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Stärken und Schwächen

In einer kleinen Diskussionsrunde mit Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte Susanne Miller, damalige Leiterin der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, in den achtziger Jahren einmal die „klassische Bibliothek„ eines bildungsorientierten Funktionärs beschrieben. Im Grunde genommen sei der Kanon der Bücher in jedem Haushalt gleich gewesen: Er reichte vom „Hochverrats-Prozeß wider

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Liebknecht, Bebel, Hepner vor dem Schwurgericht zu Leipzig„ hin zu Karl Kautskys „Karl Marx’ Ökonomische Lehren„. Diese Erfahrung musste auch Rudolf Rothe machen. Das traditionelle sozialdemokratisch/sozialistische Buchspektrum war in der SPD-Bibliothek bald abgedeckt.

Viel Mühe steckte der Leipziger in die Sisyphosarbeit zur Komplettierung der klassischen SPD-Zeitschriften. Zu Beginn der sechziger Jahre waren die Blätter „Die Gesellschaft„, „Die Neue Zeit„, „Sozialdemokratische Parteikorrespondenz„, „Das freie Wort„, „Jungsozialistische Blätter„, „Arbeiterjugend„, „Die Gleichheit„, „Frauenwelt„, „Der wahre Jacob„, „Sozialistische Bildung„, „Sozialistische Erziehung„, „Die Bücherwarte„, „Sozialistische Monatshefte„, „Der Klassenkampf„ bis auf kleine ärgerliche Lücken wieder in einer einzigen Bibliothek vorhanden. Was gänzlich fehlte, war die gesamte Breite der Arbeiterkulturbewegung mit ihren Sparten Arbeitersport, Naturfreunde, Arbeiteresperantisten, Arbeitersänger etc. Das Erbe der „alten„ wertvollen Zeitschriftenbestände aus der „vorsozialistengesetzlichen„ Zeit konnte der Parteibibliothekar immerhin in ganz wenigen Einzelnummern wieder zugänglich machen. Eine großflächige Ergänzung gelang nicht; dafür waren die Bestände zu selten. Dennoch: Die SPD-Bibliothek versammelte unter ihrem Dach mehr an sozialdemokratischer Literatur als jede andere deutsche wissenschaftliche Bibliothek mit hinreichenden Personal- und Erwerbungsmitteln.

Das theoretische Schrifttum der Partei war so gut wie lückenlos wieder zusammengetragen worden. In der Zusammenschau mit den Protokollen und Jahrbüchern ergab die Büchersammlung ein Ensemble, mit dem sich gut über die Sozialdemokratie ideengeschichtlich arbeiten ließ. Der Aufbau dieser Sammlung innerhalb kürzester Zeit verdiente allen Respekt. Die SPD-Historikerin Susanne Miller hat oft über die Entstehungsgeschichte ihrer Dissertation „Das Problem der Freiheit im Sozialismus. Freiheit, Staat und Revolution in der Programmatik der deutschen Sozialdemokratie von Lassalle bis zum Revisionismusstreit„ berichtet. Als Mitarbeiterin der Programmkommission der SPD schrieb sie ihre Doktorarbeit ausschließlich mit den gedruckten Quellen der Parteibibliothek. „Alles„, was sie für ihre ideengeschichtliche Arbeit brauchte, war dort vorhanden. Rudolf Rothe kannte alle „seine„ Bände und wusste, wo sie standen.

Personell konnte Rothe sich ausschließlich auf studentische Hilfskräfte als Mitarbeiter stützen. Ein Katalog wurde nicht geführt. Die Bücher waren grob systematisch aufgestellt. Rothe hatte seine Bibliothek im Kopf.

Die SPD-Bibliothek war eine Geschenkbibliothek. Was nicht geschenkt oder getauscht wurde, fanden Benutzer in ihr nicht. Dies galt vor allem für die Gewerkschaftsliteratur. 1952 konnte der Bibliotheksleiter Professor Otto Stammer in Berlin nur resignativ mitteilen, dass „unser Bestand an Zeitschriftenmaterial der Gewerkschaften eher knapp ist„. [Fn 136: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02277.] Nur der „Zimmerer„ sei mit den Jahrgängen 1894 bis 1921 vollständig vertreten. Erst Mitte der fünfziger Jahre standen bescheidene Mittel für antiquarische Ankäufe zur Verfügung. Auch der Erwerb bescheidener Neueingänge unterlag einer scharfen Finanzkontrolle: Jede Buchbestellung musste vom Schatzmeister der Partei genehmigt werden.

Ausländische Veröffentlichungen der Bruder- und Schwesterparteien fehlten. Nur die schweizerische und die österreichische Arbeiterbewegung waren durch diverse Bestände vertreten. Einige Materialien der britischen Arbeiterbewegung hatten sozialdemokratische Emigranten beigesteuert. Völlig „passen„ musste Rudolf Rothe bei Zeitungen aus der Vorkriegszeit. Zei-

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tungen waren aber das Herzstück sozialdemokratischer Publikationstätigkeit. In der Regel hatten Zeitungen nicht in Privatbesitz „überlebt„; sie fehlten deshalb in der SPD-Bibliothek zwangsläufig.

Rothes ganze Leidenschaft galt dem „alten Bestand„. Das haben Zeitzeugen immer wieder bestätigt [Fn 137: Mündliche Mitteilung von Dr. Horst Heidermann.] . Die alte SPD in ihren Publikationen wieder „auferstehen„ zu lassen, bedeutete ihm viel. Den sozialdemokratischen Tagesschriften der Nachkriegszeit widmete er nicht die gleiche Aufmerksamkeit. Natürlich: Der Parteibibliothekar hatte keinen „Apparat„ zur Verfügung. Was freiwillig abgeliefert wurde, das stellte er in seine Bibliothek ein. Dennoch springen die großen Lücken im Bestand nach 1945 ins Auge. Das regionale Schrifttum der Sozialdemokratie fehlte fast vollständig. Rothes Nachfolger Paul Mayer konnte nur traurig feststellen: „Unsere Sammlung der Parteipublikationen ist lückenhaft, was darauf zurückzuführen ist, daß sie uns nur sehr sporadisch zugeliefert wird.„ [Fn 138: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02289.]

Als 1967 der Zeitungsforscher Heinz-Dieter Fischer nach den Mitteilungsblättern der SPD-Parteibezirke in Bonn recherchierte, wurde es evident: Ein Teil des gedruckten Gedächtnisses der Sozialdemokratie der Nachkriegszeit war wiederum verlorengegangen. [Fn 139: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02291.] Ein engagierter „Einmannbetrieb„ konnte beim besten Bemühen nicht alles sammeln, was eine lokal und regional aktive und lebendige Partei, die sich anschickte, den politischen Kurs der Bundesrepublik zu bestimmen, an Lesenswertem produzierte.

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Junge Hüpfer - alte Hasen

Die nach Bonn drängende junge Benutzergeneration, mit der Rothe ausführlich korrespondierte, war hingegen froh, wenigstens die wichtigsten Materialien der deutschen Sozialdemokratie an einer Stelle vorzufinden. Die Mitarbeiterin des Heidelberger Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Ursula Hüllbüsch, brachte es auf den Punkt: „Da die deutschen Bibliotheken, wie so häufig, das von mir am dringendsten gebrauchte Material leider nicht besitzen, wage ich es heute noch einmal, Sie um ihre Hilfe zu bitten.„ [Fn 140: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02282.]

Der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler rangierte noch 1958 für seine Dissertation „Sozialdemokratie und Nationalstaat„ Rothes Auskünfte über denen der einschlägigen Nachschlagewerke: „Ich weiß, Herr Rothe, daß diese Fragen für Sie wahrscheinlich viel Arbeit bedeuten. Die üblichen Handbücher und Nachschlagewerke sind aber nicht präzise genug, so daß ich Sie um diesen Rat bitten muß.„ [Fn 141: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02280.]

Diese beiden Anfragen signalisierten ein völlig neues Klientel der Benutzer der Bibliothek. Ende der vierziger Jahre/Anfang der fünfziger Jahre waren es fast ausschließlich ältere Parteimitglieder, die den Leipziger Metallarbeiter um Hilfe fragten. Ein ehemaliges Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend suchte nach einem Lassalletext, um ihn nochmals zu studieren, oder ein anderes Mitglied recherchierte nach einer Kautsky-Broschüre, die für ihn in seiner Entwicklung hin zum Sozialdemokraten eine besondere Rolle gespielt hatte. Rothe verschickte und verlieh alles; er wollte helfen, sein Vertrauen war groß.

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Mitte der fünfziger Jahre änderte sich die Benutzerstruktur nachhaltig. Zum einen waren es „halboffizielle„ Anfragen von prominenten Sozialdemokraten, die für ihre historischen Darstellungen um Hilfe, Rat und Unterstützung baten. Marie Juchacz suchte für ihr Frauenbuch „Sie lebten für eine bessere Welt„ ebenso den Rat Rothes wie Annedore Leber und Willy Brandt für ihre Darstellung zum Widerstand. Zum anderen war es die neue Generation der „Außenseiter„ und ihrer Schüler, die sich der vernachlässigten Geschichtsschreibung der deutschen Arbeiterbewegung widmete. [Fn 142: Zeitweise korrespondierte Rothe mehr mit amerikanischen Wissenschaftlern als mit deutschen. Dieser Trend wendete sich dann in den frühen sechziger Jahren grundlegend. Er soll an dieser Stelle nicht kommentiert wer den. ]

„Außenseiter„ wie „Schüler„ waren Rothes dankbarste „Abnehmer„. Wolfgang Abendroth zählte ebenso dazu wie Ossip K. Flechtheim. [Fn 143: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02281.] Flechtheims umfangreiche Parteiendokumentation räumte den SPD-Materialien viel Platz ein. Sie stammten ausschließlich aus der Parteibibliothek. Erich Matthias nahm mit seinen anspruchsvollen Wünschen einen Spitzenplatz ein. A.R.L. Gurland suchte Materialien für seine CDU-Geschichte. Die Namensliste der Korrespondenzpartner liest sich wie ein Gotha jüngerer aufstrebender Sozialhistoriker und verdienter sozialdemokratischer „Geschichtsarbeiter„: Kurt Koszyk, Waldemar Ritter, Hanno Drechsler, Dieter Groh, Wilhelm Matull, Hedwig Wachenheim, Henryk Skrzypczak, Hanns W. Eppelsheimer und Franz Osterroth. Diese Namen stehen für viele andere. Rothe half ihnen nach Kräften.

Das Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1966/67 nennt mehr als 100 Dissertationen, die mit Hilfe von Archiv und Bibliothek geschrieben wurden. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich viel: die wachsende Anziehungskraft der SPD auf junge Intellektuelle, die Wandlung der SPD selbst und die veränderten Lehr- und Lerninhalte an deutschen Universitäten. Überspitzt könnte man sagen: Es war das junge Klientel Rothes, das das geistige und intellektuelle Klima der jungen Bundesrepublik mit reformierte.

Diesen jungen Menschen geholfen zu haben, ohne das „harte Parteigeschäft„ zu vernachlässigen, darin lag das besondere Verdienst Rudolf Rothes.

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Die Ära Paul Mayer

1961 erkrankte Rothe schwer. Von heute auf morgen konnte er nicht mehr arbeiten. Zu seinem Nachfolger bestimmte der Parteivorsitzende Erich Ollenhauer den gebürtigen Duisburger Paul Mayer am 1. April 1962. [Fn 144: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02283.] Mayer (geb. 1898) hatte seit 1919 als Journalist kleiner Lokalblätter gearbeitet. Sein Universitätsstudium musste er aus ökonomischen Gründen abbrechen. Die Leiden beider Weltkriege hatte er als aktiver Kriegsteilnehmer hautnah erfahren. Nach Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft trat er 1948 in Hannover in die Redaktion des „Vorwärts„ ein. Seit 1958 fungierte er als stellvertretender Chef des Parteiblattes. [Fn 145: Miller, Susanne: „Rudolf Rothe und Paul Mayer zum Gedächtnis„. In: IWK. Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 7 (1971), Nr. 11/12, S. 120. AdsD, Sammlung Personalia, Paul Mayer.]

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Im Mai informierte er seinen Vorgesetzten Alfred Nau über neue terminologische Bezeichnungen. Die Pressedokumentation - parteiintern manchmal auch als Bibliothek und Archiv bezeichnet - sollte sich „Pressearchiv„ nennen. Für den eigenen Arbeitsbereich reklamierte er - unter Hinweis auf August Bebel - die Bezeichnung „Bibliothek und historisches Archiv„. [Fn 146: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02283.] Diese „klare Trennung von Kompetenzen„ war leicht herbeizuführen. Schwerer wog indes die Tatsache, dass Mayer keinerlei „Überblick über die Bestände hatte„. [Fn 147: Ebda.] Rothe hatte die Bibliothek „im Kopf„ gehabt, Mayer stand hilflos davor. Der Mangel eines Kataloges machte die Bibliothek praktisch unbenutzbar.

Der Bestand - die Angaben schwanken zwischen 15.000 und 20.000 Bänden - musste völlig neu erschlossen werden. Zeitweise mussten alle Interessierten abgewiesen werden. Mayer nutzte seinen guten „Draht„ zu Erich Ollenhauer, um die beengten räumlichen Verhältnisse deutlich zu erweitern. Umbaumaßnahmen und Kompaktmagazinierung schafften einige Abhilfe. Der neue Leiter verbuchte auch personelle Verstärkung. Neben einer Sekretärin und einem wissenschaftlichen Assistenten sprach ihm der Schatzmeister mehrere studentische Hilfskräfte zu.

Eine an die internationale Dezimalklassifikation angelehnte Systematik sollte den inhaltlichen Zugriff verbessern, ein Formalkatalog die klassische Frage beantworten: Ist ein dem Titel nach bekanntes Werk in der Bibliothek (und in welcher Ausgabe) vorhanden? [Fn 148: Mayer, Paul und Wilhelm Peters: „Die Archive der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands„. In: Der Archivar, 20 (1967), Sp. 375 f.] Die Katalogarbeiten begannen schwungvoll, gerieten danach jedoch mehrfach ins Stocken. Bis zur Übergabe der Bestände an die Friedrich-Ebert-Stiftung im Jahr 1969 konnte das ambitionierte Werk nicht realisiert werden.

Der Journalist suchte zunächst die innere Ordnung der Bibliothek kontinuierlich zu verbessern. Die Zeiten der ganz großen bibliothekarischen Bestandserweiterungen war vorbei. Bei privaten Bücherangeboten hatte er nicht ganz den untrüglichen „Sammlerinstinkt„ wie sein Vorgänger. Nimmt man die stark divergierenden Angaben zum Bestand, so kann man davon ausgehen, dass unter Rudolf Rothe etwa 15.000 Titel (nicht Bände) angeschafft wurden. Bis 1969 fügte Mayer der Sammlung ca. 5.000 Titel hinzu, die 1969 an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben wurden. Freunde beschrieben ihn als einen sehr systematisch arbeitenden Menschen. [Fn 149: AdsD, Sammlung Personalia, Paul Mayer.] Sachte suchte er abgerissene Tauschabonnements anzukurbeln und zugesagte Geschenklieferungen wieder in Gang zu setzen. Bei laufenden Zeitschriften führte er eine Art Vollständigkeitskontrolle ein. In Absprache mit dem Pressearchiv der Partei setzte er Mitte der sechziger Jahre einen jährlichen, geregelten Erwerbungsetat von 6.000 DM durch.

Mayer war passionierter Journalist. Neugier und Spürsinn gehörten zu seinem Handwerkszeug. „Die Geschichte des sozialdemokratischen Parteiarchivs und das Schicksal des Marx-Engels-Nachlasses„ war Frucht seines Arbeitsstils und seiner eigentlichen Interessenlage. Mit diesem umfangreichen Aufsatz im „Archiv für Sozialgeschichte„ machte er überhaupt - weit über den engsten Spezialistenkreis hinaus - auf die Geschichte dieser einmaligen Kultureinrichtung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aufmerksam. Seine Archivarbeiten hatten ihn stark beflügelt, die mehrfach im Sande verlaufenden Recherchen nach dem Verbleib der Registraturen des Prager Exilvorstandes der Sozialdemokratie wieder aufzuneh-

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men. Seine Archivgeschichte und der „Stockholmer Dokumentenfund„ [Fn 150: Mayer, Paul: „Der Stockholmer Dokumentenfund. Das Archiv der SoPaDe„. In: IWK. Internationale wissen schaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 8 (1972), Nr. 15, S. 46 f. ] haben Paul Mayer ein Denkmal gesetzt. Die Konsolidierung der inneren Struktur der Bibliothek war natürlich weniger spektakulär, für die Nutzer des Wissensspeichers Bibliothek jedoch nicht minder wichtig.

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Neue Nutzer

Mit dem Kanzlerkandidaten Willy Brandt konnte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Bundestagswahlkampf 1961 beträchtliche Erfolge erzielen. Neue - der Partei bislang fernstehende Schichten - fühlten sich durch die programmatisch neu positionierte Sozialdemokratie angezogen. Durchbrüche zur jungen Wählerschaft gelangen. Die SPD trat ins Bewusstsein der westdeutschen Bevölkerung als eine echte Alternative zur herrschenden bürgerlichen Koalitionsregierung.

Der Wechsel im politischen Stimmungsklima hatte unmittelbaren Einfluss auf die Nutzung der Parteibibliothek. Natürlich gehörten junge qualifizierte Forscher weiterhin zum Klientel Paul Mayers. Von Peter Lösche über Hans-Josef Steinberg zu Klaus Tenfelde zählte die kommende Generation junger Hochschullehrer zu den Nutzern der Parteibibliothek, die ihrerseits durch richtungsweisende neue Projekte die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung entscheidend stimulieren sollten.

Mayers „Hauptarbeit„ ging indes deutlich in die „Breite„. Seine Korrespondenz schwoll merklich an. Er beschaffte Material für die „Winterarbeiten„ angehender Bundeswehroffiziere über die Geschichte der SPD und investierte seine Arbeitskraft, kommenden Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen den Unterschied zwischen dem Heidelberger und Godesberger Programm zu erklären. Die Parteibibliothek entwickelte sich zu einem echten Dienstleistungsunternehmen. Ganz neue Nutzerschichten traten in den sechziger Jahre in den Vordergrund, an die wenige Jahre vorher noch niemand gedacht hatte.

Die Veränderung des gesellschaftlichen Wertekonsenses, die Protestbewegungen der späten sechziger Jahre, der wissenschaftliche Paradigmenwechsel in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften der Bundessrepublik machten sich nicht nur an spektakulären Ereignissen fest. Vielleicht war die Hinwendung junger Menschen hin zur SPD und ihrer Literatur ein guter Indikator für „die neue Zeit„, die wenige Jahre später der Sozialdemokratie die Möglichkeit zu entscheidenden Reformen gab.

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Revolutionierung durch Mikrofilmtechnik

In den frühen 1960er Jahren revolutionierten verbesserte Mikrofilmtechniken die gesamte Bibliotheks- und Archivwelt. Die Herstellung von Rollfilmen wurde einfacher und billiger, das Produkt für mehrere Generationen haltbar. Die Entwicklung preisgünstiger und robuster Lesegeräte war ein Teil der „Wissenschaftsrevolution„. Historiker haben die Entwicklung der Mikrofilmtechnik mit dem Öffnen der königlichen Archive nach der Französischen Revolu-

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tion verglichen: Transparentmachung der Quellen, Demokratisierung des Wissenschaftsbetriebes. Diese Aussage mag übertrieben erscheinen. Für die breite Verfügbarkeit der Quellen der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung trifft sie mit Sicherheit zu.

Am technischen „Revolutionsprozess„ waren Mitarbeiter der „Baracke„ entscheidend beteiligt. Das Pressearchiv der SPD hatte früh das Potential der neuen Technik erkannt. Mitarbeiter bauten unter dem Dach der Konzentration GmbH (Interessengemeinschaft von Verlags- und Wirtschaftsunternehmen) eine eigene Mikrofilmabteilung auf, die eine vollkommene Einrichtung zur Sicherheitsverfilmung enthielt. [Fn 151: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02284.] Die Reprographieabteilung firmierte ab April 1964 als eigenständige Firma „Mikropress GmbH. Gesellschaft für die fotografische Reproduktion der Presse„, die sich am Markt glänzend behaupten konnte. [Fn 152: Siehe Brunner, Detlev: 50 Jahre Konzentration GmbH. Die Geschichte eines sozialdemokratischen Unterneh mens 1946-1996. Berlin, 1996, S. 84.] Das junge Unternehmen spezialisierte sich auch auf die Quellen der Arbeiterbewegung. [Fn 153: Peters, Wilhelm: „Das verlegerische Angebot der Mikropress GmbH„. In: Mikroformen und Bibliothek, München, 1977, S. 150 f.] An den Beratungen bei den Verfilmungsprojekten beteiligte sich Paul Mayer ebenso intensiv wie die sozialdemokratische Historikerin Susanne Miller.

Keiner erkannte vielleicht die Perspektiven des neuen Mediums besser als Georg Eckert, Leiter des Instituts für Sozialgeschichte Braunschweig, Vorsitzender der deutschen UNESCO-Kommission und Begründer des Jahrbuchs „Archiv für Sozialgeschichte„: „Mit großer Freude höre ich„ - schrieb er im Juni 1965 an Paul Mayer - „daß Ihr Archiv mit der Mikrofilmierung seltener sozialistischer Periodika begonnen hat. Ich halte dieses Unternehmen für außerordentlich verdienstvoll, vor allem, wenn Sie auch in der Lage wären, die seltenen Zeitungen, die ja vielfach nur in einem Exemplar vorhanden sind, in Ihr Programm einzubeziehen. Ich finde es ganz ausgezeichnet, daß Sie sich diese Aufgabe zum Ziel gesetzt haben. So besteht doch die Möglichkeit, daß Ihr Archiv wieder zu der großen zentralen Forschungsstätte wird, die es vor 1933 gewesen ist und die wir als Historiker und Studenten so dringend benötigen.„ [Fn 154: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02280.]

1963 lagen die ersten vollständigen Mikrofilme der verschiedenen sozialdemokratischen Zentralorgane vor („Der Social-Demokrat„, Berlin, „Demokratisches Wochenblatt„, „Der Volksstaat„, „Berliner Volksblatt„, „Vorwärts„, Berlin sowie das USPD-Organ „Freiheit„). 1964 wurde die sozialdemokratische Frauenzeitschrift „Gleichheit„ verfilmt, ein Jahr später das „Kasseler Volksblatt„ und ein weiteres Jahr später die „Bremer Bürgerzeitung„. [Fn 155: Mayer/Peters, „Die Archive der sozialdemokratischen Partei...„, a.a.O., Sp. 375.] Diese Projekte waren nur der Auftakt für eine Reihe weiterer Aktivitäten ganz im Sinne Georg Eckerts.

Bibliothek und historisches Archiv des Parteivorstandes und die Mikropress GmbH kooperierten bei ihren Aktivitäten eng mit dem Standortkatalog der deutschsprachigen Presse an der Staatsbibliothek Bremen sowie dem Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse (MFA). Kurt Koszyk, Vorsitzender des MFA, hatte zusammen mit Fritz Heine der bibliographischen Erfassung der Presse der SPD entscheidende Impulse verliehen und viele verloren geglaubte Blätter regelrecht entdeckt. [Fn 156: Koszyk, Kurt: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Im Namen des Vorstandes der Friedrich-Ebert-Stiftung hrsg. von Fritz Heine. Hannover, 1966.] Die Bonner und Dortmunder Kollegen verbanden gleiche Werte und Interessen. Ihr fachlicher Dialog war konstruktiv und fruchtbar.

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An der „Grundsteinlegung„ eines neuen Mikrofilmarchivs war Paul Mayer entscheidend beteiligt. Obgleich seine eigentliche Pensionierungsgrenze schon überschritten war, stellte er sich der neuen technologischen Herausforderung und nahm sie erfolgreich an. Die Zeiten des Wartens auf die „richtigen„ Zeitschriften und Zeitungen war endgültig vorbei. Lückenschließung und Bestandsaufbau konnten aktiv und planvoll betrieben werden. Paul Mayers Aufbauarbeit setzen seine Nachfolger in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung heute immer noch fort. Die Sicherung der Quellen auf Mikrofilm gilt auch im digitalen Zeitalter als kostengünstige und sichere Form der Langzeitarchivierung.

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Übergang

Im Sommer 1966 berichtete Paul Mayer in einem Brief an den Leiter des Archivs für Arbeiterbildung und soziale Literatur, Fritz Hüser, vom „sagenhaften„ Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung, von dem er seit seinem Dienstantritt gehört habe. [Fn 157: AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02291.] In der Tat: Seit den frühen sechziger Jahre wurde in der Leitungsebene der Stiftung diskutiert, eine große Sammel- und Forschungsstätte zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung einzurichten. Als Vorbild diente das IISG Amsterdam mit seinen reichen Schätzen und seinem großen qualifizierten Personalstab. Wenn in der Friedrich-Ebert-Stiftung über entsprechende Pläne nachgedacht wurde, schwang stets die Überlegung mit, die Archiv- und Bibliotheksbestände beim Parteivorstand der SPD mit einzubeziehen.

Zu einem guten Ende kamen die Überlegungen 1969. Paul Mayer wechselte als Mitarbeiter in das „stattliche rote Klinkerhaus der Friedrich-Ebert-Stiftung nur einen knappen Kilometer entfernt„. [Fn 158: So der versöhnliche Ton eines Briefes an Dr. Wanda Lanzer vom Verein für Geschichte der Arbeiterbewe gung Wien. AdsD, Bestand PV, Archiv/Bibliothek, Nr. 02296. ]

Wie müssen nun die bibliothekarischen Leistungen der kleinen Teams um Rudolf Rothe und Paul Mayer innerhalb des Vorstandsgebäudes in der Rückschau eingeschätzt werden? Wie ist der Wert der Sammlung einzuschätzen? Bargen ihre Sammlungen Potential, das es noch auszubauen galt? Eine Antwort fällt leicht. Die kürzeste hat Horst Heidermann in zwei Sätzen gegeben: „Die Arbeit der Bibliothekare Rudi Rothe (seit 1947) und (ab 1967) Paul Mayer fand unter ungünstigen Bedingungen statt. Beide leisteten Erstaunliches.„ [Fn 159: Heidermann, Horst: „Überlegungen und Vorbedingungen bis 1969„. In: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiter bewegung. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 1999, S. 17 (Veröffentlichungen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung; Bd. 8).]

1969 waren ca. 25.000 Bände im Gebäude des Parteivorstandes zusammengetragen worden. [Fn 160: Gutachten von Dr. Frieda Otto von der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft Kiel vom 9. März 1970. Gutachten im Besitz der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. ] Vieles war nicht gesichtet, manches doppelt. Die Bibliothek bot eine solide Basis für seriöse Arbeiten über die Geschichte der SPD und die deutsche Arbeiterbewegung. Im Westen Deutschlands gab es keine vergleichbare Sammlung. Nach 1945 galt das gleiche wie vor 1933: Die der Arbeiterbewegung verpflichteten Autodidakten auf der Leitungsebene waren den „bürgerlichen Experten„ beim Aufbau entsprechender Sammlungen überlegen. Sie wussten einfach mehr. Von daher war der Aufbau der Parteibibliothek eine große Erfolgsgeschichte. Die Erfolgsgeschichte im Rahmen der Organisationsstruktur des Parteivorstandes

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der SPD blieb jedoch begrenzt. Den Rahmen bildeten unabweislich die finanziellen, personellen und räumlichen Bedingungen im Hause.

So fehlten Veröffentlichungen aus der internationalen Arbeiterbewegung fast vollständig. Veröffentlichungen zur SPD und zur deutschen Gewerkschaftsbewegung gab es nur in deutscher Sprache. Entsprechende ausländische Veröffentlichungen waren nur in beschränkter Zahl als Pflichtexemplare eingegangen. Ausländische Veröffentlichungen zur ausländischen Arbeiterbewegung fehlten vollständig. Der deutsche wissenschaftliche Zeitschriftenapparat war klein. Die Bestellung von ausländischen Zeitschriften scheiterte am Budget. Ernster wog die unzureichende Repräsentanz des lokalen und regionalen Schrifttums der SPD. Systematische Erwerbungspolitik und harte bibliothekarische „Kärrnerarbeit„ (Vollständigkeitskontrollen, Mahnwesen etc.) war mit dem vorhanden Personal nicht zu „machen„. Die DDR-Literatur zur deutschen Arbeiterbewegung wurde in der Bibliothek nicht zur Kenntnis genommen.

Die wissenschaftliche deutsche und ausländische Background-Literatur musste bei dem zur Verfügung stehenden Etat ausgeblendet bleiben. Die Gewerkschaftsliteratur war insgesamt nur zufällig vertreten. Der Mangel einer inhaltlichen Erschließung der zentralen Forschungsliteratur über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Zeitschriften und Sammelwerken war allen Beteiligten bewusst. Eine Anbindung an den deutschen Wissenschaftsbetrieb fehlte. Die Bibliothek beim Parteivorstand war an keinem der großen bibliothekarischen nationalen kooperativen Projekten beteiligt, somit blieb auch die Reichweite des Bestandes auf den hochqualifizierten und mobilen Benutzer beschränkt.

Diese „Defizite„ kannten natürlich alle Beteiligten. Nicht dass es zu allen Fragen nicht Ideen, Phantasien und Wünsche gegeben hätte. Der Rahmen der Möglichkeiten war vorgegeben, und diese Begrenzungen waren nicht zu überschreiten. Die Mitgliederbeiträge der SPD waren begrenzt. Öffentliche Gelder konnten in ein bibliothekarisches und archivarisches „Parteiunternehmen„ natürlich nicht investiert werden.

In Osteuropa und in der DDR sahen die Rahmenbedingungen selbstredend anders aus. Hier hatte die Erforschung der Arbeiterbewegung den Charakter von Staatsforschung zur Legitimation der eigenen Herrschaftsansprüche. Die deutsche Sozialdemokratie konnte sich nicht im Entferntesten mit diesen Institutionen messen. In verschiedenen westlich-demokratischen Länder gab es nicht minder bedeutende Einrichtungen zur Quellensicherung sozialer Bewegungen: das Sozialarchiv Zürich, das IISG Amsterdam, die Hoover Institution on Peace, Revolution and War in Stanford, California, die bedeutenden skandinavischen Einrichtungen. Die westlichen Sammel- und Forschungseinrichtungen speisten ihre Aktivitäten aus öffentlichen und privaten Mitteln.

An diesen Vorbildern „des Westens„ orientierten sich die Verantwortlichen in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Sammlung und Schätze des Parteivorstandes wurden ab 1969 im neuen Archiv der sozialen Demokratie auf ein „höheres Niveau„ gehoben und breit vernetzt.

Was hatte es nun mit diesem „sagenhaften„ Archiv auf sich, von dem Paul Mayer schon so lange gehört hatte? Welche Rolle spielte darin die Bibliothek? An dieser Stelle soll deshalb ein kurzer Blick auf die Vorgeschichte dieser Einrichtung und die Ideen ihrer Gründer geworfen werden.

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Auf dem Weg zum Archiv der sozialen Demokratie

Seit der programmatischen Neubestimmung und dem kulturellen Aufbruch der späten fünfziger Jahre war im weiten Umfeld der Sozialdemokratie die Idee einer großen westdeutschen Zentralbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung virulent. Alle diese Ideen kreisten um eine enge Kooperation zwischen der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Besonders in Hamburg, der alten „heimlichen Hauptstadt„ der SPD, wurden visionäre Bildungs- und Kulturkonzeptionen hochgehalten. 1960 berichtete der Mitbegründer der Bildungszeitschrift „Kulturwille„ Valtin Hartig an Rudolf Rothe optimistisch: „Als ich vor anderthalb Jahren bei Dir war und mir Deine Bibliothek betrachtete, erzählte ich Dir auch davon, daß hier die Idee aufgekommen sei, man müsste, um die Lücke aufzufüllen, die der Nationalsozialismus ins Büchereiwesen der deutschen Arbeiterbewegung gerissen hat, eine Zentralbücherei der deutschen Arbeiterbewegung mit öffentlichen Mitteln als eine Art geistiger Wiedergutmachung an der Arbeiterbewegung schaffen.„ Und er fügte hinzu: „Natürlich sei Willi Eichler dafür„. Der Hamburger Bürgermeister Max Brauer habe ihm nun mitgeteilt, man überlege, in der Heimvolkshochschule der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bergneustadt eine solche Zentralbibliothek einzurichten. Der ehemalige Leiter des Leipziger Arbeiterbildungsinstituts, Bildungssekretär des Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter und Verwaltungssekretär der Internationale des Öffentlichen Dienstes in der Pariser Emigration zählte zu dem Typus Funktionär, die im Nachkriegsdeutschland vehement für eine Rekonstruktion der SPD als Kulturpartei warben. [Fn 161: AdsD, Sammlung Personalia, Valtin Hartig.]

Das große Bibliotheksprojekt in Bergneustadt wurde nicht realisiert. Die parteiinterne Diskussion zeigte indes, in welche Richtung sich die Überlegungen bewegten. Träger der Idee innerhalb der Friedrich-Ebert-Stiftung war deren Vorstandsvorsitzender Alfred Nau. [Fn 162: Über die geistigen und materiellen Voraussetzungen der Schaffung eines Archivs der sozialen Demokratie hat Horst Heidermann, „Überlegungen und Vorbedingungen ...„, a.a.O. anschaulich berichtet. ] Für Alfred Nau wog der Verlust des alten Parteiarchivs mit seiner Bibliothek schwer. Als sich bald herausstellte, dass alle Überlegungen sich als illusionär erwiesen, die seinerzeit dem IISG Amsterdam verkauften Materialien „zurückzuholen„, orientierte er auf eine eigene große professionelle Sammel- und Dokumentationsstelle.

Für die noch zu schaffende Einrichtung wurde schon früh der Name Archiv der/für soziale Demokratie gewählt. Diese Bezeichnung war intern nicht unumstritten. Die Wortwahl erinnerte an die demokratische Revolution von 1848/49. Hinter dem neutralen Namen verbarg sich die Absicht, auch der deutschen Gewerkschaftsbewegung das Tor für ihre gedruckten und ungedruckten Quellen offen zu halten. [Fn 163: Siehe Mertsching, Klaus und Hans-Holger Paul: „Gewerkschaftsakten im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung„. In: Der Archivar, 49 (1996), Sp. 437 ff.] Gerade Naus solides Verhältnis zur finanziellen „Machbarkeit„ ließen ihn pragmatische Lösungen wählen.

Was Nau stets bewegte, war die „leidige Sache„, wie er es auf der Sitzung des SPD-Parteirats einmal formulierte, „daß über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Deutschland nicht viel zu haben ist„ und umfassende Forschung nur im westlichen oder östlichen Ausland möglich sei. [Fn 164: AdsD, Bestand PV, Protokolle, Sitzung des Parteirates am 1. Juni 1966, S. 35.] Ihm schwebte Besseres vor. Alfred Nau diskutierte und plante seine Vision mit einem kleinen Stab historisch Interessierter und fachlich ausgebildeter Mitarbeiter.

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Oberstes Ziel des Projekts: Parteimittel dürfen nicht verwendet werden. [Fn 165: Mündliche Mitteilung von Horst Heidermann an den Verfasser. ] Selbstverständlich war im engen Kreis um Alfred Nau auch daran gedacht, die „Bibliothek und das historische Archiv„ des SPD-Parteivorstandes in das neue Projekt einzubeziehen und die Bestände nach internationalen wissenschaftlichen Usancen der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen.

Die neuen Ideen fielen beim Parteivorsitzenden Willy Brandt auf fruchtbaren Boden. Willy Brandt war ein Mann des Buches und des gedruckten Wortes, selbst Journalist und vielfältig historisch tätig. Mit dem Verfassen von Texten und Büchern hatte er sich in der Emigration sein Leben verdient. Brandt ließ schon 1962 vor den Parteigremien keinen Zweifel an seinen Absichten.

„Brandt: Er begrüße die Schaffung einer besonderen Bibliothek außerhalb des Hauses, meine aber, daß auch im Hause eine moderne Handbibliothek zur Verfügung stehen sollte. Die anderen Bestände könnten Aufnahme finden im ‚Archiv für soziale Demokratie’ nach einem Vertrag mit der Friedrich-Ebert-Stiftung.„ [Fn 166: AdsD, Bestand PV, Protokolle, Sitzung des Präsidiums am 18. Juni 1962, S. 7.] Der Parteivorsitzende formulierte eine Wunschvorstellung, wie sie heute Realität ist. Die Verwirklichung des „großen Ziels„ musste allerdings noch einige Zeit auf sich warten lassen.

Eine schnelle Realisierung scheiterte „nur„ an finanziellen Fragen. Archive und Bibliotheken brauchen ausreichend Raum, Magazine und hinreichende Büroausstattungen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung selbst war zerstreut in einigen Privatwohnungen untergebracht. Das Konzept eines „Archivs der sozialen Demokratie„ stand und fiel mit Realisierung eines vollständigen Neubaus. Der ließ noch auf sich warten. Konzeptionell hingegen bestand im Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung Klarheit über die Aufgabenstellung des neuen Projektes.

Fachlich war auf verschiedenen Ebenen „vorgedacht„ worden. 1963 war im Umfeld der Friedrich-Ebert-Stiftung die „Otto-Wels-Gesellschaft„ gegründet worden, die sich satzungsgemäß mit der wissenschaftlichen Erforschung und Darstellung des Wirkens des demokratischen Sozialismus zwischen 1933 und 1945 beschäftigte. Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand auf lokaler Ebene speiste viele Einsichten über die Defizite der Überlieferung in der deutschen Archiv- und Bibliothekslandschaft. Gleichzeitig kristallisierte sich bei den jungen Historikern heraus, was ein neues und „besseres„ Archiv der sozialen Demokratie leisten sollte. Seit 1965 leitete darüber hinaus Professor Georg Eckert die „Historische Kommission der Friedrich-Ebert-Stiftung„ und beteiligte sich an der Diskussion.

In vielen Aktennotizen, Gesprächen und Stellungnahmen nahm das neue Projekt Konturen an. Auf die Bibliothek bezogen, deuteten sich zentrale Arbeitsfelder an:

  • Sammlung des nationalen und regionalen Schrifttums der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften

  • Sammlung des zentralen Schrifttums der internationalen Arbeiterorganisationen und der ausländischen Parteien und Gewerkschaften

  • Aufbau eines großen wissenschaftlichen Zeitschriftenapparates

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  • Umfassende wissenschaftliche Sammlung zur deutschen und internationalen Arbeiterbewegung

  • Retrospektive Ergänzungen der Quellen durch antiquarische Käufe und Verfilmungen

  • Dokumentarische Erschließungstätigkeiten

  • Anschluss an die überregionale Literaturversorgung (Fernleihe)

  • Schaffung guter Benutzungsmöglichkeiten in Bonn

Zeitweise schien das große visionäre Ziel zu verschwimmen: Staatliche Forschungseinrichtungen suchten partiell regionale SPD-und Gewerkschaftsbestände für ihre Zwecke zu vereinnahmen. DDR-Forscher begannen auf Reisen in der Bundesrepublik Materialien bei Privatpersonen aufzustöbern und zu requirieren.

Noch im Oktober 1964 musste der Leiter des Forschungsinstituts Horst Heidermann über die Aktivitäten seines Instituts mitteilen, dass man in der Raumfrage für Bibliothek und Archiv nicht weitergekommen sei. Dennoch: 1965 fasste der Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung formal den Beschluss, Kurs auf das neue Archiv der sozialen Demokratie zu nehmen und unter seinem Dach eine bedeutende nationale und internationale Bibliothek zur errichten. Welche neuen Perspektiven hatten sich ergeben?

Es waren die Aussichten, aus den Privatisierungserlösen des Volkswagenkonzerns Gelder für den lange ersehnten Neubau zu bekommen. In einem vorher in Deutschland nie gekannten Förderkonzept unterstützte die Volkswagenstiftung eine Fülle von Projekten in allen wissenschaftlichen Bereichen und Disziplinen. Ganze infrastrukturelle Neueinrichtungen entstanden. Die Anschubfinanzierungen der VW-Stiftung veränderten die deutsche Wissenschaftslandschaft nachhaltig. Mit Hilfe der VW-Stiftung gelang es der Friedrich-Ebert-Stiftung, ein angemessenes Grundstück im Bad Godesberger Vorort Friesdorf zu erwerben. [Fn 167: Heidermann, „Überlegungen und Vorbedingungen...„, a.a.O., S. 19.]

Optimistisch hatte Georg Eckert für die VW-Stiftung das Gesamtprojekt unterstützt: „Angesichts der guten internationalen Beziehungen der Friedrich-Ebert-Stiftung besteht berechtigte Aussicht, daß es ihr in wenigen Jahren gelingen wird, zu einer der wichtigsten Dokumentations- und Forschungszentren Westeuropas zu werden.„ Nun ging es Schlag auf Schlag: Am 17. Dezember 1967 konnte der Grundstein gelegt werden; am 6. Juni 1969 wurde der Neubau eingeweiht. Willy Brandt hatte seinen Anteil am neuen Werk. Auf beiden Veranstaltungen verknüpfte der Parteivorsitzende die Geschichte der Quellen mit der Parteigeschichte selbst. „Dokumente, Briefe, Broschüren, Zeitungen, Zeitschriften„ - so der Festredner - „machen deutlich, daß der deutsche Sozialismus in seiner heutigen Ausprägung in der Tradition einer Bewegung steht, die durch ihre humanitären und freiheitlichen Triebkräfte gekennzeichnet sind.„ [Fn 168: Beide Reden Willy Brandts sind abgedruckt im Anhang von Klaus Schönhoven, Auf dem Weg zum digitalen Dienstleistungszentrum, a.a.O. Zitat S. 28. Die Friedrich-Ebert-Stiftung druckte ihrerseits die Texte selbst ganz oder in Auszügen mehrfach ab. Siehe zum Redetext der Grundsteinlegung Brandt, Willy: „Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung - Aufgabe der Gegenwart„. In: Archiv der sozialen Demokratie. Hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 1968, S. 7-9. Die Eröffnungsrede wurde viersprachig veröffentlicht. Siehe Archiv der sozialen Demokratie. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn-Bad Godesberg, 1969.]

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Wie sollte nun die Integration der Bibliothek des Parteivorstandes in die politische Stiftung vonstatten gehen? Gab es überhaupt Anknüpfungspunkte? Bibliotheksarbeit war innerhalb der Friedrich-Ebert-Stiftung in den sechziger Jahre keine terra incognita. Im Forschungsinstitut in der Gotenstraße existierte in den sechziger Jahren eine Bibliothek, die bereits internationalen Ansprüchen genügte. Dies galt in erster Linie für den vorzüglichen Bestand an „3. Welt-Literatur„. Zeitweise wurde die Bibliothek von zwei fachlich ausgebildeten Kolleginnen betreut. Die Konstituierung der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte ließ auch den Strom historischer Quellen in die Stiftungsbibliothek anschwellen.

Der Vorstandsbeschluss des Jahres 1965 hatte auch Auswirkungen auf die FES-Hausbibliothek: Ihr Erwerbungshaushalt wurde entscheidend gesteigert. Allein 1968 wurden Bücheranschaffungen im Werte von DM 300.000 getätigt. Ohne es zu erahnen, kauften die Verantwortlichen auf dem Antiquariatsmarkt Bestände aus der alten SPD-Bibliothek zurück. Der Kreis begann sich zu schließen. Weitere Aktivitäten gilt es herauszustreichen: Wissenschaftliche Mitarbeiter der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte begannen nach dem stiftungsinternen Gründungbeschluss systematisch Kontakt zu regionalen und lokalen SPD-Organisationen sowie zu „Veteranen„ aufzunehmen, um Bibliotheksgut zu übernehmen. Von 1965 an kam es somit zu parallelen Sammelaktivitäten innerhalb der Friedrich-Ebert-Stiftung und der SPD-Parteibibliothek. [Fn 169: Der Erwerb der „Sammlung Daß„, einer großen Quellensammlung zur Arbeitersportbewegung, muss in diesem Zusammenhang besonders herausgestrichen werden.]

Im Juli 1969 wurden auch die Absprachen zwischen dem Parteivorstand der SPD und dem Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Übergabe der Bestände vertraglich fixiert: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands stellt dem Archiv der sozialen Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung) die am 1.4.1969 vorhandene Bibliothek des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und das dieser Bibliothek angeschlossene Archiv zur Nutzung zur Verfügung. Archiv und Bibliothek bleiben Eigentum der SPD.„ Bezogen auf die Bibliothek waren weitere Passagen in den Vertragstext eingefügt: Sie sei „sachgemäß zu ordnen„ und der „wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen„. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands verpflichtete sich ihrerseits, „ihr zugehende Angebote auf Überlassung oder Kauf von Bibliotheks- und Archivmaterialien an das Archiv der sozialen Demokratie weiterzuleiten„. [Fn 170: Depositarvertrag zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, vertreten durch den Parteivorstand und dem Archiv der sozialen Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung) vertreten durch den Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 21. Juli 1969.]

So erfolgreich sich die Verhandlungen mit dem Parteivorstand der SPD gestalteten, so enttäuschend waren die Gespräche mit den verschiedenen Gewerkschaftsvorständen. Keiner war bereit, die teilweise gut geführten Bibliotheken, teilweise im Nebenamt verwalteten Büchersammlungen an das Archiv der sozialen Demokratie abzugeben. [Fn 171: Heidermann, „Überlegungen und Vorbedingungen...„, a.a.O., S. 20.] Hier sollte erst die Zeit neue Wege ebnen.

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Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Mit der Zusammenlegung der Bestände der Bibliothek des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung waren knapp 50.000 Bände „zusammengekommen„. Natürlich befanden sich

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darunter viele Dubletten und unaufgenommene Bestände. Die „Werbekampagnen„ und der Aufruf Willy Brandts an die Landesverbände, Bezirke, Unterbezirke und Landtagsfraktionen der SPD zeigte Wirkung.

Im März 1970 konnte der SPD-Pressedienst seinen Lesern stolz mitteilen: „Wer Einsicht in die 22.000 Bände der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hatte, die mit in das Archiv eingebracht wurden, der wird erstaunt sein. Wie viele Kostbarkeiten und wie viele unentbehrliche Literatur, die oft anderswo nicht greifbar ist, inzwischen hinzugekommen ist.„ [Fn 172:„Das Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung wächst. Bücher und Dokumente zum Thema ‚Soziale Demokratie’ in Bonn-Bad Godesberg„. In: SPD-Pressedienst, 25. März 1970.]

Der ehemalige Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen trennte sich von seiner Privatbibliothek zugunsten des neuen Dokumentationszentrums ebenso wie der ehemalige - 1933 nach Palästina emigrierte - Wirtschaftstheoretiker Fritz Naphtali. Der israelische Staatsbürger stand in der Weimarer Republik der von Gewerkschaften und Sozialdemokratie getragenen „Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik„ vor, in der Historiker zu Recht eine der geistigen Wurzeln der Friedrich-Ebert-Stiftung sehen. [Fn 173: AdsD, Depositum Werner Plum.] Weitere „Großabgeber„ waren das Kölner Druckhaus Deutz und das Verlagshaus des Berliner „Telegraf„. Die Bestandszuwächse waren beeindruckend und politisch gewollt. Bereits im Juni 1969 hatte Alfred Nau die Überschreitung der „100.000 Bände-Grenze„ in allerkürzester Zeit angekündigt. [Fn 174: Pressemitteilungen und Informationen/SPD, 6. Juni 1969.] In den Magazinen der Bibliothek lagerte Arbeit für Generationen. Die personelle Struktur war hingegen nicht mit den hochgesteckten internationalen Ansprüchen und den hereinströmenden Materialien mitgewachsen. Das Spannungsverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit konnte nur eine begrenzte Zeit in der Schwebe gehalten werden.

Organisatorisch war die Bibliothek 1969 gemeinsam mit dem Archiv (im engeren Sinne) Teil der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte unter Leitung Kurt Klotzbachs. Der neunundzwanzigjährige Historiker, Verfasser der lokalen Widerstandsstudie über Dortmund, hatte viel zu den Grundüberlegungen beigesteuert, die bei Neugründung des Archivs der sozialen Demokratie Pate gestanden hatten. In einem großen Zukunftsentwurf stellte er 1969 der internationalen Fachöffentlichkeit in Zürich auf der Tagung des Sozialarchivs die neue Forschungseinrichtung vor. [Fn 175: Klotzbach, Kurt: „Die Aufgaben des Archivs der sozialen Demokratie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vortrag von Kurt Klotzbach am 10. Juli anlässlich der Jahresversammlung des Schweizerischen Sozialarchivs Zürich„. Kopie im Besitz der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.] Der Bibliothek schrieb er ins Pflichtenheft: Aufbau eines Sachkataloges, Aufbau eines bibliographischen Apparates, Anschluss an die Fernleihe.

1970 löste die Stiftungsleitung Archiv und Bibliothek aus der „Historikerabteilung„ heraus. Mit Kuno Bludau erhielt das Archiv der sozialen Demokratie eine eigenständige Leitung. Alfred Nau persönlich votierte für das neue Namensschild der Bibliothek: Bibliothek des Archivs der sozialen Demokratie (Friedrich-Ebert-Stiftung). Über die Doppelbezeichnung Bibliothek der sozialen Demokratie/Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Willy Brandt gut gefiel, erhielt die große Spezialbibliothek 1991 ihren endgültigen Namen: Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie figuriert seit 1987 als eigenständige Abteilung im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (später Historisches Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung).

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Die fachliche Leitung der Bibliothek lag zu Beginn in den Händen von Manfred Turlach. [Fn 176: Turlach, Manfred: „Am Anfang„. In: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 1999, S. 21 f. (Veröffentlichungen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bd. 8).] Er entschied sich nach reiflichen Überlegungen für das „Kieler Katalogsystem„ der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Das System hatte der sozialdemokratische Ökonom und Bundestagsabgeordnete Wilhelm Gülich entwickelt. Turlachs Entscheidung machte Sinn. Das Kieler System galt unter Experten als bestes Erschließungssystem für Spezialbibliotheken. Der Deutsche Bundestag hatte für seine Entscheidung die gleiche Wahl getroffen. Allerdings „kaufte„ sich die Stiftung damit ein personalintensives System ein. Seine Pflege bedurfte vieler Umsicht, fachlicher Verantwortung und hoher Professionalität.

In der Startphase verfügte die Bibliothek unter dem Dach der Friedrich-Ebert-Stiftung über 8 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieser Stab schloss Magazin- und Schreibkräfte ein. Mit der eher spärlichen Personalstruktur waren die Aufgaben und hohen Ziele nicht zu verwirklichen. Die Bibliothek drohte an den eigenen Zielen und den gewaltigen Bücherzuwächsen zu ersticken. Im Februar 1970 erhielt Frau Dr. Frieda Otto von der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft von der Bonner Stiftungsleitung den Auftrag, die Bibliothek zu evaluieren. Die Katalogexpertin und Wirtschaftswissenschaftlerin galt in der „librarian community„ als eine der besten Spezialbibliothekarinnen Europas. Sie genoss darüber hinaus als unkonventionell denkende Frau einen exzellenten Ruf.

Frieda Otto untersuchte Bestände, Bestandsaufbau, Arbeitsorganisation, Arbeitsablauforganisation und maß den eigenen Anspruch der „Gründungsväter„ an der vorgefundenen Wirklichkeit. Ihre Analyse war eindeutig und klar: Sollte die Bibliothek die ihr zugedachte Aufgabe erfüllen, so benötigte sie in kürzester und mittelbarer Zeit zwölf zusätzliche Stellen: ausgebildete wissenschaftliche Bibliothekare/innen und Diplomkräfte. Die Leitung der Friedrich-Ebert-Stiftung nahm das Gutachten sehr ernst. Alle Stellen wurden nicht auf einen Schlag geschaffen. In knapp zwanzig Jahren wurde indes der Personalstand auf das entsprechende Niveau gehoben, für neue Herausforderungen sogar neue Stellen geschaffen. Mit angemessener finanzieller und personeller Ausstattung wurde viel geleistet. In kürzester Zeit hat sich die Bibliothek eine geachtete Stellung im nationalen und internationalen Rahmen „erarbeiten„ können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2001

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