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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
1. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
6./8. April 1917

In Gotha findet eine Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition statt, auf der die »Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)« gegründet wird. Die Konferenz tagt auf Anordnung der Militärbehörde unter Ausschluß der Öffentlichkeit, der Bericht über die Verhandlungen muß später dem stellvertretenden Generalkommando in Kassel zur Zensur vorgelegt werden. Es sind 143 Teilnehmer anwesend: 124 Delegierte von Wahlkreisen, 15 Reichstagsabgeordnete und vier sonstige Teilnehmer, darunter K. Kautsky. H. Haase referiert über die Situation der Partei. Die gemeinsame Organisation solle die Partei wieder zur grundsätzlichen Politik zurückführen. Die alte Partei sei moralisch völlig zusammengebrochen. W. Dittmann spricht über die Organisation der Partei, F. Rück verlangt für die »Gruppe Internationale« die größtmögliche Bewegungsfreiheit.

Die Delegierten sind sich nicht einig über die Notwendigkeit parlamentarischer Tätigkeit und die Möglichkeit von Massenaktionen. Mit einer Gegenstimme wird ein von K. Kautsky verfaßtes Manifest verabschiedet, das die Arbeiter auffordert, sich auf Kämpfe gegen Teuerung und Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit vorzubereiten. Es verlangt eine Amnestie für politische Gefangene, die Aufhebung der Zensur, unbeschränktes Vereins-, Versammlungs- und Koalitionsrecht, Aufhebung der Ausnahmegesetze gegen Landarbeiter, Staatsarbeiter und Gesinde, Arbeitsschutz und Achtstundentag, sowie das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht. Die Revolution in Rußland wird begrüßt.

Grundlinien der neuen Partei sind: Die USPD stehe in grundsätzlicher Opposition zum herrschenden Regierungssystem, zur Kriegspolitik der Reichsregierung und zu der vom SPD-Parteivorstand im Regierungsfahrwasser geführten Politik. Programm und Organisation der Partei seien nach den im Kriege neu gewonnenen Erkenntnissen auszugestalten. Bis dahin ist das Statut der SPD die Grundlage für die Organisation der Opposition.

Die Zentralleitung besteht aus einem Aktionskomitee und einem Beirat. Das Aktionskomitee ist unter Mitgliedern aus Berlin und Umgebung, der Beirat aus den übrigen Bezirken zu wählen. Das Aktionskomitee besteht aus zwei Vorsitzenden, dem Kassierer, den Schriftführern und den Beisitzern, darunter einem weiblichen Mitglied. Der Zentralleitung oder ihren Mitgliedern ist es nicht gestattet, in irgendeiner Form Eigentumsrechte an den geschäftlichen Unternehmungen der Partei, insbesondere Parteizeitungen oder -druckereien, zu erwerben. Vor wichtigen politischen Maßnahmen habe die Zentralleitung die Vertreter der Bezirke zur Beratung zusammenzurufen.

Dem Aktionskomitee gehören an: W. Dittmann, H. Haase, A. Hofer, G. Laukant, G. Ledebour, R. Wengels und Luise Zietz; dem Beirat R. Dißmann, W. Dittmann, H. Fleißner, W. Grütz, A. Henke, S. Oerter und F. Schnellbacher. Die Kontrolle über die Parteileitung übt der Kontrollausschuß aus.

Um das Schwergewicht der politischen Aktionen in die Massen zu verlegen, sei bei allen wichtigen Entscheidungen, welche die Haltung der Partei für längere Zeit festlegen, eine Urabstimmung abzuhalten, vorausgesetzt, daß die technischen Möglichkeiten hierzu vorhanden seien.

Nach dieser Konferenz bilden sich Gruppen der »Freien Sozialistischen Jugend«.

Der USPD schließen sich erhebliche Teile der Mitglieder in den Bezirken Groß-Berlin, Leipzig, Frankfurt a. M., Ostpreußen, Niederrhein, Braunschweig, Halle, Erfurt und Groß-Thüringen an. »Die Leipziger Volkszeitung« gilt als Hauptorgan der USPD.


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net edition fes-library | Juni 2001