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[Seite der Druckausg.: 21 (Fortsetzung)]

Manfred Turlach
Am Anfang


Nach langem Suchen muss ich mir eingestehen: Aus fast allen Lebens- und Arbeitsperioden habe ich Aufzeichnungen oder Notizen, aber nichts aus meiner Zeit als Leiter der Bibliothek der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung vom Februar 1969 bis April 1972. Ich bin also nur auf mein Gedächtnis angewiesen. Darum kann ich keine Geschichte der Bibliothek in diesen Jahren liefern, sondern nur einige Impressionen schildern und Probleme andeuten.

Eine erste Frage: Wie wurde ich Bibliotheksleiter und warum verließ ich diese erste unbefristete Arbeitsstelle wieder? Vorher war ich nach dem Studium Studienreferendar, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesarchiv, Lektor an der Universität Kerala in Südindien gewesen und arbeitete seitdem an einem Forschungsauftrag des Instituts für Asienkunde in Hamburg. Im Oktober 1968, der Forschungsauftrag lief Ende Januar 1969 aus, ging ich auf Suche nach einer neuen Arbeit. Dr. Wolfgang Mommsen vom Bundesarchiv riet mir, ich solle mich an Dr. Heidermann, den Leiter des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung wenden. Er suche einen Archivleiter und meine Archivkenntnisse seien durchaus hinreichend.

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Für den nächsten Tag hatte ich bereits einen Termin mit Dr. Heidermann vereinbart, mit dem ich schon längere Zeit in Verbindung stand. Ich sprach ihn jetzt auch auf die Stelle des Archivleiters an. Er bedauerte, die Stelle sei bereits besetzt. Wir sprachen weiter über meine bisherigen Arbeiten und Veröffentlichungen. Dabei stellte Dr. Heidermann fest, dass ich eine umfangreiche Kenntnis von deutschen, indischen und englischen Bibliotheken - als Benutzer - hatte, insbesondere viel in der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel gearbeitet hatte und bot mir an, Leiter der Bibliothek zu werden. Dazu muss man sich erinnern: Der Arbeitsmarkt für akademisch ausgebildete Bibliothekare war damals absolut leergefegt. Die vier Bewerber, die sich auf die Ausschreibung der Stiftung meldeten, hatten entweder schlechte Zeugnisse oder exotische Forderungen - wie Einstellung im Beamtenverhältnis und persönlichen Dienstwagen. Ich war bescheidener.

Neben meinen allgemeinen Bibliothekskenntnissen war für meine Anstellung wohl ausschlaggebend, dass ich mich bei meinem vorwiegend historischen und politikwissenschaftlichen Studium in Hamburg und Marburg sehr stark mit der Geschichte des Sozialismus und der deutschen Arbeiterbewegung sowie der politischen Soziologie von Entwicklungsländern befasst hatte. Meine Interessen und der Schwerpunkt meiner Arbeiten lagen auch nach dem Studium auf diesen Gebieten. Ich kannte damals durch meine Arbeiten auch weitgehend die einschlägigen Forschungsvorhaben an den deutschen Universitäten und Instituten. So deckten sich meine Wissensgebiete und meine Erfahrungsbereiche weitgehend mit den fachlichen Schwerpunkten der neu aufzubauenden Bibliothek.

Drei Jahre später, ich hatte den - sicher falschen - Eindruck, die wichtigsten Probleme des Bibliotheksaufbaus seien gelöst und mich reizte eine Ausschreibung am schwarzen Brett: Gesucht wurde ein Sozialreferent für Neu Delhi! Die Ausschreibung war schon drei Monate alt, so hatte ich wenig Hoffnung, als ich mich erkundigte, ob die Stelle noch frei sei. Sie war noch frei: Wenige Monate später war ich Sozialreferent an der Deutschen Botschaft in Neu Delhi.

Am 3. Februar 1969 übernahm ich meine neue Aufgabe als Leiter der Bibliothek im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Gotenstraße. Als erstes musste ich die Bestände an Büchern und Zeitschriften kennen lernen und den Umzug in den Neubau (den heutigen Altbau der Stiftung) organisieren. Die Möbelwagen waren schon bestellt.

Aber bevor ich mich dem Umzug und den vorhandenen Beständen zuwende, muss ich einiges über den organisatorischen Rahmen und die vorgegebene Zielsetzung schreiben: Die organisatorische Eingliederung der Bibliothek in die Friedrich-Ebert-Stiftung gestaltete sich kompliziert. Sie wurde neben der Forschungsgruppe Sozial- und Zeitgeschichte sowie dem Archiv der sozialen Demokratie als dritte Unterabteilung der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte des Forschungsinstituts zugeordnet. Leiter der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte war Dr. Klotzbach. Er war ein freundlicher Kollege, wissenschaftlich hoch qualifiziert, wir hatten persönlich ein gutes Verhältnis, doch hatte er sehr wenig Sinn und Geduld für Fragen der Verwaltung und Personalführung des Archivs und der Bibliothek; sein ganzes Sinnen und Trachten galt der eigenen Forschungstätigkeit. So habe ich ihn zwar immer über das Wichtigste informiert, doch die Probleme meistens unmittelbar mit Dr. Heidermann besprochen und entschieden. Er war damals Leiter des Forschungsinstituts und stellvertretender Geschäftsführer.

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Da viele Entscheidungen über Investitionen nur auf der Ebene der Geschäftsführung getroffen werden konnten, war mein direkter Vortrag bei Dr. Heidermann für die Bibliothek von großem Nutzen. Hinzu kam, dass Dr. Heidermann vor meinem Dienstantritt die Gründung des Archivs und der Bibliothek persönlich vorbereitet und mit großer Energie vorangetrieben hatte. So hatte er erwartungsgemäß weiterhin ein großes Interesse an Aufbau und Entwicklung der Bibliothek.

Ende 1969 oder Anfang 1970 verließ Dr. Jensen, der erste Leiter des Archivs der sozialen Demokratie, die Stiftung. Sein Nachfolger wurde Dr. Bludau, der dienstälteste Referent der Forschungsgruppe Sozial- und Zeitgeschichte. Dr. Klotzbach gab bei dieser Gelegenheit die Verantwortung für Archiv und Bibliothek ab. Das Archiv wurde eine selbständige Abteilung des Forschungsinstituts und die Bibliothek wurde formal eine Unterabteilung des Archivs. Doch verstärkte sich in der Realität eher die unmittelbare Verantwortung der Bibliothek gegenüber Forschungsinstitut und Geschäftsführung.

Die Aufgabe, den Bestand der Bibliothek an Quellenliteratur, Broschüren und Büchern sowie wissenschaftlichen Abhandlungen möglichst auch über den Antiquariatsmarkt zu vervollständigen, konnten wir zunächst nicht beginnen, da wir gerade auf diesem Gebiet zu viele ungeordnete Bestände hatten und wir uns vor Dublettenankäufen nicht hätten schützen können. Doch sollte die Bibliothek für alle Arbeitsbereiche des Forschungsinstituts und der anderen Abteilungen der Friedrich-Ebert-Stiftung auch als Zentralbibliothek dienen. Dazu musste der Brauch abgeschafft werden, dass jeder Referent nach eigenem Bedarf Bücher, Zeitschriften sowie Zeitungen bestellte und sie nie oder erst an die Bibliothek abgab, wenn er sie nicht mehr benötigte. Auch zur Durchsetzung einer neuen Ordnung, dass alles Gedruckte, gebunden und geheftet, über die Bibliothek bestellt werden musste, brauchte die Bibliothek die Autorität der Geschäftsführung und des Leiters des Forschungsinstituts hinter sich. Die meisten Kollegen haben sich zwar willig dem neuen Verfahren angepasst. Doch es gab einige hartnäckige Fälle, bei denen es langwierige Auseinandersetzungen gab. Freilich musste die Bibliothek im Gegenzug auch eine zügige Bearbeitung der Bestellungen sichern und die eingehenden Bücher schnell zur Ausleihe aufbereiten. Viel kostbare Zeit konnten wir gewinnen, weil wir uns bald nur noch der damals leistungsfähigsten Buchhandlung Bonns bedienten.

Die erste Bestandsaufnahme sah so aus: Da war zunächst der Grundbestand der bisherigen Bibliothek in der Gotenstraße, fast 20.000 Bände. Davon waren über die Hälfte von drei Bibliothekarinnen katalogisiert. Auch Zeitschriften, gebunden und ungebunden, wurden nach Möglichkeit von einer der Kolleginnen erfasst. Doch das Forschungsinstitut wie die anderen Abteilungen der Stiftung waren über das ganze Stadtgebiet Bonns verteilt. Viele Kollegen hatten im Rahmen ihrer Forschungsarbeit oder anderer Projekte ebenfalls Bücher und Zeitschriften angeschafft und in ihren Büros behalten. Diese vielen Handbibliotheken sollten beim Umzug in das neue Magazin gebracht und in die Bibliothek integriert werden. Außerdem waren Zeitungen und Zeitschriften mangels Platzes in privaten Kellern von Kollegen gelagert. Ein besonders wertvoller Bestand an alten sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen sowie historischen Zeitschriften - und Schriftenreihen, den Dr. Heidermann in den vorangegangenen Jahren auf dem Antiquariatsmarkt für die Erstausstattung der Bibliothek aufgekauft hatte, befand sich ebenfalls in der Gotenstraße.

Mit diesen Beständen zogen wir in den ersten drei Februarwochen 1969 in das neue Magazin in der heutigen Godesberger Allee. Dort waren ein Korbstuhl und ein Beistelltisch

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mein Arbeitsplatz. Das Erdgeschoss und die beiden oberen Stockwerke des Neubaus waren erst später bezugsfertig. Die Handwerker legten noch die Fußböden, vervollständigten die elektrischen und die Heizungsinstallationen und bauten die Wandschränke ein. Die Möbelwagen mit den Bücherkartons fuhren vom Dreizehnmorgenweg aus an. Die Zufahrt war noch nicht befestigt. Bei Regenwetter blieb der Möbelwagen häufig im tiefen Morast stecken.

Nachdem ich die Reihenfolge des Einpackens festgelegt hatte, blieb ich tagsüber nach der ersten Fuhre im Magazin, um das Auspacken in geordnete Bahnen zu lenken. Damit überhaupt in den nächsten Monaten etwas zu finden war, musste darauf gesehen werden, dass die verschiedenen Bestände zusammenblieben und die bereits katalogisierten Bestände sofort wieder richtig geordnet wurden. Dabei halfen vor allem einige Werkstudenten.

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich in der vierten Februarwoche das Umzugsgeschehen unterbrochen, um in fünf Tagen in der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel das nötige bibliothekswissenschaftliche und -technische Wissen zu lernen. Es war wirklich ein Schnellkurs. Aber mit dem Wissen eines Bibliotheksbenutzers allein konnte ich schwerlich eine Bibliothek aufbauen. Etwas musste ich schon lernen von dem, was hinter Lesesaal, Katalograum, Handbibliothek und bibliographischem Apparat verwaltet und gearbeitet wird.

Im März wurde der Neubau langsam fertig und der Umzug der Stiftung wurde vollendet. Für die Bibliothek ging der Umzug weiter: Es kam die Bibliothek des Parteivorstandes (PV) der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ins Magazin, rund 25.000 Bände, von denen ebenfalls weniger als die Hälfte in einem Katalog erfasst waren. Dazu kamen in rascher Reihenfolge einige Nachlassbibliotheken von Politikern und Journalisten, die bereits auf das neue Magazin gewartet hatten. Nach ungefähr einem Jahr errechneten wir einen Bestand von 80.000 Bänden, von denen etwa 20.000-25.000 Bände durch die beiden alten Kataloge zugänglich waren.

Wenn ich mir ansah, was vorhanden war, gewann ich den Eindruck: Zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie nach 1949 waren wir gut bestückt, sogar reichlich mit Dubletten versehen, aber offensichtlich auch noch lückenhaft. Die Zeit des Nationalsozialismus war hauptsächlich vertreten mit dem, was bei Forschungsprojekten zum Widerstand und zur Emigration angefallen war. Die Weimarer Zeit war noch gut vertreten, hauptsächlich durch Bücher und Broschüren, die in die PV-Bibliothek gelangt waren und in einigen der privaten Nachlassbibliotheken steckten. Dabei waren viele Raritäten, auch von deutschen Arbeitervereinen und Emigrationsgruppen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland. Die freie Gewerkschaftsbewegung war zunächst weniger gut vertreten als die Sozialdemokratie. Doch war ebenfalls Literatur zur internationalen Arbeiterbewegung und zu den Arbeiterbewegungen in anderen Ländern vorhanden.

Neben dem Hauptsammelgebiet Arbeiterbewegung gab es hauptsächlich noch größere Bestände zu den Forschungsbereichen der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihrer internationalen Tätigkeit. Ein großer Block war die Entwicklungspolitik und Entwicklungsländerforschung sowie damit teilweise verbunden die Ostblockforschung. Diese Bestände waren nicht alt und mit den Aktivitäten der Friedrich-Ebert-Stiftung in den vorangegangenen zehn Jahren langsam gewachsen, darum verhältnismäßig gut im alten Katalog des

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Forschungsinstituts erfasst, jedenfalls nach Autoren und Titeln. Das Forschungsinstitut hatte das, was auf diesem Gebiet in Deutschland erschienen war, recht gut gesammelt. Es war zunächst auch beabsichtigt, das zu einem zweiten Sammelgebiet der Bibliothek auszubauen. Die Wirtschaftspolitik war dagegen sehr erratisch mit Blöcken zur Regional-, Struktur-, Kommunalpolitik vorhanden und fast nur schwerpunktmäßig zu laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten. Trotzdem sollte auch dieser Bestand in den neuen Katalog aufgenommen werden.

Das sah alles nach sehr viel Arbeit aus: Wer sollte sie leisten? Es wurden von der Geschäftsführung zunächst zwei Referentenstellen bewilligt: Eine für Sozialgeschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung und eine für Wirtschaftspolitik. Der Bibliotheksleiter sollte nebenbei die Entwicklungsländerforschung betreuen. Den Referenten für Geschichte übernahmen wir vom Parteivorstand der SPD (PV), er hatte dort seit seiner Studentenzeit in der Bibliothek gearbeitet und hatte den Vorteil, den PV-Bestand gut zu kennen. Die Stelle für Wirtschaftspolitik musste ausgeschrieben werden, auch sie konnten wir nicht mit einem wissenschaftlichen Bibliothekar besetzen. Beide verließen uns sehr bald, der eine ging zur Universität, der andere zur Bundestagsbibliothek, die konnten ihm Beamtenstatus bieten. Zum Glück konnten beide Stellen wieder schnell mit fähigen Bewerbern (ohne Bibliotheksausbildung) besetzt werden. Dazu kamen während meiner Zeit noch außerplanmäßig eine Referentin und ein Referent, um bei der Katalogisierung des Bestands Geschichte der Arbeiterbewegung zu helfen.

Die größte Sorge bereitete der Mittelbau. Die drei Bibliothekarinnen hatten bereits gekündigt bevor ich kam. Wir mussten schnell die Stellen für Titelaufnahme, Katalogbetreuung sowie Titelkontrolle, Zeitschriftenstelle und Bestellkatalog ausschreiben. Nur, der Markt für Diplombibliothekare und -innen war damals leer: Erstens herrschte in der Bundesrepublik Vollbeschäftigung (heute kaum zu glauben) und zweitens war viel zu wenig ausgebildet worden. In der Kieler Bibliothek hatte man mir gesagt, dass sie dort gute Erfahrungen hatten, gelernte Buchhändler und -innen einzustellen und anzulernen. Den Weg haben wir dann auch eingeschlagen und hatten guten Erfolg dabei. Da ich als einziger die fünftägige Ausbildung in Kiel genossen hatte, musste ich die "erste" Generation der Referenten und Bibliothekarinnen in die Bibliotheksarbeit nach dem "Kieler System" einweisen und anlernen.

Das lief in den ersten Monaten parallel zur Einführung des Kieler Systems in der Bibliothek. Aus Kiel hatte ich umfangreiche Unterlagen und Arbeitsmaterialien mitgebracht: ein Exemplar der Arbeitsanweisungen, eine Liste der Schlagwörter für den Sachkatalog, Beispiele der verschiedenen in Kiel verwandten Formulare für die Bestellkartei, die Ausleihe etc. Einiges konnten wir zunächst nicht nutzen, anderes brauchten wir nur für uns mehrfach zu kopieren und wieder anderes änderten wir für unseren Bedarf mehr oder weniger ab. Danach mussten wir unsere neuen Formulare drucken lassen. Auch der Sachkatalog musste überprüft werden. Wir hatten etwas andere Sammel- und Arbeitsschwerpunkte als die Kieler Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft. Auf einige Fachbegriffe aus der Außenwirtschaft, der Finanzpolitik, der reinen Wirtschaftslehre u. ä. meinten wir verzichten zu können und ergänzten die Schlagworte mit wenigen uns wichtigen Begriffen aus der Sozialgeschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung. Danach erst wurden die Suchkarten - Hauptschlagworte für den Regionen-Katalog und Länderkarten für den Sachkatalog - gedruckt. Nachdem die Katalogschränke kamen, haben wir

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die einzelnen Kataloge nach dem Kieler System eingerichtet: Sachkatalog, Regionen-Katalog, Personen-Katalog, Titel-Katalog und Institutionen-Katalog.

In der Stiftung gab es Widerstände gegen die Einführung von elektrischen Schreibmaschinen. Doch in Kiel hatte man mich eindringlich belehrt, sie seien für die Titelaufnahme unabdingbar, damit die Matrizen zum Druck der Karteikarten gleichmäßig beschrieben werden können. Sonst würden die Karteikarten nicht sauber ausgedruckt werden. Doch nach einiger Überzeugungsarbeit erhielt die Bibliothek rechtzeitig einige elektrische Schreibmaschinen und bald auch Kugelkopfmaschinen, um Typenköpfe mit unterschiedlichen diakritischen Zeichen für fremdsprachliche Titel einsetzen zu können. So setzte sich die Bibliothek zum ersten Mal an die Spitze des technischen Fortschritts in der Stiftung. Nachdem auch andere technische Probleme gelöst waren, haben wir - wenn ich mich recht erinnere - noch im Spätsommer 1969 die ersten neuen Katalogkarten eingestellt.

In den ersten Monaten haben wir daneben den bibliographischen Apparat für die Bibliothek aufgebaut und den Lesesaal mit Nachschlage- und Standardwerken ausgerüstet. Dafür gaben wir fast alle Mittel aus, die im ersten Jahr zur Anschaffung zur Verfügung standen. Unsere Anschaffungspolitik in den folgenden Jahren war sehr vorsichtig. Auf den Hauptsammelgebieten verfolgten wir als Bibliothek hauptsächlich die Neuerscheinungen ab 1969, da wir bei Monographien nur bei ihnen am Bestellkatalog und im neuen Katalog absehen konnten, ob wir die Titel schon hatten. Bücher mit älteren Erscheinungsdaten schafften wir nur an, wenn Kollegen aus dem Forschungsinstitut sie dringend für ihre Arbeit brauchten. Wir hatten sie ja zusätzlich an den beiden alten Katalogen zu prüfen und mußten überlegen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, daß wir den Titel in den ungeordneten Beständen hatten. Manches Werk haben wir dort erfolgreich gefunden. Neuzugänge und Titel, die in die Ausleihe gingen, wurden sofort bearbeitet. Da-rüber hinaus hatten wir in den ersten anderthalb Jahren eine zu geringe personelle Kapazität, um die Altbestände systematisch aufzuarbeiten.

Schneller als die Monographien konnten die Bestände an Zeitschriften und anderen Periodika geordnet und im Katalog erfasst werden. Darum haben wir in den ersten Jahren, wenn wir größere Mittel zur Verfügung hatten, hauptsächlich weiterhin abgeschlossene ("tote") Zeitschriften- und Periodikareihen auf dem Antiquariatsmarkt oder als Nachdrucke angekauft. Die Ordnung des Zeitschriftenbestandes kostete allerdings auch viel Mühe und großen Arbeitseinsatz. Zunächst war es hauptsächlich nur der erwähnte Bestand von alten Zeitschriften, der in der Gotenstraße stand, den wir geordnet übernahmen. Sie brauchten wir nur aufzustellen, zu signieren und in den Titelkatalog mit Bestand aufzunehmen. Mühe machten die unvollständigen und die laufenden Zeitschriften. Niemand hatte in den vorangegangenen Jahren die laufenden Zeitschriften binden lassen. Bei vielen Zeitschriften fanden wir fünf bis acht Jahrgänge, die ungebunden waren. Erwartungsgemäß fehlten bei vielen Jahrgängen darum Hefte, die womöglich noch irgendwo im Hause ausgeliehen waren. Manches Mal brauchten wir fast kriminalistische Einfälle, um fehlende Hefte wieder zu finden. Wir weigerten uns, noch weiterhin Einzelhefte, es sei denn aus dem laufenden Jahrgang, auszuleihen. Sobald Jahrgänge mit Inhaltsverzeichnis vervollständigt waren, wurden sie in die Buchbinderei gegeben. Zum Ausgleich hatten wir viele Bestände, die gebunden waren, die wir aber nicht sammeln wollten. Zum Beispiel hatte jemand dafür gesorgt, dass die Stiftung die gesamten Ausgaben der

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"Bonner Rundschau" und den "General-Anzeigers" gebunden hatte. Die wollten wir aussortieren, sobald wir die Regale brauchten.

Zunächst hatten wir im Magazin sehr viel Platz. Denn das Magazin war für rund 200.000 Bände ausgelegt. Das kam uns zunutze, wir konnten die einzelnen Bestände getrennt aufstellen und sie durchsortieren, um ihnen eine vorübergehende Ordnung zu geben. Zudem lernte ich erst in Kiel, dass das Magazin falsch eingerichtet war. Wir mussten es nach dem Blocksystem - kleine, mittlere, große Bandgrößen sollten jeweils getrennt stehen - umbauen, als schon alle Bestände der Stiftung im Magazin waren. Die vorläufige Ordnung der Nachlassbibliotheken erreichten wir, indem wir sie nach dem Alphabet aufstellten, leicht erkennbare Dubletten fassten wir in einem Dubletten-Bestand zusammen und zogen die vielen Zeitschriftenhefte aus den ungeordneten Bücherbeständen heraus. Auch sortierten wir aus, was ganz und gar nicht zu unseren Sammelgebieten gehörte. So wurden auch diese Bestände vorläufig bedingt benutzbar.

Die Unzahl der Dubletten gibt Anlass zu einem Exkurs: Die Dubletten waren durchaus für die Bibliothek von Nutzen. Es gab darunter viele Titel, die ansonsten Seltenheitswert hatten. Die Bibliothek sollte zunächst als reine Präsenzbibliothek geführt werden. Es wurde nur in den Lesesaal ausgeliehen. Die einzige Ausnahme waren die Mitarbeiter der Stiftung. Doch hatten erwartungsgemäß auch viele Lesesaalbenutzer das Verlangen, am Wochenende weiter zu arbeiten. Da konnten wir ihnen häufig helfen, indem wir ihnen Dubletten ausliehen. An der Universität Münster sollte die Geschichte der Ruhrbergarbeiter erforscht werden. Das Projekt wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert und die Bibliothek war aufgefordert, die Arbeit zu unterstützen. Wir konnten eine Handbibliothek von 200-300 einschlägigen Titeln aus unserem Dubletten-Bestand zusammenstellen und brauchten nichts von dem ordentlichen Bibliotheksbestand ausleihen.

Auch den Bedarf bei Tauschbeziehungen mit ausländischen Bibliotheken, die sich insbesondere zu Bibliotheken im Ostblock mit Schwerpunkten in der Sowjetunion und DDR anbahnten und teilweise intensiv gestalteten, konnten wir häufig mit Dubletten abdecken. Doch verlangten viele Tauschpartner auch vor allem die Neuerscheinungen der Friedrich-Ebert-Stiftung. Einige Anforderungen nach älteren vergriffenen Titeln der Stiftung konnten wir auch mit Dubletten befriedigen. Doch waren wiederum einige der ältesten Titel der Stiftung so selten, dass wir sie kaum für den eigenen Bestand sichern konnten.

Außer den Tauschbeziehungen hatten wir in den ersten Jahren wenig internationale Arbeitskontakte. Allerdings gründete sich in der Zeit die International Association of Labour History Institutions. Ich vertrat das Archiv und die Bibliothek auf mindestens zwei Tagungen, wohl 1970 und 1971, in London und Stockholm. Die Vereinigung beschränkte sich zunächst auf die Engländer, Skandinavier, Niederländer und wohl auch die Österreicher und Schweizer sowie die Deutschen, vertreten durch die Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Kontakte in die romanischen Länder waren spärlich, weil die Arbeitssprache Englisch war, und die älteren Kollegen aus der Arbeiterbewegung dort keine Englischkenntnisse hatten. Auf den Tagungen waren damals alle Institutionen außer der Stiftung durch ihre Archivare vertreten. So traf ich nur die Bibliothekskollegen an den Tagungsorten.

Ich sehe, ich habe andere Probleme aufgenommen als ich eigentlich wollte, und die Erinnerungen kommen mit dem Schreiben immer stärker. Ich drohe abzuschweifen in Einzel-

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heiten und ins Anekdotische. Ich will zum Schluss kommen: Während meiner Zeit in der Bibliothek lag das Hauptproblem in der Personalstruktur. In den ersten zwei Jahren arbeitete die Bibliothek viel mit Werkstudenten als Aushilfen. Mit ihnen konnten auch gut viele außergewöhnliche Arbeiten des Umzugs und des Anfangs bewältigt werden. Doch für den Katalogaufbau, insbesondere die Titelaufnahme, blieb die Personalstruktur lange zu schwach: Erstens gab es nicht genug Stellen, und zweitens verließen uns von den angelernten Bibliothekarinnen einige wieder bald aus persönlichen Gründen. Erst gegen Ende meines zweiten Jahres konnte sich die Personalstruktur verbessern und stabilisieren, auch wenn nie so viel Stellen bewilligt wurden, wie ich für nötig hielt.




Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann im Archiv der sozialen Demokratie - 1971

Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann im Archiv der sozialen Demokratie, 9.7.1971 (hier: im Katalograum der Bibliothek) - v. r.: Gustav Heinemann, Horst Heidermann, Willi Eichler

Die Schwierigkeit am Anfang war, dass von der Arbeit der Bibliothek nicht viel nach außen zu sehen war. Wir mussten aber zeigen, dass der Aufbau der Bibliothek, die Ordnung der Bestände voranging. Insbesondere Dr. Heidermann brauchte Beweise für den Fortschritt, damit er in der Geschäftsführung und vor dem Vorstand die schlagenden Argumente für die Bewilligung der nötigen Mittel und Personalstellen für die Bibliothek zur Hand hatte. Als ein Hilfsmittel, die Arbeit der Bibliothek nach außen darzustellen und die Benutzung der Bibliothek anzuregen, fingen wir ungefähr im Herbst 1969 an, monatliche Zugangslisten zu veröffentlichen. Die ersten Listen waren sehr dünn, 10 bis 12 Seiten mit je 12-16 Titeln, und wir nahmen alles auf, was neu katalogisiert war, auch Titel

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aus den alten Beständen. Als nach einigen Monaten die Zugangsliste auf über 50 bis 60 Seiten anschwoll, entschieden wir, dass nur noch die erworbenen Neuerscheinungen der letzten Jahre in die Zugangsliste aufgenommen wurden. Als ich ging, war vieles aus den alten ungeordneten Beständen schon eingearbeitet und wir planten schon die baldige sysstematische Neukatalogisierung der Bestände, die in den alten Katalogen erfasst waren. Hatte ich im ersten Jahr geschätzt, dass es mit dem bewilligten Personal 10-12 Jahre dauern würde, bis alles im neuen Katalog aufgenommen sein würde, so sah ich bei meinem Gehen, dass nach zwei bis drei Jahren ein Zustand erreicht sein würde, bei dem die alten Bestände zur Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung im Katalog sind und die sys-tematische Ergänzung der Bestände auch auf dem Antiquariatsmarkt aufgenommen werden könnte.

Die Bibliothek war eine echte Arbeitsgemeinschaft geworden. Wir waren zwar gewissermaßen immer noch eine Laienspielgruppe, aber wir versuchten das einstudierte Stück - jeder in seiner Rolle - möglichst vollendet aufzuführen. Als ich ging, hatte ich das Empfinden, die Bibliothek war auf einem guten Weg.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 1999

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