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1913

Sechs Konzerne: Gelsenkirchener Bergwerks AG, Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten-AG, Phönix AG für Bergbau- und Hüttenbetrieb, Krupp, Thyssen und Vereinigte Burbach kontrollieren 45 Prozent der schweren Stahlwerksproduktion im Stahlwerksverband, 25 Prozent der Produktion im Roheisensyndikat und 22 Prozent der Gesamtquote des Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikats.

Seit 1890 steigen die durchschnittlichen Löhne der Arbeitnehmer in Industrie, Handel und Verkehr um rund ein Drittel.
Doch es gibt noch erhebliche Differenzen in den einzelnen Industriebereichen, so z.B. zwischen der Druck- und der Textilindustrie.

Für 40,7% der tarifgebundenen Arbeiter gilt eine Arbeitszeit von 54 und weniger Stunden. Während die Industrien der Steine und Erden, der Bauwirtschaft und die Verkehrsgewerbe noch Arbeitszeiten von über 58 Stunden haben, fallen sie in der Maschinen-, Leder- und Holzindustrie und in den Graphischen Gewerben kaum mehr ins Gewicht. Die absolut längsten Arbeitszeiten sind im Verkehrsgewerbe festzustellen - für 76,5% der tarifgebundenen Personen mehr als 58 Stunden, dabei für 21,1% sogar mehr als 64 Stunden -, die kürzesten in der Leder- und Holzindustrie - für 28,8% bzw. 37,4% 52 Stunden und darunter - und im Baugewerbe für 78% unter 48 Stunden. Arbeitszeiten von 48 Stunden gelten erst für 2-3% aller tarifgebundenen Personen. Nur im Handelsgewerbe für 10,6% und für das Baugewerbe im Winter 87,9% gilt der Achtstundentag.
Ansonsten bewegen sich die üblichen Arbeitszeiten zwischen 8,5 und 10 Stunden.
In der Metall-, Papier-, Leder- und Holzindustrie und in den Graphischen Gewerben gilt für einen Großteil der tarifgebundenen Arbeiter eine tarifliche Arbeitszeit von 8,5 - 9 Stunden, während in der Textil- und der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, dem Bekleidung- und Reinigungsgewerbe und der Bauwirtschaft (im Sommer) gewöhnlich Arbeitszeiten zwischen 9 und 10 Stunden vereinbart sind.
Der Prozeß der Arbeitszeitverkürzung verläuft von Branche zu Branche, von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich. Neben der Steigerung der Produktivität haben die Kämpfe der Gewerkschaften zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß diese Erfolge von einer fortschreitenden Intensivierung bzw. Verdichtung der Arbeit begleitet werden.

Zwischen 1892 und diesem Jahr treten 2,1 Millionen Arbeiter dem Metallarbeiterverband bei, im gleichen Zeitraum verlassen 1,6 Millionen einmal oder mehrfach den Verband. Die Quote der Mitglieder, die den Verband noch im Jahr ihres Eintritts wieder verlassen, schwankt zwischen 1904 und 1913 zwischen 27% und 35%.
Somit verbleibt dem Verband ein Mitgliederzuwachs von rund 530.000.
Über die Hälfte der Verbandsangehörigen gehören der Metallgewerkschaft länger als drei Jahre an.
Bei ein- bis zweijähriger Mitgliedschaft liegen die Austritte bei weit über 50%. Eine Stabilität setzt erst bei einer Mitgliedschaft von mehr als drei Jahren ein. Hier gibt es sicher eine Verbindung zwischen Mitgliedsbeiträgen und Organisationsleistungen. Seit 1903 setzt erst nach einjähriger Mitgliedschaft die Unterstützungsberechtigung für die Reise- und Arbeitslosenunterstützung ein. Die Höhe der Unterstützung ist zudem nach Dauer der Mitgliedschaft gestaffelt.

Die Fluktuation der Gewerkschaftsmitglieder liegt in den Verbänden noch zwischen 40 und 70%.
Für alle Verbände kann man jedoch feststellen, daß Jahre guter Konjunktur zugleich Jahre hoher Fluktuation sind. In den Jahren der konjunkturellen Stockung schwächen sich die Mitgliederbewegungen in den Verbänden merklich ab. Auch verbandsinterne Maßnahmen, wie z.B. Beitragserhöhungen, Änderungen bei den Unterstützungsleistungen, Streichung aus den Mitgliederlisten wegen "Beitragsabstinenz", wirken sich auf die Mitgliederbewegung aus.
Die Verbände mit einem hohen Anteil ungelernter Arbeiter haben immer noch größere Probleme mit der Fluktuation als die traditionsreichen Berufsverbände.
Die Austritte oder auch Anschlüsse treten nach nur ein- und zweijähriger Mitgliedschaft wesentlich häufiger auf als bei längerer.

1. Januar 1913

Das internationale Sekretariat der gewerkschaftlichen Landeszentralen gibt eine in deutscher und englischer Sprache erscheinende "Korrespondenz" heraus.

13./18. Januar 1913

Der erste Verbandstag des Bauarbeiterverbandes in Jena wählt Friedrich Paeplow als Nachfolger von Th. Bömelburg zum ersten Vorsitzenden und August Winnig zum Leiter der literarisch-statistischen Abteilung.

8. Februar 1913

Durch einen Schiedsspruch wird für die Holzindustrie ein neuer - fünfjähriger - Tarifvertrag vereinbart. Es werden klassifizierte Arbeitszeitverkürzungen - nach Ortsgrößen verschieden - festgelegt. So gilt für Berlin ab 1. Juli 1915 die 50-Stunden-Woche, für Leipzig und Dresden die 51-Stunden-Woche, in kleineren Orten einigt man sich auf die 55-Stunden-Woche.
Für jede Stunde Arbeitszeitverkürzung erhalten die Arbeiter je 1 Pfennig Lohnerhöhung als Ausgleich.

5. März / Mitte Mai 1913

Die Arbeitgeber des Malergewerbes beginnen in Hamburg mit einer Aussperrung, die sie in den folgenden Tagen auf das übrige Reichsgebiet ausdehnen. Sie reagieren auf einen Schiedsspruch, dem der Malerverband trotz Bedenken bereits zugestimmt hatte.
Am 22. März sind rund 16.000 organisierte Malergehilfen - darunter 800 Mitglieder der christlichen Organisation - ausgesperrt. Aber nicht alle Unternehmer beteiligen sich an der Aussperrung. Einen erneuten Schiedsspruch Mitte Mai wird mit knapper Mehrheit zugestimmt. Die Aussperrung scheitert. Der neue zentrale Rahmentarifvertrag ist gegenüber dem von 1910 kaum verändert.

9./15. März 1913

Der Verbandstag der Steinsetzer in Berlin stimmt im Prinzip einem Reichstarifvertrag und dem darin enthaltenen Einigungszwang der Tarifparteien zu.

22./23. März 1913

Ein von den Verbänden der Bergarbeiter, der Fabrikarbeiter und der Heizer und Maschinisten einberufener Kongreß der Kaliarbeiter in Hannover protestiert gegen die gemeingefährliche Weiterentwicklung der Zustände in der Kaliindustrie.
Die Zahl der Förderschächte ist in einer das Bedürfnis in so ungeheuerlichem Maße übersteigenden Weise vermehrt worden, daß ein katastrophaler wirtschaftlicher Zusammenbruch, der mit schweren Schädigungen für die betreffenden Belegschaften und die in Betracht kommenden Gemeinden verbunden sein wird, unausbleiblich ist, wenn die Gesetzgebung nicht vorbeugend eingreift. Als die dem Volksinteresse dienlichste Reformmaßregel empfiehlt der Kongreß die Einführung des Reichsmonopols für die Gewinnung, Verarbeitung und den Betrieb von Kalisalzen. Ferner verlangt er neben Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen: Bei Abschluß von Tarifverträgen haben die beteiligten Arbeiter das Recht, sich Vertreter ihrer Interessen zu wählen.
Jede Behinderung der Arbeiter in der Ausübung ihres Koalitionsrechts, insbesondere durch Maßregelung der von den Arbeitern gewählten Vertauensleute, ist strafbar.
Aus Angst vor Maßregelungen wahren Teilnehmer ihre Anonymität.

29. März 1913

Die Reichsregierung beabsichtigt die Präsenzstärke des Heeres wesentlich zu erhöhen. Die Mehrausgaben sollen durch eine einmalige Ausgabe von rund 1 Milliarde Mark durch einen außerordentlichen Wehrbeitrag gedeckt werden, zu dem alle Vermögen über 10.000 Mark herangezogen werden sollen. Die Wehrvorlage sieht die größte Vermehrung des Heeres seit Bestehen des Deutschen Reiches vor.

5. April 1913

Die "Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände" wird gegründet, das heißt die "Hauptstelle deutscher Arbeitgeberverbände" und der "Verein Deutscher Arbeitgeberverbände" vereinigen sich. Sie hatten bereits seit längerer Zeit eng zusammengearbeitet. Ihr gehören 56.664 Unternehmer an, in deren Betrieben 2.392.789 Arbeiter beschäftigt werden.

6. April 1913

In vielen Teilen Deutschlands finden Protestversammlungen gegen die Heeres- und Deckungsvorlage statt.

17. April 1913

Im Reichstag beginnt die erste Lesung der neuen seit 1871 größten Militärvorlage, die für die drei kommenden Jahre beträchtliche Mehrausgaben vorsieht. Zum ersten Male sollen die Ausgaben nicht nur durch eine Erhöhung der indirekten Steuern, sondern durch einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vom Vermögensbesitz über 10.000 Mark und durch eine fortlaufende Vermögenszuwachssteuer aufgebracht werden.

27./30. April 1913

Der Verbandstag des Centralverbandes der Fleischer in Dresden stellt fest, daß auf Grund der Fleischteuerung tausende Fleischermeister ihre selbständige Existenz aufgeben müssen und um Löhne zu sparen, die Lehrlingszüchterei noch weiter ausgedehnt wird.
Eine Änderung dieser Zustände sieht der Verbandstag in der Aufhebung der Einfuhrzölle auf Lebensmittel, insbesondere auf Vieh und Fleisch sowie der Futtermittelzölle und der Öffnung der Grenzen für die Einfuhr von Vieh bzw. frischem Fleisch unter Aufrechterhaltung unerläßlicher Sicherheitsmaßnahmen gegen die Einschleppung von Seuchen.

27. April / 2. Mai 1913

Der Verbandstag der Bergarbeiter in Hannover kritisiert scharf das Verhalten des christlichen Bergarbeitervereins und fordert den eigenen Vorstand auf, erst dann mit dem christlichen Gewerkverein wieder gemeinsame Lohnbewegungen durchzuführen, wenn er durch Tatsachen beweist, daß er es ernst meint, und im Bedarfsfall auch vor Streiks nicht zurückschreckt.
Der Verbandstag stellt fest, daß es beschämend ist, daß Deutschland beim Bergarbeiterschutz hinter dem Ausland zurücksteht. Er fordert deshalb erneut ein Reichsberggesetz mit einem wesentlich verbesserten Arbeiterschutz.
Der Verbandstag erblickt in der Verstaatlichung der Bergwerksbetriebe die geeignetste Maßregel zum Schutz der durch die sich anbahnende riesenkapitalistische Trustbildung schwer bedrohten Gemeininteressen.

3. Mai 1913

Die am Bauarbeiterschutz interessierten Gewerkschaften beteiligen sich mit einem eigenen Pavillon an der Internationalen Baufachausstellung in Leipzig, in dem alle Zweige des Bauarbeiterschutzes gezeigt und vorgeführt werden.

11. Mai 1913

Schweizerische Volksvertreter verschiedener Parteirichtungen haben zu einer "Verständigungskonferenz" Parlamentarier aller Parteien aus Deutschland und Frankreich nach Bern eingeladen. Während aus Frankreich auch 83 Parlamentarier erscheinen, die nichtsozialistischen Parteien angehören, sind aus Deutschland nur sechs gekommen. Die SPD ist durch 24 Abgeordnete vertreten.
Insgesamt nehmen 156 Abgeordnete teil. Die Konferenz soll der Förderung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland dienen. Sie ist überzeugt, daß eine Annäherung zwischen beiden Ländern die Verständigung zwischen den großen Mächtegruppen erleichtern und damit die Grundlage für einen dauerhaften Frieden schaffen werde.

16. Mai und 3. Juni 1913

Bei den Urwahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus steigt der Stimmenanteil der SPD auf 28,83% und 10 Mandate, während die zweitstärkste Partei, das Zentrum, nur auf 16,53% kommt, dafür aber 103 Abgeordnete erhält, die Deutschkonservativen mit 14,75% sogar 147.

Juni 1913

Auf einer Versammlung in Berlin fordert L. Frank den Massenstreik. Wenn alle Bitten um eine Änderung des Wahlrechts umsonst seien, dann sei der Tag des Massenstreiks gekommen. Erneut lebt darauf die Massenstreikdiskussion wieder auf, zumal in Belgien im April ein Massenstreik zur Reform des Wahlrechts durchgeführt worden war.

1./5. Juni 1913

Die Generalversammlung des Centralverbandes der Bäcker, Konditoren und verwandten Berufsgenossen in Frankfurt a. Main verpflichtet die Mitglieder, nach Möglichkeit auf Zuwendungen aus Wohlfahrtseinrichtungen der Unternehmer - "als der Ehre und den wirklichen Interessen der Arbeiterschaft zuwiderlaufend" - zu verzichten.
Wenn dagegen die Arbeiterschaft eines Betriebes durch den Druck des Unternehmers gezwungen wird, sich diesen Einrichtungen nicht entziehen zu können, soll sie dafür eintreten, auf diese einen bestimmenden Einfluß zu gewinnen. Denn diese Wohlfahrtseinrichtungen werden von den Unternehmern nur geschaffen, um die Arbeiterschaft an die Betriebe zu fesseln, in entwürdigender Weise durch Almosen willfährig zu erhalten und sie von einer kraftvollen Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen abzulenken.
Die Generalversammlung fordert das Verbot der Herstellung von Produkten der Süß- und der Teigwarenindustrie in Heimarbeit und in Strafanstalten.

16./21. Juni 1913

Die Generalversammlung des Metallarbeiterverbandes in Breslau beschließt für die Angestellten des Verbandes eine neue sehr differenzierte Gehaltsskala und Urlaubsregelung. So erhalten die Angestellten nach 20jähriger Dienstzeit pro Jahr 4 Wochen Urlaub.
Für die Unterstützung anderer Gewerkschaften bei Streiks und Aussperrungen hält die Generalversammlung ein Umlageverfahren für die beste Lösung.
Um dabei einer zu großen Inanspruchnahme der eigenen Verbandsmittel vorzubeugen, kann der Vorstand einen Extrabeitrag erheben.

16./22. Juni 1913

Die Generalversammlung des Verbandes der Buchdrucker in Danzig beschließt - nachdem es häufig zwischen der Verbandsleitung und den einzelnen Sparten zu Konflikten über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Betätigung innerhalb der Organisation gekommen war -, daß die Vorsitzenden der Sparten mit beratender Stimme zu den gemeinsamen Sitzungen von Verbandsvorstand und Gauvorstehern hinzugezogen werden.
Die Generalversammlung stellt fest: "Mit der fortgesetzten Veränderung in der Art der Herstellung von Satz und Druck geht auch eine fortgesetzt gesteigerte Intensität der Arbeit Hand in Hand, die von der Prinzipalität durch die unberechtigten Schlagworte vom Rückgang und der Zurückhaltung der Leistungen noch mehr zu forcieren beabsichtigt wird. Hierdurch wird nicht nur die Arbeitslosigkeit eine größere, sondern auch der Krankenstand ungünstig beeinflußt. Der nächsten Tarifrevision wird daher die Aufgabe zufallen, Wege zu suchen, um die durch die Entwickelung in unserem Berufe zutage getretenen Mißstände zu beseitigen oder zu mildern."
Auch die Buchdrucker sprechen sich bei einer Streikunterstützung für andere Gewerkschaften für ein Umlageverfahren aus.

20. Juni 1913

Nachdem der Reichstag die Reichsregierung aufgefordert hat, künftig Staatsaufträge nur an solche Firmen zu vergeben, die den Arbeitern das Koalitionsrecht "unangetastet" lassen, warnt die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände den Reichskanzler vor jeder Beschränkung des Unternehmers "in der Freiheit der Auswahl der zu beschäftigenden Personen und in der Freiheit der Entlassung seiner Arbeiter". Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieses Protests verzichtet die Reichsleitung auf eine Erweiterung der Submissionsbedingungen, denn der Staat kann nach Ansicht des Reichsamts des Innern nicht die für ihn arbeitenden Unternehmer zwingen, einen anderen Maßstab der guten Sitten zu beachten, als ihn die Gesetze und Gerichte vorschreiben.

Sommer 1913

Beginn einer Wirtschaftskrise, die sich bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges hinzieht.
Die Arbeitslosigkeit steigt vom 2. Halbjahr 1912 von 1,9 Prozent auf 3,2 Prozent im 2. Halbjahr 1913. Auf 100 offene Stellen kommen im August 1913 rund 178,1 und vier Monate später bereits 218,1 männliche Arbeitsuchende. Ein Antrag der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, eine staatliche Arbeitslosenversicherung bzw. -unterstützung einzuführen, wird im Reichstag abgelehnt.
Die Krise führt zu einer weiteren Verschlechterung der Lebenslage der werktätigen Bevölkerung.

24./26. Juni 1913

Auf der internationalen Konferenz der Buchbinderverbände in Brüssel wird festgestellt, daß in allen Ländern die Frauenarbeit im Buchbindergewerbe verbreitet ist und von den Unternehmern dazu benutzt wird, die Löhne der männlichen Arbeiter zu drücken. Dieser schädlichen Tendenz könne nicht anders als durch eine Abgrenzung der Männer- und Frauenarbeit begegnet werden. Mit dem Schlagwort: "Für gleiche Arbeit gleicher Lohn!" komme man nicht weit; denn es sei ganz ausgeschlossen, in bezug auf Zeitlöhne, selbst bei gleichen Arbeiten, dieselben Löhne für Männer und Frauen in absehbarer Zeit durchzusetzen. Damit sei aber den Unternehmern die Möglichkeit gegeben, die Stücklohntarife der männlichen Arbeiter illusorisch zu machen, wenn nicht eine Abgrenzung vorgenommen würde.
Die Konferenz beschließt daher einstimmig folgende Resolution:
"Die Konferenz beauftragt das I.B.S. [Internationales Berufssekretariat], zu versuchen, eine Verständigung unter den angeschlossenen Verbänden darüber herbeizuführen, was als Männer- und Frauenarbeit zu betrachten ist.
Sollte diese Verständigung perfekt werden, so wollen sich die angeschlossenen Verbände mit dem I.B.S. weiter darüber verständigen, in welcher Weise die Abgrenzung der Männer- und Frauenarbeit in allen Ländern möglichst einheitlich durchgeführt werden kann."

29. Juni / 10. August 1913

Durch den zweiten Balkankrieg werden die internationalen Spannungen weiter verschärft.

30. Juni 1913

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion stimmt dem einmaligen Wehrbeitrag und dem Vermögenszuwachssteuergesetz zur Finanzierung der von ihr zuvor abgelehnten Heeresvorlage zu.

30. Juni / 5. Juli 1913

Die Generalversammlung des Verbandes der Maler, Lackierer, Anstreicher, Tüncher und Weißbinder in Halle beschließt, eine Erwerbslosenunterstützung einzuführen und die Trennung der Beiträge in Sommer- und Winterbeiträge aufzuheben und künftig für das ganze Jahr einen einheitlichen Beitrag zu erheben. Für die Angestellten des Verbandes wird einer einheitlichen Regelung der Gehälter und des Urlaubs zugestimmt.

Ende Juni / Anfang Juli 1913

Die Verbände der Glasarbeiter, der Porzellanarbeiter und der Töpfer lehnen auf ihren Generalversammlungen in Leipzig die Bildung einer gemeinsamen Industriegewerkschaft zu diesem Zeitpunkt ab.

3./4. Juli 1913

Auf einer gemeinsamen Konferenz der Verbände der Glasarbeiter, der Porzellanarbeiter und der Töpfer in Leipzig scheitert die Gründung eines Keramikarbeiterverbandes.

14. Juli / Mitte August 1913

Gegen den Willen der betroffenen Gewerkschaftsleitungen beginnen Werftarbeiter einen Streik, zu dem sie sich durch die Entlassung von Vertrauensleuten provoziert sehen. Der Ausstand beginnt in Hamburg und greift auf Bremen, Flensburg, Kiel, Stettin und Vegesack über. Ende Juli streiken rund 35.000 Arbeiter. Die außerordentliche Generalversammlung des DMV am 8./9. August beschließt mit 126 gegen 18 Stimmen, den wilden Streik der Werftarbeiter zu verurteilen und fordert die Streikenden auf, die Arbeit sofort wieder aufzunehmen. Ein Antrag, den Streik, trotz des Verstoßes gegen das Statut, anzuerkennen, wird mit 76 gegen 67 Stimmen abgelehnt.

16./19. Juli 1913

Die internationale Schneiderkonferenz in Wien verpflichtet die angeschlossenen Organisationen, die gesetzliche Regelung der Heimarbeit, soweit sie noch nicht erfolgt ist, mit aller Macht in ihrem Land anzubahnen. Dabei ist die gesetzliche Festlegung eines Minimallohns als die entscheidende Bestimmung in dieser Gesetzgebung anzustreben. Die Konferenz erwartet von allen Organisationen, daß der gewerkschaftlichen Organisierung der Heimarbeiter ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden ist, weil damit sowohl die Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit durch eigene Kraft als auch die Durchführung des gesetzlichen Schutzes der Heimarbeiter gefördert wird.

4./9. August 1913

Ein außerordentlicher Verbandstag des Verbandes der Tabakarbeiter in Heidelberg beschließt anstelle der bisherigen Arbeitslosen- und Krankenunterstützung eine Erwerbslosenunterstützung.

9. August 1913

Der Vorstand des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter ruft die Bergarbeiterorganisationen zu einer "gemeinsamen Kampfesfront gegen die Unternehmer" auf. Als erste Aufgabe dieser Arbeitsgemeinschaft schlägt er ein Zusammengehen beim Knappschaftsstatus vor.
Die "Bergarbeiterzeitung" weist darauf hin, daß es die "Christlichen" waren, die die Arbeitsgemeinschaft durch ihre Streikbrüche 1912 "zertrümmert" haben.

10./15. August 1913

Die Generalversammlung des Verbandes der Lithographen und Steindrucker in Stuttgart erklärt, daß sie nach wie vor die Gründung eines graphischen Industrieverbandes für notwendig hält. Denn "das Streben des kapitalistischen Unternehmertums geht in neuester Zeit dahin, durch einen immer engeren und festeren Zusammenschluß seiner Organisationen seine Macht der organisierten Arbeiterschaft gegenüber gewaltig zu steigern und das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten zu verschieben. Diese, für die Gewerkschaften so ungünstige Verschiebung ihres Machtverhältnisses zu den Unternehmerverbänden kann nur dadurch wieder ausgeglichen werden, daß es die Arbeiterschaft dem Unternehmertum gleichtut und ihre einzelnen Berufsorganisationen ebenfalls zu machtvollen Industrieverbänden zusammenschließt."

12./13. August 1913

Der in Leipzig tagende dritte Bauarbeiterschutzkongreß fordert eine reichsgesetzliche Regelung des Bauarbeiterschutzes. Der Kongreß erkennt an, daß durch Verordnungen die Unfallverhütungsvorschriften verbessert worden sind, doch werden diese Maßnahmen durch eine ungenügende Kontrolle beeinträchtigt.
Um die Übelstände im Submissionswesen zu beseitigen, hält der Kongreß die Einführung des Regiebetriebes bei der Ausführung der öffentlichen Arbeiten für dringend geboten.
Bis zur Einführung der Regiearbeit ist eine Neuregelung des Submissionswesens zu fordern. Bei Vergebung öffentlicher Arbeiten und Lieferungen muß der Unternehmer zur Erfüllung bestimmter Bedingungen gegenüber den Arbeitern und Angestellten verpflichtet werden. So u.a. das Koalitionsrecht in vollem Umfange zu gewähren; die Durchführung und Einhaltung vereinbarter oder tariflich festgesetzter Lohn- und Arbeitsbedingungen; die bestehenden Arbeiterschutzbestimmungen aller Art durchzuführen; bei Neueinstellung von Arbeitern die von den Kommunen oder von Unternehmer- und Arbeiterorganisationen gemeinschaftlich errichteten paritätischen Arbeitsnachweise zu benutzen und in erster Linie ortsangesessene und ferner inländische Arbeiter zu beschäftigen, bevor Ausländer eingestellt werden.

13. August 1913

A. Bebel, geboren 22. Februar 1840 in Deutz (b. Köln), Drechslermeister, 1861 Mitglied des Gewerblichen Bildungsvereins, 1864 in den Ständigen Ausschuß Deutscher Arbeitervereine gewählt, 1867 als erster Arbeitervertreter in den Norddeutschen Reichstag gewählt, 1867 Vorsitzender des Verbandes Deutscher Arbeitervereine, 1868 veröffentlichte er Musterstatuten für Gewerksgenossenschaften, 1869 gründete er gemeinsam mit W. Liebknecht die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, 1877 arbeitete er mit F. W. Fritzsche den ersten Arbeiterschutzgesetzentwurf der Sozialdemokratie aus, 1892 zu einem der beiden SPD-Parteivorsitzenden gewählt, 1867-1881 und 1883-1913 MdR, in Passugg (Schweiz) gestorben.
Die Sozialdemokratie verliert mit A. Bebel einen der bedeutendsten Führer.

22./24. August 1913

Auf dem Reichsdeutschen Mittelstandstag in Leipzig gründen am 24. der "Zentralverband deutscher Industrieller", der "Reichsdeutsche Mittelstandsverband" und der "Bund der Landwirte" den "Reichsausschuß für wirtschaftliche Gemeinschaftsarbeit der großen Berufsstände" - gewerblicher Mittelstand, Industrie, Landwirtschaft sowie des Haus- und Grundbesitzes.
Das Arbeitsprogramm dieser "produzierenden Stände" lautet: "Zusammengehen zur gegenseitigen wirtschaftlichen Unterstützung und Bekämpfung der Auswüchse im Organismus unseres Wirtschaftslebens; Aufrechterhaltung der Autorität in allen wirtschaftlichen Betrieben; Schutz der nationalen Arbeit, Sicherung angemessener Preise und Schutz der Arbeitswilligen; Bekämpfung der Sozialdemokratie und sozialistischer Irrlehren. Zur Durchführung dieser Ziele sollte keine Verschmelzung der einzelnen Verbände stattfinden, sondern die gemeinsamen wirtschaftlichen Fragen in Ausschüssen beraten werden."
Dieses "Kartell gegen die Sozialpolitik und die Arbeiterbewegung" stößt vor allem auch bei den christlichen Gewerkschaften auf heftige Ablehnung. Seit Beginn der Kampagne für eine Verschärfung des Koalitionsrechts haben die christlichen Gewerkschaften und die mit ihnen verbundenen konfessionellen Arbeitervereine immer wieder darauf hingewiesen, daß die deutschen Arbeiter unter Schutz der Arbeitswilligen "ohne Ausnahme der Richtungen Ausnahmegesetze gegen die Gewerkschaften, Beschränkung des Koalitionsrechts" begreifen. Ein Versuch, an dem Koalitionsrecht zu rütteln, würde einen "Sturm von Entrüstung" auslösen. "Die Regierung würde mit einem Schlage die mühsame Arbeit, die von der christlich-nationalen Arbeiterbewegung im letzten Jahrzehnt auch für das Staatsganze geleistet wurde, vernichten, wenn sie durch ein koalitionsfeindliches Gesetz das Vertrauen der christlichen Arbeiterschaft verlieren würde.

31. August / 1. September 1913

Der Verbandstag des Verbandes der Blumenarbeiter in Neustadt in Sachsen beschließt, möglichst bis zum 1. Januar 1914 den Anschluß an den Fabrikarbeiterverband zu vollziehen.

3./6. September 1913

Die Internationale Association zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellt auf ihrer Konferenz in Gent fest, der gegenwärtige Stand des Arbeitsnachweiswesens zeigt fast überall eine unbefriedigende Situation. Soll der Arbeitsnachweis seine Hauptaufgabe, durch fortlaufende Beobachtung und planmäßige Regelung des Arbeitsmarktes vermeidbarer Arbeitslosigkeit vorzubeugen, erfüllen, so wird u.a. folgenden Grundsätzen Rechnung zu tragen sein: Systematische Organisierung der öffentlichen Arbeitsnachweise mit territorialer Gliederung und Berücksichtigung der beruflichen Interessen; völlige Unparteilichkeit bei der Stellenvermittelung und der Verwaltung; Gebührenfreiheit für Arbeitsuchende; Kosten zu Lasten des Staates. Zur Durchführung der Reformen erscheint die Mitwirkung der staatlichen Verwaltung bzw. Gesetzgebung erwünscht.

14./20. September 1913

Der SPD-Parteitag in Jena erörtert noch einmal das Problem des Massenstreiks. Während der Parteivorstand sich gegen die ganze Massenstreikdiskussion ausspricht, vertritt L. Frank die Losung: In Preußen kommt entweder eine Wahlreform oder es kommt ein Massenstreik. Der Parteitag lehnt die von Rosa Luxemburg vorgelegte Resolution mit 333 gegen 142 Stimmen ab, die eine offensive, entschlossene und konsequente Taktik der Partei auf allen Gebieten fordert, da nur eine Taktik, die den Schwerpunkt des Kampfes in die Aktion der Massen verlege und alle Maßregeln ergreife, damit das deutsche Proletariat bei den kommenden Kämpfen für alle Fälle gerüstet dastehe, Erfolg verspreche. Die Resolution des Parteivorstandes bestätigt den Beschluß von Mannheim (1906). Sie fordert die entrechteten Massen auf, im Kampf gegen das Dreiklassenwahlrecht alle Kräfte anzuspannen in dem Bewußtsein, daß dieser Kampf ohne große Opfer nicht siegreich durchgeführt werden könne. Die Parteimitglieder werden deshalb verpflichtet, unermüdlich für den Ausbau der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen zu wirken.
Der Parteitag billigt mit 336 gegen 140 Stimmen das Verhalten der Reichstagsfraktion bei der Abstimmung über die Militärvorlage und vertritt die Auffassung, nach der für die Bewilligung von Steuern nicht allein deren Art, sonder auch ihr Verwendungszweck maßgebend sein soll.
Von den Parteiangestellten wird erwartet, daß sie ihren Tagesverdienst am 1. Mai an den Maifeierfonds abliefern.
Zur herrschenden Arbeitslosigkeit verlangt der Parteitag rasche Maßnahmen zur Linderung der Not durch die sofortige Ausführung unerledigter Arbeitsaufträge und durch planmäßige Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, da die ständige und periodisch stärker auftretende Arbeitslosigkeit eine untrennbare Begleiterscheinung und Folge der kapitalistischen Produktionsweise ist, kann eine dauernde Hilfe für die von der Arbeitslosigkeit Betroffenen nur durch entsprechende Erweiterung der Sozialgesetzgebung erreicht werden. Die öffentlich-rechtliche Arbeitslosenversicherung könne vollständig nur durch die Reichsgesetzgebung herbeigeführt werden. Bis zur Verwirklichung sei das System kommunaler Zuschüsse zu den gewerkschaftlichen Arbeitslosenunterstützungen zu fordern.
Zu Parteivorsitzenden werden Hugo Haase und Friedrich Ebert gewählt.

16./19. September 1913

Die achte Konferenz der Vertreter der gewerkschaftlichen Landeszentralen in Zürich beschließt, das internationale "Sekretariat" künftig "Internationaler Gewerkschaftsbund" (IGB) zu nennen.
"Die Konferenz ersucht dringend die Arbeitervertreter der Parlamente der verschiedenen Länder, daß sie, wo es nicht schon geschehen ist, demnächst Anträge einbringen resp. erneuern auf Verbot der Nachtarbeit für diejenigen Arbeiterkategorien und Industriezweige, in denen nicht dringende Umstände dieselbe notwendig machen, und gleichfalls Anträge einzubringen auf Einführung des gesetzlichen Achtstundentages."
Im Anschluß an diese Konferenz findet am 19. September die 1. Konferenz der internationalen Berufssekretäre statt, die vor allem eine bessere Berichterstattung untereinander verlangt.
1912 waren 19 Landeszentralen mit rund 7.395.000 Mitgliedern der Zentralstelle angeschlossen.

7. November 1913

Die Arbeitsnachweiskonferenz der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände lehnt die Einführung einer Arbeitslosenversicherung ab. Staatssekretär Dellbrück erklärt Anfang Dezember 1913 im Reichstag, daß für eine umfassende gesetzliche Arbeitslosenversicherung die Zeit noch nicht reif ist.

Der Zentralrat der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine lehnt, obgleich die Gewerkvereine an nationaler Gesinnung nicht hinter den christlichen Gewerkschaften zurückstehen, die Beteiligung an dem 3. Arbeitertag ab, weil der Ausschuß dieses Arbeitertages die Bedingung stellt, daß die teilnehmenden Organisationen auf dem Boden der christlichen Weltanschauung stehen müssen. Die Gewerkvereinler halten es für unwürdig, das Christentum für Reklamezwecke zu mißbrauchen. Es kommt hinzu, daß die Vertreter der christlichen Gewerkschaften in den Parlamenten gezwungen sind, die Agrarpolitik des Centrums und der Konservativen mitzumachen und sie als Arbeiter wider das Interesse der Arbeiterschaft handeln, indem sie die Politik der künstlichen Lebensmittelverteuerung unterstützen.

19. November / Mitte Dezember 1913

In Zabern/Elsaß kommt es zu Zusammenstößen zwischen Militär- und Zivilbevölkerung.
Die SPD ruft zu Protestversammlungen auf. Der Reichstag spricht mit 293 gegen 54 Stimmen dem Reichskanzler, der das Auftreten des Militärs verteidigt hatte, das Mißtrauen aus.

21./22. November 1913

Die Hauptversammlung der Gesellschaft für soziale Reform in Düsseldorf - an ihr nehmen dieses Mal auch Vertreter der sozialdemokratischen Gewerkschaften teil - behandelt die gesetzliche Regelung des Tarifvertrages und die Einführung eines Reichseinigungsamtes.

30. November / 3. Dezember 1913

Der dritte christlich-nationale Arbeiterkongreß in Berlin erwartet, daß die neuerdings auftretenden Bestrebungen zur Einschränkung des Koalitionsrechts der Arbeiter bei Regierung und Parlament entschiedene Zurückweisung finden, da jede Beeinträchtigung der Rechte der Arbeiter den heftigsten Widerstand aller Arbeiter ohne Unterschied der Partei hervorrufen müssen und geeignet sind, die Klassengegensätze zu verschärfen.
Der Kongreß empfiehlt, als wirksames Mittel zur Abwehr gegen die antisozialen Strömungen die Stärkung der auf christlichem und nationalem Boden stehenden Organisationen der Arbeiter und Angestellten.
Der Kongreß verurteilt entschieden das terroristische Verhalten der freigewerkschaftlichen Organisationen gegenüber nicht sozialdemokratisch organisierten Arbeitern. Auf der anderen Seite jedoch wendet sich der Kongreß ebenso energisch gegen den Unternehmerterrorismus, der insbesondere durch die Führung schwarzer Listen, durch die Unternehmerarbeitsnachweise und durch die Förderung der gelben Bewegung angewendet wird. Die gelben Bestrebungen sind entschieden abzulehnen, weil sie das soziale Verantwortlichkeitsgefühl untergraben und eine Brutstätte des für das staatsbürgerliche Zusammenleben verderblichen Egoismus sind.
Der Kongreß fordert:
die Aufhebung des § 153 der Gewerbeordnung als eines gegen die Arbeiter und Angestellten gerichteten Ausnahmegesetzes;
den Ausbau des Koalitionsrechts in dem Sinne, daß Maßnahmen zur Verhinderung des Gebrauches des Koalitionsrechts, von welcher Seite sie auch kommen mögen, unter Strafe gestellt werden;
das Streikpostenstehen ist gegenüber der Polizeiwillkür als ein im wirtschaftlichen Kampfe erlaubtes Mittel zu erklären;
die Sicherung und weitere Ausgestaltung des Tarifvertrages und die Errichtung eines Reichseinigungsamtes;
ein einheitliches Vereinsrecht der Landarbeiter für das ganze Deutsche Reich;
die Schaffung eines einheitlichen Staatsarbeiterrechts.
Für die Arbeitslosenfürsorge sollen Verwaltungsbehörden die privaten Produktionsleiter, Kartelle, Syndikate auf eine größere Stetigkeit des Arbeitsmarktes durch zweckmäßige Verteilung der vorhandenen Arbeiten achten. Kultivierung von Ödländereien, größere Aufforstungen, Verbesserung der Verkehrsmittel sollen bei großer Arbeitslosigkeit insbesondere in Angriff genommen werden.
Die Beschäftigung von Ausländern soll unterbleiben, solange einheimische Arbeiter vorhanden sind. Die Arbeitsvermittlung ist reichsgesetzlich zu regeln. Als erstrebenswertes Ziel der öffentlichen Arbeitslosenfürsorge wird die reichsgesetzliche Regelung der Arbeitslosenversicherung bezeichnet. Bis zur Behebung der Schwierigkeiten empfiehlt der Kongreß das Genfer System; zu den Kosten haben die Versicherten, die Gemeinden, Bundesstaaten und das Reich beizutragen.
Auf dem Kongreß kommt es zu Meinungsverschiedenheiten mit den Vertretern der Berliner Richtung der katholischen Arbeitervereine, die sich gegen das Streikrecht und für den "Arbeitswilligenschutz" aussprechen und danach faktisch nicht mehr dem Deutschen Arbeiterkongreß angehören.

1./3. Dezember 1913

Der außerordentliche Verbandstag des Bauarbeiterverbandes in Hamburg beschließt, zum 1. Juli 1914 eine Arbeitslosenversicherung einzuführen.
Bis auf die Verbände der Dachdecker, Gastwirtsgehilfen, Maler, Schneider, Steinarbeiter, Steinsetzer und Zivilmusiker haben damit alle Gewerkschaften der Generalkommission eine Arbeitslosenunterstützung.

5. Dezember 1913

Der Staatssekretär des Innern Delbrück erklärt im Reichstag auf die sozialdemokratische Interpellation über die reichsgesetzliche Einführung einer Reichsarbeitslosenversicherung: eine alle Arbeiter und Angestellten umfassende gesetzliche Arbeitslosenversicherung sei zur Zeit noch nicht reif; daran sei auch nicht zu denken, solange nicht Handel, Industrie und Landwirtschaft die neuen Belastungen durch die Reichsversicherungsordnung verarbeitet haben.
Zunächst muß die Arbeitslosenstatistik intensiviert werden und ein sachgemäßer Ausbau der Arbeitsnachweise geschehen.

Ende 1913

Die Generalkommission gibt ihre erstmals 1911 erschienene Denkschrift über die Arbeitslosenunterstützung in Reich, Staat und Gemeinde in erweiterter Form erneut heraus.
Sie geht den Regierungen, Parlamenten und Gemeindeverwaltungen zu.

Drei Viertel der Beschäftigten, für die Ende 1913 Tarifverträge bestehen, sind in Klein- und Mittelbetrieben tätig, die bis zu 50 Personen umfassen. Besonders groß war der Anteil von Tarifabschlüssen in der Betriebsgrößenklasse von 11-50 Beschäftigten, in der er mehr als doppelt so hoch ist wie der Prozentsatz der Erwerbstätigen, die nach der Zählung von 1907 in dieser Betriebsgrößenklasse beschäftigt wurden. Auf die Großbetriebe, die 200 und mehr Beschäftigte zählen, entfallen dagegen lediglich ein Anteil von 8% der Berufstätigen, für die Tarifverträge vereinbart sind, obwohl in diesen Betrieben 1907 bereits ein Fünftel aller in Industrie und Handwerk Erwerbstätigen gearbeitet hat.
Während die Verbände des graphischen Gewerbes bis Ende 1913 für 39% aller Beschäftigten tarifvertragliche Regelungen erreicht haben, können bis zu diesem Zeitpunkt in den Betrieben der Metallerzeugung und Metallverarbeitung nur für 9,2% der Erwerbstätigen Tarifverträge abgeschlossen werden; im Bergbau, in dem 58,2% der Unternehmen Belegschaften von über 1.000 Personen aufweisen, kommt vor 1914 überhaupt keine tarifliche Abmachung zustande.
Insgesamt bestehen erst für rund 13,5% der Arbeiter in Industrie, Bergbau und Baugewerbe Tarifverträge.

Die schlechte wirtschaftliche Lage zeigt sich auch - wie schon früher - in der Mitgliederentwicklung.
28 Verbände der Generalkommission registrieren 1913 Mitgliederverluste, nur 19 Mitgliedergewinne.

Die Auflage der "Arbeiter-Jugend" beträgt 103.000 Exemplare.
Im Laufe des Jahres gab die Centralstelle für die arbeitende Jugend Flugblätter u.a. zur Gewinnung von jugendlichen Arbeiterinnen, zum Jugendwandern und zum Kampf gegen den Alkoholgenuß in einer Gesamtauflage von rund 560.000 Exemplaren heraus.
An Schriften veröffentlichte die Centralstelle neu bzw. wieder den Almanach für die arbeitende Jugend "Jung-Volk" (35.000 Exemplare), "Der gesetzliche Arbeiterschutz für Jugendliche", einen Katalog für die Jugendbibliotheken und ein Jugendliederbuch.

Der "Centralverband deutscher Konsumvereine" umfaßt 1.157 Konsumvereine, 38 Produktionsgenossenschaften, 807 Großeinkaufs- und 557 Verlagsgesellschaften mit zusammen rund 1.634.000 Mitgliedern und rund 30.000 Beschäftigten.

Ende 1913 / Anfang 1914

Der Parteivorstand der SPD und die Generalkommission organisieren eine umfangreiche Protestbewegung gegen den konservativen Streikpostenantrag, um den bürgerlichen Parteien vor Augen zu führen, "daß sie ihre letzten Arbeiterwähler aufs Spiel setzen, wenn sie in dieser Frage den Junkern und Scharfmachern auch nur den kleinen Finger reichen". Von einer gemeinsame Aktion mit den christlichen Gewerkschaften verspricht sich dagegen der Parteivorstand noch nichts.
Am 11. Januar 1914 werden in Berlin Hunderttausende von Flugblättern mit dem Aufruf zu Protestversammlungen verteilt. Vom 13. Januar an finden in allen deutschen Großstädten Abwehrkundgebungen statt. Auf ihnen protestieren die Versammelten gegen den § 153 der GO als das "denkbar ungerechteste und einseitigste Ausnahmegesetz gegen die Arbeiterklasse" und bekunden ihre Bereitschaft, die Verabschiedung des Strafgesetzentwurfs "mit allen zulässigen Mitteln zu verhindern".
Doch der befürchtete Anschlag bleibt aus.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000

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