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Schulz, Paul (1873 - 1953)

Geboren am 25. Dezember 1873 in Berlin als Sohn eines Schankwirtes, verheiratet, evangelisch, später Dissident. Erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Schuhmachers. Ende der neunziger Jahre Eintritt in die privat betriebenen "Englischen Gasanstalten", die den Südwesten, Westen und Nordosten Groß- Berlins mit Gas versorgten. Seit dem 30. September 1899 Mitglied im damaligen "Verband der in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Unterangestellten". Seine völlige Rechtlosigkeit als Gasarbeiter prägten sein Weltbild weit in die Weimarer Republik hinein. Blieb sozialpolitisch stark vom ersten Verbandsprogram des Vorsitzenden Poersch geprägt, in dem erstmals die Idee eines "Bedarfslohns" formuliert wurde.

Nach dem 2. Verbandstag vom 16. bis 17. April 1900 in Berlin zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt, der in den ersten sechs Jahren der Organisation ebenfalls in der Hauptstadt residierte. Hatte das höchste, gewerkschaftliche Kontrollamt bis zum Frühjahr 1902 inne. Im Juli 1903 als einer der führenden Streikorganisatoren in den Gasanstalten entlassen. Einstellung in den städtischen Werken als Straßenfeger. Der gelernte Schuhmacher war im Spätherbst 1904 maßgeblich beim Anschluß der Berliner Straßenreiniger an den freigewerkschaftlichen Zentralverband beteiligt; scharfe Auseinandersetzungen mit der liberalen Straßenreinigerorganisation, die rasch in Berlin ihre dominierende Rolle einbüßte. [1905] zum Sektionsleiter der Berliner Straßenreiniger gewählt. Im gleichen Jahr Wahl zum ehrenamtlichen Beisitzer in den Vorstand der Berliner Filiale. Die Berliner Generalversammlung wählte den angesehenen Sektionsleiter der Straßenreiniger zum hauptamtlichen Büroangestellten. (Verbandsname ab 1906: "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter".) Seit 1907 - bis in das erste Jahr der Weimarer Republik hinein - besoldetes Vorstandsmitglied der Berliner Filiale. Zunächst mit den Aufgabengebieten Aktenregistratur und Bibliothek (innere Verwaltung) und der Agitation der Straßenreiniger und der Arbeiter der Innenbetriebe der Gaswerke betraut.

Im Juni 1907 von der Berliner Mitgliedschaft in die Agitationskommission der Groß Berliner Organisation gewählt. 1912 war Paul Schulz federführend am Vorstoß der Berliner Filiale beteiligt, das halbe Hundert von Arbeits- und Dienstordnungen in den städtischen Betrieben durch einen Tarifvertrag abzulösen. Ein Unternehmen, das noch zum Scheitern verurteilt war. Zu Beginn des Jahres 1915 zum Kriegsdienst eingezogen, kehrte das Berliner Vorstandsmitglied nach einer schweren Erkrankung im Frühjahr 1917 in die Hauptstadt zurück, ohne erneut zum Heeresdienst einberufen zu werden. Im Januar von der Berliner Mitgliedschaft als Schriftführer in den Filialvorstand gewählt, wechselte der Berliner im April/Mai 1919 nach 13jähriger hauptamlicher Tätigkeit für die größte Filiale des Verbandes in den Dienst des Hauptvorstandes über. Schulz hatte sich zu Beginn des Jahres 1919 auf die Ausschreibung eines hauptamtlichen Sekretärs im Hauptvorstand beworben, nachdem er als Mehrheitssozialdemokrat mit dem kurzzeitig dominierenden USPD/KPD-Flügel im Berliner "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" nicht zurecht kam. Künftig scharfer Kritiker linksoppositioneller Gewerkschaftstaktik. Auf dem 8. Verbandstag vom 1. bis 6. September 1919 in Nürnberg als besoldeter Sekretär in den Hauptvorstand des Verbandes gewählt. Durch Beschluß des Verbandsvorstandes wurde Paul Schulz die Leitung der Reichssektion Krankenpflege-, Massage- und Badepersonal im Oktober 1919 übertragen, nachdem Richard Maroke als Vorstandsmitglied zurückgetreten war und andere Funktionen übernommen hatte.

Die Organisation des Pflegepersonals und die Ausgestaltung des Tarifvertragswesens des Verbandes nahm über ein Jahrzehnt die Kraft des neuen Vorstandsmitgliedes in Anspruch. Referat "Die soziale Lage und die Organisation des Personals in den Krankenanstalten" auf der 3. Konferenz des Krankenpflege-, Massage- und Badepersonals Deutschlands vom 30. November bis 1. Dezember 1919 in Jena, die den werbewirksamen Namen "Reichssektion Gesundheitswesen im Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" kreierte und die programmatischen Grundlagen (vor allem auf dem Gebiet des Ausbildungs- und Prüfungswesens) schuf. Ab 17. Mai 1924 in zweiter Ehe mit Marie Friedrich verheiratet, die seit 1911 im Berliner Ortsbüro beschäftigt war, und ab April 1920 als hauptamtliche Sekretärin im Vorstand der Reichssektion Gesundheitswesen verantwortlich zeichnete. Das gewerkschaftlich organisierte Krankenpersonal mußte nach den Erfolgen der Novemberrevolution beträchtliche Rückschläge einstecken: durch die Verordnung der Reichsregierung vom 13. Februar 1924 war in den Krankenanstalten wieder eine Arbeitszeit bis zu 60 Stunden möglich, ohne daß die Verschlechterung abgewehrt werden konnte. Im Dezember 1925 rief Paul Schulz zur besseren Koordination der differenzierten Gewerkschaftsarbeit als beratendes Gremium die "Reichsfachkommission Gesundheitswesen" ins Leben. Die Sektion Gesundheitswesen verzeichnete nach Rückschlägen in der Inflationszeit Mitte der zwanziger Jahre beachtliche Erfolge. Auf der 5. Reichskonferenz vom 2. bis 4. September 1926 in Düsseldorf bezifferte der Reichssektionsleiter in seinem Referat die Mitgliederzahl auf 31.398 (= 16,4% der Gesamtmitgliedschaft). Die Zahl konnte zum Ende der zwanziger Jahre nochmals beträchtlich gesteigert werden. Durch geschickte Verhandlungsführung war es der Leitung der Reichssektion gelungen, neue Gruppen und berufsständische Organisationen zur freien Gewerkschaftsbewegung herüberzuziehen. Im Frühjahr 1927 ging der Großteil des ehemaligen "Bundes der staatlich geprüften Schwimmeister und Schwimmeisterinnen" in die Reichssektion über.

Besonders stolz war Paul Schulz 1929 auf den Übertritt des "Bundes der Masseure", der ein fünfzigjähriges Eigenleben aufgab. Im Oktober 1928 erfolgte die Gründung der Schwesternschaft der Reichssektion Gesundheitswesen, die binnen Jahresfrist über 5.000 - der freigewerkschaftlichen Organisation bislang fernstehende Krankenschwestern - rekrutierte. 1929 waren 66,5% aller in Gesundheitsdienst beschäftigter Personen (= 45.287 Mitglieder) innerhalb des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" organisiert. Paul Schulz' zweites "Standbein" war die Tarifpolitik, die er als "ein Stück Staatsgewalt" der Arbeiterbewegung definierte und gegen kommunistische Kritiker vehement verteidigte. Beteiligte sich 1919 an den Formulierungen von Richtlinien zusammen mit dem Deutschen Städtetag, die als Basis für den Abschluß örtlicher Tarifverträge dienten. Die Gründung der Bezirksarbeitgeberverbände in den Jahren 1919/1920 schuf die rechtlichen Voraussetzungen für eine einheitliche, tarifrechtliche Gestaltung, die neben dem Reichstarifvertrag für die Gemeindearbeiter, auch die dazugehörigen Bezirkstarifverträge ermöglichte. Dabei versuchte Paul Schulz viel von dem ursprünglichen Ideengut der organisierten Gemeinde- und Staatsarbeiter, eines Soziallohns (gestaffelt nach sozialen Erwägungen), einzubringen. Verfasser der Monographie "Vom Arbeitsvertrag zum Tarifvertrag in den Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts". 1. Aufl. Berlin 1927, 2. Aufl. Berlin 1929. Mitarbeiter am "Handbuch der öffentlichen Wirtschaft". Berlin 1930.

In der Weimarer Republik als Vorstandsmitglied Teilnehmer an nahezu allen Berufs- und Fachkongressen seiner Gewerkschaft. Warb mit seinem Referat "Die tarifliche Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den Reichs- und Staatsbetrieben" und der 1. Reichskonferenz der Reichs- und Staatsarbeiter vom 29. bis 30. Oktober 1921 in Berlin für die Ausgestaltung des Reichstarifvertrages. Wiederwahl zum hauptamtlichen Sekretär in den Vorstand auf dem 9. Verbandstag 1922 in Magdeburg, dem 10. Verbandstag 1925 in Frankfurt am Main und dem 11. Verbandstag 1928 in Köln. Der Kölner Verbandstag erweiterte den Kreis der Vorstandsmitglieder, damit war eine Neueinteilung der Ressorts verbunden. Neben der Reichssektion Gesundheitswesen und der Tarifabteilung war Paul Schulz für den Rechtsschutz und den Stellennachweis des Verbandes zuständig. Der Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" vom 7. bis 10. Oktober 1929 in Berlin bestimmte Paul Schulz' Aufgabengebiet neu. Als Tarifsekretär widmete er sich künftig ausschließlich tarifpolitischen Fragen.

Zu seinen Aufgaben gehörte es, das Tarifgebaren der Organisation zu beobachten und für die "Stimmigkeit" der abgeschlossenen Tarife Sorge zu tragen. Suchte durch eine aktive Lohnpolitik dem Kapitalismus den eigenen Fortschritt aufzuzwingen, um den Nationalsozialisten das Wasser abzugraben. Schulz' Argumentation trug in der Schlußphase der Weimarer Republik deutlich defensive Züge. ("Wir dürfen unsere Kraft, die die gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung besitzt, nicht höher einschätzen, als sie tatsächlich ist.") Der Abschluß eines eigenen Reichsmanteltarifvertrages am 1. Oktober 1932 für Gemeindearbeiter und kommunale Straßenbahner (bei relativ geringen Lohneinbußen) galt Schulz viel. Unterzog als Tarifexperte des Gesamtverbandes den Berliner BVG-Streik im November 1932 einer vernichtenden Kritik. Der Verbandsbeirat, der auf seiner 5. Tagung (18. bis 20. November 1932) das Gesicht des Verbandsvorstandes radikal veränderte, ließ Paul Schulz' Aufgabengebiet unangetastet. Für die letzten Monate der ersten deutschen Republik übernahm er zusätzlich die Leitung des Betriebsrätesekretariats. Im Juni 1933 aus allen Ämtern entlassen, lebte Paul Schulz zurückgezogen in einem Vorort seiner Heimatstadt. Er starb am 3. Februar 1953 in Berlin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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