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Josephson, Max (1868 - 1938)

Geboren am 29. Januar 1868 in Grünthal (Kreis Oberbarnim), verheiratet, jüdisch, später Dissident. Erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Kaufmannsgehilfen, verzog 1890 nach Hamburg und arbeitete in der Firma Elias jr. am Neuerwall. Josephson gehörte zum kleinen Kreis Hamburger Handlungsgehilfen, die seit Ende des Jahres 1891 mit dem Gedanken einer gewerkschaftlichen Organisation der Angestellten spielten. Eine Diskussion im "Hamburger Echo" über Lehrlingszüchterei im Gewerbe mündete am 4. Februar 1892 in der Gründung der Lokalorganisation "'Vorwärts', Verein für Handlungsgehilfen" (43 Gründungsmitglieder). Neben sozialdemokratischem Gedankengut zirkulierten in der kleinen Handlungsgehilfenorganisation auch utopisch-sozialistische Ideen. Beteiligte sich an der Statutenberatung des Lokalvereins. Am 17. Februar als Revisor in den Vorstand gewählt. Josephson votierte zunächst für einen neutralen "blauen" Verband, trug aber die Entscheidung solidarisch mit, sich dem freigewerkschaftlichen Hamburger Gewerkschaftskartell anzuschließen. Plädierte für eine Beteiligung an den Maifeiern der Arbeiter 1892.

Sein spezifisches Interesse galt zunächst der innerverbandlichen Bildung, wobei ihm eine nationalökonomische Fortbildung besonders am Herzen lag. Nach kleinen anfänglichen Erfolgen geriet die Lokalorganisation 1893 in eine schwere Krise (29 Mitglieder). Zu Beginn des Jahres 1893 beantragte Josephson, den Verein aufzulösen, weil er "während des Bestehens soviel wie garnichts geschaffen habe". Konnte mit seinen Vorstellungen im Verein jedoch nicht durchdringen. Wahl Josephsons zum 2. Vorsitzenden am 8. März 1893, der mit seinen zentralen gewerkschaftlichen Themen (Arbeitszeitverkürzung und unzulängliche Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen) in einem konservativen Umfeld nur schwer Terrain gewann. Seit dem 4. Oktober 1893 Mitglied der Statuten-Revisionskommission. Am 3. Januar 1894 Wahl zum 1. Vorsitzenden des Lokalvereins. Gut anderthalb Jahrzehnte stand Josephsons Name in Hamburg als Synonym für die hart um ihre Existenz ringende freigewerkschaftliche Angestelltenbewegung. Seit [1895] Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beteiligte sich seit Frühjahr 1896 an herausragender Stelle an der innerparteilichen Diskussion. Der Vereinsvorsitzende plädierte jedoch für eine strikte Trennung von Partei und Gewerkschaft im Alltag, was ihm mehrfach Attacken des Hamburger Parteiblattes einbrachte. Seine Redakteure brachten "Herrn Josephsons" gewerkschaftspolitischen Vorstellungen einer freigewerkschaftlichen Angestelltenbewegung nur wenig Interesse entgegen. Der Angegriffene bemühte sich 1896 mehrfach vergeblich, das Hamburger Gewerkschaftskartell im Streit mit dem "Hamburger Echo" auf seine Seite zu ziehen. Die Einführung der Sonntagsruhe zum 1. Juli 1892 (eigentlich eine Einschränkung der Sonntagsarbeit für Handlungsgehilfen) ermöglichte dem schwer um seine Existenz ringenden Verein bessere Agitationsmöglichkeiten. Josephson verlegte die Agitationsversammlungen auf Sonntag, wobei er und seine Organisation sich ungezählten antisemitischen Beschimpfungen und Störungen des deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes erwehren mußten ("kurzbeinige und langnasige Josephsönchen".) War in den späten neunziger Jahren in verschiedenen Beleidigungsprozessen mit der deutschnationalen Konkurrenz verwickelt, die ihm mehrfach Geldstrafen einbrachten.

Von Hamburg gingen Ende 1895/Anfang 1896 Impulse für eine Zentralisation der freigewerkschaftlich Handlungsgehilfenbewegung aus, wobei Josephson den Zentralisationsgedanken streng "orthodox" mit der Konzentration des Handelskapitals und dem Absinken der Kaufmannsgehilfen in das Proletariat begründete. Teilnehmer auf einer Konferenz zu Ostern 1896 in Berlin von Vertretern aus 23 deutschen Städten. Referat zugunsten der Bildung einer gewerkschaftlichen Zentralorganisation, blieb mit seinen Vorschlägen allerdings in der Minderheit. Während der kommenden Monate verstärkte Agitation Josephsons für den Zentralisationsgedanken. Hamburger Delegierter auf der Leipziger Pfingstkonferenz vom 6. bis 7. Juni 1897 "der auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Handelsangestellten Deutschlands". Gründung des "Centralverbandes der Handlungsgehülfen und -Gehülfinnen Deutschlands" zum 1. Juli 1897 (später: "Zentralverband der Handlungsgehilfen und -Gehilfinnen Deutschlands"). Aus vereinsrechtlichen Gründen wurde Hamburg als Sitz des Verbandes bestimmt und den Hamburger Mitgliedern die Wahl des Vorstandes und die Ausarbeitung der Satzung übertragen. Wahl Josephsons als Schriftführer in den Vorstand am 16. Juni 1897 in Hamburg (Vorsitzender Gustav Segnitz). Zeitgleich Auflösung des Hamburger Lokalvereins. Ende 1897: 255 Mitglieder im Deutschen Reich.

In seiner Arbeit setzte der neue Schriftführer mehrere Schwerpunkte: einmal galten seine Bemühungen der Gewinnung weiblicher Mitglieder. Die Idee einer Gewerkschaftsbewegung unabhängig von Stand, Rasse und Geschlecht verkörperte für den assimilierten Hamburger Juden das Leitbild einer gerechten Gesellschaftsordnung schlechthin. (Beliebtes denunziatorisches Kürzel der deutschnationalen Gegner, die weder Frauen noch Juden aufnahmen: "Zweigeschlechterverband".) Versuchte mit ungewöhnlichen Agitationsmethoden (Tanzstundenunterricht etc.), junge Frauen als Mitglieder zu gewinnen. Zum anderen bemühte sich Josephson um die Einrichtung von Handelsschiedsgerichten und einer wirksamen Gewerbeaufsicht, für deren Realisierung er seit 1898 regelmäßig beim Reichstag petitionierte. Teilnehmer an der 1. Generalversammlung Ende Mai 1898 in Frankfurt am Main; am 9. Juni 1898 auf einer Hamburger Mitgliederversammlung zum Redakteur der Verbandszeitung "Handlungsgehülfen-Blatt" und zum Kassierer des Bezirks Hamburg gewählt. Am 2. Oktober 1898 gab Josephson die Redaktion des Blattes ab, nachdem auf einer Konferenz in Berlin die bislang abseits stehenden lokalen freien Vereinigungen ihren Beitritt zur Lokalorganisation erklärt hatten und der Berliner Mitgliedschaft als Kompensation die Redaktion übertragen wurde (Verschmelzung des "Handlungsgehülfen-Blatts" mit dem "Handels-Angestellten"). Seit [1898] Delegierter im Hamburger Gewerkschaftskartell; unterstützte im Dezember 1898 den Hamburger Brotboykott. Suchte selbst mehrfach den Boykott als Waffe im Kampf gegen kleine Krämer zum Schutz der Angestellten einzusetzen. Josephson machte sich im April 1899 mit einer eigenen Buchhandlung selbständig. Zielte mit seinen Annoncen auf die organisierte Arbeiter- und Angestelltenbewegung und das liberale jüdische Hamburger Judentum. Vertrieb als "Markenzeichen" die Serie "Stimmen der Freiheit. Sammlung von Dichtungen der hervorragendsten Arbeiter- und Freiheitsdichter des In- und Auslandes". Nach dem Erwerb der Buchhandlung schied Josephson als Schriftführer des Zentralverbandes aus, verblieb jedoch als Beisitzer im Vorstand. Bekleidete weiterhin das Kassiereramt im Hamburger Bezirksverband. Beteiligte sich intensiv an der Diskussion über die Ausgestaltung des gemeinwirtschaftlichen Sektors in der Hansestadt. Am 5. Mai 1899 als Mitglied des Aufsichtsrates des Konsum- und Sparvereins "Produktion" gewählt. Delegierter auf der im Mai 1900 in Dresden tagenden 2. Generalversammlung des Zentralverbandes. Erneute Wahl als Beisitzer in den Hauptvorstand auf der Hamburger Mitgliederversammlung am 14. Juni 1900, gleichzeitig Wahl zum 1. Vorsitzenden des Bezirks Hamburg. Erwarb am 18. Dezember 1896 das Hamburger Bürgerrecht. Im Januar 1901 als sozialdemokratischer Kandidat für die Bürgerschaftswahlen aufgestellt. (Erneute, vergebliche Kandidatur 1904.) Im März 1901 veranstaltete der Vorstand des "Zentralverbandes der Handlungsgehilfen und -Gehilfinnen" im Auftrag der im Jahr zuvor stattgefundenen Generalversammlung unter den Mitgliedern eine Urabstimmung über den Antrag, die Redaktion des Verbandsblattes wieder nach Hamburg zu verlegen und einen "besoldeten Beamten" anzustellen.

Nach positivem Votum durch die Mitglieder, Anstellung Max Josephsons zum besoldeten Sekretär und Redakteur des "Handlungsgehülfen". Trat 1903 wegen Arbeitsüberlastung als Redakteur zurück, nachdem im Herbst ein weiterer "Beamter" angestellt werden konnte. Verkauf seines Hamburger Buchladens im September 1901. Nach dem berufsbedingten Umzug von Gustav Segnitz nach Rostock, Wahl Josephsons zum 1. Vorsitzenden durch die Hamburger Mitglieder am 19. März 1902. Bestätigung im Amt auf der Generalversammlung 1902 in Halle, 1904 in Magdeburg, 1906 in Chemnitz, 1908 in München und 1910 in Hamburg. Nach unzulänglichen Organisationsfortschritten ( 1901: 1.288 Mitglieder in Deutschland) setzte Josephson auf die Gewinnung der Angestellten in den Konsumgenossenschaften als Rückgrat der Organisation. Ende des Jahres 1905 waren von 5.815 Mitgliedern 2.211 in Konsumgenossenschaften beschäftigt (darunter 1.965 Frauen). Er warf seine tiefsitzenden Ressentiments gegenüber den Vereinen (deren "Bestreben sei ebenfalls, Mehrwert auf Kosten der Arbeiter herauszuschlagen") über Bord und gehörte spätestens 1907 in vielen Gremien zu den Promotoren des Genossenschaftsgedankens in Deutschland, um den "viel größeren Gewinn des Fabrikanten dem organisierten Konsumenten zuzuführen". Ständiger Gast auf den Kongressen des "Zentralverbandes der deutschen Konsumvereine", mit dem Spannungen über die seit 1905 geltenden Tarifverträgen nicht ausblieben.

Seit Februar 1907 einer der Gesellschafter des neuen Gewerkschaftshauses am Besenbinderhof, für dessen Realisierung er sich nachhaltig eingesetzt hatte. Delegierter auf dem 4. Kongreß der Gewerkschaften in Deutschland vom 16. bis 21. Juni 1902 in Stuttgart; plädierte in der schwäbischen Metropole für die Gewinnung der weiblichen Angestellten. Auf Beschluß der 4. Generalversammlung vom 22. bis 23. Mai 1904 in der "Reichshalle" in Magdeburg nahm Josephson am 17. August in Amsterdam an der auf dem "Boden des Klassenkampfes stehenden Handlungsgehilfen" teil. Zum Sekretär der neu geschaffenen internationalen Auskunftsstelle (mit Sitz in Hamburg) gewählt, die Josephson ehrenamtlich "nebenbei" betrieb. Bestätigung im Amt auf der Tagung des internationalen Berufssekretariats am Rande des Sozialistenkongresses am 21. August 1907 in Stuttgart, ehe auf Vorschlag der Deutschen auf der 3. internationalen Konferenz am 1. August 1910 in Kopenhagen mit Edo Fimmen ein besoldeter Sekretär gewählt werden konnte.

Am 18. Juni 1911 teilte Josephson Vorstand und Ausschuß seinen Rücktritt als Verbandsvorsitzenden mit. Nahm zu diesem Zeitpunkt eine Stelle als Leiter der "Abteilung Verwaltung" bei der Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumvereine an. Auf der 20. Generalversammlung am 17. Juni 1914 als Prokurist der Großeinkaufsgesellschaft bestellt. Seit 1914 für die Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumvereine als Mitglied in den Generalrat des "Zentralverbandes deutscher Konsumvereine" delegiert. Blieb seiner alten Organisation auch nach der Verschmelzung zum "Zentralverband der Angestellten" eng verbunden. Auf der Generalversammlung der Unterstützungskasse des Zentralverbandes Deutscher Konsumvereine 1919 als Vertrauensmann seiner Gewerkschaft als "Vertreter von Mitgliedern der Gruppe A" (Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Abteilungsvorsteher) gewählt. Wiederwahl in diesem Amt bis zum Ende der Weimarer Republik. Die außerordentliche Generalversammlung der Großeinkaufsgesellschaft am 14. März 1921 in Frankfurt am Main bestätigte den Beschluß der Geschäftsführung und des Aufsichtsrates und ernannte Josephson zum stellvertretenden Geschäftsführer des gemeinwirtschaftlichen Unternehmens.

Begrüßte auf dem 4. AfA-Gewerkschaftskongreß in Leipzig vom 5. bis 7. Oktober 1931 die Delegierten im Namen der genossenschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiterbewegung mit einem historischen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte der Handlungsgehilfenbewegung. 1933 aus allen Ämtern entlassen. Mußte sich - als Jude diskriminiert - als kaufmännischer Angestellter in Hamburg durchschlagen. Max Josephson starb am 2. Februar 1938 in Hamburg; der "Internationale Bund der Privatangestellten" sorgte dafür, daß der Tod des ersten Sekretärs des internationalen Berufssekretariats nicht vergessen wurde. Seine einzige Tochter Minna nahm sich am 17. Juni 1943 das Leben, als sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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