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Schmalfeldt, Johann Hinrich (1850 - 1937)

Geboren am 28. November 1850 in Neritz (Kreis Storman) als Sohn eines Schuhmachers, verheiratet, protestantisch. Besuch der Volksschule in Oldesloe. Begann mit einer Weinküferlehre in Hamburg, die er 1866 bis 1868 in Bremen fortsetzte. Aus gesundheitlichen Gründen mußte Schmalfeldt (auch Hinrich, Johann, Johann Heinrich oder Heinrich gerufen) sein Metier wechseln und erlernte von 1868 bis 1869 in Oldesloe den Beruf eines Zigarrenmachers. Im Februar 1870 in Hamburg Beitritt in den lassalleanischen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Nach 1870 Wanderschaft (u.a. nach Kopenhagen und Stockholm). Im August 1874 polizeiliche Anmeldung in Hamburg, verzog im November 1875 ins preußische Ottensen, arbeitete dort in seinem gelernten Beruf. Seit 1875 Mitglied in dem von Friedrich Wilhelm Fritzsche begründeten "Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiterverein"; intensive sozialdemokratische Agitation in seiner Heimatprovinz und den Elbgauen Niedersachsens. Vom 17. bis 19. Mai 1877 Delegierter für die Städte Uetersen, Elmshorn, Barmstedt und Pinneberg auf dem "Socialisten-Congress zu Gotha", der programmatisch der Sozialdemokratie neue Impulse verlieh. 1877 Wahl als einer von drei sozialdemokratischen Stadtverordneten in das preußische Stadtverordnetenkollegium in Ottensen. Mitglied der Steuereinschätzungskommission Ottensens.

Als aktiver Sozialdemokrat am 11. Oktober 1881 während des Sozialistengesetzes durch die preußische Regierung in Schlewig ausgewiesen (die Ausweisung galt für das gesamte nördliche Ausweisungsgebiet). Am 12. Oktober 1881 dehnten die Hamburger Behörden den Ausweisungsbefehl auf das hamburgische Staatsgebiet aus (mit Ausnahme des Amtes Ritzebühl). Schmalfeldt wanderte im Dezember 1881 nach Amerika aus, kehrte jedoch ein knappes Jahr später in seine norddeutsche Heimat zurück. Bis 1889 alljährliche Zustellung der Ausweisungsurkunde. Arbeitete von 1882 bis 1889 als Meister in Uetersen in einer Zigarrenfabrik; übersiedelte im April 1889 mit seiner Ehefrau und den fünf Kindern nach Stade und übernahm als Meister eine Zigarrenfabrik mit zwölf Beschäftigten am Schiffertorwall, die für die Hamburger Firma Kash & Co. produzierte. Zusammen mit dem SPD-Delegierten zum hallischen Parteitag, Johann Jensen, baute Schmalfeldt die zusammengebrochenen Organisationsstrukturen der Stader Arbeiterbewegung neu auf. Mitbegründer des "Arbeitervereins für Volksbildung" im Oktober 1890, unter dessen Namen sich zunächst die lokale Sozialdemokratie tarnte. Führender Funktionär der Sozialdemokratie in seiner neuen Wahlheimat. Ein Versuch, den Streik der Hamburger Tabakarbeiter im Dezember 1890 auf Stade auszudehnen, scheiterte kläglich an der mangelnden Streikbereitschaft der Tabakarbeiter. Unterstützte 1891 finanziell den großen Hamburger Tabakarbeiterstreik und verlor dadurch seine Meisterstellung. Kandidierte 1890 im Wahlkreis 19 der Provinz Hannover (Geestemünde) gegen den aus seinen Ämtern entlassenen Otto von Bismarck und unterlag nur in der Stichwahl, wobei er die mangelnde Unterstützung durch die eigene Partei beklagte. Erfolglose Reichstagskandidatur 1893 im gleichen Wahlkreis. Auf Veranlassung Rudolf Mädgers siedelte Schmalfeldt im April 1892 nach Bremerhaven über. In den ersten drei Jahren fertigte er in seiner eigenen Fabrik Zigarren und unterhielt ein Tabakwarengeschäft in der Bürgermeister-Smidt-Straße. Am 1. April 1896 eröffnete der gelernte Zigarrenmacher eine eigene Gastwirtschaft, die er bis zu seinem Ruhestand betrieb.

Von 1895 bis 1933 in die Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung gewählt. Hauptredner im Parlament seiner neuen Heimatstadt. Kooperierte in zentralen Fragen mit dem Oberbürgermeister Becké. Setzte die alte sozialdemokratische Forderung nach Wahl des Parlaments an einem Ruhetag durch. Wichtig war ihm - als Mitglied des Vereins für Feuerbestattung - vor dem Weltkrieg für die Errichtung eines eigenen Krematoriums zu streiten, das schließlich in der Schlußphase der Weimarer Republik errichtet werden konnte. Während des Sozialistengesetzes begründeten 1888 seemännische Arbeiter in Bremerhaven einen Unterstützungsverein für Seeleute. Nach Fall des Ausnahmegesetzes erhielt der Verein den Namen "Verein der Heizer und Kohlenzieher von Bremerhaven". Im Gegensatz zu anderen Hafenstädten entwickelte sich die Lokalorganisation zu einem dauerhaften und stabilen Gebilde. Die Verbindungen zur Hamburger Lokalorganisation der Heizer und Trimmer gestalteten sich eng. Nach Ausweisung des österreichischen Vorsitzenden Steinert übernahm Schmalfeldt 1896 den Vorsitz der Organisation. Als Vorsitzender ohne eigene Berufserfahrung agierte Schmalfeldt für den großen Hamburger Hafenarbeiterstreik 1896/97 und überwies 15.000 Mark Streikunterstützung aus den Unterweserorten. Teilnehmer auf der internationalen Konferenz der Seeleute und Hafenarbeiter vom 24. bis 25. Februar 1897 in der britischen Hauptstadt.

Delegierter auf dem 1. deutschen Seemannskongreß, der vom 15. bis 18. November 1897 in Hamburg zusammentrat und als nationale Seeleutegewerkschaft den "Seemanns-Verband in Deutschland" ins Leben rief, der am 1. Februar 1898 seine Arbeit aufnahm. Trat mit 187 Bremerhavener Mitgliedern zum Zentralverband über. Der Kongreß bestimmte Bremerhaven zum Sitz des Verbandsausschusses; Johann Hinrich Schmalfeldt fungierte von Anfang an als dessen Vorsitzender. Teilnehmer als Ausschußvorsitzender auf der 1. Generalversammlung des "Seemanns-Verbandes in Deutschland" vom 12. bis 13. Januar 1899 und dem 2. deutschen Seemanns-Kongreß im gleichen Jahr: plädierte in seinem Referat "Die Arbeiter-Schutzgesetze" für eine weitgehende Reform auf dem Gebiet der Arbeiterversicherung. Wiederwahl als Vorsitzender der Bremerhavener Mitgliedschaft und als Vorsitzender des Verbandsausschusses auf der Generalversammlung in Bremerhaven am 30. Januar 1899. Wiederwahl in das höchste Kontrollamt der Seeleutegewerkschaft nach der 2. Generalversammlung vom 25. bis 28. Februar 1901 und der 3. Generalversammlung vom 20. bis 23. April 1903, die er zusammen mit Paul Hoffmann leitete. Machte sich in Bremerhaven vor allem einen Namen als Debattenredner in "gegnerischen" Versammlungen. 1898 unterlag Schmalfeldt als Nachfolger Julius Bruhns' bei einer erneuten Reichstagskandidatur in der Freien Hansestadt Bremen mit 46,6 % der abgegebenen Stimmen in der Stichwahl, schaffte jedoch 1903 mit 51% der abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang auf Anhieb den Einzug in das Parlament. (Verlust des Mandats 1907 mit 48,5 % Stimmenanteil im zweiten Wahlgang.)

Im Reichstag setzte er sich besonders für eine bessere Krankenfürsorge der Seeleute ein und opponierte im Interesse der Tabakarbeiter gegen die Erhöhung der Tabaksteuer. Ganz im Sinne sozialdemokratischer Programmatik widersetzte er sich in den Ausschüssen einer Erhöhung der Brausteuer. 1903 zog er sich aus der vordersten Linie der Bremerhavener Seeleutebewegung zurück: die Generalversammlung wählte am 30. Januar Wilhelm Drescher zum neuen Vorsitzenden und übertrug dem "kleinen Gastwirt" das Stellvertreteramt (1903: 900 Mitglieder). Von 1897 bis 1898 Vorsitzender des Gewerkschaftskartells Bremerhaven. Bis 1903 fungierte Schmalfeldt in seiner Wahlheimat als Rechtsberater der Arbeiterschaft in Unfallsachen und anderen drängenden, sozialen Fragen. Setzte am 4. Mai 1903 auf der Generalversammlung durch, das gesamte Guthaben aus einem Fonds des alten Lokalvereins als Grundstock zur Finanzierung des neubegründeten Arbeitersekretariats einzubringen. Schmalfeldt führte den Verbandsausschuß zunächst in hoher sachlicher Übereinstimmung mit dem Verbandsvorsitzenden Paul Müller. Schmalfeldt resümierte auf dem 4. Verbandstag vom 17. bis 20. April 1905 in Hamburg, es gebe "weder Ursache noch Gelegenheit zur Unzufriedenheit mit dem Zentralvorstande". Sein spezifisches Interesse am Verbandsorgan "Der Seemann" galt vor allem dessen pädagogischer Funktion, um die "gehirnverkleisternde" Schundliteratur zurückzudrängen. Schmalfeldt wandte sich vehement gegen die geplanten Verbandsreformen des Jahres 1907, die die Rechte des Vorstandes überproportional stärkten und den Ausschuß faktisch zu einem Deklamationsorgan degradierte.

Auf dem 5. Verbandstag vom 21. bis 25. Oktober 1907 einer der wärmsten Befürworter des Einheitsverbandes mit den Hafen- und Transportarbeitern. Schmalfeldts lassalleanisches Erbe, seine Vorbehalte gegen "nutzlose" Unterstützungseinrichtungen, kamen innerverbandlich mehrfach zum Durchbruch und brachten ihn in einen Gegensatz zum Verbandsvorstand. ("Ich befürchte, daß an der Arbeitslosenunterstützung der Verband zugrunde geht.") Kandidierte nach dem 6. Verbandstag vom 24. bis 27. Mai 1909 nicht mehr für den Verbandsausschuß. Seit 1904 Firmenträger der sozialdemokratischen "Bremer Bürgerzeitung", dessen Verlag nach ihm benannt wurde (Verl. J.H. Schmalfeldt & Co.). Wurde als Verantwortlicher für den Verlag mehrfach wegen Beleidigung angeklagt. Insgesamt Delegierter auf 12 nationalen Parteitagen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands: 1877, 1890 bis 1894, 1896, 1897, 1900, 1902 bis 1905, 1907, 1909 und 1910.

Zeigte nach dem Fall des Sozialistengesetzes gegenüber der Gewerkschaftsbewegung resignative Züge im bezug auf gewerkschaftliche Kleinarbeit. 1892 auf dem SPD-Parteitag in Berlin: "Thatsache ist, daß die Gewerkschaftsbewegung im rapiden Rückgang begriffen ist, und bei dem zunehmenden Pauperismus ist es sehr zweifelhaft, ob sie sich je wieder erheben wird."

Sein spezifisches Interesse galt der Verbindung des Genossenschaftsgedankens mit der Gewerkschaftsidee, für die er sein ganzes Leben stand. Während des Weltkrieges verlor Schmalfeldt im September 1916 einen Sohn im Krieg, sein zweiter Sohn war bereits vorher bei einem Schiffsunglück als Seemann ertrunken, ein dritter an einer heimtückischen Krankheit gestorben. Der Nestor der Bremer Parteizeitung bezog während des Krieges Positionen der Antikriegsopposition. 1917 Mitglied der USPD. Von 1919 bis 1920 als USPD-Mann in die Bremische Nationalversammlung gewählt. Machte die Nationalversammlung zur Tribüne seiner Angriffe gegen die alte Mutterpartei. Warf dem sozialdemokratischen Bürgermeister Karl Deichmann im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Sicherheitspolizei Verrat an der Arbeiterklasse und Begünstigung des Militarisamus vor. In der innerparteilichen Zerreißprobe des Jahres 1920 stand Schmalfeldt auf dem rechten Flügel der USPD und lehnte den Anschluß an die Kommunistische Internationale strikt ab, der er Gewerkschaftsspaltung vorwarf. Kehrte 1922 mit der übergroßen Mehrheit der verbliebenen USPD-Mitglieder zur SPD zurück. Von 1920 bis 1930 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft; vertrat in der Bürgerschaft die spezifischen Interessen Bremerhavens, insbesondere setzte er sich für eine gerechtere Steuerverteilung ein, um die Freie Stadt als Unterhaltsträger der Schul- und Armenpflege zu entlasten. Von Beginn an Alterspräsident der Bürgerschaft. Die Belange des bremischen Gastwirtsgewerbe fanden in ihm einen Fürsprecher.

Als Inflationsopfer nach 1923 selbst völlig verarmt, lebte er am Rande des Existenzminimums. Im November 1930 zum Ehrenbürger der Stadt Bremerhaven ernannt. Wie kaum ein anderer hatte Schmalfeldt in Norddeutschland der jungen Gewerkschaftsbewegung und der Sozialdemokratie gleichermaßen Impulse verliehen. Vom NS-Regime wurden Schmalfeldt am 6. Juni 1936 die verliehenen Ehrenbürgerrechte durch den nationalsozialistischen Oberbürgermeister aberkannt, "weil nach den heute geltenden nationalsozialistischen Grundsätzen Verdienste marxistischer Prägung aus der Systemzeit weder anerkannt noch aufrecht erhalten werden können." Der Sechsundachtzigjährige wehrte sich mit dem Argument, die Verleihung des Ehrenbürgerrechts sei von sämtlichen Parteien beschlossen worden, "und zwar nicht als Sozialdemokrat, sondern auf Grund seiner 36jährigen nicht hinweg zu leugnenden Verdienste um das Gesamtwohl Bremerhavens". Johann Hinrich Schmalfeldt starb am 30. Dezember 1937 in Bremerhaven. Die Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung stellte am 20. Juni 1949 den Beschluß über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Schmalfeldt wieder her. Gleichzeitig erhielt die Kaiser-Wilhelm-Straße den Namen Hinrich-Schmalfeldt-Straße. Auch der Bremer Senat benannte durch Beschluß vom 30. Juli 1968 eine Straße nach dem Gewerkschafter und Sozialdemokraten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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