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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 49] 4. Umwelt- und wettbewerbspolitische Schlußfolgerungen Die sich im einzelnen abzeichnenden Tendenzen hinsichtlich inter- und intrasektoraler sowie internationaler Wettbewerbsverschiebungen sind vor dem Hintergrund der staatlichen Gesamtpolitik höchst unterschiedlich zu beurteilen. (1) Soweit es sich bei Mehrbelastungen durch höhere umweltschutzinduzierte Kostensteigerungen um den Ausgleich von Kostenvorteilen handelt, die die Betroffenen Unternehmen zuvor gegenüber ihren Konkurrenten besaßen, weil sie Aufgaben des betrieblichen Umweltschutzes in geringerem Umfang wahrnahmen oder emissionsintensiver produzierten, wird auf einen grundsätzlich erwünschten Abbau bestehenden Wettbewerbsdisparitäten hingewirkt. Durch die Einbeziehung der Umweltschutzkosten in die Preiskalkulation kann der marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismus erst richtig wirksam werden. Die Beeinflussung der Kosten-, Preis- und Produktionsstruktur im Hinblick auf die verstärkte Nutzung umweltfreundlicherer Verfahrens- und Produktionstechnologien und Produkte ist aber nicht nur umwelt- und wettbewerbspolitisch höchst erwünscht, sie leistet auch einen innovations- und technologiepolitisch willkommenen Beitrag zur Erhaltung und zum Ausbau der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. (2) Umweltschutzinduzierte Wettbewerbsverschiebungen zu Lasten von sogenannten Grenzbetrieben sind auch aus strukturpolitischen Erwägungen grundsätzlich erwünscht, sofern die im einzelnen freigesetzen Arbeitskräfte in Betrieben oder Sektoren mit überdurchschnittlicher Arbeitsproduktivität und ausreichendem Beschäftigungsbedarf wieder eingesetzt werden können. (3) Auch Wettbewerbseffekte, die sich aufgrund von standortabhängigen höheren Umweltschutzkosten ergeben, lassen sich zumindest für den Bereich der neuen Anlagen bzw. neuen Unternehmen rechtfertigen. Denn die Unternehmen kennen bei der Standortplanung in der Regel die regionalen Belastungsverhält- [Seite der Druckausgabe: 50] nisse und die zu erwartenden Umweltschutzanforderungen und erhalten somit rechtzeitig Gelegenheit, sich durch die Wahl geeigneter Standorte im In- und/oder Ausland anzupassen. (4) Dagegen sind Wettbewerbsverschiebungen, die sich als Folge der Umweltpolitik zu Lasten kleiner und mittlerer Unternehmen ergeben, im Hinblick auf die politisch angestrebte Ausgewogenheit der Unternehmensgrößenstruktur sowie die Stärkung von Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen sicherlich unerwünscht. (5) Unabhängig davon, ob die einzelnen Wirkungen umweltschutzinduzierter Belastungsunterschiede aus Wettbewerbs-, Struktur- und technologiepolitischer Sicht erwünscht oder unerwünscht sind, dürften sie vor allem in schwach strukturierten Wirtschaftsräumen mit Anpassungsschwierigkeiten einhergehen. Somit ergibt sich für den Staat die weitgespannte Aufgabe, aus strukturpolitischer sowie aus arbeitsmarkt- und regionalpolitischer Sicht unerwünschte Anpassungsfriktionen durch geeignete Stufen- und Übergangsregelungen und gegebenenfalls durch am Subsidiaritätsprinzip orientierte Subventionen für eine angemessene Übergangszeit aufzufangen. (6) Wettbewerbsverschiebungen innerhalb der EG legen nicht generell eine Harmonisierung von Umweltschutzanforderungen in der EG nahe. Läßt sich bereits aus politischer Sicht, d.h. aufgrund der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft, den Mitgliedstaaten und den Regionen und aus den Gemeinschaftsprinzipien hinsichtlich der Umweltpolitik eine Vereinheitlichung produktionsbezogener Umweltschutzanforderungen nicht zwingend ableiten und auch pragmatisch kaum begründen, so spricht auch aus [Seite der Druckausgabe: 51] ökologischer und ökonomischer Sicht wenig für eine generelle Vereinheitlichung der Umweltpolitik in der EG. [Fn. 32: Vgl. hierzu G. Knödgen, R.-U. Sprenger; Umweltschutz und internationaler Wettbewerb, in: ifo Schnelldienst 1-2/1981, S. 38 ff.] Zunächst einmal kann aus ökologischen Gründen eine Vereinheitlichung bzw. Harmonisierung von Umweltschutzanforderungen nicht befriedigen, wenn man einmal von ökologisch gebotenen einheitlichen Verboten der Herstellung, des Inverkehrbringens oder der Verwendung bestimmter Stoffe oder Produkte absieht. Denn eine gemeinschaftliche Auflagenstrategie, die mit gleichen Emissionsnormen für Anlagen und Produkte (Konzentrationswerten) arbeitet, könnte regional unterschiedliche Emissionen und Immissionen nicht verhindern. Sie würde nämlich je nach wirtschaftlichem Aktivitätsniveau dort zu stärkeren Emissionen und Immissionen führen, wo die natürlichen Assimilationskapazitäten geringer sind oder wo infolge höherer Bevölkerungs- und Industriekonzentration die Umweltmedien stärker beansprucht werden. Auch eine gemeinschaftsweite einheitliche Abgabe (im Falle einer reinen Abgabenlösung) erscheint angesichts unterschiedlicher regionaler Umweltbelastungen und unterschiedlicher regionaler Umweltgüteziele wenig sinnvoll. Sie müßte z.B. im Hinblick auf Länder mit bislang niedrigem Abwasserreinigungsgrad sehr hoch angesetzt werden, um dort das gewünschte Gewässergüteziel zu erreichen. Im gleichen Zuge würde sie aber in Staaten mit bereits hohem Reinigungsgrad unverhältnismäßig hohe Abgabenbelastungen für die Restverschmutzung und u.U. eine Übererfüllung der Gewässerschutzziele induzieren. Auch ein Instrumentenverbund, z.B. mit einheitlichen Emissionsnormen und einheitlichen Abgabenparametern und -tarifen, trifft auf die gleichen Bedenken. Auch aus ökonomischer Sicht macht eine Harmonisierung des Instrumenteneinsatzes zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen keinen Sinn. Beispielsweise würden einheitliche Emissionsnormen, die für alle Unternehmen in der EG übereinstimmende maximale Emissionen je Outputeinheit vorschreiben, schwer- [Seite der Druckausgabe: 52] lich der Forderung nach Wettbewerbsneutraliät der EG-Umweltpolitik genügen. Im Falle einheitlicher Emissionsstandards kämen nämlich betriebs- und technologiespezifische Kostendeterminanten zum Tragen, d.h. einheitliche Emissionsnormen würden je nach
EG-weit vereinheitlichen. Eine "EG-Einheitsfabrik" aus umwelt und wettbewerbspolitischen Gründen wäre allerdings eine absurde Vorstellung. Auch bei gemeinschaftsweiter Erhebung einer für alle Unternehmen gleich hohen Abgabe je emittierter Schadstoffeinheit wäre mit betriebs-, technologie- bzw. effizienzabhängigen Belastungsunterschieden der betroffenen Unternehmen zu rechnen. Der Vorteil einer Abgabenlösung liegt ja gerade darin, daß für einige Unternehmen aufgrund ihrer spezifischen Grenzkosten je vermiedener Emissionseinheit die Schadensvermeidung unter Umständen billiger als die Zahlung von Abgaben ist. Einheitliche Abgabensätze je emittierter Schadeinheit können [Seite der Druckausgabe: 53] somit je nach betrieblichen Gegebenheiten und Möglichkeiten unterschiedliche Kosten je Output- und Emissionseinheit bewirken. Ein vollkommener Ausgleich solcher Belastungsunterschiede durch Harmonisierung von Anforderungen und Instrumenten wäre gesamtwirtschaftlich wenig sinnvoll, weil er für Unternehmen ebenso wie für Volkswirtschaften den Anreiz verringern würde, auf effiziente und weniger umweltbelastende Produkte und Verfahren umzustellen. Gerade Wettbewerbsverschiebungen zugunsten (ökologisch) effizienter Unternehmen und Technologien sind gesamtwirtschaftlich und in der EG-Marktphilosophie ein prinzipiell erwünschtes Ergebnis der Umweltpolitik. Ein weiteres ökologisch-ökonomisches Argument gegen eine Angleichung der nationalen Umweltabgaben "ist darin zu sehen, daß sie im Grunde gar nicht dem umweltpolitischen Erfordernis gerecht wird. Wohlverstandene Harmonisierung der Umweltpolitik müßte sich auf eine allseitig volle oder doch zumindest gleichmäßige Internalisierung von verursachten Umweltschäden richten. Und dies kann in den verschiedenen Mitgliedsländern aus zwei Gründen höchst unterschiedliche Bemessungsgrundlagen und Steuersätze verlangen. Zum einen richten sich die mengenmäßigen Schäden nach den örtlichen Gegebenheiten, z.B. nach der Absorptions-("Assimilations"-)Fähigkeit der Natur. Zum anderen können mengenmäßig gleiche Schäden von Mitgliedsland zu Mitgliedsland höchst unterschiedlich bewertet werden. Verständigte man sich also auf gleiche steuerpolitische Parameter, würde man der Umweltpolitik nicht gerecht". [Fn. 33: Krause-Junk. G.: Probleme einer europäischen Harmonisierung umweltorientierter Finanzpolitik, in: Öffentliche Finanzen und Umweltpolitik II, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 176/00, Berlin 1989, S. 95.] Neben den angeführten ökologischen und ökonomischen Gründen für nationale Optionen bei den Umweltschutzanforderungen und bei der Instrumentenwahl sind aber auch die nach wie vor bestehenden unterschiedlichen Rechtssysteme, Verwaltungsstrukturen und Vollzugsinstrumente ein gewichtiger Grund, die gemeinschaftlichen umweltpolitischen Vorgaben mit den jeweils vor Ort geeigneten [Seite der Druckausgabe: 54] Instrumente zu verwirklichen. Der Blick auf die vielfältigen Vollzugsdefizite in der Gemeinschaft kann keineswegs auf ein Zuwenig an gemeinschaftlichen Regelungen, sondern muß eher auf eine mangelnde "Fühligkeit" hinsichtlich der Implementierbarkeit des Gemeinschaftsrechts zurückgeführt werden. [Fn. 34: Vgl. hierzu vor allem G. Schneider; Die Europäische Umweltpolitik steht noch vor der Bewährung: von der Reglementierung über die Implementierung zur tatsächlichen Umweltverbesserung, in: G. Schneider/R.U. Sprenger (Hrsg.):Mehr Umweltschutz für weniger Geld, München 1984, S. 601 ff.] Neben den Unterschieden in den Rechtssystemen, den Verwaltungs- und Vollzugsstrukturen, den verfügbaren Vollzugsinstrumenten, Kontroll- und Meßeinrichtungen sind auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in den Bargaining-Praktiken zwischen Vollzugsbehörden und Unternehmen (Stichworte: teutonischer" oder romanischer" Vollzug) und hinsichtlich der Steuermoral zu beachten. [Fn. 35: Vgl. G. Knödgen/R.U. Sprenger; Umweltschutz und internationaler Wettbewerb, a.a.O. S. 33.] Letztere wäre vor allem im Falle einheitlicher Abgabenlösungen von Bedeutung. Insofern ist die Gemeinschaft gut beraten, den rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen der unteren Ebenen durch Zulassen von Freiräumen u.a. bei der Instrumentenwahl Rechnung zu tragen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001 |