Februar 1991 auf 507.000 im April 1992.29 Hinzu kommen die Arbeitskräfte, die ohne Zuschüsse der Bundesanstalt von den Unternehmen an neuen Arbeitsplätzen eingearbeitet werden oder an betrieblichen Lehrgängen teilnehmen. Auch die in Westdeutschland tätigen Pendler aus Ostdeutschland erwerben zusätzliche berufliche Kenntnisse. Vielfach können sie sich auf ihren Arbeitsplätzen in Westdeutschland an moderner Technik weiterbilden. Die Mobilität der Arbeitskräfte könnte aber auch eine Gefahr für die Standortqualität Ostdeutschlands beinhalten. Anders als die Pendlertätigkeit kann die dauerhafte Abwanderung von 'Arbeitskräften zu einem Hindernis für den Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft werden, wenn sich daraus ein Mangel an qualifizierten Fachkräften ergibt. Es finden sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür, daß bislang die besser qualifizierten ostdeutschen Arbeitnehmer bei den Abwanderern überrepräsentiert waren. 30 Die Tarifverdienste in Ostdeutschland wurden schon vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion kräftig angehoben und dieser Trend setzte sich danach weiter fort. Die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste der in der Industrie [Seite der Druckausgabe: 93] (einschließlich Hoch- und Tiefbau) Ostdeutschlands vollbeschäftigten Arbeiter und Angestellten erreichten im Jahresdurchschnitt 1990 35 v.H. des entsprechenden westdeutschen Niveaus. Dabei wurden Mark der DDR und DM gleichgesetzt. Im Jahresdurchschnitt 1991 lag dieser Anteil bereits bei 47,1 v.H.31 Das durchschnittliche Tariflohnniveau Ostdeutschland lag 1991 dagegen schon bei 60 v.H. des Westniveaus. Die Lohndrift (der Unterschied zwischen Effektiv- und Tariflohn) war also in Ostdeutschland geringer als in Westdeutschland. Auch die tarifliche Arbeitszeit wurde verkürzt. Derzeit ist die 40-Stunden-Woche tariflicher Standard, gegenüber 38 Stunden in Westdeutschland. 32 Zum Jahresende 1991 gab es insgesamt 30 Tarifbereiche bzw. Wirtschaftszweige, in denen Tarifverträge vereinbart wurden, die eine schrittweise Anpassung der tariflichen Monatsverdienste auf 100 v.H. des Westniveaus vorsehen. In den meisten Fällen soll dieses Niveau 1994 erreicht werden.33 Dann dürfte zwar noch die Wochenarbeitszeit in Ostdeutschland länger als im Westen sein, und die bezahlten Urlaubstage und andere Leistungen der Unternehmen an ihre Arbeitskräfte dürften geringer sein. Auch ist nicht damit zu rechnen, daß sich 1994 die Effektiverdienste bereits dem westdeutschen Niveau vollständig angepaßt haben werden. Dennoch läßt sich absehen, daß Ostdeutschland dann zu den Regionen zählen wird, die bezüglich der Lohnkosten zu der Spitzengruppe in der Welt gehören. Diese Entwicklung bei den Lohnkosten berücksichtigen die potentiellen Investoren bereits jetzt bei ihren Standortentscheidungen. Sie können (andere) Investitionshemmnisse, die in Ostdeutschland vorhanden sind, nun nicht durch niedrige Arbeitskosten kompensieren. Im Zuge der Umstellung des Wirtschaftssystems in Ostdeutschland hat sich die Zahl der wettbewerbsfähigen Arbeitsplätze als gering erwiesen. Schon beim Lohnniveau, das [Seite der Druckausgabe: 94] vor der Wende geherrscht hat, wäre es für die Unternehmen unausweichlich geworden ihre Beschäftigung abzubauen, um im Wettbewerbsprozeß bestehen zu können. Die deutlichen Lohnerhöhungen haben dieses Problem noch verschärft. Die Zahl der bei den Arbeitsämtern registrierten Arbeitslosen lag Ende Mai d.J. bei 1.149.100. Die Arbeitslosenquote lag bei 14,2 v.H.34 Diese Quote wäre ohne den massiven Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Vorruhestandsregelungen, Kurzarbeiterregelungen und Weiterbildungsmaßnahmen noch wesentlich höher. Die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland kann einerseits als Indikator der zur Zeit bestehenden Probleme bei der Standortqualität gewertet werden. Andererseits könnte die Arbeitslosigkeit selbst zu einer Ursache für einen Standortnachteil werden. Bei hoher Arbeitslosigkeit besteht die Gefahr von sogenannten Hysterese-Effekten, die zu einer Verstetigung der Arbeitslosigkeit führen. Zum einen bringt längere Arbeitslosigkeit einen Verlust an Qualifikation mit sich, weil die Arbeitslosen ihre Kenntnisse verlernen und nicht an den neuen Entwicklungen im Arbeitsleben teilnehmen. Zum anderen besteht die Möglichkeit der Demotivation der Arbeitslosen, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringert. Beides könnte dazu führen, daß die Unternehmen bei einer steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften die Arbeitslosen nicht als geeignete Mitarbeiter ansehen und deshalb trotz hoher Arbeitslosigkeit Arbeitskräfteknappheit auftritt. Eine auf diese Weise entstehende strukturelle Arbeitslosigkeit müßte wiederum als ein Standortnachteil angesehen werden. Schon jetzt wird vereinzelt von Problemen ostdeutscher Unternehmen berichtet, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Als Ursache dafür wird aber die Arbeitsmarktpolitik angeführt. Es wird vermutet, daß Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kurzarbeiter und Arbeitskräfte, die in Unternehmen [Seite der Druckausgabe: 95] arbeiten, welche nur durch Subventionen am Leben erhalten werden, häufig nicht genügend Anreize hätten, sich einen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz zu suchen. Im Laufe der Erholung der ostdeutschen Wirtschaft wird es deshalb zunehmend wichtig, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente so zu gestalten, daß sie die Unternehmen nicht bei der Arbeitskräftebeschaffung behindern. Als ein Standortvorteil Ostdeutschland wurde häufig die Nähe, die gewachsenen Beziehungen und die Marktkenntnis in Bezug auf die Reformstaaten hervorgehoben. Alle diese Punkte treffen sicherlich zu. Der Einbruch des Osthandels nach dem Übergang zur Verrechnung in konvertibler Währung (vgl. Tabelle 37) muß dem nicht widersprechen. Die Umstellungsprobleme im Außenhandel und bei der Produktion insgesamt in den Reformstaaten reichen aus, um diesen Einbruch aufgrund einer gesunkenen Nachfrage (in konvertibler Währung) der Reformstaaten zu erklären. Auch wenn ein Wiederanstieg der Nachfrage eher langsam und verhalten ausfallen dürfte, könnte Ostdeutschland davon überproportional profitieren, falls dort dann eine angemessene Produktpalette angeboten wird, die auch in der Breite mit derjenigen Westdeutschlands und anderer Regionen konkurrieren kann. Hier ist freilich Skepsis angebracht. Je länger nämlich der Aufbau einer Produktion dauert, um eine solche Palette anzubieten. je langsamer der Wiederanstieg der Nachfrage aus den Reformländern erfolgt und je tiefgreifender die Umbrüche in diesen Ländern ausfallen, desto mehr werden die gewachsenen Beziehungen an Bedeutung verloren haben. Sicherlich, der eine oder andere Investor mag dennoch von ihnen profitieren, als positiver Standortfaktor für Ostdeutschland insgesamt ist ihm eher geringe Bedeutung beizumessen. Ähnlich ist die Bedeutung der Zugehörigkeit Ostdeutschlands zur Europäischen Gemeinschaft zu bewerten. Auch hier gilt, [Seite der Druckausgabe: 96] Tabelle 37: Ein- und Ausfuhr nach Warengruppen und Regionen, Ostdeutschland
Quelle: Wohlers (1992), STATISTISCHESBUNDESAMT; eigene Berechnungen.
[Seite der Druckausgabe: 98] daß einige Investoren Chancen sehen werden, sich - etwa wegen der Kapital Subventionen - günstig in einer EG-Region niederzulassen. EG-Mitgliedschaft und hohe Subventionen sind aber auch in anderen Regionen gegeben. Dem hier eher wenig erfreulich gezeichneten Bild der Standortqualität Ostdeutschlands wird manchmal die Vision einer Region gegenübergestellt, die bald über einen der modernsten produktiven Kapitalstöcke in der Welt und eine sehr moderne Infrastruktur verfügen dürfte. Hochproduktive Unternehmen würden dann auch sehr hohe Löhne zahlen und ihre Produkte in Ost- und West zu guten Preisen absetzen können. Diese Vision ist nicht von der Hand zu weisen. Nur sind hierbei zwei Punkte zu beachten. Zum einen muß ein Standort wohl nicht positiv, sondern eher negativ beurteilt werden, wenn die vorhandene Infrastruktur und das vorhandene produktive Kapital nur noch sehr eingeschränkt Verwendung finden können. In diesem Falle ist die zwangsläufige Folge, daß das, was in einigen Jahren existiert, neu aufgebaut und damit modern sein wird. Das Problem dann ist aber, ob dies in einer Breite der Fall sein wird, die ausreicht, um die Erwerbspersonen in Ostdeutschland zu beschäftigen und ob ein so enges Geflecht von Zulieferer- und Abnehmerindustrien entsteht, daß der Standort zunehmend auch ohne Subventionen für neue Investoren attraktiv wird. Und zum anderen wird der Aufbau moderner Industrien nur gelingen, weil hohe Kapitalsubventionen gezahlt werden, die Infrastrukturinvestitionen weitgehend durch Steuereinnahmen aus Westdeutschland finanziert und die lokale Nachfrage ebenfalls durch Transfers aus Westdeutschland gestützt wird. Das dies notwendig ist, ist eher ein Indikator für eine geringe Standortqualität. Aus sich heraus ist die Region nicht in der Lage, genügend Investitionen anzuziehen. [Seite der Druckausgabe: 98] Mit sehr hohen Transfers für das Kapital, die Infrastruktur und die Nachfrage aus einer anderen Region oder aus einem anderen Land sind aber viele Regionen in der Lage, moderne Industrien aufzubauen, vorausgesetzt, das Arbeitskräfteangebot ist qualitativ hochwertig. Und dies ist in Ostdeutschland der Fall. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 1999 |