Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Kongreß des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) in Brüssel. 123 Delegierte aus 18 Ländern nehmen teil.
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
30. Juli/ 3. Aug. 1933
Tagesordnung: Aktion gegen den Faschismus (insbesondere in Deutschland und Österreich) (W. Schevenels); Planwirtschaftliche Forderungen des IGB (L. Jouhaux); Sozialpolitische Richtlinien des IGB (C. Mertens); Unterrichts- und Bildungsprogramm des IGB (G.
Stolz).
Der Kongreß bekundet aufs neue seinen Willen, die Freiheit und die Demokratie bis aufs äußerste zu verteidigen und dem Faschismus sowie den Diktaturen in allen ihren Erscheinungen Widerstand zu leisten.
»Die außergewöhnlichen Gefahren, die der deutsche Nationalsozialismus auslöst, fordern außerordentliche Maßnahmen. Deshalb verhängt der Kongreß gegen die deutschen Waren den allgemeinen Boykott. Er begrüßt das Vorgehen jener Landeszentralen, die die hierzu notwendigen Maßnahmen schon getroffen haben. Er fordert nun alle angeschlossenen Organisationen auf, je nach den vorhandenen Möglichkeiten unverzüglich alle Maßnahmen zu treffen, um den Boykott wirkungsvoll zu gestalten.
Der Kongreß appelliert an die organisierte Arbeiterschaft und an alle Menschen, die guten Willens sind, sich dem Boykott anzuschließen und die Opfer des Kampfes gegen den Faschismus durch freigebige Spenden für den Matteotti-Fonds zu unterstützen.
Der Kongreß appelliert an alle nach Freiheit und Recht strebenden Menschen, mit der internationalen Arbeiterbewegung für die Verteidigung der Freiheit zu kämpfen, da es ohne Freiheit keine Kultur gibt.«
Das Internationale Arbeitsamt wird aufgefordert, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen, die in Deutschland aus rassischen Gründen gezwungen worden seien, ihre Arbeitsstelle aufzugeben und ihre Erwerbsmöglichkeit verloren haben, zu ermöglichen, in andere Länder auszuwandern.
Der Direktor des Internationalen Arbeitsamtes soll gebeten werden, in Berlin die notwendigen offiziellen Schritte zu unternehmen, um gegen die Verhaftung W. Leuschners zu protestieren. »Der Kongreß bestätigt seinen unveränderten Willen, für Abrüstung und Kriegsverhütung zu kämpfen. Die internationale Arbeiterbewegung ist der Auffassung, daß die Antikriegspropaganda ununterbrochen und mit größter Energie fortzuführen ist und immer eines der wichtigsten Ziele der organisierten Arbeiterklasse sein muß. Das Ziel muß die vollständige Beseitigung der privaten Rüstungsindustrie und eine wirksame nationale und internationale Kontrolle der Kriegsmaterialfabrikation sowie des Handels mit Waffen und Munition sein. Der IGB bleibt sich der Tatsache bewußt, daß der Generalstreik die letzte Waffe der Arbeiter gegen den Krieg ist, er weiß aber auch, daß die Aktion der Arbeiterklasse, wenn sie erfolgreich sein soll, im psychologisch richtigen Augenblick einsetzen muß.«
»Angesichts des völligen Versagens einer seit Jahren grundsätzlich falschen Wirtschaftspolitik und des Versuchs, die eigene Wirtschaft auf Kosten der Weltwirtschaftspartner zu retten, hält es der Kongreß für seine zwingende Aufgabe, der Arbeiterklasse der ganzen Welt erneut ins Bewußtsein zu rufen, daß nur eine unter dem Gesichtspunkt der Bedarfsdeckung geleitete internationale Planwirtschaft mit dem Endziel der Errichtung der sozialistischen Wirtschaft zum Erfolg führen kann.
Allen Werktätigen muß besonders klar ins Bewußtsein gerückt werden, daß die Überwindung der Krise und die Verhütung neuer Krisen nur erreicht werden kann, wenn ein grundsätzlicher Umbau der gesamten Wirtschaft erfolgt, mit dem Ziel, der Allgemeinheit die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel zu geben und alle Teile der Gesamtwirtschaft planvoll aufeinander abzustimmen. Die Verfolgung dieses Zieles muß - wenn nicht ein vollständiger Zusammenbruch kommen soll - von der heute vorhandenen Basis der Wirtschaft ausgehen und in internationalem Rahmen in Angriff genommen werden. Die Hauptaufgabe der Neuorientierung in der Wirtschaft ist die Arbeitsbeschaffung sowie die Arbeitszeitverkürzung auf ein Maß, das allen Werktätigen Arbeit und Verdienst gibt, mit dem Ziel der Wiedererhöhung des Lebensstandards in allen Ländern.
Der Kongreß erblickt in der praktischen Durchführung der Stockholmer Richtlinien für die Wirtschaftspolitik (1930) und der nunmehr in Brüssel angenommenen planwirtschaftlichen Forderungen des IGB eine der wichtigsten Aufgaben der internationalen Gewerkschaftsbewegung«.
Der Vorsitzende W. Citrine (Großbritannien) und der Generalsekretär W. Schevenels (Belgien) werden wiedergewählt. Als Vertreter der deutschsprachigen Länder wird J. Schorch (Österreich) Vizepräsident des IGB.