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Nach zehn Jahren ökonomischer Transformation Ostdeutschlands: Trotz vielfältiger Fortschritte, der Aufbau Ost bleibt zentrale Aufgabe des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert : [Vortrag in Seoul, durchgeführt durch die Friedrich-Ebert-Stiftung in Südkorea] ; Dezember 2000 / Rudolf Hickel - [Electronic ed.] - [Bonn, 2000 - 48 Kb, Text & Image files
German ed. only online available. - Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000. - Adresse: http://library.fes.de/bueros/seoul/00894.htm

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





Prof. Dr. Rudolf Hickel

Dezember 2000

Nach zehn Jahren ökonomischer Transformation Ostdeutschlands: Trotz vielfältiger Fortschritte, der Aufbau Ost bleibt zentrale Aufgabe des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert*)

1. Blitzstart mit der Währungsunion zum 1. Juli 1990

Nach dem friedlichen Fall der Mauer am 8. November wurde bald klar, die politische und ökonomische Einigung Deutschlands musste schnell vollzogen werden. Die vielen Ideen - auch der damaligen Bundesregierung - die politische, soziale und ökonomische Integration stufenweise über einen längeren Zeitraum durchzusetzen, hatten politisch wie ökonomisch keine ernsthafte Chance auf Realisierung. Der Druck zur schnellen Einigung kam vor allem aus Ostdeutschland. Massendemonstrationen – etwa die Leipziger Montagsdemonstrationen – standen am Ende unter dem Motto: „Kommt die DM nicht zu uns, gehen wir zu hier hin!". Damit wurde auch deutlich, dass die erforderliche eigenständige politische Kraft, die schmerzhafte Modernisierung der Wirtschaft vorzunehmen, nicht allzu hoch eingeschätzt worden ist. Mit der massiven Forderung nach einer schnellen Angleichung verband sich die allerdings verständliche Illusion, zügig das Wohlstandsniveau Westdeutschlands zu erreichen. Unter diesem hohen Druck einer möglichen Abwanderung nach Westdeutschland verwarf die Bundesregierung ihr anfängliches Konzept eines Stufenplans der deutschen Einigung. Im ersten Staatsvertrag vom Mai 1990 wurde auf der Basis der souveränen Entscheidung des westdeutschen Bundestags und der ostdeutschen Volkskammer die Übernahme der DM-Währungsordnung beschlossen. Am Sonntag, dem 1. Juli 1990 erfolgte auf der Basis perfekter Logistik die Lieferung der Banknoten und Münzen durch die Deutsche Bundesbank zum Umtausch gegen die DDR-Währung. Mit diesem DM-Import war unerbittlich die Angleichung an die westdeutschen, kapitalistischen Produktionsverhältnisse fixiert. Viele Ideen, die deutsche Einigung zum Anlass zu nehmen, eine neue Verfassung mit einer alternativen Wirtschaftsordnung zu realisieren, sind durch den Blitzstart mit dem DM-Regime erdrückt worden. Die dieser monetären Weichenstellung, die im ersten Staatsvertrag vom Mai 1990 fixiert wurde, folgende Angleichung aller Bereich der Wirtschaft und Politik an die westdeutschen Verfassungsvorgaben, ist schließlich dem endgültigen Einigungsvertrag zum 3. Oktober 1990 vereinbart worden. Der Lektüre dieses Einigungsvertrags offenbart die damals weit verbreitete, viel zu optimistische Vorstellung von der zügigen Vollendung der deutschen Einigung. So behandelt dieser Vertrag beispielsweise nur die Verteilung der Gewinne aus der Privatisierung der Kombinate durch die Treuhand-Anstalt (THA). Am Ende hinterließ diese Anstalt jedoch Schulden in Höhe von über 230 Mrd. DM. Auf der Basis der seit dem 3. Oktober 1990 auch für Ostdeutschland geltenden Grundlagen des Grundgesetzes sind bis Ende 1994 Sonderregelungen fixiert worden. So wurde die Aufbringung der öffentlichen Finanztransfers außerhalb des im Grundgesetz geregelten Finanzausgleich organisiert. Auch die Arbeit der THA ist bis Ende 1994 festgelegt worden. Die naive Erwartung, die auch durch wirtschaftswissenschaftliche Studien für die Bundesregierung geschürt wurde, setzte auf die Schaffung einer eigenständigen wirtschaftlichen Basis innerhalb von vier Jahren. Karl Schiller, ehemaliger Bundeswirtschaftsminister, erklärte der verblüfften Öffentlichkeit im Herbst 1990 bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestag, schon im Frühjahr 1991 sei mit einem wirtschaftlichen Aufschwung Ost zu rechnen. Gegenüber diesen naiv-optimistischen Erwartungen setzte sich unter dem realen Druck der Verhältnisse die Erkenntnis einer langanhaltenden Sonderentwicklung in Ostdeutschland durch. Bis Ende 2004 trägt finanzpolitisch der Solidarpakt I dem strukturellen Nachteilsausgleichs gegenüber Westdeutschland Rechnung. Wie hier gezeigt wird, die Fortsetzung dieser Sonderfinanzierung Ostdeutschlands über einen Solidarpakt II wird durch die noch lange nicht an westdeutsche Verhältnisse angeglichene Transformationsökonomie erzwungen.

Zurück zu den Wirkungen der Währungsunion: Dieser Blitzstart der ökonomischen Einigung durch die Ausweitung des Geltungsbereichs der DM auf Ostdeutschland musste wie ein „monetärer Urknall" wirken. Während die DM monetärer Ausdruck einer international konkurrenzfähigen Wirtschaft ist, legte ihr Import nach Ostdeutschland eine Wirtschaft offen, die sich unter planwirtschaftlichen Bedingungen bei Dominanz der UDSSR innerhalb des RGW, jedoch weitgehend abgeschottet gegenüber der kapitalistischen Konkurrenz, entwickelt hatte. Der Zusammenbruch der Produktion, schließlich verschärft durch die Aufhebung des Rubelregimes Ende 1990, war die bittere Folge. Im Verarbeitenden Gewerbe fiel die Wertschöpfung auf 30% des Niveaus im letzten Jahr der DDR zurück. Die Zahl der Beschäftigten schrumpfte um über die Hälfte. Diesen Zusammenbruch vorhersehend wurde die Entscheidung für den schnellen Austausch der Währung auch aus der Wissenschaft anfänglich scharf kritisiert. In den Rückblicken anlässlich des zehnten Jahrestags wird heute allerdings allgemein anerkannt, dieser Blitzstart in die ökonomische Integration war unvermeidbar. Bei offenen Grenzen und hoher Mobilität der Beschäftigten ließen sich zwei Wirtschafts- und Währungsräume nicht etablieren. Ein System zur Stabilisierung des Devisenkurses zwischen der Ost- und West-Mark hätte keine Chance gehabt. Jede Ostmark wäre schnell in DM umgetauscht worden. Vor allem aber fehlte in Ostdeutschland das Vertrauen in eine eigene Regierung, die den unvermeidlich harten Umbau der Wirtschaft hätte durchsetzen können. Heute wird oft kritisiert, bei der Entscheidung für die Währungsunion hätte nicht die ökonomische Einsicht, sondern die Politik dominiert. Dies ist richtig. Schließlich musste die Politik unter dem massiven Druck der Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland entscheiden. Sicherlich ist der Umtausch der Währungen
1 DM für 1 DDR-Mark (Löhne und Gehälter, bei Geldbeständen und bei Vermögen 1:2) den sozio-ökonomisch strukturellen Unterschieden nicht gerecht geworden. Die durch die Wirtschafswissenschaft mehrheitlich präferierte Umtauschrate 1:4 war jedoch politisch nicht durchsetzbar, weil die laufenden Einkommen gegenüber Westdeutschland empfindlich abgesenkt worden wären. Dazu fehlte, wie Massendemonstrationen mit Parolen „Wir wollen eins sein, deshalb 1:1" zeigen, verständlicherweise die Akzeptanz in Ostdeutschland. Der Vorrang der Politik hat sich durchgesetzt.

Nochmals, so hart die Schockwirkung auch ausfiel, der Blitzstart durch den DM-Import war unvermeidbar. Allerdings ist die nachfolgende Transferpolitik dem durch diesen monetären Urknall bewirkten Zusammenbruch der Wirtschaft und des Beschäftigungssystems nicht gerecht geworden. Viele Fehler, die wenn sie vermieden worden wären, die Einigungskosten gesenkt hätten, sind gemacht worden. Denn eine derartige Aufwertung der Währung hätte selbst ein hochindustrialisiertes Land in eine tiefgreifende Wirtschaftskrise gestürzt. Der Kardinalfehler war vor allem anfangs die fehlende Bereitschaft, die Transformationskosten aus den öffentlichen Kassen Westdeutschlands langfristig zu sichern. Katastrophal wirkte sich die durch die westdeutsche Regierungspolitik in zwei Richtungen verbreitete Bagatellisierung des Preises der Einheit aus: Einerseits wurde verkündet, es entstünden ohnehin zügig „blühende Landschaften". Andererseits ließen sich daher die zum Um- und Aufbau erforderlichen öffentlichen Transfers von West- nach Ostdeutschland aus der Portokasse finanzieren. Die politische Konzentration auf die Bundestagswahl im Dezember 1990 hat zudem eine rationale Diskussion über die Finanzierung der deutschen Einigung maßgeblich erschwert. Wer Anfang der neunziger Jahre darauf hinwies, der Einigungsprozess beanspruche im Verlauf der folgenden zehn Jahren ca. 1 500 Mrd. DM an öffentlichen Transfers, der zog sich den Vorwurf zu, die deutsche Einigung mies machen zu wollen. Die frühen Mahner sollten allerdings Recht bekommen. In den ersten zehn Jahren sind brutto ca. 1 700 Mrd. DM allein an öffentlichen Transfers von West nach Ost geflossen. Die allerdings immer wieder zu zögerliche Anpassung an die erforderlichen Transfersummen führte schließlich zu einem mühseligen Lernprozess über das Tiefe des Zusammenbruchs und den sich daraus ergebenden Anforderungen an eine erfolgreiche Politik der ökonomischen Transformation.

2. Schwerpunkte der Transformationspolitik seit 1990

Mit der Entscheidung für das DM-Währungssystem war die Richtung des Um- und Aufbaus Ostdeutschland eindeutig und unumstößlich fixiert: Die aus dem Westen importierte DM-Währung ließ alternativlos nur noch die Angleichung an die westdeutschen Produktions- und Lebensverhältnisse zu. Die oftmals von kritischen Intellektuellen geäußerte Sehnsucht nach alternativen Produktionsverhältnissen in Ostdeutschland oder gar grundlegende Reformen im vereinten Neuen Deutschland hatten keine Chance mehr. Nachdem allerdings diese monetäre Grundentscheidungen gefallen war, stellte sich die Aufgabe, die Schwerpunkte der Politik der Angleichung an die westdeutschen Verhältnisse zu definieren. Angleichung konnte und kann nur heißen, das ökonomische tiefe Gefälle zwischen West- und Ostdeutschland abzubauen. Die anzustrebende Norm ökonomischer Indikatoren wurden 100% Westdeutschland. Die vielfältigen Anforderungen zur Transformation in Richtung westdeutschen Standards lassen sich die folgenden vier Schwerpunkte zusammenfassen:

  • Die vormals Volkseigenen Betriebe (VEB) wie überhaupt die Planwirtschaft mussten in privatwirtschaftliches Eigentum als Basisinstitution der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft transformiert werden. Diese Herkulesaufgabe wurde nicht einem eigenständigen Ministerium innerhalb der Bundesregierung, sondern die Treuhand-Anstalt (TA) mit Sitz in Berlin durchaus im Sinne einer Arbeitsteilung übereignet.

  • Zur Sicherstellung einer modernen privaten Unternehmenswirtschaft mussten mit dem Ziel, deren Konkurrenzfähigkeit herzustellen, die Ausstattung mit modernen Ausrüstungsinvestitionen durch finanzielle Hilfen des Staats, aber auch durch das Engagement westdeutscher und ausländischer Unternehmen vorangetrieben werden

  • Wichtigste Aufgaben beim Aufbau des öffentlichen Sektors waren und sind die Schaffung einer öffentlichen Verwaltung, der Ausbau und die Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Etablierung der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherung nach westdeutschem Muster.

  • Da weit über die Sicherung bzw. Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten hinaus im Zuge der ökonomischen Transformation Arbeitsplätze verloren gegangen sind, sind Entlastungsmaßnahmen auf den Arbeitsmärkten, die zugleich der Um- und Weiterqualifizierung dienen, erforderlich.

Eine wichtige Aufgabe war es, ein Konzept der Lohnpolitik innerhalb dieser Transformationsökonomie zur Angleichung an die westdeutschen Verhältnisse durchzusetzen.

Das Volumen und die Struktur der erforderlichen Finanztransfers lassen sich im Rahmen eines Vergleichs der beiden gegeneinander abgegrenzten Teilökonomien Ost- und Westdeutschland mit „außenwirtschaftlichen Beziehungen" abschätzen. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist Ostdeutschland in der Transformationsphase eine von Finanztransfers aus Westdeutschland abhängige Ökonomie. Die Produktion von Güter und Dienstleistungen fällt in dieser Epoche erheblich geringer als die Ausgaben für die ostdeutsche (inländische) Nachfrage für Konsum und Investitionen aus. Die Lücke zwischen der Inlandsnachfrage und der eigenen Produktion wird maßgeblich durch Importe aus Westdeutschland geschlossen. Die Finanzierung erfolgt über die Transfers aus Westdeutschland. So fließen etwa öffentliche Gelder aus Westdeutschland in die sozialen Sicherungssysteme, die den Beziehern ermöglichen, ihre Konsumausgaben zu finanzieren. Tabelle 1 zeigt den Zusammenhang: So war im Jahr 1994 die Inlandsnachfrage 1,6 mal höher als das in diesem Jahr erstellte Sozialprodukt. Die Lücke wurde durch einen negativen Außenbeitrag geschlossen, d.h. mit 221 Mrd. DM lagen die Importe an Güter und Dienstleistungen über den Exporten aus Ostdeutschland. Maßgeblich durch die öffentlichen Finanztransfers (1994 brutto 194,5 Mrd. DM) auch wurde die über die Produktion hinausgehende inländische Nachfrage ermöglicht Die jährlichen öffentlichen Finanztransfers summieren sich in den letzten Jahren auf netto knapp 1,5 Mrd. DM (Tabelle 2). Diese ökonomische Abhängigkeit wird erst dann überwunden sein, wenn sich die Wirtschaftskraft in Ostdeutschland an die in Westdeutschland einigermaßen angeglichen hat.

Tabelle 1

Tabelle 2

Die Herkulesaufgabe der Treuhand-Anstalt

Die Treuhand-Anstalt (THA) oblag die schwierige Aufgabe, wie es im § 2 des Gesetzes zu ihrer Einrichtung vom 17. Juni 1990 heißt, „die Privatisierung und Verwendung volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft" durchzuführen. Bis 1998 sind aus den anfänglich 8 490 Unternehmen 23 610 Betriebseinheiten entstanden. Sie wurden privatisiert, reprivatisiert, liquidiert oder aber durch Fusionen/Aufspaltungen aufgelöst. Beschrieben hat der zweite Präsident Detlev Rohwedder die Arbeit der THA mit der Zieltriade: Schnelle Privatisierung, entschiedene Sanierung, behutsame Privatisierung. Die Bilanz der THA ist zwiespältig. Sie hat durchaus auch Erfolge zu verbuchen. Unbestreitbar ist jedoch auch, durch die zum Teil viel zu schnelle Privatisierung sind Unternehmen untergegangen, die bei einer mittelfristig angelegten Sanierung durchaus Überlebenschancen gehabt hätten. Große Unternehmenskomplexe wurden filetiert, d.h. lukrative Teile verkauft und damit andere, im Prinzip überlebensfähige Bereiche in den Konkurs getrieben. Die Transformation wurde immer wieder von Interessenkonflikten innerhalb der Wirtschaft überlagert. Westdeutsche Unternehmen hatten aus Konkurrenzgründen nicht unbedingt ein Interesse am Erhalt von Produktionskapazitäten in Ostdeutschland. Deren Einfluss wurde auch durch die in der THA entscheidenden Manager, die aus der westdeutschen Wirtschaft kamen, verstärkt. Insgesamt hinterließ die THA ca. 230 Mrd. DM Schulden.
Dabei regelte der Einigungsvertrag vom 3. Oktober 1990 nach langem Streit naiverweise nur, wie die Gewinne aus der Privatisierung auf den Bund und die Länder verteilt werden sollten. Die Verschuldung der THA war unvermeidbar.

Die Mittel hätten jedoch auf der Basis einer mittelfristigen Sanierung erheblich effizienter eingesetzt werden können. Insgesamt fehlte es an einem Konzept der Strukturpolitik zur Bewältigung der Transformation.

Umbau und Modernisierung des privatwirtschaftlichen Kapitalstocks

Voraussetzung für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft war und ist die Schaffung eines effizienten privatwirtschaftlichen Kapitalstocks in Ostdeutschland, d.h. vor allem die Ausstattung der Unternehmen mit modernen Ausrüstungsgütern. Diese Aufgabe konnte die Unternehmenswirtschaft in Ostdeutschland aus eigener Kraft nicht lösen. Deshalb musste sich die staatliche Politik auf die Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen zum Ausgleich grundlegender Standortnachteile beim privatwirtschaftlichen Kapitalaufbau konzentrieren. Allein für Subventionen und Investitionen sind von 1991 bis 1998 kumuliert knapp 230 Mrd. DM ausgegeben worden (Tabelle 2). Die wichtigsten Instrumente der öffentlichen Förderung waren: Investitionszulagen, Investitionszuschüsse, Sonderabschreibungen für Investitionen sowie zielorientierte Kreditprogramme vor allem über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Einsatz dieser Förderinstrumente war nicht immer optimal. So haben vor allem die Sonderabschreibungen zu einem viel zu großen Aufbau von Immobilienkapazitäten und letztlich zu Steuerausfällen durch entsprechende Nutznießer von Verlustzuweisungen in Westdeutschland geführt. Dieses Förderinstrument ist mittlerweile abgeschafft worden. Mittel zur Investitionsförderung sind ohne zusätzliche Wirkungen auch einfach „mitgenommen" worden, ohne die damit bezweckten Ziele zu erfüllen. Insgesamt war jedoch die öffentliche Förderung zur Stärkung der Privatwirtschaft erfolgreich. Schließlich wurde dadurch auch unternehmerisches Kapital im Umfang von über 1 000 Mrd. DM dem Standort Ostdeutschlands zugeführt.

Aufbau eines öffentlichen Kapitalstocks und Integration in die Sozialsysteme

Mit dem Ziel der Angleichung an westdeutsche Verhältnisse stellten sich beim Aufbau des öffentlichen Sektors in Ostdeutschland drei Aufgaben: Schaffung einer effizienten öffentlichen Verwaltung, Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur sowie Aufbau
der gesetzlichen Systeme sozialer Sicherung. Nach zehn Jahren deutsche Währungsunion zeigt sich, dass die drei Aufgaben zügig und durchaus auch mit Teilerfolgen realisiert worden sind. Die Behauptung, Finanzmittel aus öffentlichen Haushalten Westdeutschlands seien beim Aufbau der Infrastruktur in Ostdeutschland verschwendet worden, trifft grundsätzlich nicht zu. Nicht nur Schienennetze, Autostraßen, Projekte städtischer Erneuerung, Kommunikationsnetze und vieles mehr sind Beispiele erfolgreicher Aufbaupolitik. Allerdings zeigt der Vergleich mit Westdeutschland immer noch erhebliche Defizite beim öffentlichen Kapitalstock in Ostdeutschland. Schließlich sind auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Infrastrukturpolitik große Erfolge in Ostdeutschland zu verzeichnen. Die Wissenschaftseinrichtungen verfügen über eine ausgezeichnete Qualität während die günstigen Arbeitsbedingungen auch für westdeutsche Studierende Vorteile bieten. Schließlich flossen aus den öffentlichen Haushalten zwischen 1991 und 1998 kumuliert über 236 Mrd. DM zum Aufbau der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherung (vgl. Tabelle 2). Die Integration der ostdeutschen Bevölkerung in die gesetzliche Sozialsicherung ist zügig erfolgt und verdient rückblickend Anerkennung.


Anhaltende Krise des Beschäftigungssystems

Im Zuge des Umbaus der Wirtschaft zu konkurrenzfähigen Unternehmen ist die Zahl der Erwerbstätigen von 9, 858 Mio. in 1989 auf 6,3 Mio. Ende der neunziger Jahre zurückgegangen. Dabei handelt es sich nicht nur um das Sichtbarwerden der zu DDR-Zeiten teils „verdeckten Arbeitslosigkeit". Vielmehr zeigt sich hier, dass im Zuge des Umbaus bei weitem mehr Arbeitsplätze verloren gegangen sind als hinzugewonnen werden konnten. Die flankierende Arbeitsmarktpolitik dient auch der Unterstützung bei der ökonomischen Umstrukturierung sowie dem Abbau ökologischer Altlasten. Während 1991 mit 1,881 Personen in arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen ein
Spitzenwert erreicht wurde, waren Ende der neunziger Jahre noch über 980 Tausend Nutznießer dieser Politik (Tabelle 3). Die wichtigsten Instrumente sind die strukturorientierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Lohnkostenzuschüsse. Die entlastende Arbeitsmarktpolitik hat maßgebliche dem Umbau der Wirtschaft unterstützt und dazu gedient, den Prozess des Arbeitsplatzabbaus sozialverträglich zu gestalten.

Tabelle 3

Lohnpolitik im Dilemma

Die Antwort auf die Frage nach der angemessen Lohnpolitik im Prozess der Transformation fiel von Anfang widersprüchlich aus. Heute wird aus Kreisen der Wirtschaftswissenschaft mehrheitlich behauptet, die schnelle Angleichung der Löhne und Gehälter an Westverhältnisse habe den ökonomischen Aufbau stark belastet. Diese Behauptung ist weder empirisch belegt noch theoretisch ausreichend begründet. Die Lohnpolitik konnte nicht die Führungsrolle im Prozess der Sanierung übernehmen.
Strategisch entscheidende Standortnachteile ostdeutscher Unternehmen, wie unzureichend qualifiziertes Management, Behinderungen auf den ohnehin umkämpften Märkten, überhöhte Preise bei der Zulieferung von Gütern und Dienstleistungen sowie technologische und organisatorische Rückständigkeit, lassen sich nun mal nicht durch Lohnverzicht therapieren. Richtig ist, dass 1999 die Einkommen aus unselbständiger Arbeit 73,8% des westdeutschen Niveaus (= 100 %) erreichten. Dagegen lag die Produktivität (Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen) nur bei gut 59%. Die Folge sind hohe Lohnstückkosten, die bei zwar abnehmender Tendenz insgesamt immer noch 124 % erreichen. In der vergleichsweise niedrigen Produktivität spiegelt sich allerdings das gesamte Bündel von Standortnachteilen wieder. Zur Angleichung der Löhne und Gehälter wurden von den Tarifpartnern Stufenpläne durchgesetzt. Im Durchschnitt aller Branchen erreichen derzeit die Löhne und Gehälter 75% des Westniveaus (= 100%). Dabei verläuft die Entwicklung in den Branchen sehr unterschiedlich. In der ostdeutschen Metallverarbeitung lagen beispielsweise 1999 die Lohnstückkosten um 6 % unter dem Niveau Westdeutschlands. Die Produktivität steigt hier schneller als die Arbeitskostenbelastung. Während das effektive Niveau der Löhne und Gehälter je Stunde bei 69% des westdeutschen Niveaus (=100) lag, ist die Produktivität auf 73,2% gestiegen. Dieser rasante Produktivitätsentwicklung verringert allerdings die Beschäftigungswirksamkeit des Wertschöpfungswachstums in der ostdeutschen Metallverarbeitung.

Generelle gilt es bei Tarifpolitik zu bedenken, dass Löhne eben nicht nur Kosten darstellen, sondern einerseits zur kaufkraftfähigen Nachfrage vor Ort beitragen. Andererseits haben sie wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsmotivation. Bei anhaltendem, vergleichsweise großem Lohngefälle wird die Tendenz zur Abwanderung der Arbeitskräfte in Regionen mit höherer Entlohnung verstärkt. Die Gewerkschaften wussten um die Schwierigkeiten einer Lohnpolitik unter den Bedingungen der ökonomischen Transformation. In der Tarifpolitik wurden Stufenpläne zur schrittweisen Angleichung der Entlohnung gegenüber Westdeutschland umgesetzt. Um der auffällig stark differenzierten Entwicklung zwischen den Unternehmen Rechnung zu tragen, sieht die Metall- und Elektroindustrie beispielsweise seit 1993 sog. Härtefallklauseln vor. Wenn ein Betrieb in Not gerät, dann kann im Rahmen eines Sanierungsprogramms von Tariflöhnen zeitlich befristet nach unten abgewichen werden. Während der Laufzeit dürfen jedoch keine Entlassungen vorgenommen werden. Zwar ist zu beobachten, dass mittlerweile nur noch 25% der Unternehmen in der ostdeutschen Industrie tarifgebunden sind. Eine jüngere Studie zeigt jedoch, auch Unternehmen außerhalb der Gültigkeit des Tarifvertragssystems orientieren sich vorrangig an den bestehenden Tarifverträgen.

Grafik:
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (in Preisen von 1991) in den neuen Bundesländern 1990 bis 1998


3. Nach zehn Jahren: Ostdeutschland verdammt zur nachhaltigen Rückständigkeit? Ein differenziertes Bild


Im Mittelpunkt der Bewertung der schrittweisen Angleichung der ökonomischen Verhältnisse steht der Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von Ost- gegenüber Westdeutschland. Nach einer Phase stürmischer Zuwächse bei der Güter- und Dienstleistungsproduktion fallen die Raten des Wirtschaftswachstums seit 1997 geringer als in Westdeutschland aus. Allerdings wird es immer schwieriger, die Wirtschaftsentwicklung zwischen Ost- und Westdeutschland differenziert zu analysieren, da das Statistische Bundesamt vor allem aus Gründen der Mitteleinsparung eine getrennte Erhebung nicht mehr vornehmen darf. Dennoch ist erkennbar: Der Angleichungsprozess, der eigentlich einen erheblich höheren Wachstumspfad vom niedrigen Produktionsniveau Ostdeutschlands verlangt, ist gestoppt, ja leicht rückläufig (vgl. Grafik 1). Die Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukt je Einwohner), die 1991 noch bei 31,3% des Westniveaus lag, ist Ende der neunziger Jahre auf mehr als 63% angestiegen. Damit zeigt sich, die Angleichung an die westdeutsche Wirtschaftskraft ist vorangekommen; sie hat sich jedoch verlangsamt und ist noch lange nicht - gemessen an der Norm 100% Westdeutschland - abgeschlossen. Tabelle 4 zeigt den Stand der Angleichung für wichtige ökonomische Indikatoren.

Tabelle 4

Diese makroökonomischen Daten verdecken jedoch die sich darunter vollziehende differenzierte Entwicklung. Herausgebildet haben sich Wachstumspole etwa zwischen Leipzig und Halle gegenüber äußerst schwachen Regionen. Die Wachstumspole werden durch sog. industrielle Leuchttürme geprägt. Um diese herum sind netzwerkartige Lieferverflechtungen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen entstanden. Beispiele sind das Opelwerk in Eisenach oder das VW-Werk in Mosel/Zwickau mit ihren Zulieferindustrien. Erfolge sind auch insgesamt beim Aufbau industrieller Produktionskapazitäten zu verzeichnen. Insgesamt liegen die Wachstumsraten der ostdeutschen Metallverarbeitung trotz eines Rückschlags 1998/99 wieder in der Nähe von 10%. Allerdings erfolgen die Produktionszuwächse auf der Basis massiver Rationalisierungen. Deshalb fällt der Beitrag zur Beschäftigung vergleichsweise gering aus. Immerhin wird im Jahr 2001 wegen der enormen Produktionsausweitung mit einem Zuwachs von 300 000 Beschäftigen gerechnet.

Im Strukturvergleich zeigt sich, dass der Anteil der industriellen Produktion an der gesamten Wertschöpfung mit 16,4 % in Ostdeutschland unter dem Westdeutschlands (26,8%) liegt. Damit haben die neuen Länder, wenn auch sehr schmerzhaft, bereits einen größeren Schritt in Richtung Deindustrialisierung vollzogen – eine Entwicklung, die Westdeutschland noch nicht erreicht hat. Die Industrie konnte ihre jedoch immer noch im Vergleich niedrige Exportquote auf 18% (Anteil an der Gesamtproduktion) steigern. Defizite bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit werden zwar abgebaut, sind jedoch immer noch unübersehbar. Die gesamtwirtschaftliche Wachstumsverlangsamung in Ostdeutschland wird gegenüber der insgesamt positiven Entwicklung der Industrie maßgeblich durch die Krise der Bauwirtschaft beeinflusst. Gegenüber Westdeutschland (4%) ist das Gewicht des Baugewerbes mit 15% in Ostdeutschland vergleichsweise hoch. Den positiven Zugewinnen der Industrie steht der dramatische Produktionsrückgang der Bauwirtschaft gegenüber. Die im ersten Boom aufgebauten und dringend erforderlichen Kapazitäten der Bauwirtschaft müssen jedoch wieder zurückgebaut werden, weil zwangsläufig die Aufträge zusammengeschrumpft sind. Dieser unvermeidbare Aderlass der Bauwirtschaft wird auch in den nächsten Jahren die ökonomische Entwicklung prägen. Das Dienstleistungsgewerbe hat sich zusammen mit dem Handel stabilisiert. Jedoch ist insgesamt der Beitrag zum Wirtschaftswachstum noch zu niedrig.

Unter Beachtung der Entwicklung der Größenstruktur der Unternehmen zählt zur positiven Bilanz die große Zahl selbständiger Unternehmen in der mittelständischen Wirtschaft. Unternehmensneugründungen konzentrieren sich auch auf die Produktionsfelder der „New Economy". Die „Intershop Communications AG", die „PC-Ware AG" in Leipzig, die „Jenoptik" mit ihren Schwerpunkten optische Systeme und Reinraumtechniken für Chipfabriken, aber auch Firmen im Bereich der Biotechnologien stehen für erfolgreiche Unternehmensgründungen. Dabei werden die Aktien dieser Neugründungen wegen ihres Zukunftskapitals an der Börse mit Zugewinnen notiert. Die Spaltung zwischen börsen- und nichtbörsennotierten Unternehmen folgt schon lange nicht mehr der ehemaligen Grenze zwischen West- und Ostdeutschland. Die Nähe zu leistungsfähigen und motivierten Hochschulen ermöglicht innovative Vernetzungen zwischen Praxis und Wissenschaft.

Trotz all dieser positiven Entwicklungen in der Unternehmenswirtschaft, die dramatischen Defizite auf den Arbeitsmärkten belasten die Entwicklungschancen der Menschen in dieser Region. Nach Schätzungen zur Arbeitsmarktbilanz, die die Erwerbspersonen, die Arbeit brauchen, den faktisch Beschäftigten gegenüberstellt, fehlen bis zu 2,5 Millionen Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Die Zahl der Arbeitnehmer ist bis 1998 auf 5,8 Mio. Personen geschrumpft (vgl. Tabelle 4). Dabei werden die Arbeitsmärkte einerseits durch die Auspendler entlastet (1998 abzüglich der Einpendler ein Saldo von 327. Tsd.). Andererseits reduzieren die in arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen Beschäftigten das Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Allerdings ist die Zahl der Personen in Entlastungsprogrammen vom Spitzenwert 1 873 Tsd. 1994 auf 982 Tsd. in 1998 zurückgegangen. Unbestreitbar werden sich selbst bei einer deutlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung die Defizite auf den Arbeitsmärkten nicht nachhaltig abbauen lassen. Um so wichtiger wird es sein, einen soliden Sockel Arbeitsmarktpolitik für die künftige Transformationspolitik sicherzustellen. Mangelnde Aussicht auf Erwerbsarbeit sowie auch geringere Entlohnung lässt in letzter Zeit die Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland ansteigen. So werden Arbeitskräfte, die künftig gebraucht werden, zur Mangelware. Transformationspolitik muss dazu beitragen, sozial ökonomische Gründe zur Abwanderung soweit wie möglich abzubauen.

4. Was ist zu tun? Die Angleichung mit dem „Solidaritätspakt II" vorantreiben

So lange die Angleichung Ostdeutschlands an westdeutsche Lebens- und Produktionsverhältnisse noch nicht abgeschlossen sein wird, ist der weitere Zufluss öffentlicher Transfers sowie privatwirtschaftlicher Kapitalimporte unverzichtbar. Derzeit wird, wie gesagt jede dritte Mark, die in den neuen Ländern in Investitionen und Konsum fließt, hier nicht verdient. Die gesamte Lücke zwischen eigener Produktion und ostdeutscher Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wird auch in den kommenden Jahren durch die Defizite der Wirtschaftskraft gegenüber Westdeutschland bestimmt. Nach Modellrechnungen ist der weitere Prozess der Angleichung erneut nochmals mindestens zehn Jahre mit gezielter Politik zu unterstützen. Deshalb ist es die wichtigste Aufgabe, die öffentlichen Transfers von West- nach Ostdeutschland für die hier definierten Schwerpunkte sicherzustellen.

Mit dem seit 1995 geltenden „Föderalen Konsolidierungsprogramm" ist
der schwierige Kompromiss erfolgreich gelungen, über die Integration Ostdeutschlands
in das System des Finanzausgleichs ca. 57 Mrd. DM pro Jahr aus den Kassen westdeutscher Gebietskörperschaften zu transferieren. Hinzu kommen finanzielle Leistungen der Träger der gesetzlichen Sozialsicherungssysteme sowie auch aus den Fonds des EU-Gemeinschaftshaushalts. So stellt allein der Bund über die Sonderbedarfs-Ergänzungszuweisungen im Finanzausgleich jährlich 14 Mrd. DM sowie nach dem Investitionsfördergesetz nochmals 6,6 Mrd. DM zur Verfügung. Über die finanzkraftbezogene Verteilung eines Viertels des Anteils der Länder an der Umsatzsteuer geben die westdeutschen den ostdeutschen Ländern mehr oder weniger diese gesamten Mittel dieser Umverteilungsstufe ab.. Dieser Solidarpakt I ist bis Ende 2004 befristet. Zu diesem Pakt gehört auch der Soli-Zuschlag, der derzeit 5,5% auf die Einkommen- und Köperschaftsteuerschuld beträgt. Die hier entwickelten Begründungen zum künftigen öffentlichen Finanzierungsbedarf Ostdeutschlands fundieren die Forderung, den Solidarpakt angemessen fortzuschreiben. Mit dem Solidarpakt II müssen ab 2005 die bisherigen Regulierungen im Prinzip fortgeschrieben werden. Was 1993 mit den Potsdamer Beschlüssen zwischen Bund und Ländern zum „Föderalen Konsolidierungsprogramm" für die Jahre nach 1994 gelungen ist, ist von den Grundlagen her wieder anzustreben. Dabei ist die derzeitige politische Entscheidungslage schwieriger. Denn das Bundesverfassungsgericht verlangt mit seinem Urteil vom November 1999 spätestens bis Ende 2004 den bisherigen Finanzausgleich insgesamt verfassungskonform zu gestalten. Ausgelöst wurde dieses Urteil durch die Klage der „reichen" Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die behaupten, sie würden durch Transfers an die finanzkraftschwächern Länder zu viel ihrer Einnahmen abgeben. Es wird darauf ankommen, im Rahmen der Neuordnung des Finanzausgleichs die Finanzmittel im Rahmen des Solidaritätspakts II zum Gefälleausgleich für Ostdeutschland einzubetten. Dazu gehört auch die Beibehaltung des Soli-Zuschlags von 5,5% auf die Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld, dessen Einnahmen dem Bund zur Finanzierung der Transfermittel zur Verfügung stehen.

Der Umfang der über 2004 hinaus erforderlichen Sonderhilfen leitet sich aus den infrastrukturellen, unternehmenswirtschaftlichen und arbeitsmarktbezogenen Lücken gegenüber Westdeutschland ab. Alle Sonderbedarfe zum Abbau dieser Defizite summieren sich auf netto zu leistende Transfers von ca. 1 000 Mrd. DM bis zum Jahr 2015. Ein Blick auf die Kommunen in Ostdeutschland zeigt, dass sie nicht über ausreichende Finanzkraft verfügen, um die dort anfallenden Infrastrukturausgaben eigenständig zu finanzieren. Während die kommunale Steuerkraft (pro Einwohner) der Westländer 1513 DM (1999) erreichte, betrug die Vergleichszahl in Ostdeutschland 572 DM, also nur 38%. Auch Berlins kommunale Steuerkraft erreichte nur 50% des Niveaus westdeutscher Stadtstaaten. Allein um dieses Steuergefälle zu schließen, entsteht ein Transferbedarf von 8,8 Mrd. DM.

Mehrere wirtschaftswissenschaftliche Institute haben die künftigen Sonderbedarfe monetär abzuschätzen versucht. Daraus lassen sich Umfang und Schwerpunkte zum Abbau des Gefälles der ostdeutschen Transformationsökonomie ableiten:

- Die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Unternehmen vor allem im industriellen Sektor ist gut vorangekommen. Dennoch hat die Ausstattung der Betriebe mit Ausrüstungsgütern pro Erwerbstätigem in Ostdeutschland nur die Hälfte gegenüber den Westbetrieben erreicht. Diese Lücke macht 260 Mrd. DM aus.

Die Finanzhilfen sollten weiterhin die Modernisierung bzw. den weiteren Aufbau privatwirtschaftlichen Kapitals unterstützen. Es kommt auf zielorientierte Investitionshilfen an, um die transformationsbedingten Nachteile bei der privatwirtschaftlichen Kapitalbildung in Ostdeutschland zu kompensieren. Dazu gehören auch die bisher erfolgreich eingesetzten Hilfen zu Darlehen und Bürgschaften beispielsweise durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Finanztransfers müssen mit dem Abbau von Mängeln in den Unternehmen (Management in der Produktion, der Finanzierung und beim Absatz) verknüpft werden. Die Hilfen dienen der Selbsthilfe, d.h. nur in der Phase der Herstellung marktorientierter Konkurrenzfähigkeit.

In Ostdeutschland haben sich, wie gesagt, sog. regional umfassende Wachstumspole herausgebildet. Gegenüber den regionalen Wachstumspolen sind dringend die dagegen notleidenden Regionen zu fördern. Dazu gehört die Vernetzung zwischen den Unternehmen, um Know-how gemeinsam zu nutzen, Lieferbeziehungen auszubauen und Synergien auszuschöpfen. Gefragt ist eine innovative, qualitative Wirtschaftsstrukturpolitik. Qualifizierte Arbeitskräfte („Human Capital") sowie die Vernetzung mit dem praxisbezogenen Forschungskapazitäten an den Hochschulen sind wichtige Voraussetzungen – wie auch die „neue Wachstumstheorie" in den USA lehrt.

- In der Anfangsphase der Transformation war es ein schwerer Fehler, dass beim Umbau der Unternehmen vor allem die Treuhand-Anstalt zu wenig Zeit eingeräumt hat, um ein Sanierungskonzept zu entwickeln und umzusetzen. Dieser Fehler darf sich bei der zweiten Generation der Unternehmen, die noch nicht stabil sind, jedoch durchaus Chancen auf Wettbewerbsreife haben, nicht wiederholen. Bei Betrieben, die in die Krise geraten, jedoch im Prinzip überlebensfähig sind, sollten Sanierungsprogramme als begleitende Hilfe angeboten werden. Betriebsbezogen geht es um die zielorientierte Bündelung öffentlicher Hilfen, Bürgschaften und Kredite durch die Banken. In diesen Fällen steht der Tarifpolitik die „Härtefallregelung" zur Verfügung.

- Geradezu einer gefährlichen Legendenbildung kommt die Behauptung gleich, Ostdeutschland verfüge heute durch den Einsatz öffentlicher Finanzen aus Westdeutschland über eine hervorragende Infrastruktur. Selbstverständlich sind in dem Ausmaß wie ein Neuaufbau notwendig wurde, die Netze der Telekommunikation sowie des Verkehrs und kommunaler Infrastruktur auf modernstem Stand. Trotz enormer Leistungen gibt es jedoch weiterhin Bedarf am Ausbau des öffentlichen Kapitalstocks. Neuere Studien belegen die immer noch große Infrastrukturlücke. Sie macht gegenüber Westdeutschland immer noch 30% aus, d.h. in Ostdeutschland sind beim öffentlichen Kapitalstock je Einwohner bis 1999 nur 70% erreicht worden. Um die Lücke vollständig abzubauen, sind in den kommenden Jahren nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 250 Mrd. DM aufzubringen. Nach Berechnungen des „Rheinisch Westfälischen Instituts" müssten die derzeitigen Hilfen für die Infrastruktur um zwei Dekaden nach 2004 verlängert werden. Der Nachholbedarf beim Verkehr wird auf 53 Mrd. DM (20 Mrd. DM Autobahnen, 15,6 Mrd. DM Kreisstrassen) geschätzt. Für die Wasserversorgung seien nochmals 26 Mrd. DM und für die Abwasserentsorgung 20 bis 50 Mrd. DM einzusetzen. Die soziale Infrastruktur, also die Ausstattung mit ärztlicher Versorgung, Krankenhäusern und Schulen wird dagegen als recht gut bewertet. Die infrastrukturellen Leistungen für die Hochschulen haben zu einer im Vergleich Westdeutschlands teilweise besseren Ausstattung geführt.

– Angesichts der rund doppelt so hohen Arbeitslosenquote muss die Arbeitsmarktförderung auf dem bisher hohen Niveau fortgesetzt werden. Im Januar 2000 waren im Osten knapp 258 000 Menschen in Arbeitsmarktbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt, während es im Westen lediglich knapp 67 000 waren. Der Nettotransfer für den Ost-Arbeitsmarkt wird auch künftig sich auf hohem Niveau gehalten werden müssen. 1999 stiegen die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit in den neuen Ländern auf 39,2 Mrd. DM, die Beitragseinnahmen lagen mit 12,2 Mrd. DM weit dahinter. Das Defizit mit 27,1 Mrd. DM wurde durch Transfers von West nach Ost ausgeglichen. Dieser Transferbedarf wird so lange anfallen, so lange die Arbeitslosigkeit nicht nachhaltig zurückgehen wird. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die bis auf 2,5 Millionen geschätzte Lücke an Arbeitsplätzen gegenüber denjenigen, die auf Beschäftigung angewiesen sind, selbst bei Stärkung des Wirtschaftswachstums nicht nachhaltig reduziert werden kann. Schließlich nimmt insbesondere in der industriellen Produktion mit der steigenden Arbeitsproduktivität durch den Einsatz moderner Technologien die Beschäftigungsintensität des Wirtschaftswachstums ab. Da mit einer breiten Verkürzung der Arbeitszeit nicht zu rechnen ist, diese eher je Beschäftigten im Durchschnitt zunimmt, kann mit einer Entlastung der Arbeitsmärkte kaum gerechnet werden. Um so wichtiger ist es, die Entlastungsmaßnahmen durch die Arbeitsmarktpolitik nicht abzubauen, sondern für eine lange Phase der voranschreitenden Transformation zu sichern. Mit der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind drei Ziele zu berücksichtigen: Vermeidung sozialer Isolation und Qualifikationsverfall durch Arbeit, Um- und Weiterqualifizierung sowie Wertschöpfung in Bereichen, die die Märkte vernachlässigen, die jedoch für die Gesamtwirtschaft und Gesellschaft wichtig sind.

In den letzten Jahren sind große Beiträge der öffentlichen Haushalte, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der EU für die deutsche Einigung aufgebracht worden. Das Erfolgskriterium Angleichung der Wirtschaftskraft definiert zugleich die künftigen Aufgaben: Bis 1999 konnte nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft Anfang der neunziger Jahre das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner von ca. 30% auf 63% des Westniveaus (=100) 1999 angehoben werden. Dahinter verbergen sich öffentliche und soziale Infrastrukturleistungen, der Aufbau des privatwirtschaftlichen Kapitalstocks sowie entlastende Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Da noch deutliche Lücken bestehen, zwingt die Logik der bisherigen Anstrengungen ab 2005 mit dem Solidarpakt II ökonomisch, sozial und ökologisch die deutsche Einigung zu vollenden.

Derzeit wird die Realisierung dieses Zukunftsprojekts durch eine gespaltene Bewusstseinslage zwischen Ost und West schwer belastet. In Ostdeutschland bestätigen zwar Befragungen bei der Bevölkerung die Anerkennung der bisherigen Leistungen. Ängste vor sozialen Risiken, hohe Arbeitslosigkeit sowie das immer noch deutliche ökonomisch-infrastrukturelle Gefälle erzeugen Enttäuschung. Nicht die Gewinner, sondern die Verlierer der Einigung prägen stark die Bewusstseinslage. In der westdeutschen Bevölkerung nimmt die Akzeptanz der ohnehin nie hohen Bereitschaft, Transfers in Milliardenhöhe aufzubringen, eher ab. Der drohende Bau einer neuen, jetzt bewusstseinsspaltenden Mauer kann nur verhindert werden, wenn der Solidarpakt II eine klare und erfolgreiche Perspektive der Vollendung der Einigung im neuen Deutschland bietet.

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*) Dieses Manuskript ist die Grundlage eines Vortrags in Seoul, durchgeführt durch die Friedrich-Ebert-Stiftung in Südkorea. Es basiert auf zwei Veröffentlichungen
Jan Priewe/Rudolf Hickel, Der Preis der Einheit- Bilanz und Perspektiven der deutschen Vereinigung, Frankfurt a. M. 1991
dies., Nach dem Fehlstart – Ökonomische Perspektiven der deutschen Einigung, Frankfurt a.M. 1994


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