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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
1. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. 2., neu bearb. und erw. Aufl. 1975.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
12./18. Sept. 1909

Parteitag in Leipzig, 295 Delegierte. Tagesordnung: Bericht der Kommission wegen Änderung des Organisationsstatus (F. Ebert); die Maifeier (R. Fischer); die Reichsversicherungsordnung - Allgemeines und Krankenversicherung (G. Bauer); Unfallversicherung (R. Schmidt); Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung (Luise Zietz). Die Delegierten diskutieren ausführlich die Haltung der Fraktion bei den Beratungen der Finanzreform, vor allem über die Erbschaftsteuer.

Zur Unterstützung der wegen des 1. Mai Ausgesperrten sollen Bezirksfonds aus freiwilligen Sonderbeiträgen gebildet werden. Der Parteitag beschließt ein neues Organisationsstatut. Nur noch der sozialdemokratische Verein des Reichstagswahlkreises bildet die Grundlage der Organisation. Organisationen, denen Frauen angehören, müssen diesen eine Vertretung im Vorstand gewähren. Einheitliche Mitgliederbeiträge werden noch nicht festgesetzt, doch soll der monatliche Mitgliedsbeitrag für männliche Mitglieder 30 Pfennig, für weibliche Mitglieder 15 Pfennig betragen. Die Mitgliederzahl der Vereine ist bestimmend für die Zahl der Parteitagsdelegierten. Sie schwankt zwischen einem Delegierten bei einer Mitgliederzahl bis zu 1500 Mitgliedern und sechs Delegierten, wenn die Mitgliederzahl des Vereins mehr als 18 000 beträgt. Die Zahl der Beisitzer im Vorstand wird um eine Vertreterin der weiblichen Parteimitglieder erweitert. Bei wichtigen, die Gesamtpartei berührenden Fragen hat der Parteivorstand die Vorstände der Bezirks- oder Landesorganisationen gutachtlich zu hören oder eine Konferenz ihrer Vertreter zu veranstalten. Der Ausschluß eines Parteimitgliedes darf nur von einer Orts- oder Wahlkreisorganisation und mit Zustimmung des Beschuldigten auch vom Vorstand der Parteiorganisation beantragt werden. Der Instanzenweg wird festgelegt. Außer auf dauernden Ausschluß aus der Partei kann jetzt auch auf zeitweise Ausschließung von Vertrauensämtern erkannt und Rügen erteilt werden.

Die Parteimitglieder werden aufgefordert, mit größerer Energie und lebhafterem Eifer als bisher für die Jugendbewegung tätig zu sein, auch mehr Mittel dafür flüssig zu machen.

Ein von W. Dittmann eingebrachter Antrag, der jedes - auch wahltaktische - Zusammengehen mit den Liberalen ausschalten will, wird, nachdem bereits angenommen, in einer zweiten Abstimmung abgelehnt. Der Parteitag erklärt jedoch, daß damit in keiner Weise eine Abschwächung der Resolution des Dresdner Parteitages erfolgt sei.

In sehr ausführlicher Weise beschäftigt sich der Parteitag mit der Reichsversicherungsordnung. Da der vom Reichsamt des Inneren veröffentlichte Entwurf die berechtigten Ansprüche der Arbeiter nicht erfülle, fordert die SPD volles Selbstverwaltungsrecht für die Versicherten, Zentralisation der Krankenversicherung, Ausgestaltung der Fürsorge für die Versicherten und ihre Angehörigen auch in bezug auf die Verhütung von Krankheiten; bei der Unfallversicherung: Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle Arbeiter und Angestellten sowie auf die Selbständigen im Kleingewerbe und in der Hausindustrie; Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter, der Dienstboten, Hausgewerbetreibenden und Wanderarbeiter mit den gewerblichen Arbeitern.

Die Invalidenrente sei zu bewilligen, wenn der Versicherte nicht in der Lage sei, in seinem Beruf die Hälfte des Lohnes eines gleichartigen Vollarbeiters zu erwerben. Die Rente müsse mindestens ein Drittel des versicherten Jahresarbeitsverdienstes betragen. Witwenrente sei allen Witwen der Versicherten zu gewähren in der Höhe von mindestens 20 % des versicherten Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen. Für jedes unter 16 Jahre alte Kind seien ebenfalls 20 % zu zahlen; uneheliche Kinder seien ehelichen gleichzustellen.

Die Reichstagsfraktion soll Anträge einbringen, in denen eine neue Einteilung der Reichstagswahlkreise, die dreijährige Legislaturperiode und die Erleichterung beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer erreicht werden sollen.

Mit Abscheu werden die blutigen Greuel, unter denen die Gegenrevolution in Rußland ihren Schrecken verbreitet, gebrandmarkt.

Mit Empörung wird Kenntnis von den rechtsverletzenden Gewalttaten und Grausamkeiten genommen, die die spanische Regierung den Teilnehmern an der Widerstandsbewegung gegen den Krieg in Afrika wie allen Bekämpfern der kapitalistischen Gewaltherrschaft gegenüber zur Anwendung bringt.

Der Parteitag richtet an alle Parteimitglieder die Aufforderung, den Branntweingenuß zu vermeiden, um die erfolgte Erhöhung der Branntweinsteuer wirkungslos zu machen.

A. Bebel (326), P. Singer (317), A. Gerisch (325), H. Molkenbuhr (322), F. Ebert (319), H. Müller (311), W. Pfannkuch (306) werden in den Parteivorstand, als Beisitzer R. Wengels und L. Liepmann, zu Kontrolleuren A. Kaden (297), W. Bock (259), F. Brühne (288), E. Ernst (259), H. Koenen (251), Clara Zetkin (231), A. Geck (225), 0. Braun (226) und /. Timm (224) gewählt.


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net edition fes-library | Juni 2001