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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 8 = Leerseite] l. Einleitung Wenn untersucht wird, wie sich die Standortbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Wiedervereinigung verändert haben, so geschieht dies auf ein klar definiertes Ziel hin. Es soll analysiert werden, ob sich die Aussichten für das Wachstum des Bruttosozialprodukt pro Kopf verbessert oder verschlechtert haben. Das Kriterium "BSP pro Kopf" drückt letztlich das Ziel aller ökonomischen Aktivität aus: Es geht darum, ein möglichst hohes Niveau der Einkommen und des Konsums der Bürger zu erreichen. Sicherlich ist dieser Indikator für den Wohlstand nicht ideal. Viele Faktoren, die diesen (exakt: das Nutzenniveau) ebenfalls berühren, sind im BSP nicht erfaßt. Der Grad der Umweltverschmutzung ist hier nur das bekannteste Beispiel. Und manchmal wird auch bezweifelt, ob ein Wachstum des Konsumniveaus überhaupt wünschenswert ist. Darüber haben die Bürger in den ökonomischen und politischen Prozessen zu entscheiden. Ihr Verhalten in den Tarif Verhandlungen etwa spricht eher gegen die These, daß sie ihren individuellen Konsum nicht mehr zu steigern wünschen. Die Höhe der Einkommen, die in einer Wirtschaft erzielbar sind, hängt von der Höhe der Produktion von Waren und Dienstleistungen einerseits und der Höhe der dafür erzielbaren Preise andererseits ab. Da die deutsche Wirtschaft in den Weltmarkt integriert ist, werden auch Produktionsfaktoren, Vorleistungen und Endprodukte aus dem Ausland bezogen und dorthin geliefert. Das Ziel ist hier, für Bezogenes wenig zu bezahlen, für Geliefertes aber hohe Preise zu erzielen. Das Niveau der Produktion von Gütern und Dienstleistungen hängt von der Quantität, der Qualität und der Effizienz der Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden/Natur ab. Während die Quantität des Bodens und der Roh [Seite der Druckausgabe: 10] stoffe durch politische Maßnahmen nicht beeinflußt werden kann, wird die Qualität vor allem durch die Regelungen zum Umweltschutz mitbestimmt. Die Quantität der Arbeit in einem Lande ist durch die demographische Entwicklung, die Erwerbsquote und Wanderungsbewegungen bestimmt. Aus sozialen und politischen Gründen, aber auch etwa aufgrund von Sprachbarrieren, ist der Umfang der Wanderung zwischen Ländern in der Regel gering. Der Faktor Arbeit ist international als eher immobil einzuschätzen. Die Qualität dieses Produktionsfaktors wird vorwiegend durch das Ausbildungsniveau bestimmt. Die Quantität des in einer Wirtschaft vorhandenen Kapitalstocks ergibt sich aus Entscheidungen inländischer und ausländischer Investoren in der Vergangenheit. Haben sie die langfristig erzielbaren Renditen für Investitionen in einem Land als eher hoch eingeschätzt, wurde von der weltweit verfügbaren Ersparnis ein bedeutender Teil in diesem Lande investiert. Zwischen der Ersparnis in dem Lande selbst und dem Umfang der Investitionen besteht angesichts der international hohen Mobilität von Kapital nurmehr ein loser Zusammenhang: Nationale Spar- und Investitionsquoten beruhen auf voneinander weitgehend unabhängigen Faktoren. Da Kapital international mobil ist, bestimmt sich sein Preis, der Zinssatz, auf dem Weltkapitalmarkt. Unterschiedliche tatsächliche Realzinsen in einzelnen Ländern rühren daher, daß Investitionsentscheidungen von langfristigen Annahmen über die zukünftige Entwicklung, insbesondere auch die Preisentwicklung, abhängig sind. Hier besteht immer das Risiko, sich zu täuschen. Nach dem Grad der erwarteten Unsicherheit sind daher national unterschiedliche Risikoprämien im Preis für Kapital enthalten. Hohe Renditen können für das eingesetzte Kapital nur dann erzielt werden, wenn die Kombination der Produktionsfak [Seite der Druckausgabe: 11] toren effizient erfolgt, und für die Produkte auch gute Preise gezahlt werden. Durch Prozeßinnovationen kann die Effizienz der Kombination der Produktionsfaktoren und durch Produktinnovationen, wenn so ein - temporäres - Monopol entsteht, der erwartete Preis gesteigert werden. Insofern ist die Kapazität für Innovationen in einer Wirtschaft auch für die Standortqualität von Bedeutung. Eine hohe Kapazität ist hier wahrscheinlich, wenn auch die nationale Nachfrage sich auf qualitativ hochwertige, ausdifferenzierte und innovative Produkte richtet. Sind die Renditeerwartungen für produktive Investitionen in einem Land hoch, so wird im Vergleich zu anderen Staaten viel investiert. Da der Preis für Kapital aber weitgehend auf den Weltmärkten bestimmt wird, führt dies - für sich genommen - nur zu einem sehr geringen Zinsanstieg. Um Waren und Dienstleistungen herzustellen, muß Kapital mit anderen Produktionsfaktoren kombiniert werden. Da Boden und Natur aber überhaupt nicht und Arbeit nur eingeschränkt international mobil sind, kann ihr Angebot nicht beliebig ausgedehnt werden. Sucht nun viel Kapital nach solchen immobilen Produktionsfaktoren, steigt ihr Preis. Dies ist der Mechanismus, der dazu führt, daß sich mit einer Veränderung der Attraktivität eines Standortes für Investitionen auch die bei anderen Produktionsfaktoren zu erzielenden Einkommen ändern. Hier besteht die Verbindung zu dem Wachstum der pro-Kopf-Einkommen: Eine Zunahme der Attraktivität für Investitionen erhöht die Preise der anderen Produktionsfaktoren. Die Attraktivität eines Landes als Standort für Investitionen bestimmt sich somit aus den Faktoren, die in die Renditeerwartung für produktive Investitionen eingehen:
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Die staatliche Aktivität und die politischen Rahmenbedingungen wirken direkt (über Abgaben) und indirekt (über andere Einflußfaktoren) auf die Renditeerwartung ein. Indirekt wirken auch noch eine Vielzahl von Faktoren, etwa Traditionen, Sprache, Wetter etc. Insgesamt ist das Zusammenspiel aller Einflußgrößen so komplex, daß eine einigermaßen zuverlässige quantitative Schätzung für das Ausmaß der zukünftigen Wirkung einer Veränderung bei einzelnen Faktoren nicht möglich ist. Zudem ist zu beachten, daß Veränderungen in einem Land in ihrer Auswirkung nicht isoliert betrachtet werden können. Schließlich geht es immer um Variationen der relativen Attraktivität eines Investitionsstandortes gegenüber anderen Standorten. So ist eine Senkung etwa der Unternehmenssteuern bei Konstanz dieser Sätze in anderen Ländern ganz anders zu beurteilen als bei gleichzeitiger Senkung auch in wichtigen Konkurrenzländern. In ihrer Summe kann die Wirkung der Standortfaktoren in der Bundesrepublik Deutschland in der jüngeren Vergangenheit nicht schlecht gewesen sein: Im internationalen Vergleich sind die Realeinkommen hier mit am höchsten (vgl. Tabelle l). Nach Kaufkraftparitäten gerechnet lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahre 1989 unter den wichtigsten Industrieländern an dritter Stelle, in Europa an erster. Die Tatsache, daß die Bundesrepublik im Jahre 1987 von Japan in dieser Hinsicht überholt worden ist, weist aber auch auf mögliche Defizite hin, auf die noch ausführlicher einzugehen ist. [Seite der Druckausgabe: 13] Die mit der Wiedervereinigung verbundenen Veränderungen bei den einzelnen Standortfaktoren in Westdeutschland können bisher nur in Ansätzen quantitativ erfaßt werden. Auch deshalb ist es nicht möglich, etwa im Rahmen einer Modellrechnung die Entwicklung der Standortqualität zu bewerten. Es reicht aber auch nicht aus, einzelne Veränderungen der Faktoren isoliert zu betrachten. Insbesondere muß beachtet werden, daß positive Entwicklungen bei einzelnen Faktoren der Standortqualität dann nicht oder nur eingeschränkt ihre Wirkung entfalten können, wenn in anderen Bereichen Engpässe bestehen. Umgekehrt sind positive Entwicklungen dann von besonders hoher Bedeutung, wenn sie Engpässe mildern. Um den Einfluß der Wiedervereinigung auf die Standortqualität abzuschätzen, ist es daher notwendig, spezifische Stärken und Schwächen des Standortes Westdeutschlands aufzuzeigen. Solche Stärken und Schwächen sind immer relativ zu denen Tabelle l: Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in wichtigen
Quelle: EUROSTAT. [Seite der Druckausgabe: 14] anderer Standorte zu sehen, denn hier geht es um den Internationalen Wettbewerb um Investitionen. Die Datenlage erlaubt einen internationalen Vergleich in der Regel nur bis 1989. Da dies auch das letzte Jahr vor der Wiedervereinigung ist, wird folgendermaßen vorgegangen: Die Stärken und Schwächen des Standortes Westdeutschland werden im internationalen Vergleich für das Ausgangsjahr 1989 analysiert. Dabei werden in der Regel nur die sechs wichtigsten Industrieländer (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten) in den Vergleich einbezogen. Die zunehmende Bedeutung der Schwellenländer wird so nicht explizit berücksichtigt. Auf der Analyse der Stärken und Schwächen aufbauend, werden anschließend die mit der Wiedervereinigung verbundenen Veränderungen der einzelnen Faktoren untersucht und ihre Wirkung bewertet. Ein Vergleich mit Entwicklungen in anderen Ländern ist dann in der Regel nicht mehr möglich. Da die Wiedervereinigung jedoch den Standort Westdeutschland signifikant stärker betrifft als andere Regionen, erscheint dieses Vorgehen vertretbar. Implizit werden also die Standortbedingungen in den Konkurrenzländern konstant gesetzt. Im letzten Kapitel wird dann die Standortqualität Ostdeutschlands skizziert. Da diese Fragestellung erst seit dem Übergang zur Marktwirtschaft sinnvoll ist, wird hier nicht auf ihre Veränderung im Rahmen der Wiedervereinigung eingegangen. Es geht vielmehr um die Abschätzung der Standortqualität im Vergleich zu Konkurrenzregionen. Schon aufgrund der Datenlage muß diese Abschätzung als vorläufig verstanden werden. Als Standortfaktoren werden diejenigen betrachtet, die - wie aufgeführt - die Renditeerwartung für produktive Investitionen beeinflussen. Entsprechend gliedert sich die Betrachtung im Folgenden in Faktor Kapital, Faktor Arbeit, [Seite der Druckausgabe: 15] Staat und politische Rahmenbedingungen, Effizienz der Kombination von Produktionsfaktoren und Preis der erstellten Güter und Dienstleistungen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 1999 |