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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 3]
Während die Wirtschaft in den Ländern der alten Bundesrepublik floriert, signalisieren die Meldungen aus den neuen Bundesländern eine Fortsetzung des Zusammenbruchs der alten Unternehmen. Der Niedergang der Wirtschaft in den neuen Bundesländern scheint nicht aufhaltbar. Die Einführung der Marktwirtschaft hat nicht den häufig prognostizierten unmittelbaren Aufschwung mit sich gebracht, im Gegenteil, die Anpassung der ostdeutschen Wirtschaft an Marktverhältnisse verläuft wesentlich schwieriger und schmerzhafter als je erwartet worden war. Ganze Wirtschaftszweige verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit und stehen vor dem Zusammenbruch, viele Betriebe überleben nur noch durch staatliche Liquiditätshilfen und nicht aufgrund ihrer Behauptung im Markt. Im Ergebnis steigt die Arbeitslosigkeit einschließlich der Kurzarbeit dramatisch an. Es scheint realistisch zu sein, daß noch in diesem Jahr Arbeitslosenzahlen von 3 - 4 Millionen Personen und damit Arbeitslosenquoten von über 50 % erreicht werden könnten. Ursache dieser Strukturkatastrophe war letztlich die Einführung der D-Mark in der DDR, die schlagartig den zwar bekannten, aber in seinem Ausmaß dennoch völlig unterschätzten Produktivitätsrückstand der ostdeutschen Wirtschaft und damit ihre Unterlegenheit im marktwirtschaftlichen Wettbewerb offen legte. Die frühere DDR hat den schnellsten, aber auch den härtesten und offensichtlich verlustreichsten Weg in die soziale Marktwirtschaft gewählt. Ihre Industrie wurde von einem Tag zum anderen der harten Konkurrenz einer der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt ausgesetzt und ging in diesem Wettbewerb unter. Die Erfahrungen mit Strukturumbrüchen im Westen Deutschlands, beispielsweise in den Montanrevieren oder in der Werftenindustrie der Küstenregionen, können nur begrenzt ein Beispiel für die sich jetzt im Strukturwandel in den ostdeutschen Bundesländern stellenden wirtschaftspolitischen Herausforderungen sein. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft waren diese Strukturprobleme relativ gering. In den neuen Bundesländern hingegen wird eine ganze Volkswirtschaft innerhalb kürzester Zeit umstrukturiert werden müssen, deren Angebotsstruktur, und das heißt Qualifikation und Erfahrungen der Menschen, aber auch Produkte und Produktionsverfahren der Unternehmen im Eiltempo erneuert werden müssen. Dieser riesige Strukturanpassungsbedarf kann nur bewältigt und die Wirtschaft nur saniert werden, wenn der Strukturwandel nicht gebremst, sondern offensiv angegangen wird. Dazu gibt es keine vernünftige Alternative. Auch in den westlichen Bundesländern und den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft sind traditionelle Industrieregionen schon lange einem massiven Strukturanpassungsdruck ausgesetzt. Häufig haben Strukturbrüche staatliche Hilfen erforderlich gemacht. Insgesamt wurde der Strukturwandel in den alten Industrieregionen des Westens jedoch vor allem dort sozial verträglich bewältigt, wo er nicht abgeblockt [Seite der Druckausg.: 4] wurde. Er hat sich dort auch als wichtige Quelle für mehr Wohlstand und Beschäftigung erwiesen. Auf jeden Fall wird der Strukturwandel in den neuen Bundesländern so massiv sein, daß er sich nicht selbst überlassen bleiben darf. Er muß sozial verträglich ablaufen und dafür arbeitsmarkt- und regionalpolitisch gestaltet werden. In diesem Umstrukturierungsprozeß ist es notwendig, außerhalb der bedrohten Produktionsbereiche wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen und die Arbeitnehmer durch Umschulung und Weiterbildung in die Lage zu versetzen, neue Arbeitsplätze zu besetzen. Neue Arbeitsplätze entstehen nur durch Investitionen. Über Jahre hinaus werden die neuen Bundesländer daher private Investitionen in beträchtlichem Umfang, aber auch staatliche Infrastrukturinvestitionen benötigen, um Ersatz für unvermeidlich wegfallende Arbeitsplätze zu schaffen und die notwendige Modernisierung und Umstrukturierung zu beschleunigen. Eine massive staatliche Wirtschaftsförderung ist dafür die Voraussetzung. Daraus ergeben sich Anforderungen an eine Wirtschaftspolitik, die sowohl für die rasche Bereitstellung des notwendigen privaten wie des öffentlichen Kapitals für neue Anlagen und die Infrastruktur als auch für die Organisation und Bewältigung des strukturellen Umbruchs in den neuen Bundesländern Sorge tragen muß. Über die Kernpunkte eines Programms für den wirtschaftlichen Aufbau der neuen Länder bestand zwischen Experten, Bundesregierung und sogar Opposition in der Bundesrepublik spätestens seit Anfang des Jahres 1991 Einigkeit, wenn es auch große Meinungsunterschiede über die Ausgestaltung und Dotierung einzelner Maßnahmenkomplexe gab. Konsens war jedoch, daß der wirtschaftliche Aufbau der neuen Länder nicht durch den Staat allein bewältigt werden kann, der mit dieser gewaltigen Aufgabe überfordert wäre. Auf Seiten der Unternehmen muß die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die Umstellung auf neue Märkte durch Produktverbesserungen und der Abbau von Kostenbelastungen Vorrang haben. In dieser Umstellungszeit dürfen an sich wettbewerbsfähige Unternehmen nicht allein aus Liquiditätsmangel insolvent werden. Bei ihrer Sanierung kommt den entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen durch die Treuhandanstalt eine sehr große Bedeutung zu. Nach wie vor herrscht ein Mangel an Fachleuten in der öffentlichen Verwaltung der neuen Länder, wenn auch schon, beispielsweise in Gewerbeaufsichts- und Grundbuchämtern, durch die Verwaltungshilfe aus den alten Bundesländern viel erreicht worden ist. Nach wie vor werden jedoch wirtschaftlich wichtige Entscheidungen durch administrative Hemmnisse blockiert oder verlangsamt. Der riesige Strukturanpassungsbedarf in der ostdeutschen Wirtschaft wird nicht zu bewältigen sein, ohne daß viele Arbeitsplätze entfallen und Beschäftigte freigesetzt werden. Der Übergang zu einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft muß jedoch sozial verträglich gestaltet werden und [Seite der Druckausg.: 5] darf wirtschaftliche Zukunftschancen weder für die Beschäftigten noch für die Unternehmen verstellen. Es kommt daher darauf an, die Möglichkeit von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften so weit wie möglich auszunutzen und dabei gleichzeitig dem gewaltigen Umschulungsbedarf Rechnung zu tragen und so durch Qualifizierung auch den Strukturwandel zu erleichtern. Es muß ein Vorrang für Aus- und Weiterbildung und Arbeitsbeschaffung durchgesetzt werden. Um Beschäftigung und Arbeit zu sichern, könnte vor allem ein verstärktes Handeln im Wohnungsbaubereich einen erheblichen Beitrag leisten. Ein Wohnungsmodernisierungs- und Sanierungsprogramm sowie andere Hilfen für Energieeinsparungen und Umweltentlastungen würden sowohl zur Steigerung der Lebensqualität in den neuen Bundesländern als auch zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen beitragen. Die bisher beschlossenen und schon in der Umsetzung befindlichen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen erfüllen einen großen Teil dieser Anforderungen. Die zentrale Frage auch der Cottbuser Tauung war jedoch, ob die vornehmlich für den Einsatz in den Ländern der alten Bundesrepublik, also für ein entwickeltes Industrieland, ausgebauten und ausgefeilten Instrumente auf die historisch einmalige Situation des Strukturbruchs einer ganzen Volkswirtschaft übertragen werden können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001 |