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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 25 ] Glück: Wie wollen Sie denn die Eltern erreichen? Selbst deutsche Kinder haben größte Probleme an der Schule, wenn sich das Elternhaus nicht dafür interessiert. Und wie finden Sie den Weg, daß die Eltern sich dafür interessieren, daß ihre Kinder Deutsch lernen? Das ist ja nicht nur immer eine Frage an die Schule, an den Staat. Woher kommt es, daß die Leute nicht mehr Ihr Programm anschauen? Gut, Sie können sagen, wir haben es wenig weiterentwickelt, aber darin drückt sich doch aus, daß sie sich viel mehr dafür interessieren, was in der Türkei geschieht, oder was in türkischer Kultur, Unterhaltung etc. läuft, als dafür, was in Köln passiert. Das kann man nicht durch einen politischen Beschluß verändern. Okkan: Mit dieser Einstellung kommen wir nicht an sie heran. Die Situation in Köln ist für sie nicht uninteressant. Nur: Die deutschsprachigen Medien, die wir haben, und die halbe Stunde türkische Sendung am Tag können ihnen das nicht vermitteln. Und selbst wenn sie es vermitteln, gibt es noch so viele andere Probleme, die in dieser Sendung erwähnt werden müssen. Sie hängen an ihren Medien, weil diese die Menschen noch ernst nehmen und in der Sprache senden, die sie verstehen. Glück: Türkischsprachige Sendungen könnten also ein Beitrag zur Integration sein. Okkan: Das könnten sie sein. Die Sendungen von Türken, Deutschen, Kurden, die hier leben und ihre Sozialisation hier erlebt haben, könnten auch für die älteren Türken sehr von Interesse sein. Das erleben wir immer wieder bei unseren Sendungen, etwa bei Call-in-Sendungen, wann das Interesse zunimmt, wann wir extreme Höhepunkte haben: Wenn wir [Seite der Druckausg.: 26 ] Probleme anpacken, die sie sehr direkt angehen. Ich glaube das ist der Kardinalfehler. Wir können nicht unterstellen, daß diese Leute sich nicht für ihre Lebensumgebung interessieren. Das stimmt nicht. Wir müssen ihnen nur leider in ihrer Sprache beibringen, welche Möglichkeiten es hier gibt, in was für einem sozialen, wirtschaftlichen, politischen Umfeld sie leben, daß das, was ein paar Kilometer weiter in Bonn passiert, genauso wichtig oder viel wichtiger ist als das, was in Ankara passiert. Nur haben wir nicht die Möglichkeit, ihnen das zu vermitteln. Ich glaube, wir müssen ganz anders rangehen. Wir müssen in der Lage sein, diese Menschen zu packen, wo sie sind: Sie sind in Köln, im Ruhrgebiet, in München, in Frankfurt. Das fehlt uns im Augenblick. Die verstehen uns nicht. Wenn Sie - das ist wieder die Medienproblematik - eine türkische Zeitung aufschlagen - das sage ich seit 20 Jahren - müßte ein Staatsanwalt tagtäglich wegen Volksverhetzung gegen diese Zeitungen vorgehen. Wir haben nicht die Zeit, das alles zu übersetzen. Seitdem ein Arzt, der mir persönlich bekannt ist, in Bielefeld drei, vier Artikel in Übersetzung an den deutschen Presserat geschickt hat, kriegen sie regelmäßig eine Rüge. Nur, was geschieht mit dieser Rüge? Die veröffentlichen das auf der 16. Seite als eine kleine Meldung - basta. Die Zeitungen haben eine Auflage von 200 000 bis 250 000. Die Landsleute, um die es geht, Migranten türkischer Herkunft, die hier leben, haben kein anderes Medium als diese Zeitungen. Das ist wirklich etwas, was man nicht hinnehmen kann. Man kann da eine Zeitung entgegensetzen oder einen Rundfunksender, einen Fernsehsender. Dafür gibt es bereits Vorarbeiten. Es klingt paradox, aber wir leben in dieser paradoxen Welt: Wir müssen jetzt eine türkischsprachige Sendung im Hörfunk oder Fernsehen machen, um deren Integration zu ermöglichen. Das ist der einzige Weg. Das wird der einzige Weg bleiben, auch für die anderen Generationen, die sich zwar mehr und mehr integrieren, aber die sich immer sozusagen "back to the roots" verbunden fühlen, weil sie sich in ihrer Sprache, in ihrer Persönlichkeitshälfte, in ihrer Persönlichkeitsduplizität als Deutscher und Türke mit ihrer türkischen Hälfte nicht ernstgenommen fühlen. Sie können den Leuten nicht sagen: "Du bist nicht gleichberechtigt. Du bist hier, aber Deine [Seite der Druckausg.: 27 ] Sprache erkenne ich nicht an". Dann können Sie nicht von ihm verlangen, daß er Sie mag, dann mag er Sie nicht. Dann ist er lieber bei den Türken im türkischen Verein, oder bei seinen türkischen Politikern, bei seinen türkischen Zeitungen. Die nehmen auch seine türkische Persönlichkeitshälfte ernst. Koydl: Wir haben noch einen langen Abend vor uns. Frau John ist uns eine Antwort schuldig. John: Ich würde sofort meinen Beruf an den Nagel hängen, wenn die Dinge so wären, wie Sie sie beschreiben. Ich sehe das total anders. Es ist einfach nicht wahr, daß die jungen Türken heute weniger gut deutsch sprechen als vor Jahren. Sie sprechen viel besser deutsch. Sowohl in der Eigeneinschätzung als auch in der Fremdeinschätzung. Wir können sofort Tests machen und Sie würden das sehen. Trotzdem erschreckend ist, daß Kinder, die in Deutschland geboren sind, bei Schuleintritt oft kein Wort Deutsch können. Das hatten wir nicht erwartet. Das hängt aber mit der Verdichtung in den Innenstädten zusammen, mit dem deutschsprachigen Milieu, das von dort inzwischen vollkommen weggezogen ist, und dagegen kann man wunderbare Dinge machen. Wir haben Mütterkurse in den Schulen eingerichtet, also Kurse für türkische und andere ausländische Mütter. Sie bringen ihre schulpflichtigen Kinder am Morgen in die Schule und setzen sich dann für 20 Stunden pro Woche für ein halbes Jahr selbst auf die Schulbank. Die Kurse sind alle überbelegt. Das finanzieren wir mit Volkshochschulmitteln. Das funktioniert. Wir unterrichten ein aus Israel importiertes Programm für Mütter mit vorschulpflichtigen Kindern. Die Mutter lernt deutsch, und diesen kleinen Vorsprung, den sie dann vor ihren Kindern hat, gibt sie gleich weiter. Ich kenne keinen Türken, der sagt "ich will kein deutsch lernen, ich lebe in einer türkischen Parallelgesellschaft". Das hat mir noch kein [Seite der Druckausg.: 28 ] Mensch gesagt. Auf die Idee würden sie auch gar nicht kommen. Sie wollen natürlich alle gut deutsch können. Sie wissen auch, wie schwierig das ist. Vieles hat sich positiv entwickelt. Alle Sportvereine, auch alle türkischen, "Türk-Spor" und "Türkiye Spor", das sind alles schon gemischte Vereine. Da spielen Deutsche und Jugoslawen und Türken und was weiß ich. Das ist wirklich besser geworden. Und natürlich machen heute 70 Prozent der Türken einen Schulabschluß, oder 30 Prozent machen ihn nicht. Aber die, die ihn nicht machen, sind zu viele. Es sind eben viermal mehr als bei der deutschen Bevölkerung und das muß uns Sorgen machen. Und wenn wir zurückdenken, vor 1971 - ich war selber damals bei der Aktion Bildungswerbung beteiligt - sehen wir: Der benachteiligte Typus war das katholische Mädchen vom Lande. Es hatte nie eine Chance in der Bildung: zuerst die Zwergschule, dann war das Gymnasium zu weit weg, die Eltern wollten es nicht zur Schule gehen lassen. Dieses katholische Mädchen vom Lande ist heute längst Bundestagsabgeordnete der Grünen. Heute ist der benachteiligte Typus der türkische oder arabische Jugendliche aus der Großstadt. In ihn müssen wir investieren. Auch das Heiratsverhalten hat sich verändert. Ich kann all diese Dinge belegen, weil Berlin die einzige Stadt ist, die regelmäßig auch Umfragen bei der jungen Berliner Bevölkerung türkischer Herkunft macht. Heute heiraten nur noch 50 Prozent der türkischen Männer eine Partnerin, die sie direkt aus der Türkei holen. Bei den Frauen sind es nur noch 20 Prozent. Ein übrigens interessanter Unterschied, der aber klar ist: Die Männer wollen ein traditionell erzogenes Mädchen haben, die Frauen wollen einen modern erzogenen Mann haben. Das alles war vor vielen Jahren ganz anders. Das heißt jetzt nicht, daß ich die Probleme, die ich auch geschildert habe, verharmlosen will. Aber die Trends sind im Großen und Ganzen positiv. Ich gebe Ihnen in vielem Recht. Wir haben nie eine Didaktik entwickelt für den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache. Wir haben alle gedacht: wenn die Ausländer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben, dann lernen sie Deutsch von ganz alleine. Aber das lernt man natürlich nicht von selber, schon gar nicht wenn man Eltern [Seite der Druckausg.: 29 ] hat, die selbst keine Schulausbildung genossen haben. Das hätten wir aus pädagogischen Gründen klarer sehen sollen. Das muß man jetzt - so gut man es eben kann - nachholen und darf die Mittel für die Integration natürlich nicht kürzen. Deshalb würde ich sagen, daß die Integration im Großen und Ganzen gelungen ist. Wir müssen uns klar machen: Wir wollten damals ungelernte Arbeitskräfte haben. Die haben wir eins zu eins bekommen. Das sind Leute, die auch in den türkischen "gecekondus" ihre Schwierigkeiten haben, auch nicht in der zweiten und dritten Generation hochkommen. Wie sollen sie dann erst bei uns in der zweiten und dritten Generation hochkommen? Das hat doch bei der deutschen unqualifizierten Schicht auch nicht nur 50 Jahre gedauert. 1961 war der Anwerbevertrag und dann sind eigentlich erst Ende der 70er Jahre die Familienangehörigen in größerer Zahl gekommen. Integration ist eine Jahrhundertaufgabe, darüber muß man sich im Klaren sein. Und sie muß mit Stetigkeit und Konsequenz verfolgt werden. Man darf die Probleme nicht verniedlichen, aber man darf auch nicht dramatisieren. Wir sind alle zur Entdramatisierung verpflichtet, weil wir Grund dazu haben. Dann sehen wir die Probleme klarer und können da ansetzen, wo wir wirkliche Versäumnisse aufgezeigt haben. Ich denke, daß das meiste korrigierbar sein wird. Das größte Problem ist von Herrn Glück angesprochen worden: ich finde, daß der Arbeitsmarkt das Problem Nummer eins ist. Wir lassen Leute ins Land, für die wir hier in Deutschland keinen Arbeitsmarkt haben. Die Jobs für Menschen ohne Qualifikationen sind heute nicht mehr bezahlbar - nun gibt es zwar zum Glück eine Entwicklung mit den Kombi-Löhnen, das wäre ein Möglichkeit -, aber das macht die Leute strukturell von vornherein zu Sozialhilfeempfängern. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter den Ausländern ist inzwischen dreimal so hoch wie unter der deutschen Bevölkerung. Ich will nur einmal eine Zahl nennen, die die ganze Misere deutlich macht: Wir hatten 1980 4,4 Millionen Ausländer und fast 2,2 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Ausländer; wir haben inzwischen 7,3 Millionen Ausländer und haben 2,1 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wenn diese Zahlen nicht Bände sprechen! Zwar haben [Seite der Druckausg.: 30 ] wir auch die paar Selbständigen, wir haben auch mehr Studenten und junge Leute, die länger auf die Schulen gehen. Aber sie kompensieren nicht diese Riesenunterschiede. Wir haben es bei den Ausländern, gerade auch bei den Türken, mit einer sehr jungen Bevölkerung zu tun. Da gibt es nicht die Leute, die ins Rentenalter mit den großen Prozentzahlen abdriften. Hier liegt das eigentliche Problem. Gebt ihnen doch gleich eine Gewerbeerlaubnis! Warum lassen wir sie nicht gleich ihr eigenes Unternehmen gründen? Wir kommen ja gar nicht auf diese Idee! Warum nicht weg mit vielen Bestimmungen, die ihnen Möglichkeiten auf dem selbständigen Markt verstellen? Da könnten sie sich tummeln, da haben sie Ehrgeiz, da entwickeln sie sich, da sind sie begabt. All das ist nicht gemacht worden und das hemmt strukturell sehr die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt von schlecht qualifizierten Menschen. Koydl: Herr Andres, das geht eigentlich Sie an, oder anders gefragt: Was heißt Scheinselbständigkeit auf Türkisch? Andres: Das weiß ich nicht. Koydl: Na ja, aber der Vorschlag von Frau John ist ja ganz interessant. Warum nicht Gewerbescheine, warum nicht selbständig machen lassen? Klose: Darf ich noch was sagen zu ihrer Analyse? Wir werden das ja alle erleben, wie das in Berlin aussieht, wir gehen ja demnächst hin. Ich erinnere mich aber an eine längere Artikelserie in der FAZ vor etwa einem Jahr speziell über die Berliner Situation. Nun ist die FAZ ja vielleicht eine Zeitung, die die Wirklichkeit nie richtig wahrnimmt. Aber die Artikel beschrieben die Wirklichkeit jedenfalls anders, als [Seite der Druckausg.: 31 ] Sie es schildern. Völlig anders. Und meine Wahrnehmung in Hamburg, und ich lebe in einem Stadtteil mit einem türkischen Anteil von etwa 35 Prozent, ist anders. John: Frauen und Ausländer sind noch nie gut weggekommen in der FAZ. Klose: Ich bin ja bereit Ihnen zu glauben, weil das so optimistisch klingt - und man muß ja als Politiker ein Mindestmaß an Optimismus auf sich nehmen. Ich nehme die Realität aber anders wahr: Es gab früher gemischte deutsch-ausländische Vereine in Hamburg. Das hat deutlich abgenommen. Sie haben irgendwann - und ich vermute, daß dahinter auch Politik steckt - angefangen sich zu separieren, ihre eigenen Vereine zu gründen. Es gibt gemeinsame noch im Kleinstkinderalter. Aber spätestens im Alter von acht, neun, zehn Jahren separieren sie sich und haben ihre eigenen Vereine. Wenn sie Fußball spielen gibt es übrigens bei türkischen Vereinen in den Stadtgebieten in der Regel enorme Sicherheitsvorkehrungen, weil sie sich hinterher in der Regel fürchterlich prügeln mit großen Abmahnungen. Ich habe gerade einen Bericht gelesen, veröffentlicht vom DIW, der zeigt, daß die Bildungsbeteiligung schon der türkischen jugendlichen Bevölkerung deutlich rückläufig ist verglichen mit den Pro-Kopf-Zahlen. Und drittens, registriere ich allein vom äußeren Bild - kommen Sie mal in meinen Stadtteil: Sie sehen in Ankara nicht so viele Frauen mit Kopftüchern wie hier in der Freien Hansestadt Hamburg. Bagci: Ganz richtig. Klose: Das ist so. Und darin drückt sich aus, daß gezielt Politik gemacht wird. Bezogen auf die jugendlichen Türken ist das Wirken von Milli Görüs so, daß Sie den Verein dringend verbieten müssten. Dringend. [Seite der Druckausg.: 32 ] Schlimm, was da passiert. Es gibt ein paar andere wichtige Organisationen, die zu allem raten, bloß nicht zur Integration. Und natürlich sind die politischen Parteien hier unentwegt tätig. Der frühere Bürgermeister von Istanbul war regelmäßig alle 14 Tage in Deutschland, immer in anderen Bereichen und hat gepredigt. Und wenn ich mir den Presseüberblick anschaue, der in der Türkei und hier erscheint - ich bekomme den immer in Auszügen seit einem guten halben Jahr zu lesen - da kann mir nur schlecht werden. Man muß verhindern, daß das ins Deutsche übersetzt wird. Wenn das die Deutschen lesen würden! Wirklich ganz schrecklich, was da drin steht. Frau John, ich stimme Ihnen zu: Man muß alles versuchen. Ich finde den Vorschlag mit den Ganztagsschulen wichtig, man muß alle Möglichkeiten, die man hat, nutzen, aber man muß sehen, daß wir in ein gravierendes Problem hineinlaufen. Wir werden in spätestens 15 Jahren eine anerkannte Minderheit haben. Dies sehenden Auges zuzulassen halte ich für sehr, sehr riskant - und jetzt sage ich etwas Schreckliches: gerade in einer Zeit, in der wir miterleben, welche Rabiatheit ethnische Auseinandersetzungen entwickeln können. Und ich füge noch hinzu, damit wir uns über die Dimension klar werden: wir haben eine ganz spezifische demographische Entwicklung; in den inneren Stadtteilen Berlins rund um den Reichstag kennen Sie die Mehrheitsverhältnisse schon heute besser als ich. In der Stadt Bielefeld werden in dem aktiven Alter etwa von 35 bis 45, 50 Jahren die türkischen Mitbürger schon in etwa zehn Jahren die Mehrheit stellen. In meinem Stadtteil Wilhelmsburg, die Jugendlichen bis 25 Jahre in etwa acht Jahren. Ich hoffe, daß wir alle weise sind und aus der Geschichte gelernt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob wir damit zurechtkommen. Bagci: Herr Klose, ich teile Ihre Meinung nicht, daß die türkische Regierung die Türken hier als fünfte Kolonne benutzen will. Die fünfte Kolonne hat in der Politikwissenschaft eine sehr negative Bedeutung. Die [Seite der Druckausg.: 33 ] Regierungen in der Türkei haben nicht dieses Bewußtsein, sie so zu benutzen. Es ist aber richtig, daß die Türken in Deutschland zum ersten Mal als einen politischen Faktor anerkannt werden von der türkischen Regierung, die bis jetzt von diesem Phänomen keinen Gebrauch gemacht hat. Man sollte aber auch sehen, daß die deutsche Sprache in der Türkei ihre Bedeutung total verloren hat. Englisch ist Nummer eins. Und die deutsche Kulturpolitik, besonders in der Türkei, sollte hier auch kritisiert werden. Wie sie in den letzten zehn Jahren gehandhabt wurde, war sie falsch. Wir an der Marmara Universität unterrichten in Englisch, aber ich schlage jedem meiner Studenten vor, Deutsch zu lernen. Wir versuchen das Interesse für die deutsche Sprache zu erhöhen, aber im globalen Sinne ist Englisch das Latein des 20. Jahrhunderts. Voriges Jahr in München beim Parteitag der CSU hat entweder der Generalsekretär oder irgend jemand anderes gesagt: Die deutschen Wahlen werden nicht in Ankara bestimmt, sondern in Bonn. Es gab eine Periode, wo beide Seiten wirklich aufeinander eingeschlagen haben, es war ein Medienkrieg, ein Krieg der Worte und ich glaube, Herr Kohl hat sich sehr ruhig verhalten, wie ein Staatsmann sich zu verhalten hat. Er hat gesagt, daß er mißverstanden worden ist, daß er nichts gegen das türkische Volk hat. Das hat in der Türkei eine sehr positive Resonanz gefunden. Sprache erlernen ist eine Fähigkeit. In der Türkei haben wir etwas mehr als zehn Millionen Leute, die die türkische Sprache nicht beherrschen. Wie können Sie von denjenigen, die ohne diesen Hintergund hier als erste und zweite Generation leben, erwarten, die Kultur- und Philosophiesprache Deutsch zu lernen? Ich denke, daß beide Seiten, die Türken und die Deutschen, Fehler gemacht haben. Die türkische Regierung hat die Türken hier nur als Geldanlage, Geldgeber gesehen, und die Deutschen haben immer erwartet, daß sie eines Tages zurückgehen. Durch die innen- und außenpolitischen Entwicklungen seit den 90er Jahren sind die [Seite der Druckausg.: 34 ] Deutschen und Türken in eine neue Phase hineingeraten, in der die deutsche Wiedervereinigung vor allem die Türken sehr stark getroffen hat. Wenn die deutsche Wiedervereinigung nicht stattgefunden hätte, dann hätten wir heute eine andere Situation. Die Türken und die Deutschen haben eine spezielle Beziehung. Es gibt keine anderen zwei Länder, die aus so unterschiedlichem kulturellen Background kommen und so miteinander verknüpft sind. Es gibt kein anderes Beispiel. Und jetzt werde ich meinem türkischen Kollegen etwas sagen: Er hat ja seine wertvollen Erfahrungen sehr gut ausgeführt. Aber wenn Sie sagen, von der türkischen Seite sollte man niemals etwas erwarten, dann schieben Sie das Problem nur auf eine Seite. Es ist ein gemeinsames Problem. Und die türkische Regierung und die Türken müssen etwas tun. Sie müssen dieselbe Verantwortung übernehmen wie die andere Seite. Wenn beide Seiten weder politische noch soziale noch wirtschaftliche Verantwortung übernehmen, dann wird dieses Problem weiterbestehen. Warum die Türken hier die deutschen Programme nicht sehen, sondern die türkischen, liegt nicht daran, daß die Türken bessere Programme machen als die Deutschen, sondern es geht darum: in der Türkei haben wir eine andere Tendenz. In der Türkei gucken mehr als zwei Millionen Menschen jeden Tag RTL, Pro Sieben und Deutsche Welle - das sind mehr als hier in Deutschland. Das heißt, wir haben zwei Tendenzen: die hiesige ist desinteressiert, in der Türkei ist sie interessiert. Die Türkei ist eine sehr dynamische Gesellschaft, sie entwickelt sich sehr schnell. Wir haben in Deutschland zwei Parallelgesellschaften. In der Türkei haben wir vier: Dort gibt es Menschen, die in der Agrargesellschaft leben, es gibt welche in der vorindustriellen und in der industriellen Gesellschaft, und wieder andere leben im Informationszeitalter. In der Türkei verfolgen mehr als fünf 5 Millionen Menschen, das sind mehr als ganz Dänemark, jeden Tag die Welt per Internet. In Istanbul, Ankara, Izmir, haben wir eine Elite, die die Welt anders versteht als die deutsche Elite. Ich glaube diese Elite-Perzeption hat sich in den letzten zehn Jahren total [Seite der Druckausg.: 35 ] verändert. Wir haben hier in Deutschland eine neue Generation, deren Türkeibild ganz anders ist, als diejenige Generation in der Türkei, die von Deutschland ein ganz anderes Bild hat. Es gibt eine Asymmetrie, die uns voneinander entfernt. Wie können wir das wieder umkehren? Existenzstrategie ist sehr wichtig, besonders für die Türken, die in Europa einen Platz suchen und auch auf lange Sicht haben werden - davon bin ich überzeugt. Wir werden uns bemühen. Es gibt eine große "illiteracy" zwischen den Menschen. Wir leben in gewissen Subkulturen und wir wollen unsere Politik nur bezogen auf diese Gruppierungen machen. Das führt natürlich besonders zu den deutsch-türkischen Problemen. Das Diaspora-Gefühl ist sehr wichtig. Die Türken haben in den letzten 50 Jahren festgestellt, daß sie im Ausland zu leben haben, sie werden auch die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen - das wird auch vom türkischen Staat unterstützt. Integration geschieht in demokratischen Gesellschaften nur dadurch, daß die Leute politisch partizipieren. Hier haben wir gewisse Defizite in der Türkei, Deutschland ist viel besser. Deswegen sollte es von der Türkei aus einen Schub geben, daß die Leute sich hier mehr beteiligen. Ich glaube, man sollte es nicht übertreiben, was die türkischen Parteien und die türkische Regierung und ihr außenpolitisches Programm und die Auslandstürken angeht. Die Türkei hat gewisse Probleme. Die Türkei kann nicht eine Politik betreiben, die nur auf Illusionen basiert. Die Türkei muß eine Realpolitik betreiben, und die sagt, daß die Türkei mit Deutschland und Europa zusammenarbeitet. Wir haben eigentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Die Frage ist nur: weder wissenschaftlich noch politisch hat man daran gearbeitet. Wir haben in letzter Zeit in der Türkei eine neue Entwicklung: Wir nehmen Europa mehr unter die Lupe als früher. Das ist sehr wichtig. Sie haben hier Orientalisten. Aber wir haben keine Okzidentalisten. Es ist wichtig, daß wir unserer Bevölkerung vermitteln, was in Deutschland, in England passiert. Die Integration in europäische Institutionen seit den 50er Jahren hat dazu gedient, daß die Türkei einen gewissen demokratischen Punkt erreicht hat, der mit keinem anderen Nachbarland zu vergleichen ist. [Seite der Druckausg.: 36 ] Lange: Eine dringende Zwischenfrage von Hans-Ulrich Klose. Dann gebe ich Osman Okkan das Wort. Klose: Das ist interessant, was er erzählt. Die Elitenentwicklung in der Türkei und in Deutschland verläuft in der Tat unterschiedlich. Nebenbei hat die türkische Elite schon deshalb Probleme mit Deutschland, weil sie nicht wahrgenommen wird, sondern die Türkei wird wahrgenommen in der Gestalt derer, die hier sind. Und die sind in der Regel nicht Elite, sondern kommen eher aus einem ganz anderen Milieu. Livaneli hat mir das mal gesagt, daß das sein größtes Problem ist: daß wir alle auf die Türkei so sehen, wie auf den Großteil der Zuwanderer, die hier sind. Aber das ist nicht die Frage. Ich wollte fragen, muß man nicht zwei gegenläufige Entwicklungen - das demographische Problem lasse ich jetzt mal außen vor - in der Türkei und in Westeuropa insbesondere auch in der Bundesrepublik Deutschland sehen, die möglicherweise zu der Situation beitragen? Das erste ist: Wir erleben ja gegenwärtig in der Türkei - die letzten Wahlen haben das ja mehr als deutlich gezeigt - einen Prozeß der Renationalisierung, eine Zunahme nationaler Gefühle, die man schon nationalistisch nennen muß, während wir uns in Westeuropa eher von Nationalismen entfernen - die Deutschen wegen ihrer Geschichte möglicherweise noch etwas mehr als andere. Und die zweite gegenläufige Grundtendenz: In der Türkei und in anderen Teilen der Welt existiert eine starke religiöse Renaissance, eine Reislamisierung. In Westeuropa und in der Bundesrepublik gibt es eher eine Säkularisierung, eine Entchristlichung, jedenfalls spielen religiöse Fragen eine immer geringere Rolle. Das sind zwei deutlich gegenläufige Mega-Trends. Welche Auswirkung hat das auf die jeweilige Perzeption der Realitäten bei dem anderen? [Seite der Druckausg.: 37 ] Bagci: Seit den 90er Jahren erleben wir eigentlich eine Renaissance der ethnischen Identität. Wir Türken leiden zur Zeit darunter, und in allen Fernsehdiskussionen wird jetzt einfach die ethnische Identität gefragt. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht bestimmen können. Sie ist Teil des Globalisierungsprozesses und keine türkische Entwicklung. Die türkische Politik renationalisiert sich, das stimmt. Sicherlich hat die kurdische Frage dazu beigetragen. Und ich sehe für die kommenden Jahre, daß diese Tendenz weiter läuft, aber es läuft auch in den europäischen Staaten, sowie in Rußland und Zentraleuropa - wir waren mit Frau Barbara John in England, und wir haben auch da gesehen, welche Probleme wir eigentlich haben, die wir aber immer wieder verdrängt haben. Nationalistische Gruppierungen haben heutzutage alle technischen Feinheiten und Möglichkeiten, um sich auszudrücken. Es ist in der Tat richtig, daß es in der Türkei eine nationalistische Tendenz gibt - das bestreite ich nicht. Sie hat eine sehr negative Auswirkung gehabt auf die türkisch-europäischen Beziehungen. Seit dem Luxemburger Beschluß haben wir eine non-dialogue-policy. Bis jetzt haben wir keinen einzigen politischen Fortschritt erreichen können. Die letzten Wahlen haben nochmal gezeigt, daß die nationalistischen Tendenzen in der Türkei gut zu verkaufen sind. Ob das für die Türkei gut ist, ist eine andere Frage. Ich glaube, für die Türkei wäre Demokratisierung besser als Renationalisierung. Ich bin vielleicht einer der wenigen in der Türkei, der für die europäischen Beziehungen eintritt, dafür, daß wir eine funktionierende Beziehung aufbauen. In Deutschland bin ich ein Vertreter der Türkei, wenn ich in der Türkei bin, bin ich ein Europavertreter, und das ist natürlich etwas schwierig zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Religiöse Renaissance: Es ist richtig, zur Zeit haben wir in der Türkei sehr interessante Entwicklungen. Mit einem Unterschied: unsere demokratischen, sozialen und politischen Entwicklungen sind so schnell, daß diejenigen, die in der Türkei leben, Schwierigkeiten [Seite der Druckausg.: 38 ] haben, das zu verfolgen und zu antizipieren und eine dementsprechende Politik zu machen. Vielleicht befinden wir uns in einer Phase unserer Geschichte, in der wir viele Dinge, die Europa vor 50 oder 100 Jahren gemacht hat, rasant nachholen, und wir machen natürlich dabei viele Fehler. Und die türkische Demokratie ist natürlich auf dem Prüfstand. Die Reislamisierung: Dieses Wort wird in Deutschland sehr viel benutzt. Ich glaube das ist nicht richtig: Sie können nicht die Leute re-christianisieren oder re-islamisieren. Das ist eine Frage der kulturellen Identität. Aber eines kann ich akzeptieren, und das ist wichtig, nämlich daß wir jetzt in der Türkei eine neue Generation haben, die zu der Religion eine andere Beziehung hat als die anderen. Die Frage ist hier wieder die Asymmetrie. In der Türkei, besonders durch die Entwicklung im Kaukasus, in Zentralasien, ist der Islam in der Tat der prägende, der verbindende Faktor geworden. Das hat nichts damit zu tun, ob wir das wollen, sondern es ist einfach durch das Ende des Kalten Krieges so gekommen, daß der Islam im allgemeinen Sinne eine neue Renaissance erlebt, und die Türkei bekommt ihren Anteil. Wir sind eines der wenigen Länder, die von dem Globalisierungsprozeß, was die ethnische Identität und die religiöse Renaissance angeht, am meisten betroffen sind. Wir waren gerade in der Ukraine und in Jalta vor ein paar Wochen: wenn ich von Jalta aus auf die Türkei sehe, oder aus Bulgarien oder aus dem Süden, dann sehe ich, daß die Türkei in der Tat in einer besonderen geographischen, geostrategischen, ökonomischen und politischen Lage ist, und daß sich unsere intellektuelle Elite in den letzten zehn Jahren nicht den neuen Voraussetzungen angepaßt hat. Deswegen ist die Renationalisierung das einfachste, weil sie damit alles ablehnen können. Aber das ist nicht gut. Okkan: Ich habe zwei Anmerkungen. Bei allem Unterschied der Ausgangssituation, sagen wir alle, daß es ein Problem gibt. Wir wollen es alle in einer bestimmten Weise beschreiben. Aber die Situation ist wirklich problematisch. Wenn wir das so weiter laufen [Seite der Druckausg.: 39 ] lassen in dem Glauben, daß einiges schon besser geworden ist in den letzten Jahrzehnten - und das glaube ich auch - werden wir sehr unangenehme Zustände erleben. Es ist richtig: In der Türkei gibt es ein Erstarken des Nationalismus, eine Ethnisierung der Gesellschaft, ein Erstarken des Islams. Aber diese Realitäten gelten auch hier bei den Türken, in der hiesigen Parallelgesellschaft. Und die Antworten darauf haben wir noch nicht, weil wir sagen, "das sind ja Probleme in der Türkei, mit denen die Türkei fertig werden müßte". Sie ist überhaupt nicht imstande, damit fertig zu werden. Und wir müssen etwas ganz anderes überlegen: Wir in Deutschland lebenden Menschen müssen mit der paradoxen Situation fertig werden, daß die islamischste aller Gruppierungen, Milli Görüs zum Beispiel, ganz radikal seit Jahren propagiert: Werdet Deutsche, geht in die deutschen Schulen. So müssen wir uns wirklich auch mit denen auseinandersetzen. Es reicht nicht, dies bloß zur Kenntnis zu nehmen. Insofern bin ich sehr dafür, daß man von der Haltung wegkommt, das Problem erledige sich von selber, und daß man wirklich ganz ernsthafte konkrete Schritte überlegt und das sehr schnell in die Tat umsetzt. Den einen Gedanken finde ich sehr wichtig in diesem Zusammenhang: Warum ist es in den letzten Jahren zu einer Wende gekommen? Die Parallelgesellschaften entwickeln sich fast schneller. Warum wenden sich die Migranten von der deutschen Gesellschaft ab? Das hat natürlich mit der Wiedervereinigung zu tun, insofern daß ein ganz anderes Nationalbewußtsein in Deutschland auf die Tagesordnung kam. Aber genau das ist das Problem: dieses vielleicht nachgeholte Nationalbewußtsein bei den Deutschen. Viele jüngere Ausländer mit denen ich sprach, haben sich z.B. damals gewundert, daß plötzlich die deutsche Hymne im deutschen Fernsehen zu sehen war. Bis dahin war das nicht der Fall oder sehr selten. Und dann kam das ja regelmäßig. Wir können das soziologisch so erklären, daß wirklich ein Nachholbedarf da war, der ganz gesund sein kann. Dies wurde auch durch die Wiedervereinigung verwirklicht. Nur, das hat auf der anderen Seite besonders in den neuen Bundesländern dazu geführt, daß die ausländerfeindliche Stimmung zunahm. Schon in den 80er Jahren - ich erinnere mich ganz genau an die [Seite der Druckausg.: 40 ] Regierungserklärung - wurde die Ausländerproblematik zu einer der drei wichtigsten innenpolitischen Sicherheitsfragen hochgeschaukelt, und man sagte: die Zahl muß weniger werden. Und dann gab es Rückkehrprämien, Rückkehr-programme. Diese Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe in den Augen der Mehrheit hat dazu geführt, daß ausländerfeindliche Stimmungen hier zunahmen, und dann kam es auf der Gegenseite natürlich zu diesem Pendelschlag. Es gibt verschiedene Erklärungsversuche für die Situation, nur: sie reichen nicht. Wir müssen etwas unternehmen. Wir müssen diese Menschen in ihrer Ganzheit, wie man heute so schön sagt, ernst nehmen, daß sie selbstverständlich ein Teil dieser Gesellschaft sind, aber daß sie mit ihrer Persönlichkeit natürlich noch ein Teil ihres Herkunftslandes sind, aber daß sie hier leben, daß sie ihre Probleme hier lösen müssen, mit Ihnen gemeinsam. Ich habe nichts dagegen, wenn die türkische Regierung irgendwann in der Lage wäre, wirtschaftlich, politisch und demokratisch auch einen Beitrag zur Integration ihrer Landsleute hier zu leisten. Nur sehe ich das noch nicht. Wenn ich mir die wirtschaftlichen Daten angucke, mit denen die Türkei zu kämpfen hat und womit diese Kluft zwischen der Elite einerseits und zwischen den Massen andererseits immer größer wird, sehe ich den Punkt noch nicht. Aber wenn das wirklich eintritt, hätte ich nicht das Geringste dagegen. Bagci: Wir wollen das. Okkan: Ja, natürlich. Daß wir das wollen, ist unbestritten. Ganz kurz möchte ich noch auf die Frage eingehen, wie fühle ich mich. Ich fühle mich wie ein in Deutschland lebender Mensch türkischer Herkunft, ich bin sehr zufrieden damit. 19 Jahre hatte ich überhaupt keinen Paß, 1976 hat mich die damals regierende Nationale Front ausgebürgert. Meine Ausbürgerung hat jemand betrieben, der heute Staatsminister ist. Dann habe ich einen Fremden-Ausweis bekommen. Ich war sehr zufrieden [Seite der Druckausg.: 41 ] damit. Ich durfte in jedes Land dieser Erde, nur nicht in die Türkei. Aber ich war durch meine Tätigkeit sehr eng verbunden und sehr gut informiert über die Türkei. Jetzt kann ich auch die Türkei besuchen. Ich bin aber sehr dankbar - durch einen Zufall kam ich zum Studium hier nach Deutschland -, daß ich auch deutsch lernen konnte. Es ist auch ein Schlüsselbegriff, wenn ich sage: die Menschen fühlen sich sehr wohl und fühlen sich sehr zu Hause, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, daß sie sich in dieser Gesellschaft behaupten können. Aber ob Arbeiter, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger oder Gewerbetreibende: Sie müssen mit diesen Merkmalen ausgestattet werden, damit sie sich hier behaupten können, dazu gehört natürlich die politische Gleichberechtigung. Das ist sehr, sehr wichtig. Wir müssen ihnen dieses Gefühl, diese Würde geben, daß wir sie als solche Menchen anerkennen. Ihre Antwort würde eine ganz andere sein, als wir sie heute erleben. Die Segregationspolitik sollten wir aufgeben. Bagci: Wird diese Würde wirklich nicht gegeben? Daß die Deutschen diesen Leuten nicht die Würde geben, sich politisch zu beteiligen? Ich glaube, die deutschen Regierungen haben bis jetzt gesagt, daß wenn sie Deutsche werden wollen, dann hat jeder das Recht sich politisch zu behaupten. Die Frage ist nicht, ob man das gibt, sondern ob man von den gegebenen Rechten auch Gebrauch macht. In der Türkei ist eine Gruppe von zwei Millionen Menschen in der gleichen Lage wie die in Deutschland. Deren Situation ist in der Türkei schlimmer als hier bezogen auf die politische Beteiligung, die wirtschaftliche Lage. Deswegen ist die Frage hier - wie Herr Glück bereits gesagt hat: Wie kann man diese Leute motivieren, daß sie hier die deutsche Bürgerschaft annehmen? Und hier hat die Türkei eine große Aufgabe. Die Türkei muß es den Leuten sagen, daß sie in Scharen deutsche Staatsbürger werden. In der Türkei erwartet keiner, daß sie zurückkommen. Nicht mehr. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000 |