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[Seite der Druckausgabe: 25 = Fortsetzung]

VII. Aktive Arbeitsmarktpolitik: ABM und Beschäftigungsgesellschaften

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen spielen in den fünf neuen Ländern derzeit eine den Arbeitsmarkt wesentlich entlastende Rolle. In Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften können darüber hinaus Arbeitnehmer auch im Bereich Tourismus eingesetzt werden. Als Instrumente dienen das Arbeitsförderungsgesetz, das für die neuen Bundesländer mit Mitteln des Fonds Deutsche Einheit, des Programms Aufschwung Ost und des EG-Sozialfonds für benachteiligte Regionen Arbeit und Qualifizierung miteinander verbindet. Für eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik stehen z. Z. hinreichend Mittel für die Aufwendungen an Sach- und Personalkosten zur Verfügung. In einem Erlaß zur Anpassung des Arbeitsförderungsgesetzes an die spezifischen Gegebenheiten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR werden z.B. nach Auslaufen der z.T. geltenden Kündigungsschutzregelungen zum 30.6. 1991 für Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Ausbildungsgesellschaften die entstehenden Personalkosten zu hundert Prozent erstattet. Die Vorlaufzeit zur Errichtung solcher Gesellschaften wird ebenfalls finanziert. Die Sachmittel werden entweder von der Bundesanstalt für Arbeit oder aus den oben genannten Fonds finanziert.

Als Vorbereitung zur Bildung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ist zunächst ein Konzept zu entwickeln, in dem die Höhe der notwendigen Personal- und Sachmittel offenzulegen sind. Wichtig bei der Ausarbeitung ist, Sanierungs-, Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen so miteinander zu verzahnen, daß daraus eine Beschäftigungskette entsteht, die sich trägt und die der die Mittel bewilligenden Behörde gegenüber plausibel gemacht werden kann. Das oberste Gebot eines solchen Maßnahmenkataloges ist also die Kontinuität der Beschäftigung über einen längeren Zeitraum, sowohl dem Inhalt als auch den handelnden Personen nach. Ziel dieser Maßnahmenkette muß es sein, Menschen in Beschäftigung zu belassen bzw. kurzfristig wieder hineinzubringen, sie beruflich auszubilden bzw. weiterzuqualifizieren. Bei der Konzipierung einer solchen Gesellschaft muß mit

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Priorität angestrebt werden, die Arbeitslosen, die z.B. mit ABM-Mitteln finanziert werden, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückzuführen. Als gelungenes Beispiel für die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder könnte nach Erfahrungen der Gewerkschaft NGG ein Projekt gelten, das in der Lage ist zu zeigen, wie Sanierungsarbeiten an den Gebäuden und die Qualifikation von Arbeitnehmern funktionieren können, ohne daß die Kontinuität der Geschäftsabwicklung infrage gestellt wird:

Eine Gesellschaft erwirbt mehrere Hotels und Gaststätten und läßt sie während der Sommersaison arbeiten. Zugleich wird eine GmbH gegründet, welche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte außerhalb der Saison durchführen soll, die vom Arbeitsamt finanziert werden; gleichzeitig werden die Betriebe renoviert. So können die Betriebe im nachfolgenden Sommer mit höherqualifiziertem Stammpersonal und besser ausgestatteten Einrichtungen mit dem Angebot auf den Markt zurückkehren. Auf der Kreis- oder Kommunalebene könnte ein solches Szenario wie folgt aussehen:

Eine Kommune oder ein Landkreis legt ihre Ziele fest, die mittels einer Beschäftigungsgesellschaft realisiert werden sollen. Dazu gründet der Kreis oder die Kommune einen "Runden Tisch", an den alle für das Projekt Interessierten einzuladen sind. Für den Tourismusbereich wären es u.a. die Vertreter der örtlichen Industrie- und Handelskammer, die zuständige Gewerkschaft, das Arbeitsamt, die Schulen, besonders die Berufsschulen, und die interessierten Naturschutzverbände. In diesem Rahmen wird das Tourismuskonzept und dessen Realisierungsvorschlag mittels einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vorgestellt.

Im Regelfall stützt sich ein solches Konzept auf eine Bestandsaufnahme vorhandener Einrichtungen und versucht, diese innerhalb der Laufzeit der Beschäftigungsgesellschaft weiterzuentwickeln.

So lassen sich zum Beispiel Ferienanlagen durch eine Beschäftigungsgesellschaft mit Mitteln des Arbeitsamtes und unter Inanspruchnahme von Fonds und Programmen sanieren und im begrenzten Maße weiter ausbauen. Dies gilt insbesondere für Projekte wie Campingplätze und Feriendorfanlagen, die sich noch unter kommunaler Verwaltung bzw. im Besitz der Treuhand befinden. Zielgruppe sind Bau- bzw. baubegleitende Berufe. Im Rahmen einer solchen Sanierungsmaßnahme ist darauf zu achten, daß aus den angeworbenen Mitarbeitern ein qualifizierter Stamm gebildet wird, der bereit ist, solche Objekte nach Abschluß der Sanierung auf eigene Kosten weiterzuführen. Als Zwischenschritt auf dem Wege zur Eigenständigkeit greifen dann Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb der Gesellschaft, in der in einem vorgegebenen Zeitrahmen die notwendigen ökonomischen und verwaltungsmäßigen Kenntnisse er

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werben werden, um später eine solche Einrichtung selbständig führen zu können. Es ist wichtig, ständig darauf zu achten und hinzuarbeiten, die qualifizierten Mitarbeiter in privatwirtschaftliche Unternehmen, d.h. in den ersten Arbeitsmarkt überzuleiten.

Im Rahmen eines solchen touristischen Konzeptes kann die Aufarbeitung und Darstellung von regionalen Besonderheiten Bedeutung gewinnen. Hier kann der Grundsatz des "Sanften Tourismus" greifen, wenn solche regionalen Besonderheiten keinen Massentourismus auslösen sollen, sondern das Angebot so strukturiert wird, daß es jeweils kleinere Besuchergruppen anspricht. Dies kann z. B. durch ein schleifenförmig angelegtes Rad- und Wanderwegenetz geschehen, an dessen Kopfenden sich Parkplätze bzw. Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs befinden. Es könnte auch Aufgabe einer besonderen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft sein, ein solches Konzept zu erstellen und durch Baumaßnahmen zu realisieren. Auch dafür stehen öffentliche Mittel zu hundert Prozent zur Verfügung. Auch die Zuarbeit von Privatfirmen, soweit diese für das Projekt von Bedeutung sind, lassen sich über Sachmittel abrechnen, zum Beispiel Bagger- oder Lkw-Stunden. Beim Bau von Rad- und Wanderwegen, Parkplätzen, Grillstätten und ähnlichen Anlagen kann auf den Arbeitslosenbestand der baubegleitenden Berufe zurückgegriffen werden.

Im Rahmen eines sozial verträglichen Tourismus gewinnt die Heimatgeschichte eine zunehmende Bedeutung. Insofern ist es wichtig, daß im Rahmen von Beschäftigungsgesellschaften Projekte regionalpolitischer Geschichte vorgestellt werden. Als Beispiel kann die Darstellung der Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft in der Form eines Museums, einer Heimatstunde, einer Broschüre oder eines Lehrpfades genommen werden. Die Zielgruppe dieser Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen können neben Arbeitnehmern aus dem Bereich der Landwirtschaft auch Lehrer, Naturwissenschaftler, Historiker etc. sein.

Ein besonders sensibler Bereich ist der Umgang des Sports mit der Natur. Gerade die Mecklenburgische Seenplatte, die Küste der Ostsee und die zahlreichen Flußverbindungen in das Hinterland prädestinieren diese Gebiete für den Wassersport. So sind im Rahmen eines touristischen Konzeptes Flächen für den Wassersport ausgewiesen bzw. als gekennzeichnete Wasserstraße dem Wassersport zugänglich; es sollte von Anbeginn an über Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden, um zu verhindern, daß die landesplanerische Zielsetzung durch Wildwuchs unterlaufen wird. Sehr wohl kann eine Kommune über einen gemeinnützigen Verein eine Wassersportanlage bauen, indem sie sich der Hilfe einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft

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bedient. So wäre eine planerische Zielsetzung mit dem Aspekt der Beschäftigung in Einklang gebracht.

Bei all diesen Maßnahmen ist zu bedenken, daß Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften lediglich positive Warteschleifen darstellen, und daß es die Aufgabe der jeweiligen Projektleitung ist, durch Gespräche diejenigen zu motivieren, die sich für eine besondere Qualifizierungsmaßnahme eignen, um dann später solche Projekte eigenständig zu führen bzw. mit der erworbenen Qualifikation den Absprung in die Privatwirtschaft zu schaffen. Hier bedarf es seitens der Projektleitung der ausführlichen Dokumentation der gesamten Tätigkeit und des ständigen Gesprächs mit dem Arbeitsamt. Ebenso ist sicherzustellen, daß Maßnahmen zügig abgewickelt und abrechnungstechnisch einwandfrei durchgeführt werden.

Sind am "Runden Tisch" diejenigen versammelt, die sich auf die Maßnahmenkette Beschäftigung, Ausbildung und Qualifizierung verständigt haben, so wird ein gemeinnütziger Verein gegründet, in dem Aufgaben, Ziele und Gremienbildung beschrieben werden. Dem Vorstand sollten die unmittelbar interessierten und betroffenen Vertreter angehören, also Kommunal-, Landes- und Kreispolitiker, wie auch Vertreter der beruflichen Bildung. Das Wichtigste ist, daß in einer Vereinssatzung ein Beirat vorgesehen wird, der gewissermaßen die Zusammensetzung des "Runden Tisches" institutionalisiert. Als mögliche Beiratsmitglieder sind zu nennen der Vertreter des Arbeitsamtes, der Industrie- und Handelskammer und sonstiger örtlicher Institutionen, der Gewerkschaften und des Wirtschaftsförderungsamtes der Kommune bzw. des Landkreises. Durch gemeinsame Sitzungen von Vorstand und Beirat werden der Informationsfluß beschleunigt und die notwendigen Sachverhalte informell vorgeklärt. Das spart Zeit und Wege und bindet die Bewilligungsbehörden in die Entscheidungen der Beschäftigungsgesellschaft ein.

Von großer Bedeutung sind die Person des Geschäftsführers und des Stellvertreters. Ideal ist es, wenn jeweils der eine aus dem Bereich Wirtschaft/Verwaltung und der andere aus dem Bereich Pädagogik oder verwandter Fächer kommt.

Mit einer solchen Konstruktion gibt es schon durchaus praktische Erfahrung. Ein derart konzipierter Verein stellte innerhalb von sechs Monaten in Zarewanz, Bezirk Rostock, 212 ABM-Kräfte ein. Das Ferienprojekt "Das Dorf" umfaßt 17 koordinierte Projekte, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen (vgl. das Schema in der Anlage). Die Einzelprojekte reichen von Dorfverschönerung und Umweltschutz über die Anlage von Jugendfreizeiteinrichtungen, eines Wildparks, einer Grillstation, eines Pferdeverleihs bis zur Einrichtung eines Park-and-Ride-Platzes, über Straßenbau zur Installierung einer mechanischen Werkstatt. Zehn Dörfer und Gemeinden beteiligen sich am Gesamtprojekt. Sie gehören zu einem Territorium, das infolge der

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Strukturveränderung in der Landwirtschaft in den kommenden Jahren ein neues Profil gewinnen muß. Historisch gewachsene Kulturlandschaften werden als Erholungsräume durch schonende Formen der Landnutzung und Landschaftspflege erhalten und für einen sanften Tourismus - gebietsweise ohne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren - erschlossen. Mit diesem Projekt können - so die Erwartungen - für viele der dort ansässigen, von der Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen neue Erwerbsmöglichkeiten erschlossen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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