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1906

Der wirtschaftliche Aufschwung setzt sich fort. Die Lebenshaltungskosten steigen um 4,7%. Mit umfangreichen Aussperrungen u.a. bei den Buchbindern, den Steinsetzern, den Töpfern und Ofenfabrikanten - eine geplante Aussperrung von rund 300.000 Metallarbeitern wird im letzten Moment gestoppt - versuchen die Arbeitgeber das überdurchschnittliche Wachsen der Gewerkschaftsbewegung aufzuhalten.

In ihrer Schrift "Massenstreik, Partei und Gewerkschaften" kritisiert Rosa Luxemburg, durch die "geschäftsmäßige bürokratisch geregelte Leitung des Gewerkschaftsbeamten" werde die Arbeiterschaft "zur urteilsunfähigen Masse degradiert, der hauptsächlich die Tugend der 'Disziplin', das heißt des passiven Gehorsams, zur Pflicht gemacht wird".

In einem Gesetzentwurf verlangt die SPD im Reichstag erneut die Errichtung eines Reichsarbeitsamtes, von Arbeitskammern und Einigungsämtern.

Für das Malergewerbe wird in Berlin der erste größere Bezirkstarifvertrag abgeschlossen.

Die "Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen" wird als "Zentralstelle für Volkswohlfahrt" zu einem öffentlich rechtlichen Verein mit Sitz in Berlin mit der Auflage umgestaltet, die bisherige Zentralstelle solle die Zwecke des ursprünglich geplanten Volkswohlfahrtsamts miterfüllen. Hauptschwerpunkte der neuen Zentralstelle liegen im ländlichen Bereich, dem Bau- und Wohnungswesen, Fragen der Hygiene und Ernährung, der Jugendpflege und zunehmend im Bereich der Volksbildung.

Von den rund 20,7 Millionen Unfallversicherten entfallen noch 54% auf die Land- und Forstwirtschaft, auf die Industrie 42%, auf den öffentlichen Dienst 4%.
Im Durchschnitt aller Berufsgenossenschaften entfallen 6,7% Verletzte auf 1.000 Versicherte. Während 1886 in der Industrie noch mehr als 25% der Unfälle tödlich enden, sinkt der Anteil 20 Jahre später auf 7,6%.

Mit der "Berliner Konvention" wird im ersten internationalen Arbeitsschutzabkommen auf Regierungsebene eine Begrenzung der Frauenarbeitszeit erreicht.

Der wirschaftsfriedliche Berufsverband "Bund der Bäcker-(Konditoren) Gesellen Deutschlands" wird gegründet. Er will die friedliche Verständigung mit den Meistern praktizieren und tritt für den Schutz des Kleingewerbes ein. Er stößt auf beachtliche Resonanz und hat 1913 mehr als 15.000 Mitglieder.

In einigen Orten werden von sozialdemokratischen Frauen Kinderschutzkommissionen gebildet, die auf die genaue Durchführung der Vorschriften des gesetzlichen Kinderschutzes achten wollen.

1. Januar 1906

Die vom "Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften" herausgegebene Zeitschrift "Przyjaciel Robotnikow" erscheint wöchentlich.

Die erste Ausgabe des dreimal wöchentlich erscheinenden "Korrespondenzblatt des Verbands der deutschen Gewerkvereine" erscheint.

Die von der Generalkommission herausgegebenen "L´Operaio Italiano" und "Oswiata" erscheinen jetzt wöchentlich. Ende 1906 erreicht die italienische Zeitung eine Auflage von 12.300, die polnische von 6.000 Exemplaren.

15. Januar 1906

Die erste Ausgabe der vom "Internationalen Metallarbeiter-Bund" herausgegebenen "Internationale Metallarbeiter-Rundschau" erscheint in deutscher, französischer und englischer Sprache.

16./17. Januar 1906

Vertreter von 291 Hilfskassen mit 850.000 Mitgliedern protestieren auf einem Kongreß gegen die in einem Reichsgesetzentwurf vorgesehene faktische Aufhebung des Hilfskassengesetzes, da die Hilfskassen unter das Privatversicherungsgesetz gestellt werden sollen.

17. Januar / Ende Februar 1906

In Berlin findet eine von den freien Gewerkschaften und dem Büro für Sozialpolitik gemeinsam veranstaltete Heimarbeiterausstellung statt. Doch es kommt im Verlauf der Ausstellung zu Differenzen. In ihrem Bericht an den Kongreß 1908 erklärt die Generalkommission: "Ein dauerndes Zusammenarbeiten mit den an der Sache beteiligten Organisationen und Personen sei unmöglich, weil die Gegensätze in den politischen Anschauungen zu groß sind. Selbstverständlich werden jeder Zeit die Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Aktion zur Bekämpfung der Heimarbeit bereit sein".

21. Januar 1906

Das Büro der sozialistischen Internationale schlägt diesen Tag als Gedenktag für die Opfer des "Blutsonntags" von St. Petersburg am 22. Januar 1905 vor.
In Preußen finden Tausende - auch von den sozialdemokratischen Gewerkschaften - von Protestversammlungen gegen das Dreiklassenwahlrecht statt. Die Ankündigung dieser Versammlungen ruft große Unruhe hervor. In einem Tagesbefehl am 19. Januar erklärt der Oberkommandierende in den Marken: "... sollten Barrikaden entstehen, so sind sie durch Granaten zu beschießen, bevor die Infanterie sie bestürmt."
Der Parteivorstand bestreitet in einer Erklärung, daß Straßendemonstrationen geplant seien. Der "Rote Sonntag" verläuft ohne Zwischenfälle. Alle Versammlungen nehmen eine gleichlautende Protestresolution gegen das Wahlrecht an, die dem preußischen Landtag als Petition übergeben wird.

29./31. Januar 1906

Ein Kongreß der Tabakarbeiter aller Branchen und Organisationen in Berlin beklagt die miserable soziale Lage der Tabakarbeiter: Hungerlöhne, überlange Arbeitsdauer, die in der Heimarbeit auch die Familienmitglieder trifft, Wohnungsmisere, schlimme Gesundheitsverhältnisse. Die Delegierten protestieren energisch gegen die geplante Erhöhung der Tabaksteuer und des damit verbundenen befürchteten Rückgangs der Produktion und große Arbeitslosigkeit.

11. Februar 1906

In Karlsruhe wird der "Verband der jungen Arbeiter Deutschlands (Sitz Mannheim)" gegründet. In ihm sind die süddeutschen Arbeitervereine vereinigt. Ihre Zeitschrift wird "Die junge Garde", die ab 1. April erscheint, Gründer und Redakteur: Ludwig Frank. Auf der ersten Generalversammlung am 30. Oktober 1906 wird der Verband umbenannt in "Verband junger Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands (Sitz Mannheim)".

16. Februar 1906

Zwischen Vertretern des SPD-Parteivorstandes und der Generalkommission findet eine vertrauliche Aussprache über das Problem des Massenstreiks statt. Der Parteivorstand rechnet mit dem Ausbruch wilder Streiks. Er will eine Grundlage für eine in solchen Situationen einzuhaltende übereinstimmende Taktik mit den Gewerkschaften schaffen. A. Bebel erklärt in der Sitzung, der Parteivorstand habe nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu propagieren, sondern wird, soweit es ihm möglich ist, einen solchen zu verhindern suchen. Wenn dennoch ein solcher Streik ausbrechen sollte, so müßte derselbe von der Partei geführt werden, und die Gewerkschaften hätten sich offiziell nicht daran zu beteiligen. Für den Fall eines solchen Streiks sollten die Gewerkschaften dieser Bewegung nicht in den Rücken fallen und nicht gegen diese Bewegung wirken. Die Unterstützung der Streikenden und die Kosten für die Folgen müsse Aufgabe der Partei sein. Wenn Aussperrungen und Streiks als Folgen dieses Streiks zurückbleiben sollten, so wäre zu empfehlen, daß die Gewerkschaften für die Unterstützung eintreten.

19./23. Februar 1906

Die Konferenz der Vertreter der Vorstände der Zentralverbände in Berlin beschließt, daß Differenzen über die Organisationsbereiche von den betroffenen Gewerkschaften unter Anerkennung des gegenwärtigen Besitzstandes durch besondere Vereinbarungen - Kartellverträge - zu regeln sind. Für betriebsfremde Arbeiter soll die Organisation des Berufes nicht des Betriebes zuständig sein. Bei gemeinsamen Streiks soll jede Organisation nur die eigenen Mitglieder unterstützen. "Unlautere Agitation" ist zu unterlassen.
Ein Antrag des Metallarbeiterverbandes, Arbeiter - gelernte und ungelernte -, die in einem Betriebe zusammenarbeiten und deren Tätigkeit bei der Herstellung von Produkten organisch zusammenhängt, in dem für ihren Beruf errichteten Industrieverband zu organisieren, bzw. sogenannte betriebsfremde, z.B. Maurer und Zimmerer in Industriebetrieben, dem Industrieverband ihres Berufes oder wenn ein solcher nicht besteht der zuständigen Berufsorganisation zuzuführen, wird abgelehnt.
Bei Übertritten ist die Beitragsleistung anzurechnen.
Die Generalkommission wird beauftragt, gewerkschaftliche Unterrichtskurse vorzubereiten und durchzuführen.
Die Konferenz bestätigt die Vereinbarungen vom 16. Februar, beklagt die Angriffe einzelner Parteizeitungen gegen die Gewerkschaften und betont, daß es Pflicht der Gewerkschaftspresse - deren Redakteure anwesend sind - sei, solche Angriffe rasch und entschieden zurückzuweisen und ihre Solidarität auch einzelnen angegriffenen Gewerkschaftsredakteuren gegenüber zu bekunden. Die Gewerkschaftspresse soll von ihrem Recht der Kritik mehr als bisher Gebrauch machen. Die Generalkommission sei nach wie vor berufen, in allen die gewerkschaftliche und politische Arbeiterbewegung gemeinsam berührenden Fragen rechtzeitig eine Verständigung mit dem Parteivorstand herbeizuführen.

26. Februar / 2. März 1906

Der Verbandstag der Hafenarbeiter in Stettin vereinbart einen Kartellvertrag zwischen den Verbänden der Seeleute, der Eisenbahner, der Handels- und Transportarbeiter sowie der Maschinisten und Heizer, um sich gegenseitig zu unterstützen.
In das Streikreglement aufgenommen wird, daß alle Lohnbewegungen der Genehmigung des Hauptvorstandes bedürfen, der einen Monat zuvor informiert werden muß.

28. Februar 1906

Die SPD-Reichstagsfraktion bringt einen Gesetzentwurf zum Schutz der Heimarbeiter im Reichstag ein.

1. März 1906

Ein neuer Zolltarif tritt in Kraft. Die Lebensmittelpreise steigen dadurch beachtlich an.

19./23. März 1906

In Berlin tagt ein Schutzkongreß für alle in der Schiffahrt und im Schiffsbau beschäftigten Arbeiter, an der außer den Gewerkschaftsvertretern auch Delegierte von Berufsvereinen teilnehmen.
Der Kongreß verabschiedet eine umfangreiche Resolution, in der u.a. eine Erhöhung der Minimalheuern, eine durchgreifende Revision der Seemannsordnung, die Ausdehnung der Krankenversicherung auf Seeleute gefordert werden.
Darüber hinaus fordert der Kongreß einen umfassenden Ausbau des Arbeitsschutzes und dessen Kontrolle durch die Seeleute.

26. März / 27. Mai 1906

5.000 Bergarbeiter streiken im Braunkohlengebiet von Meuselwitz-Weißenfels-Zeitz für höhere Löhne und Schichtverkürzung. Die Arbeiter erzwingen die Neunstundenschicht, Erhöhung der Schicht- und einiger Gedingelöhne sowie Verbesserungen der Arbeitsbedingungen.

2./6. April 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Steinarbeiter in Nürnberg beschließt, gegen das die Arbeiter stark schädigende Entlohnungsmethode - das wilde Akkordsystem - den Kampf mit aller Schärfe aufzunehmen.
Die Tarifverträge sind einheitlicher zu gestalten. Dabei ist der Verbandstag überzeugt, daß durch die Tarifverträge der Klassenkampfstandpunkt der Organisation nicht verwischt wird, denn die bisherige Erfahrung lehrt, daß die Arbeiterschaft überhaupt erst durch den geführten Klassenkampf zu solchen Verträgen gekommen ist. Die Delegierten protestieren gegen die Mißachtung der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Unternehmer und verlangt die Ausdehnung der Bundesratsverordnung auf alle Beschäftigten der gesamten Steinindustrie.

5. April 1906

H. Meister, geboren 2. Oktober 1842 in Hildesheim, Zigarrenarbeiter, einer der Gründer des ADAV in Hannover, seit 1884 Reichstagsmitglied, 1889 in die Parteileitung und den Fraktionsvorstand gewählt und seit 1893 Vorsitzender der Kontrollkommission, in Berlin gestorben.

14./17. April 1906

Der Verbandstag des Zentralverbandes der Glaser in Mannheim lehnt den Anschluß an den Holzarbeiterverband ab. Die Funktionäre der Organisation werden vom Verbandstag verpflichtet, überall da, wo es irgend angängig, die Kollegen zur Arbeitsruhe zu veranlassen. Maifeiern als Demonstration am ersten Sonntag im Mai kann der Verbandstag nicht befürworten.

Die Generalversammlung des Verbandes der Textilarbeiter in Mühlhausen erblickt im Abschluß von Tarifverträgen ein nicht unbedeutendes Mittel zur Regelung und Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und verabschiedet einen umfangreichen Normenkatalog. Neu eingeführt wird eine Sterbeunterstützung.

15./16. April 1906

Die Generalversammlung des Verbandes der Maschinisten und Heizer in Mannheim erweitert die Arbeitslosenunterstützung und beschließt die feste Anstellung des Verbandsvorsitzenden.

16./18. April 1906

Die Generalversammlung des Verbandes der im Vergoldergewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen in Leipzig beschließt den Anschluß an den Holzarbeiterverband.

Ein Kongreß der Handelshilfsarbeiter in Berlin fordert u.a. eine reichsgesetzliche Festlegung der Arbeitszeit auf 9 Stunden, einheitliche gesetzliche Durchführung des Achtuhrladen-, Geschäfts- und Arbeitsschlusses für alle Handelsbetriebe, vollständige Sonntagsruhe für alle kaufmännischen Betriebe, die Ausdehnung der Unfallversicherung auf das gesamte Handelsgewerbe, Verbot des Kost- und Logiszwanges, Verbot der Verwendung jugendlicher Arbeiter unter 21 Jahren als Transportradfahrer und Errichtung von Handelsinspektoren.

Der Verbandstag des Kürschnerverbandes in Weißenfels beschließt eine Kranken- und Sterbeunterstützung einzuführen. Der erste Vorsitzende wird fest besoldet.

16./19. April 1906

Die Generalversammlung der Sattler in Dresden ändert das Streikreglement. Alle Streiks bedürfen der Zustimmung des Vorstandes. Vorbedingung der Genehmigung ist, daß vier Fünftel der betroffenen Mitglieder in geheimer Abstimmung sich für einen Streik entschieden haben. Die Bestimmungen über die Genehmigung von Abwehrstreiks nur bei Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder, die mindestens ein halbes Jahr dem Verband angehören, wird gestrichen. Bei Aussperrungen infolge der Maifeier und sonstigen Aussperrungen gelten die Bestimmungen für die Unterstützung wie bei Abwehrstreiks. Weibliche Mitglieder, in Heimarbeit beschäftigt, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung.
Johann Sassenbach, Vorsitzender des Verbandes seit 1891, kandidiert nicht mehr. Zum Vorsitzenden wird Peter Blum gewählt.

Der Kongreß der "Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften" in Berlin nimmt ein Programm an, das sich zum "Klassenkampf im Sinne des revolutionären Sozialismus bekennt. Das Programm fordert die Bildung und den Ausbau "solcher Gewerkschaften, die sowohl den auf Verbesserung der Lebenshaltung und Arbeitsbedingungen gerichteten Tageskampf führen, wie auf die auf Beseitigung der Klassenherrschaft gerichteten Bestrebungen unterstützen, die begründet sind in der sozialistischen Weltanschauung und ihren Ausdruck finden in der Propaganda für die Idee der Massen- resp. Generalstreiks. Zur Freien Vereinigung können nicht gehören solche Gewerkschaften, die den Klassenkampf verleugnen und statt der Gegensätzlichkeit eine Gemeinsamkeit der Interessen zwischen Unternehmern und Arbeitern anerkennen und erstreben."
Das Organisationsstatut erhält eine neue Fassung: "Die Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften setzt sich zusammen aus Centralisationen und solchen selbständigen Lokalorganisationen, für deren Beruf eine Centralisation der Freien Vereinigung nicht angeschlossen ist.
Jede Organisation hat ihr vollkommenes Selbstbestimmungsrecht und ihre eigenen, den örtlichen wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnissen entsprechenden Statuten.
Unter allen Umständen ist jede Gewerkschaft verpflichtet, mindestens als Jahresbeitrag einen halben Wochenlohn von ihren Mitgliedern zu erheben, sowie pro Mitglied und Quartal 5 Pfennig zum Agitationsfonds an die Geschäftskommission zu zahlen.
Die Unterstützung von Ausständen beruht auf Gegenseitigkeit und freier Solidarität.
Aufgabe jeder Gewerkschaft ist es jedoch, daß sie alles aufbiete, um ihre Streiks und Sperren selbst unterstützen zu können.
Gewerkschaften, welche sich an der Unterstützung von Ausständen trotz finanzieller Möglichkeit ihrerseits nicht beteiligen, haben kein Recht, die Solidarität der anderen Gewerkschaften in Anspruch zu nehmen."
Der Geschäftsbericht verzeichnet 22 Organisationen mit 13.140 Mitgliedern, die der "Freien Vereinigung" angeschlossen sind.

16./21. April 1906

Der Verbandstag der Stukkateure, Gipser, Pflasterer und verwandten Berufsgenossen in Leipzig beauftragt den Vorstand, mit dem Maurerverband Übertrittsbedingungen zu vereinbaren, über die die Mitglieder in einer Urabstimmung zu entscheiden haben.

24./28. April 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Gastwirtsgehilfen in Köln unterstützt alle Bestrebungen zum Aufbau kommunaler oder öffentlich-rechtlicher paritätischer Arbeitsnachweise, um die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung im Gastwirtsgewerbe damit einzudämmen oder zu beseitigen.

Ende April 1906

Der "Verein Deutscher Arbeitgeberverbände" weist die ihm angeschlossenen Verbände und Einzelmitglieder darauf hin, daß gemäß dem vom Vorstand am 2. Mai 1901 gefaßten Beschluß das unentschuldigte Fernbleiben der Arbeiter am 1. Mai als Bruch des Arbeitsverhältnisses und als Streik aufzufassen sei.

Anfang Mai / Ende Juli 1906

Die Teilnahme an den Maidemonstrationen sehen die Buchbindereiunternehmer als Kontraktbruch an und sperren zunächst in Berlin alle Buchbinder aus, kurz darauf in Leipzig und Stuttgart. Am 27. Juli wird der "Drei-Städte-Tarif" wiederhergestellt und die Akkordsätze erhöht.

13./17. Mai 1906

Die Generalversammlung des Verbandes aller in der Schmiederei beschäftigten Personen in Berlin lehnt einen Übertritt zum Metallarbeiterverband ab. Sie betrachtet die Berufsorganisation als diejenige, welche die größte Werbekraft dem Unorganisierten gegenüber besitzt, andererseits dem Unternehmertum dieselbe Widerstandsfähigkeit bietet wie der angestrebte Industrieverband.
Die Arbeitslosenunterstützung wird zur Erwerbslosenunterstützung erweitert, eine Umzugs- und Sterbeunterstützung neu eingeführt. Bei Aussperrungen und Maßregelungen wegen der Arbeitsruhe am 1. Mai wird Unterstützung gewährt.

20./26. Mai 1906

Der Verbandstag des Holzarbeiterverbandes in Köln beschließt eine Krankenunterstützung einzuführen.
Die Arbeitsruhe am 1. Mai wird als die würdigste Form der Maifeier bezeichnet, für die betriebsweise Abstimmung über diese Arbeitsruhe werden Normen aufgestellt, für Nachteile, die sich aus der Arbeitsruhe ergeben, übernimmt die Verbandskasse von der zweiten Woche an die Unterstützung.

26. Mai 1906

Eine Konferenz der Vertreter des Personals der Kranken- und Irrenhäuser in Mainz fordert die Unterstellung des Anstaltspersonals unter die Reichsgewerbeordnung, Ausdehnung der gesetzlichen Kranken-Unfallversicherung auf das Anstaltspersonal, Gewährung eines Urlaubs unter Fortsetzung des Lohnes und angemessener Entschädigung für Kost und Logis, Trennung des Nachtdienstes vom Tagesdienst durch Einführung von Doppelschichten und Ablösung, Abschaffung des Trinkgelderunwesens und das gesetzliche Verbot der weiblichen Pflege auf Männerstationen öffentlicher Anstalten.

27. Mai / 1. Juni 1906

Der Verbandstag der in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Unterangestellten in Mainz erklärt, daß der Verband die zuständige Organisation für die in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Personen sei.
Wo andere berufliche Verbände eine "annehmbare Organisation" für städtische bzw. staatliche Arbeiter geschaffen haben und ältere Rechte besitzen, wird der Verband diese Rechte respektieren.
Der Verbandstag fordert das vollständige Koalitionsrecht für die Gemeindearbeiter, einen auskömmlichen Lohn, der auf keinen Fall hinter dem in Privatbetrieben üblichen Löhnen zurückbleiben darf, die Löhne sind durch Tariflöhne zu regeln, die Akkordarbeit ist zu beseitigen, wo sie unumgänglich ist, muß ein Mehrverdienst von 50% garantiert werden, Sommerurlaub ist unter Fortzahlung des Lohnes zu gewähren, Kündigungsfristen sind einzuführen und Arbeiterausschüsse einzusetzen.

Juni 1906

Nach der Entlassung von über 50 Arbeitern, die für den christlich-sozialen Metallarbeiter geworben hatten, protestieren rund 2.000 saarländische Hüttenarbeiter durch einen Streik. Aus Geldmangel sind sie jedoch bereits nach wenigen Tagen gezwungen, die Arbeit bedingungslos wieder aufzunehmen. Die 57 Gemaßregelten werden nicht eingestellt. Der Generaldirektor der Hütte läßt am 11. Juni 1906 durch Toranschlag bekanntgeben, die Mitglieder der Fachabteilungen der katholischen Arbeitervereine und des Christlich-sozialen Metallarbeiterverbandes seien nicht wegen ihrer Verbandszugehörigkeit, sondern "lediglich wegen Agitation im Betriebe" entlassen worden. Die Hütte erkenne jedoch keinerlei Verpflichtung an, "Mitglieder beliebiger Vereine bei sich zu beschäftigen". Sie werde weder "Sozialdemokraten beschäftigten noch Mitglieder von Vereinen, welche den Kontraktbruch lehren". Auch künftig werde sie es ablehnen, "irgend einen Arbeitersekretär als Vertreter ihrer Arbeiter anzuerkennen".
Die saarländischen Bergarbeiter unterliegen ähnlichen schwierigen Organisationsbedingungen.

3./4. Juni 1906

Eine Konferenz der in Ziegeleien beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen in Magdeburg erkennt den Fabrikarbeiterverband als die allein zuständige Organisation an.

4. Juni 1906

Auf der ersten Generalversammlung der Fachabteilungen des "Verbandes der katholischen Arbeitervereine (Sitz Berlin)" wird mitgeteilt, daß sich Gewerkschaften der Bergarbeiter, Bauarbeiter, Textilarbeiter, Verkehrs- und Hilfsarbeiter, Stein- und Erdarbeiter, Arbeiter der Bekleidungsindustrie, Leder-, Holz-, Glas-, Metall-, Tabakarbeiter, sowie der Maler gebildet haben.
Die Hauptaufgabe der Fachabteilungen ist die Vereinheitlichung des Unterstützungswesens.
Diese "Gewerkschaften" stehen in starkem Gegensatz zu den christlichen Gewerkschaften, denen sie vor allem eine Geringschätzung der katholischen Religion und mangelnde Achtung vor kirchlicher Autorität vorwerfen.

4./5. Juni 1906

Die Generalversammlung des Centralverbandes der Handlungsgehülfen und Gehülfinnen in Chemnitz beauftragt den Vorstand, mit den Verbänden der Handels- und Transportarbeiter und Bureauangestellten ein Kartellverhältnis anzubahnen, um in gemeinsamen Angelegenheiten zusammen vorzugehen.

4./6. Juni 1906

Der Verbandstag der Konditoren in Hamburg verlangt, daß die Heimarbeit in der Nahrungsmittelindustrie verboten wird, weil sie für die Konsumenten sehr große Gefahren berge. Auch für die Konditoren ist die Arbeitsruhe am 1. Mai die würdigste Form der Maifeier.

5./8. Juni 1906

An dem internationalen Kongreß der Bergarbeiter in London nehmen auch Vertreter des christlichen Gewerkvereins teil. Der Kongreß verlangt Arbeiterinspektoren, die das Recht haben müssen, so oft sie wollen, die Bergwerke zu kontrollieren. Erneut fordert der Kongreß auf Antrag der deutschen Delegierten das Verbot der Frauen- und der Kinderarbeit. In Oberschlesien arbeiten nach Aussage des deutschen Delegierten aus dieser Region noch 15.000 Frauen an und in den Gruben.

11./16. Juni 1906

Die Generalversammlung des Verbandes der Schuhmacher in Nürnberg beschließt, daß die Arbeitsruhe die würdigste Form der Maifeier ist. In den Betrieben, in denen drei Viertel der Arbeiter Mitglied sind, ist über eine Arbeitsruhe abzustimmen. Kommt es dadurch zu Aussperrungen wird Streikunterstützung gezahlt.
Der Verband veröffentlicht in diesem Jahr eine Broschüre "Der Furniturenwucher in der Schuhfabrikation", da dieser Mißstand noch immer nicht beseitigt ist.

12./17. Juni 1906

Der Verbandstag des Centralverbandes deutscher Brauereiarbeiter in Köln beschließt einen wöchentlichen Extrabeitrag für den Streikfonds. Die Brauerzeitung ändert ihren Titel in "Brauereiarbeiter-Zeitung".
Die Delegierten diskutieren ausführlich Grenzstreitigkeiten mit dem Handels- und Transportarbeiter-Verband. Der Brauereiarbeiterverband bekräftigt seine Auffassung, daß die Bierfahrer und Stalleute zu seinem Organisationsbereich gehören.

18./20. Juni 1906

Der Genossenschaftstag des Centralverbandes deutscher Konsumvereine in Stettin billigt den mit dem Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiterverband abgeschlossenen Tarifvertrag und die Bildung eines paritätischen Tarifamtes zur Durchführung und Überwachung aller zwischen Gewerkschaften und Centralverband vereinbarten Tarifverträge.

19. Juni 1906

Mit einer Berggesetz-Novelle werden die Bestimmungen über die Knappschaftsvereine geändert. Die Leistungen sollen durch die Schaffung leistungsfähiger Vereine gesichert werden.
Die Mitglieder behalten beim Übertritt in einen anderen Knappschaftsverein und bei Beendigung der Bergarbeit durch Zahlung einer Anerkennungsgebühr ihre Ansprüche.
Auch für den christlichen Bergarbeiterverband gehen diese Änderungen nicht weit genug.

23. Juni 1906

Die "Einigkeit", das Organ der Berliner lokalistischen Gewerkschaften, die in Opposition zu den zentralen Gewerkschaften und der Generalkommission stehen, veröffentlicht die Aufzeichnungen über das Februar-Gespräch zwischen Partei- und Gewerkschaftsführern. Erneut beginnt eine heftige Diskussion, unter anderem auch über die Interpretation der Gespräche. Dem Parteivorstand wird unter anderem der Vorwurf gemacht, die Wahlrechtsbewegung unnötig gebremst zu haben.

Mitte 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Eisenbahner spricht sich für die Vereinigung aller dem Verkehrswesen dienenden Organisationen wie Eisenbahner, Seeleute, Hafenarbeiter und Transportarbeiter aus.
Um den Eisenbahnverwaltungen "das Maßregeln" nach Möglichkeit zu erschweren wird auch dieser Verbandstag unter gewissen Vorsichtsmaßregelungen abgehalten. "Wir versagen uns deshalb auch bei der Berichterstattung Ort und Zeit der Tagung näher anzugeben", heißt es im "Correspondenzblatt".

Anfang Juli 1906

Der preußische Unterrichtsminister erklärt in einer Verfügung: "Das Vorhandensein der sittlichen Tüchtigkeit für Unterricht und Erziehung ist bei allen Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei zu verneinen."

2./4. Juli 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Tapezierer in Frankfurt a. Main beklagt, daß die Mißstände sich überhaupt nicht gebessert haben. Er verpflichtet die Mitglieder erneut, entschieden gegen diese Mißstände einzutreten.
Mitgliedern, die wegen "Feierns des 1. Mai" ausgesperrt werden, ist Streikunterstützung zu zahlen.

12. Juli 1906

Das Reichsgericht entscheidet, daß Boykott im Lohnkampf nicht rechtswidrig ist.
Da sich die Gerichte nur teilweise dieser Auffassung anschließen, bleibt in der Boykottrechtsprechung eine große Rechtsunsicherheit, zumal das Reichsgericht in den folgenden Jahren selbst die Anwendungsbereiche des Boykott wieder einschränkte.

16. Juli 1906

Nach einer Aufstellung des "Centralblattes der christlichen Gewerkschaften" bestehen in 145 Orten Kartelle der christlichen Gewerkschaften.

22./25. Juli 1906

Der Kongreß des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften in Breslau - an ihm nimmt auch der Oberpräsident von Schlesien teil - erklärt die Ortskartelle für sehr wichtige Einrichtungen zur Verfolgung der gemeinsamen Interessen der christlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen eines Ortes oder Bezirkes. Als Aufgaben werden u.a. bezeichnet: planmäßige und einheitliche Agitation unter Mitwirkung der Verbandsvorstände, Förderung des Arbeitsnachweises und des Herbergswesens, Aufnahme von Statistiken, Pflege des Rechtsschutzes, Verkehr mit den gewerblichen Aufsichtsbeamten, Vorarbeiten und Beteiligung an sozialen Wahlen, Betätigung in der Kommunalpolitik, Förderung der Bildung durch Unterrichtskurse, Veranstaltung von Volksunterhaltungsabenden und Beeinflussung der Presse. Dagegen sollen die Regelung von Grenzstreitigkeiten, Entscheidungen bei Lohnbewegungen nicht den Kartellen, sondern den Verbänden zufallen. Ebenso dürfen die Kartelle nicht als solche sich an kommunalen Wahlen beteiligen, sollen sich vielmehr von allen parteipolitischen Aktionen streng fern halten.
Die Arbeiterinnen sind für die Durchführung der gewerblichen Bestrebungen "von größter Bedeutung".
Es wird eine intensive und planmäßige Agitation unter den Arbeiterinnen durch die Heranbildung weiblicher Kräfte und Anstellung von weiblichen Beamten, sowie ein Zusammenwirken mit den konfessionellen Arbeitervereinen empfohlen. Auch den Frauen ist die ungehinderte Beteiligung an sozialpolitischen und gewerkschaftlichen Bestrebungen zu ermöglichen.
Die christlichen Gewerkschaften werden verpflichtet, gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu kämpfen. Die Notwendigkeit der Organisation der Dienstmädchen wird betont.
In seinem Referat über "die Stellung der christlichen Gewerkschaften in der Arbeiterbewegung, Volkswirtschaft und im öffentlichen Leben" betont Giesberts, daß sich die Zentralisation als Organisationsform durchgesetzt hat. Die Einheit der Gewerkschaftsbewegung sei zwar ein schönes Ideal, es könne auch nicht geleugnet werden, daß die Stoßkraft einer Organisation um so wuchtiger sei, je einheitlicher und geschlossener sie dastehe. Die Schuld an der vorhandenen Zersplitterung trügen aber die, welche das Gewerkschaftsleben in den Dienst von Bestrebungen gestellt hätten, die den religiösen und wirtschaftspolitischen Bestrebungen eines großen Teils der Arbeiter entgegenständen. Wir nehmen für uns in Anspruch, ein vollberechtigtes Glied der deutschen Arbeiterbewegung zu sein. Wir kämpfen für die Emanzipation der Arbeiter aus den unerträglichen Verhältnissen, in die sie ein rücksichtsloser Kapitalismus gebracht hat, so entschieden und kraftvoll, wie es die Sozialisten nur tun können. Wir wollen aber nicht das Joch des Kapitalismus mit dem des demokratischen Sozialismus vertauschen.
Wenn die christlichen Gewerkschaften dennoch bei Lohnbewegungen mit sozialdemokratischen Gewerkschaften zusammengingen, so erstrecke sich dies ausschließlich auf berechtigte Ziele. Nicht sie seien es, die den ruhigen Gang der wirtschaftlichen Entwickelung stören, sondern jene, die sich gegen die Forderungen der Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis sträubten, die pochend auf ihren Besitz, sich das schrankenlosen Herrentum über die Arbeit anmaßen, den Arbeitern die Gleichberechtigung abstreiten und schon die Zugehörigkeit zu einer Arbeiterorganisation als strafbares Vergehen auffassen. Die Arbeiterschaft könne sich das unerträgliche Joch dieser Leute nicht dauernd gefallen lassen.

Im Geschäftsbericht an die Generalversammlung erklärt A. Stegerwald, daß die Gewerkschaften, Unternehmer und Behörden ihrer Abneigung gegen die christlichen Gewerkschaften wiederholt scharfen Ausdruck gegeben haben, und der vom Gesamtverbande für das italienische Agitationssekretariat in Köln angestellte italienische Sekretär aus Preußen ausgewiesen wurde. Das Verhältnis zu den freien Gewerkschaften ist dauernd feindlich. Die Letzteren suchen nach Kräften bei Verhandlungen mit den Arbeitgebern und insbesondere bei Tarifverträgen die christlichen Organisationen auszuschließen, wogegen diese sich dadurch wehren, daß sie sich um die ohne ihre Mitwirkung zustande gekommenen Beschlüsse nicht kümmern, doch ist in den meisten Gewerben der Einfluß der christlichen Organisationen so stark geworden, daß mit ihnen gerechnet werden muß.
Der Bericht behandelt auch die prinzipielle Stellung der christlichen Gewerkschaften:
Sie sind eine selbständige Gruppe von Lohnarbeitern, die die Grundlage der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung als zweckmäßig und notwendig anerkennen, aber fordern, daß ihrem Stande ein größerer Einfluß auf die Gestaltung dieser gesellschaftlichen Ordnung eingeräumt werde. Sie verlangen deshalb unter Ablehnug des patriarchalischen Systems im Produktionprozesse Mitbestimmung der Arbeiter bei Abschluß des Arbeitsvertrages, d.h. ein konstitutionelles Betriebssystem. Sie lehnen die Klassenkämpfe und den Klassenhaß ab wegen ihres lähmenden Einflusses auf die Arbeits- und Berufsfreudigkeit und verwerfen eine extreme Scheidung der Lohnarbeiterklasse von den anderen Volksschichten, sowohl im vaterländischen Interesse, wie im Interesse der Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaft, aber sie wollen sich nicht bei vernunftgemäß eingeleiteten und geführten Kämpfen der sozialdemokratischen Organisation gegen diese gebrauchen lassen. Ebensowenig wollen sie die Arbeiter zur stillen Duldung erziehen, sondern im Notfalle auch das Recht der Arbeiter im Kampfe vertreten. Die Gründung "vaterländischer Arbeitervereine" wird mit großer Schärfe bekämpft.
9 Verbände mit rund 140.000 Mitgliedern haben eine Arbeitslosenunterstützung eingeführt, von den größeren haben nur die Bauarbeiter und die Textilarbeiter dies noch nicht getan. Die christlichen Gewerkschaften sind an 349 Tarifverträgen beteiligt. Alle christlichen Gewerkschaften geben ein eigenes Verbandsorgan heraus. Die Gesamtauflage beträgt rund 350.000 Exemplare.
Die christlichen Gewerkschaften waren an 614 Lohnbewegungen beteiligt, von denen 316 mit 26.017 Beteiligten auf friedlichem Wege Erfolg hatten. 298 Streiks mit 80.602 Beteiligten wurden geführt, wovon aber 60.000 allein auf den Streik der Ruhrkohlenbergleute entfallen. Die 614 Lohnbewegungen wurden in 378 Fällen gemeinsam mit anderen Organisationen, in 236 Fällen von den christlichen Gewerkschaften allein durchgeführt.

August 1906

Th. Leipart schreibt in den "Sozialistischen Monatsheften": "Bei einem jeden ernsthaften Streik ist es nicht etwa nur der erhoffte materielle Gewinn, welcher die Köpfe und Herzen der Streikenden erfüllt und sie in Einigkeit und Entschlossenheit zusammenhält, sondern es ist daneben ein hohes Maß von Idealismus, die Überzeugung von der absoluten Notwendigkeit und Berechtigung der aufgestellten Forderungen als Klassenforderungen der Arbeiter, die Erkenntnis des Klassengegensatzes, kurz, das Klassenbewußtsein. Nach meiner Meinung ergibt der einfache Sinn des Wortes, was Klassenkampf ist: nämlich der Kampf einer bestimmten, sich ihrer Lage bewußten Klasse in der heutigen Klassengesellschaft, gerichtet auf eine Hebung ihrer Lage und die Beseitigung jeder Herrschaft und Bevormundung durch eine andere Klasse. In diesem Sinne verdient vielleicht die Gewerkschaftsbewegung noch mehr als die sozialdemokratische Parteibewegung die Bezeichnung Klassenkampf, weil sie mehr als letztere nur die Angehörigen einer Klasse, der Arbeiterklasse, in den Kampf führt. Die Tarifverträge heben den Klassenkampfcharakter der Gewerkschaftsbewegung keineswegs auf, denn sie sind keine Freundschaftsbündnisse mit dem Unternehmertum, sonder nur Waffenstillstandsverträge, wie sie die Arbeitgeberzeitung selbst richtig genannt hat."

Beim Kongreß des Xylographen-Verbandes in Frankfurt a. Main wird ein Anschluß an den Senefelderbund noch nicht für ratsam gehalten.

5./11. August 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Fabrik-, Land-, Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen in Leipzig beschließt, daß sich der Organisationsbereich des Verbandes auf die Ziegeleien, die chemische Industrie, die Papierherstellung, die Zuckerfabrikation, die Molkereien, Brennereien und ähnliche Betriebe erstrecken soll.
Der Kartellvertrag zwischen den Verbänden der Bauhilfsarbeiter und der Fabrikarbeiter wird gebilligt, zur Betreuung der Ziegelarbeiter ein Sekretär eingestellt.
Der Verbandstag empfiehlt die Gründung einer selbständigen Landarbeiter-Organisation, da die Organisierung der Landarbeiter in einen Industriearbeiterverband praktisch unmöglich ist.
Die Verwaltungsstellen werden verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen - die denen anderer Verbände gleichen - für die Arbeitsruhe am 1. Mai einzutreten.

13./16. August 1906

Der Internationale Hutmacher-Kongreß in Frankfurt a. Main beschließt, das Sekretariat von Paris nach Altenburg zu verlegen, da die Delegierten mit dessen bisheriger Arbeit unzufrieden sind.
Nationale Gewerkschaften sollen bei einem Abwehrstreik oder bei einer Aussperrung von mindestens 25 Prozent der Mitglieder durch das internationale Sekretariat unterstützt werden.

13./18. August 1906

Der Verbandstag des Verbandes der Schneider, Schneiderinnen und verwandten Berufsgenossen in Berlin beschließt, daß keine Verwaltungsstelle ohne Zustimmung des Vorstandes eine Lohnbewegung beginnen kann.
Die Delegierten sind mit der Einführung eines einheitlichen Tarifvertrags einverstanden. Sie verlangen aber die Bildung einer obligatorischen Tarif-Überwachungskommission.
Für die Beschäftigten in der Herren- und Damenkonfektion werden Forderungen zur Verbesserung ihrer Lage beschlossen, wie u.a. die Einführung von Betriebswerkstätten, um das Zwischenmeistersystem zu beseitigen, die Einführung von Wochen- bzw. Zeitlöhnen, sämtliche Arbeitsgeräte sind vom Arbeitgeber zu liefern.
Der Verbandstag verlangt ein durchgreifendes Heimarbeiterschutzgesetz.
Die Beschlüsse des Gewerkschaftskongresses in Köln zum Massenstreik und zur Maifeier werden nicht akzeptiert.
Die Zeitung und die Verbandsfunktionäre werden verpflichtet, auf die Gefahren des Alkohols hinzuweisen.

18. August 1906

Das "Correspondenzblatt" kommentiert die Rede von Giesberts auf dem Breslauer Kongreß der christlichen Gewerkschaften: "Und dieser Mann, der die Notwendigkeit der Klassenorganisation der Arbeiter so entschieden vertritt, an das Klassenbewußtsein der Arbeiter appelliert, leugnet die Notwendigkeit des Klassenkampfes und kann doch nicht umhin, die Einsichtslosigkeit der besitzenden Klasse zu beklagen und den rücksichtslosen Klassenkampf der Kapitalsherren einzugestehen. Der brutale Kapitalismus, wie er im Ruhrrevier herrscht, ist verantwortlich für den Radikalismus in unseren Reihen, rief er aus. Und was ist es anders, als die Anerkennung des Klassenkampfes, wenn er erklärt: Weder die Arbeitgeber, noch die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit, noch der Staat haben ihre Pflicht gegen die Arbeiter erfüllt; keinem Menschen würde es eingefallen sein, Sozialpolitik zu treiben, wenn die Arbeiter nicht selbst ihre Unzufriedenheit zu erkennen gegeben hätten, und stets hätten die unteren Klassen um ihre Rechte kämpfen müssen, - deshalb müssen auch wir kämpfen! In der Tat war die Rede Giesberts eine Anerkennung des Klassenkampfes; nur mit den Konsequenzen desselben vermag er sich nicht zu befreunden."

20. August 1906

Im Berliner Gewerkschaftshaus beginnen die ersten von der Generalkommission organisierten Kurse im wesentlichen für "besoldete Gewerkschaftsbeamte". Die Anzahl der Teilnehmer ist auf 50 beschränkt. Jeder Kurs dauert 4 Wochen. Die Teilnehmer sind verpflichtet, sämtliche Vorträge und Diskussionen zu besuchen. Über die Teilnehmer wird ein Kontrollbuch geführt. Die Ausgaben für die Schule und die Lehrkräfte bestreitet die Generalkommission, die Aufenthaltskosten sind von den entsendenden Organisationen zu tragen. Folgende Themen werden behandelt: Theorie und Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung; die gegnerischen Gewerkschaftsorganisationen in Deutschland; die Gewerkschaftsbewegung im Auslande; die Versicherungsgesetzgebung; die Arbeiterschutzbestimmungen; die Gewerbeordnung; Einführung in die Nationalökonomie; Kartelle und Unternehmervereinigungen; Vorbedingungen der Statistik; Einführung in die gewerkschaftliche Literatur sowie Buchführung und kaufmännischer Verkehr.
Die Unterrichtskurse haben nicht das Ziel, den Teilnehmern ein abgeschlossenes Wissen zu bieten, sondern sie in die hauptsächlichen Arbeits- und Wissensgebiete der Gewerkschaftspraxis theoretisch einzuführen und sie zu weiteren Studien anzuregen.

Vertreter der Handschuhmacher, Kürschner, Lederarbeiter, Portefeuiller, Sattler und Schuhmacher beraten in Berlin über eine Verschmelzung der Verbände der Lederindustrie. Sie nehmen einstimmig eine Resolution an, in der es u.a. heißt: Die Verschmelzung ist keine Frage des Prinzips, sondern der Taktik. Sie darf vor allem nicht nur durch Kongreßbeschlüsse herbeigeführt werden, sondern muß getragen werden von einem wirklichen Bedürfnis, das auch der wirtschaftlichen Entwicklung und den Erfahrungen aus den Kämpfen mit den Unternehmern entspringt.
Die Konferenz ist der Ansicht, daß weder die wirtschaftliche Entwicklung, noch der tägliche Kampf mit den Unternehmern die Notwendigkeit einer sofortigen Verschmelzung zwingend dartun.
Wenn die Verbände in diesem Sinne verfahren, dürfte bei einer späteren Verschmelzung nicht nur eine Änderung der Form und des Namens Platz greifen, sondern eine wirkliche Verstärkung der Position der Lederarbeiter aller Branchen in ihrem Kampfe gegen die Unternehmer daraus resultieren.
Außerdem wird den Verbandsvorständen zur Pflicht gemacht, zur Betreibung gemeinsamer Agitation, sowie zur Errichtung gemeinsamer Zahlstellen in zurückgebliebenen Orten besondere Vereinbarungen zu treffen.

21./25. August 1906

Auf dem Katholikentag in Straßburg erklärt J. Giesberts, "die christlichen Arbeiter (wollen) den Klassenkampf nicht, sondern die Versöhnung der Stände und deren sozialen Ausgleich, aber in dem Sinne, daß man sie als gleichberechtigten Stand im Rahmen des Ganzen anerkenne."

7./8. September 1906

Die Verbände der Handels- und Transportarbeiter, der Hafenarbeiter, der Seeleute und der Eisenbahner schließen sich auf einer Konferenz in Hamburg zum "Deutschen Transportarbeiter-Verband" zusammen. Die einzelnen Berufsgruppen bilden Sektionen. Der Sitz des Verbandes ist Berlin.

10./13. September 1906

Die Generalversammlung des christlichen Textilarbeiterverbandes in Frankfurt a. Main verlangt den zehnstündigen Maximalarbeitstag, einen gesetzlichen Minimallohn und die gesetzliche Einschränkung der Frauen-Fabrikarbeit.
Lohnbewegungen müssen nach der ersten Fabrikversammlung dem Zentralvorstand mitgeteilt werden.
In der Diskussion wird beklagt, daß einzelne Geistliche den christlichen Gewerkschaften sehr ablehnend gegenüberstehen, daraus erwachsen der Gewerkschaftsarbeit von dieser Seite große Schwierigkeiten.

15. September 1906

Rosa Luxemburg beendet ihre Schrift "Massenstreik, Partei und Gewerkschaften". In ihr legt sie ihre Erkenntnisse aus der Revolution in Rußland für die Taktik des Klassenkampfes dar. Für die Partei wie für die Gewerkschaften bezeichnet sie den revolutionären Massenkampf als wichtigstes Entwicklungselement.

17. September 1906

Auf einer internationalen Arbeitsschutzkonferenz in Bern werden die seit der letzten Konferenz im Mai 1905 überarbeiteten Übereinkommen zum "Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen" und zum "Verbot des giftigen Phosphors für die Zündholzindustrie" vorgelegt, denen aber nur ein Teil der Staaten u.a. auch Deutschland zustimmt.

22./23. September 1906

Die Konferenz sozialdemokratischer Frauen Deutschlands in Mannheim fordert das Wahlrecht für Frauen und die Beseitigung aller Ausnahmegesetze für Landarbeiter und Dienstboten, besonders der Gesindeordnungen.

23./29. September 1906

Der SPD-Parteitag in Mannheim bestätigt nach Referaten von A. Bebel und C. Legien mit 386 gegen 5 Stimmen den Beschluß von Jena und stellt fest, daß der Beschluß des Kölner Gewerkschaftskongresses dazu nicht in Widerspruch stehe. Sobald der Parteivorstand die Notwendigkeit eines politischen Massenstreiks für gegeben erachte, habe derselbe sich mit der Generalkommission in Verbindung zu setzen und alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um die Aktion erfolgreich durchzuführen. Die Gewerkschaften sind unumgänglich notwendig für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Dieselben stehen an Wichtigkeit hinter der sozialdemokratischen Partei nicht zurück.
Beide Organisationen seien in ihren Kämpfen auf gegenseitige Verständigung und auf Zusammenwirken angewiesen. Darum sollten sich die Leitungen beider Organisationen bei Aktionen, die die Interessen von Partei und Gewerkschaften gleichmäßig berühren, über ein einheitliches Vorgehen verständigen (Mannheimer Abkommen).
"Um aber jene Einheitlichkeit des Denkens und Handelns von Partei und Gewerkschaft zu sichern, die ein unentbehrliches Erfordernis für den siegreichen Fortgang des proletarischen Klassenkampfs bildet, ist es unbedingt notwendig, daß die gewerkschaftliche Bewegung von dem Geiste der Sozialdemokratie erfüllt werde. Es ist daher Pflicht eines jeden Parteigenossen, in diesem Sinne zu wirken." Dieser Zusatz von K. Kautsky und 32 Delegierten vorgeschlagen, wird angenommen.
Die weitere Ergänzung des Antrages, daß "die Sozialdemokratie die höchste und umfassendste Form des Klassenkampfes" sei, wird hingegen abgelehnt. In ihren weiteren Referaten erklärt A. Bebel es sei doch "undenkbar, einen Massenstreik durchzuführen, ohne daß in den breitesten Massen die Gesamtstimmung dafür vorhanden ist", und C. Legien bezeichnet es als Unsinn, sich auf eine Ablehnung des Massenstreiks festzulegen.
Der Parteivorstand wird beauftragt, eine Verständigung zwischen den Zentralverbänden und den "Lokalisten" herbeizuführen.
Die SPD fordert den Eintritt der Strafmündigkeit frühestens mit dem vollendeten 16. Lebensjahr, die Aufhebung der Ausnahmegesetze gegen Landarbeiter und Gesinde, die Abschaffung der Todesstrafe, die mildere Bestrafung der Eigentumsvergehen und die Einführung besonderer Jugendgerichte und Jugendstrafanstalten.

Die Generalversammlung des Centralvereins der Bildhauer in Frankfurt a. Main lehnt einen Übertritt zum Holzarbeiterverband ab, da dann die Steinbildhauer und Modelleure nicht übernommen werden. Tarifverträge werden befürwortet, vor allem in den Holz-Spezialbranchen.
Die Zustimmung des Vorstandes zu Streiks ist davon abhängig, daß sich die Beteiligten mit mindestens zwei Drittel für einen Streik entscheiden. Über eine Unterstützung für gemaßregelte Mitglieder wegen einer Teilnahme an der Maifeier soll von Fall zu Fall entschieden werden.

27./29. September 1906

Der Kongreß der "Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz" in Genf, an der auch "christlich-nationale" Gewerkschafter aus Deutschland teilnehmen, beschließt, daß die nationalen Sektionen dem Internationalen Arbeitsamt u.a. über die Einrichtungen zum Arbeiterschutz, den Umfang der Kinderarbeit und die zum Schutz der Kinder bestehenden gesetzlichen Bestimmungen berichten.
Der Kongreß verlangt die Ausdehnung der Arbeiterschutzgesetzgebung und der Gewerbeinspektion auf die Heimarbeit und Sicherung der Arbeiterversicherung auch für Ausländer.
Das "Internationale Arbeitsamt" wird von 11 Ländern subventioniert und ist damit finanziell gesichert.

28. September 1906

Der "Allgemeine Deutsche Arbeitgeberschutzverband für das Bäckergewerbe" wird gegründet. Sein Zweck ist, die Bäckermeister bei Streiks und Lohnkämpfen zu unterstützen, ihre Arbeitskampfmaßnahmen zu koordinieren, finanzielle Verluste mit abzudecken und Aussperrungen zu koordinieren. Ende 1913 hat der Verband 10.000 Mitglieder.

30. September 1906

Auf der ersten Generalversammlung des "Verbandes junger Arbeiter Deutschlands" in Mannheim referiert Karl Liebknecht über "Jugend und Militarismus". Nach einer Statutenänderung können jetzt auch Mädchen Mitglieder werden. Der Name des Verbandes wird jetzt in "Verband junger Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands" geändert.

Ende September 1906

Bei den Verhandlungen für einen neuen Tarifvertrag für Buchdrucker vereinbaren die Parteien den Einbau einer Klausel in den Vertrag, die die Mitglieder des Arbeitgeberverbandes zur Beschäftigung ausschließlich von Gewerkschaftsmitgliedern verpflichtet, während andererseits die im Buchdruckerverband organisierten Gehilfen nur noch in Mitgliedsbetrieben des Unternehmervereins Arbeit annehmen dürfen.
Kurz nach Inkrafttretens des revidierten Vertrags wird die Tarifpartnerschaft noch stärker intensiviert durch die Festsetzung eines "Preistarifs", der genaue Kalkulationsvorschriften für verschiedene Druckarbeiten enthält und dessen Einhaltung mit von den Tarifinstanzen kontrolliert werden soll.
Die vereinbarten Löhne und Arbeitszeiten stoßen bei den Gehilfen allerdings auf Widerstand. Er richtet sich vor allem gegen die tarifliche Genehmigung der Akkordarbeit an Setzmaschinen, da die Akkordarbeit speziell für Maschinensetzer die Gefahr des Lohndruckes mit sich bringen kann.
In Berlin und Leipzig kommt es zu großen Protestversammlungen. Der Vorstand des Buchdruckerverbandes ruft zur Aufrechterhaltung der tariflichen Vereinbarungen auf und appelliert an die Disziplin der Mitglieder. Daraufhin klingt die Kritik innerhalb der Gehilfenschaft allmählich ab.

11. Oktober 1906

Die "Soziale Praxis" zitiert aus einem Geschäftsbericht eines regionalen Arbeitgeberverbandes von Eisen- und Stahlindustriellen dessen Argumente gegen Tarifverträge.
Danach bringen die Tarifverträge der Industrie folgende Nachteile: In Wirtschaftszweigen, die auf dem Inlandsmarkt gegen ausländische Konkurrenz zu kämpfen haben, werde ein Tarifvertrag unhaltbar, sobald die Differenz der Lohnkosten der in- und der ausländischen Produzenten die Transportkosten des Importeurs übersteige; in exportintensiven Geschäftszweigen seien Tarifverträge ebenfalls eine unzumutbare Belastung, da die Unternehmer keine an den Löhnen der ausländischen Konkurrenz orientierte Lohnpolitik betreiben können. Weiterhin sei der Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden, während der Arbeitnehmer seine Stellung nach Belieben verlassen und sich damit den eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen entziehen könne; auch wenn eine Gewerkschaft als Vertragskontrahent fungiere, bedeute dies keine Garantie für die Einhaltung des rechtlich völlig ungeschützten Tarifvertrags. Die Tarifverträge führen zu keiner "Beruhigung des Gewerbelebens", da die Gewerkschaften nach einmal errungenen Fortschritten immer weitere Forderungen stellen würden. Einheitliche Tariflöhne, d.h. generelle Mindestlöhne seien eine "Prämie auf Unfähigkeit und Unfleiß" und hemmten den Leistungsanreiz der tüchtigen Arbeiter.

12. November 1906

Die Reichsregierung legt dem Reichstag einen Gesetzentwurf vor, nach dem Berufsvereinen die Rechtsfähigkeit gegeben werden kann, wenn sie sich als "eingetragener Berufsverein" in das bei Amtsgerichten geführte Vereinsregister eintragen lassen. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften lehnen den Entwurf entschieden ab, weil die damit verbundenen wesentlichen Einschränkungen gewerkschaftliche Arbeit wesentlich behindern würden.

15. November 1906

In Berlin wird die Parteischule der SPD eröffnet. Bis zum ersten Weltkrieg erhalten ca. 200 von Partei- und Gewerkschaftsorganisationen delegierte Mitglieder in sieben Halbjahreslehrgängen Unterricht. Der Lehrplan umfaßt folgende Wissensgebiete: Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie; Historischer Materialismus und soziale Theorien, Geschichte der politischen Parteien, Arbeiterrecht, soziale Gesetzgebung, Gesinderecht und Verfassung; Strafrecht, Strafprozeß, Strafvollzug, Bürgerliches Recht, Gewerkschaftswesen, Genossenschaftswesen, Kommunalpolitik; Mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch, Zeitungstechnik.

Mitte November 1906

In ganz Deutschland finden Protestversammlungen gegen "Fleischnot und Zollwucher" statt.

26./27. November 1906

Auf der Konferenz der Vertreter der Centralvorstände in Berlin spricht C. Legien zur Frage der Jugendorganisation, daß die Generalkommission, durch die Berliner Jugendorganisation zur Stellungnahme veranlaßt, mit dem Parteivorstande über diese Frage verhandelt habe, da eine einheitliche Behandlung der letzteren seitens der politischen und der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung erwünscht sei. Die Generalkommission halte eine besondere Centralisation der Jugendlichen nicht für zweckdienlich, weder in der Vertretung wirtschaftlicher Interessen, noch auf dem Gebiete der Jugenderziehung, sondern eher als nachteilig. Nicht die Schaffung einer Jugendorganisation, sondern eine zweckentsprechende Organisation der Jugenderziehung müsse die Aufgabe sein, an der Partei und Gewerkschaften gleicherweise arbeiten sollten. Die Organisierung der jugendlichen Arbeiter müssen sich die Gewerkschaften mehr angelegen sein lassen. Die einzelnen Gewerkschaftsvorstände und Verbandstage sollten sich eingehend mit der Frage befassen, wie die Jugendlichen zu den Gewerkschaften besser heranzuziehen und in diesen zu erhalten seien. Dann müsse der nächste Gewerkschaftskongreß besonders sich mit der Frage der jugendlichen Arbeiter und des Lehrlingswesens beschäftigen.
Die Konferenz stimmt diesen Ausführungen zu.
Der Vorschlag der Generalkommission, einen Kongreß aller Gewerkschaftsrichtungen einzuberufen, um eine gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzentwurf über die Berufsvereine zu diskutieren, wird gutgeheißen. Die christlichen Gewerkschaften lehnen die Einladung ab, da auf der Tagesordnung des nächsten nationalen Gewerkschaftskongresses dieses Thema stehe.

13. Dezember 1906

Der Reichstag lehnt mit den Stimmen des Zentrums und der Sozialdemokraten die Bewilligung eines Nachtragsetats für die Kolonien ab. Darauf wird er aufgelöst.

20. Dezember 1906

Der Zentralrat der Gewerkvereine fordert alle Mitglieder zur Ausübung des Wahlrechts auf und erklärt: "In Wahrung der Neutralität unserer Organisation lassen wir unseren Verbandsgenossen selbstverständlich völlig freie Hand in der Wahl, erwarten aber, daß kein Gewerkvereiner einen Feind unserer Organisation wählt, auch keinen Lebensmittelverteuerer oder Gegner des bestehenden Reichstagswahlrechts. Alle deutschen Gewerkvereiner müssen sich vielmehr ernstlich bemühen, daß Reichstagsabgeordnete gewählt werden, die Freunde unserer Bestrebungen und eines freien Koalitionsrechts sind und Gewähr dafür bieten, daß ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, mit der Sache der Arbeiter auch die des Volkes und Vaterlandes auf allen geistigen und wirtschaftlichen Gebieten kraftvoll vorwärts zu bringen."

22. Dezember 1906

Das Reichsgericht bestätigt ein Urteil des Oberlandesgerichts, daß die Ausdehnung der Zwecke des Senefelderbundes auf Gewerkschaftsaufgaben ungültig ist. Danach muß der Senefelderbund eine Unterstützungsorganisation sein.

25./26. Dezember 1906

Die norddeutschen sozialdemokratischen Jugendvereine beschließen, eine lose Verbindung - die "Vereinigung der freien Jugendorganisationen Deutschlands" (Sitz Berlin) - zu bilden. Sie soll die Bestrebungen der Vereine koordinieren.

27. Dezember 1906

Die Stadt Straßburg beschließt, den in der Stadt ansässigen Gewerksorganisationen ab 1. Januar 1907 Zuschüsse zu deren Arbeitslosenunterstützung zunächst für ein Jahr zu zahlen. Zum ersten Mal wird damit in Deutschland das in Belgien und Frankreich schon länger praktizierte sog. "Genter System" eingeführt.

31. Dezember 1906

Anläßlich der Reichstagswahl veröffentlicht der Vorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften eine Erklärung, in der unter Hinweis auf den Charakter der christlichen Gewerkschaften als interkonfessionelle und politisch unparteiische Organisationen betont wird, daß in dem bevorstehenden Wahlkampfe weder die Gewerkschaftspresse sich in den Dienst bestimmter Parteien stellen, noch in den Versammlungen parteipolitische Propaganda geduldet werden dürfe, daß aber dadurch die Mitglieder nicht gehindert werden, außerhalb der Verbände energisch ihre Pflichten als Staatsbürger wahrzunehmen.

Ende 1906

Der Generalkommission sind 65 Gewerkschaften mit 1.799.290 Mitgliedern, davon 118.900 weiblichen, angeschlossen. Mit über 300.000 neuen Mitgliedern erreichen diese Gewerkschaften den höchsten Mitgliederzuwachs innerhalb eines Jahres.
Die größten Verbände sind die der Metallarbeiter mit 310.670, die der Maurer mit 183.540 und die der Holzarbeiter mit 146.440 Mitgliedern. Die kleinsten Verbände sind die der Blumenarbeiter mit 315, die der Xylographen mit 440 und die der Notenstecher mit 450 Mitgliedern.
Der Verband der Textilarbeiter hat bei 101.055 Mitgliedern insgesamt mit 37.020 die höchste Zahl weiblicher Mitglieder. Von den Einnahmen entfielen über 30% auf Streikunterstützungen, rund 7% auf die Krankenunterstützungen und rund 5,5% auf die Arbeitslosenunterstützungen.
64 Verbandsorgane haben eine Auflage von 1.920.250 Exemplaren.

Die 19 christlichen Gewerkschaften haben 247.000 Mitglieder, davon 21.650 weibliche. Gegenüber 1905 mit 188.100 Mitgliedern erreichen sie damit ebenfalls ihren höchsten Mitgliederzuwachs innerhalb eines Jahres.
Die größten Verbände sind die der Bergarbeiter mit 73.540, die der Bauhandwerker mit 36.460 und die der Textilarbeiter mit 34.580 Mitgliedern.
Die kleinsten Verbände sind die der Bäcker mit 470, die der Gärtner mit 670 und die der Krankenpfleger mit 640 Mitgliedern.
Von den Einnahmen gaben die christlichen Gewerkschaften über 20% für Streikunterstützungen aus, je rund 8% für Krankenunterstützungen, die Verbandsorgane und die Agitation.

Die 21 Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine haben 118.500 Mitglieder.
Der Gewerkverein der Maschinenbauer hat 48.200, der der Kaufleute 18.620 und der der Fabrikarbeiter 17.130 Mitglieder.
Der Gewerkverein der Reepschläger hat 47, der der Brauer in Stettin 50 und der der Kellner 84 Mitglieder.
Der Gewerkverein der Frauen und Mädchen hat 792 Mitglieder.
Die Gewerkvereine haben über 30% ihrer Einnahmen für Streiks und Aussperrungen ausgegeben.

Die Generalkommission registriert 2.265 Angriffsstreiks, 1.048 Abwehrstreiks und 560 Aussperrungen mit über 180.000 Beteiligten.
Von den Angriffsstreiks verlaufen 1.181 erfolgreich, teilweise erfolgreich 588, erfolglos 330 Streiks; bei 104 ist das Ergebnis unbekannt.
Von den Abwehrstreiks verlaufen 589 erfolgreich, 128 teilweise erfolgreich, 286 erfolglos, 45 mit unbekanntem Ergebnis.
Von den Aussperrungen enden 168 erfolgreich für die Arbeiter, 136 teilweise erfolgreich und 146 erfolglos, 58 mit unbekanntem Ergebnis.


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