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Teil 3: 1878 – 1890



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3.1. Druckereibesitzer in Hamburg (1878 – 1880)

„Da sprang Genosse Dietz [...] mutig in die Bresche, übernahm die Leitung des Geschäfts als – der Form nach – Privatmann, und führte es in so umsichtiger Weise, daß es zusehens gedieh" (HE 1901).

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3.1.1. Scheinverkauf der Genossenschafts-Druckerei

Nach den zwei Attentaten im Mai (Hödel) und Juni 1878 (Nobiling) auf Kaiser Wilhelm I. legte Bismarck den Gesetzentwurf für ein Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie im Sommer 1878 erneut im Reichstag vor [Text des Sozialistengesetzes z.B. in Zacher 1884. Vgl. auch Laufenberg 1911, S. 629ff.; Pöls 1960; Jensen 1966, S. 30ff.; Thümmler 1979, S. 13ff.; ausführlich Bartel/Schröder/Seeber 1980.] .

Regierung und bürgerliche Kreise erwarteten erheblichen Widerstand von den Sozialdemokraten, keinesfalls aber, daß sie sich nahezu kampflos knebeln lassen würden (Jensen 1966, S. 39). Schon vor der Verabschiedung des Sozialistengesetzes setzten Verhaftungen und Haussuchungen ein. In Hamburg wurden im Juni und Juli zahlreiche Wohnungen von Parteimitgliedern sowie die Expedition des „Hamburg-Altonaer Volksblattes" durchsucht (Laufenberg 1911, S. 630ff.). Dort hatte auch die Parteileitung ihren Sitz. August Geib nahm im ‘Krisenmanagement’ kurz vor der drohenden Illegalität und bei den Bemühungen um den Erhalt der sozialdemokratischen Einrichtungen und ihrer Presse eine Schlüsselstellung ein [Er war zu dieser Zeit – obwohl erst 36 Jahre alt – schon ernsthaft erkrankt und mußte seine Parteiämter abgeben. Die Kassenführung übernahm August Bebel; vgl. zu diesem Abschnitt Laufenberg (1931, S. 28ff.).] . Notwendig wurde zu diesem Zeitpunkt besonders, der Partei die Kontrolle über ihre Druck- und Verlagsunternehmen zu sichern. Schließlich machte Geib den Vorschlag, die Partei freiwillig aufzulösen. Er beabsichtigte, wenigstens den Zusammenhalt der Parteimitglieder zu wahren und mit Hilfe der Genossenschaft eine gewisse Führungszentrale einzurichten.

Bevor den Mitgliedern der Beschluß der Parteileitung bekanntgegeben wurde, veröffentlichte das „Volksblatt" noch mehrere Aufrufe. Die Genossen sollten Vorsichtsmaßnahmen für die persönliche Sicherheit treffen und retten, was man nicht von der Polizei beschlagnahmt wissen wollte [Die Genossenschafts-Buchdruckerei forderte rechtzeitig – schon am 8. Oktober im HAV, später auch noch auf einem Flugblatt mit dem Parteiprogramm – dazu auf, sich mit sozialistischer Literatur zu versorgen, deren Anschaffung wohl später verboten sein würde (Laufenberg 1931, S. 28).] . Man riet zu ‘kaltem Blut’ und machte sich gegenseitig Mut: „Durch unsere gesetzliche Haltung werden wir die Reaktion besiegen!" (HAV 41878Nr. 126, 20. 11.) Heinrich Dietz hatte alle Hände voll zu tun: „In der Expedition des „Hamburg-Altonaer Volksblatts" herrschte denn auch bis zum Inkrafttreten des Gesetzes eine fieberhafte Tätigkeit. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend wurde das Verkaufslokal in der Amelungstraße nicht leer von Käufern. Was unverkauft blieb [...], ward rechtzeitig den Späherblicken der Polizei entzogen und in Sicherheit gebracht" (Laufenberg 1931, S. 28). Erst danach wurde Georg Hartmann als offizieller Hamburger Parteivorsitzender mit der Auflösungsanzeige zur Polizei geschickt (StAH S 1309, Bl. 18, 19. Okt. 1878).

In Hamburg wurde nicht nur über die Geschicke der eigenen, sondern auch über die der Berliner und der Leipziger Genossenschaftsdruckerei beraten [Nach dem Verbot der Parteiorganisationen in Preußen nannte sich der Parteivorstand (Parteiausschuß) ‘Zentralwahlkomitee’ (vgl. Laufenberg 1931, S. 17ff.). Die Vorstände der Genossenschaften waren nahezu identisch mit dem Zentralwahlkomitee, Sitz des Aufsichtsrats der Leipziger Genossenschaft war die Hamburger Amelungstraße 5.] , denn alle sozialdemokratischen Einrichtungen waren gleichermaßen von der Auflösung durch das Sozialistengesetz bedroht. Eine sofortige Liquidation aber hätte den Konkurs bedeutet. So traf die Parteiführung schon bald Vorkehrungen zur Rettung der Druckereien und forderte alle noch ausstehende Gelder der Genossenschaften ein, denn es wurden bald erhebliche Mittel zur Unterstützung für Verfolgte benötigt.

Schon vorbeugend hatten sich Aufsichtsrat und Vorstand auf der Generalversammlung der Genossenschaft in Hamburg am 9. September 1878 die Genehmigung erteilen lassen, nötigenfalls die Druckerei sowie das Verlags- und Expeditionsgeschäft verkaufen zu dürfen [Carl Höchberg, der Geldgeber der Partei und auch Finanzier der Leipziger Druckerei (vgl. Kap. 3.3), hielt sich mit seinem Sekretär Carl Derossi bereits seit März 1878 in Hamburg auf (StAH S 111, Bericht vom 5. Juni 1878). Das Leipziger Geschäft als wichtigster sozialdemokratischer Verlag wurde versuchsweise noch in Regie der Genossenschaft fortgeführt, nachdem sich mit August Bebels Übernahme der Kassiererfunktion auch das Parteizentrum an dessen Wohnort verlagert hatte. In Hamburg entschloß sich die Parteileitung dagegen gleich zu einem Verkauf an einen Strohmann.] . Dieser Plan ließ sich aber nicht problemlos in die Tat umsetzen, es gab Proteste von der Mitgliederbasis [Obwohl Laufenberg meldete, daß sich in der Generalversammlung der Genossenschaft nur eine Gegenstimme erhob (1931, S. 31), stellte Hartmann als Aufsichtsratsmitglied später fest, auch er wäre eigentlich dagegen gewesen, aber überstimmt worden (Hartmann 1893, S. 9; vgl. auch Laufenberg 1931, S. 121f.).] , die befürchtete, der Verkauf der Hamburger Druckerei an eine Privatperson würde unnötige Risiken mit sich bringen. Gegen Heinrich Dietz, der als ‘Käufer’ vorgesehen schien, brachte später Georg Hartmann seine Bedenken zum Ausdruck [„Über die Motive zu diesem Entschluß habe ich so – meine eigene Meinung. – - – Mir war dieser Ausweg der unsympathischte, der nur gewählt werden konnte" (Hartmann 1893, S. 9). Hartmann soll diesen Text, der sich insgesamt gegen die Führer der Hamburger Sozialdemokraten richtete, nicht selbst verfaßt haben (vgl. Kap. 4.1, FN 16). ] : „Dietz war nach meiner Meinung nichts weniger als ein aufrechter Sozialdemokrat; derselbe war mit dem angekauften Druckereigeschäft als Faktor mit übernommen. Nach meiner scharfen Beobachtung hatte ich die feste Überzeugung gewonnen, daß Dietz einer jener Charaktere war, die sich biegen und beugen, mit lakaienhafter Gefälligkeit manöverieren, bis sie selbst zum Herrn und Herrscher sich emporgeschwungen haben" (Hartmann 1893, S. 9).

Am 13. Oktober 1878 kam in Hamburg noch einmal der Parteivorstand zusammen (Bericht des preußischen Spitzels Wolf, zit. in: Fricke 1962, S. 329ff.). Anschließend ‘verkaufte’ die Genossenschaft ihrer Druckerei am 19. Oktober 1878 an ihren bisherigen technischen Leiter – zu einem Preis von 150.000 Mark (Laufenberg 1931, S. 31f.). Das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" trug ab der Nummer 127 vom Dienstag, den 22. Oktober, den Vermerk „Druck und Verlag J.H.W. Dietz in Hamburg". Heinrich Dietz fungierte aber mit einem entsprechenden ‘Kaufvertrag’ lediglich formal als Besitzer, „was augenzwinkernd jeder sowieso wußte" (Braune 1975b, S. 9): „Das Abkommen übergab mithin das formelle Eigentumsrecht an Dietz, behielt aber der Genossenschaft als Vertreterin der Parteiorganisation das tatsächliche Verfügungsrecht vor. Dadurch wurde die Gefahr der Liquidation der Genossenschaft, ihrer Auflösung und der Konfiskation ihres Eigentums nicht nur erheblich abgeschwächt, Vorstand und Aufsichtsrat blieben nicht nur die legitimierten Kontrolleure, sondern geradezu die wirklichen Eigentümer des größeren Geschäfts" (Laufenberg 1931, S. 33).

Einen kleinen Teil der ehemaligen Druckerei führte Reinhard Bérard im Nachbarhaus unter dem Namen ‘Genossenschafts-Buchdruckerei’ weiter und stellte dort nur noch unpolitische – ‘farblose’ – Drucksachen her. Der ‘Verkauf’ konnte aber weder die Politische Polizei in Hamburg, noch das preußische Innenministerium oder die bürgerliche Presse täuschen: „Soviel ich weiß, steht aber Herr Dietz heute noch in Lohn und Brot der Genossenschaft und erhält als Leiter des Verlags, der Gerichtszeitung und der Druckerei 54 Mark Salair pro Woche" (Fremdenblatt 1879).

Heinrich Dietz ließ ‘sein’ Geschäft am 21. Oktober [In Hamburger sozialdemokratischen Veröffentlichungen hält sich hartnäckig der Termin 25. Okt. (z.B. bei Braune 1975 [a] und [b]).] , dem Tag, an dem das Sozialistengesetz in Kraft trat, beim Gewerbe-Bureau eintragen (StAH Handelsreg. A 12, Nr. 4076/ 1878). Von einem fingierten Verkauf war in auch seinem Beitrag zum 10jährigen ‘Jubi-läum’ des Gesetzes nicht die Rede: „Am 19. Oktober 1979 [sic] [Das hier genannte Datum 1879 wurde von fast allen späteren Texten übernommen und stammte schon aus der 1. Auflage von Auer (1889, S. 26). Es scheint unerklärlich, daß diese Verwechslung der Jahreszahl weder in den folgenden Auflagen korrigiert wurde, noch Kautsky auffiel. Die Tatsache, daß die Druckerei erst (und nicht ‘schon’ [ESZ 1981, S. 16]) ein Jahr nach Inkrafttreten des Sozialistengesetzes in Privatbesitz übergegangen sein soll, macht doch gar keinen Sinn.] erwarb ich dieses Geschäft käuflich und führte es für eigene Rechnung weiter. Wie außerordentlich schwierig mir meine geschäftliche Stellung [...] werden sollte, wurde ich bald gewahr" [Die Aufrechterhaltung der Tarngeschichte war 1889, als das Sozialistengesetz weiter galt, noch notwendig. Dennoch korrigierte sich Heinrich Dietz später nicht. Die dritte Auflage der Erlebnisberichte aus der Verfolgungszeit erschien 1913 unkommentiert.] (In: Auer 1889/90 und 1913, S. 241 der Ausgabe 1913). Mit 35 Jahren war Heinrich Dietz nun – wenigstens nach außen hin – Unternehmer.

3.1.2. Verbot des „Hamburg-Altonaer Volksblattes"

„In die Maienblüte dieses Blattes fiel der Reif des Sozialistengesetzes" (Kampffmeyer 1933, S. 69).

Das ‘Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie’ trat am 21. Oktober 1878 in Kraft. Verboten waren ab sofort alle sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen Vereine, Versammlungen, Druckschriften sowie Geldsammlungen. Mißliebige Personen konnten ausgewiesen werden.

Wilhelm Liebknecht berichtete noch Ende Oktober 1878 optimistisch in einem Brief an Friedrich Engels: „Mit unserer Presse experimentieren wir nun; auf die eine oder andere Weise wird’s gemacht; ohne alle fortschrittlichen und nationalliberalen Blätter zu verbieten, sollen sie uns nicht an den Leib kommen. Und dann auch nicht. Mit unserer ‘Gesetzlichkeit’ wollen wir sie töten" (30. 10. 1878, Liebknecht 1963, S. 258, Hervorhebung im Orig.). In schneller Folge ergingen überall im Reich Verbote gegen sozialdemokratische Zeitungen (Apitzsch 1928, S. 22ff.). Auch das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" [Das HAV hatte inzwischen eine Auflage von 18.000 Exemplaren erreicht, wie Heinrich Dietz berichtete (in: Auer 1913, S. 241). Laufenberg sprach von „18 000, nach anderen Angaben 19 500 Abonnenten" (1931, S. 45). Blos zählte in seinen Erinnerungen 1877 sogar „gegen 20 000 Abonnenten" (1914, S. 238). Das HAV nannte zur letzten ‘Abonnements-Einladung’ allerdings nur 17 000 (4[1878]Nr. 116, 26. 9.).] hatte sich zwar den veränderten Verhältnissen anpassen wollen – „selbst auf die Gefahr hin, langweilig zu werden" („Reform" 311878Nr. 258, 30. 10.). Aber schon die Nummern 130 und 131 vom 29. und 31. Oktober des HAV wurden beschlagnahmt und das weitere Erscheinen am 31. Oktober verboten [Nähere Einzelheiten über das Verbot des „Hamburg-Altonaer Volksblatts" waren nicht mehr zu erfahren. Schon Jensen (1966, S. 43ff.) hatte feststellen müssen, daß die Akte über das „Hamburg-Altonaer Volksblatt" im StAH als verloren galt und beschränkte sich deswegen weitgehend auf die Auswertung von Laufenberg (1911 u. 1931) und Stern (1956).] .

Heinrich Dietz beschwerte sich gegen das Verbot direkt beim Hamburger Senator Kunhardt. Dieser – ein „ausgepichter Reaktionär, der ganz unter dem Einfluß der konservativen und reaktionären Vorstellungen der Hamburger Großkaufmannschaft stand" (Laufenberg 1931, S. 37) – führte zusammen mit Senator von Melle eine mit dem Erlaß des Sozialistengesetzes in Hamburg neu eingerichtete Abteilung ‘Politische Polizei’ [„Organisatorisch ist die Politische Polizei aus der Kriminalpolizei hervorgegangen. Unterschied sie sich doch von dieser nur [sic!] darin, daß sie statt gemeiner Verbrechen politische Straftaten verfolgte. Um [...] Fälle schnell aufzuklären, bei denen es zunächst ungewiß war, ob es sich um politische oder gemeine Verbrechen handelte, mußten die politische und die Kriminalpolizei eng zusammenarbeiten" (Jensen 1966, S. 25ff.). ] . „‘Dem Senator’, so erzählt der Hauptbeteiligte H. Dietz, agr., ‘muß es bei dieser Konferenz etwas unheimlich zu Mut geworden sein. Er holte den Polizeirat Clauß [Jensen schrieb ‘Clausewitz’ (1966, S.46).] zu Hilfe. Nach langem Hin und Her erklärte er: Das Hamburg-Altonaer Volksblatt bleibt verboten! Daran war nichts mehr zu ändern’" (Laufen-berg 1931, S. 46).

Auch eine anschließende Beschwerde bei der Reichskommission [Für die Überwachung der verdächtigen Druckschriften war nach den §§ 26f. des Sozialistengesetzes beim Innenministerium in Berlin eine Reichskommission eingerichtet worden.] hatte keinen Erfolg (vgl. u.a. Jensen 1966, S. 45f.), obwohl „der Beschwerdeführer Dietz geltend machte, daß er sich einer objektiven Berichterstattung seit Erlaß des Sozialistengesetzes befleißigt habe", und der Gutachter befand, früher erschienene Artikel dürften nicht berücksichtigt werden. „Im übrigen bestreitet er eine umstürzlerische und die Eintracht der Bevölkerung gefährdende Verlegertätigkeit: es habe sich teilweise nur um Abdrucke aus liberalen oder ultramontanen Blättern gehandelt und teilweise nur um Kritik an der Taktik der verbietenden Landespolizeibehörde" (Stern 1956, S. 52). Das abschließende Votum des richterlichen Gutachters, das Verbot wäre aufzuheben, nahm die Reichskommission aber nicht an (S. 53).

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3.1.3. Die „Gerichts-Zeitung"

Nach dem endgültigen Verbot des Hamburger sozialdemokratischen Blattes versuchte Heinrich Dietz, bei der Polizeibehörde Möglichkeiten für die Herausgabe anderer Zeitungen auszuloten: „Dann kam Dietz, vorsichtig tastend, mit der eigentlichen Absicht heraus. Das Geschäft, so warf er ein, sei nur für eine Zeitung eingerichtet, und er beabsichtige daher, eine solche herauszugeben und müsse es auch, wenn die beschäftigten Arbeiter nicht brotlos werden sollten" (Laufenberg 1931, S. 46). Der Senator hatte zunächst nichts dagegen, berichtete Wilhelm Blos. „Ich schlug vor, eine tägliche Zeitung unter dem Namen „Gerichtszeitung" herauszugeben" (Blos 1914, S. 250). Wilhelm Blos erwähnte Heinrich Dietz’ Anteil an der neuen Zeitung allerdings gar nicht: „Meinem Vorschlag wurde allseitig zugestimmt, und die „Gerichtszeitung", deren Leitung mir ganz von selbst zufiel, trat ins Leben. Sie gewann rasch 12 000 Abonnenten. Ich erhielt von dem Verlag resp. dem Aufsichtsrat der Genossenschaftsbuchdruckerei den Auftrag, die Fußangeln des Sozialistengesetzes möglichst zu umgehen, um das Blatt zu erhalten" (Blos, S. 250f., Hervorhebung im Orig.).

Als Druckereileiter war Heinrich Dietz an der Gründungsphase der „Gerichts-Zeitung" ganz besonders beteiligt, und deswegen schilderte er die Situation aus seiner Sicht anders: „Ich war also gezwungen, durch eine neue Zeitungsgründung den herannahenden geschäftlichen Zusammenbruch so gut als das möglich war zu parieren. Ich gründete einige Wochen später die „Gerichtszeitung", welche mir einen, wenn auch ungenügenden Ersatz für das unterdrückte „Hamburg-Altonaer Volksblatt" bot" (Dietz in: Auer 1889, S. 26 [Wenn auch dieser Text dazu gedacht war, zehn Jahre nach Inkrafttreten des Sozialistengesetzes den Genossen Mut zu machen und nachzuweisen, daß die Partei trotz der Verfolgungen lebte, wurden diese unterschiedlichen – und auch konkurrierenden – Darstellungen in späteren Auflagen nicht berichtigt.] ).

Die neue Zeitung durfte nach außen hin nicht als Nachfolgerin zum „Hamburg-Altonaer Volksblatt" erscheinen. Vorerst sollte also nur über Gerichtsverhandlungen berichtet und scheinbar hauptsächlich juristische Themen behandelt werden. „Die Politik sollte anfangs etwas zurücktreten, bis man den Stand der Dinge besser überblicken konnte" (Blos 1914, S. 251). Das Format des auf diese Weise ‘farblosen’ Blattes wurde übergangsweise etwas verkleinert, so daß auch vom Äußeren her nicht sogleich auf eine Nachfolge geschlossen werden konnte (Laufenberg 1931, S. 47). Um aber die Abonnenten nicht zu verlieren und ihnen einen Ersatz für das „Volksblatt" anzukündigen, druckte man die nächste Folge des bisher im Feuilleton erschienen Romans (Friedrich Gerstäcker: „Im Eckfenster") als Flugblatt und ließ es kostenlos durch die Kolporteure verbreiten (Laufenberg 1931, S. 47). Das Flugblatt erschien ohne Angabe des Druckers, Verlegers und Redakteurs. Heinrich Dietz handelte sich anschließend – wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz – eine Geldstrafe von 10 Mark ein [StAH, Niederger., Bl. 16f.; vgl. zum Pressegesetz von 1874 z.B. Pannier 1907.] . Die Angestellten der Parteidruckerei, nämlich „16 Buchdrucker und Setzer, zirka 35 Kolporteure und das gesamte Redaktions- und Expeditionspersonal, welches inkl. Reporter 12 Mann stark war" (Dietz, in: Auer 1889, S. 26), konnten weiterbeschäftigt werden.

Nach der Probe-Nummer am 10. November 1878 [Apitzsch nannte den 11. November (1938, S. 26).] erschien die „Gerichts-Zeitung" täglich außer montags. Das Abonnement kostete 4 Mark im Vierteljahr. Wilhelm Blos, Carl Hillmann und Heinrich Oldenburg übernahmen die Redaktion [Später kamen noch Ignatz Auer und Carl Derossi dazu, weil sich für sie „eine andere Unterkunft nicht finden ließ" (Laufenberg 1931, S. 47).] ; als ‘Sitzredakteur’ zeichnete zunächst Hermann Schween verantwortlich (Laufenberg 1931, S. 97). Heinrich Dietz hatte für den reibungslosen technischen Ablauf zu sorgen und sprach, wenn überhaupt, nur ein Wort über die finanziellen Seiten des neuen Blattes mit. Zu seinen Aufgaben gehörten die Bereinigung der Konflikte mit den Hamburger (und Altonaer) Polizeibehörden. Ganz unverdächtig als Geschäftsmann argumentierend gelang ihm dadurch so mancher Verhandlungserfolg. Gegen den Herausgeber und Redakteur der „Hamburg-Altonaer Tribüne" strengte Heinrich Dietz bald einen Prozeß um Schadenersatz an wegen Geschäftsschädigung. Der ‘Kollege’ Sahlmann hatte in seiner Zeitung behauptet, bei der „Gerichts-Zeitung" handelte es sich um eine Fortsetzung des „Hamburg-Altonaer Volksblattes". Der Prozeß mußte aber nach langem Austausch von Schriftsätzen aufgegeben gegeben werden (StAH, Niederger.), denn für eine Geschäftsschädigung gab es zu wenige Beweise. Gleicherweise hatte das Gericht nicht zu prüfen gehabt, welche Stellung die „Gerichts-Zeitung" im Verhältnis zum „Hamburg-Altonaer Volksblatt" einnahm.

Nach dem Inkrafttreten des Ausnahmegesetzes wurde gleich Ende November 1878 zum ersten Mal der ‘kleine Belagerungszustand’ über Berlin verhängt. Zahlreiche bekannte Sozialdemokraten mußten die Stadt verlassen. Von den ausgewiesenen 47 in der Berliner Associationsdruckerei und in den Berliner Blättern Angestellten konnte die Partei in der Hamburger Druckerei wenigstens einige beschäftigen (Kutz-Bauer 1988, S. 288). Heinrich Dietz stellte sich dabei ganz als Prinzipal dar: „Ich hielt es für meine Pflicht, diese gemaßregelten Arbeiter in meinem Geschäft anzustellen, was auch geschah. Außer drei Setzern in der Setzerei konnte ich noch einen ausgewiesenen Redakteur in der Redaktion das war Auer, Anm. und einen Metallarbeiter als Kesselheizer unterbringen" (Dietz, in: Auer 1889, S. 26).

In Hamburg konnte die „Gerichts-Zeitung" als eines der wenigen legalen Blätter der Sozialdemokratie in der ersten Phase des Sozialistengesetzes ungehindert erscheinen. Die „Gerichts-Zeitung" wirkte sowohl als Zusammenhalt der größten Parteiorganisation im Deutschen Reich. Darüber hinaus konnte Heinrich Dietz mit der erfolgreich vertriebenen Zeitung auch erheblich zur Finanzierung der Partei-Aktivitäten und der Unterstützung gemaßregelter Genossen beitragen. An der Grenze zur Nachbarstadt Altona allerdings standen „jeden Morgen Königl. Preußische Polizisten, um Kolporteure abzufangen, welche dieselbe, in Altona, also mithin auch in ganz Preußen konfiszierte Zeitung einzuschmuggeln versuchen" (Hamburg-Altonaer Tribüne 1878). Von der Nr. 1 bis zur Nr. 42 wurde sie fortgesetzt beschlagnahmt. Heinrich Dietz beschwerte sich deswegen beim Altonaer Polizeikommissar Engel, bekam allerdings zur Antwort, daß es sich bei der „Gerichts-Zeitung" sehr wohl um eine Fortsetzung des „Hamburg-Altonaer Volksblattes" handelte; das sähe man schon daran, daß das gesamte Personal von Verlag, Druckerei und Expedition sowie der Leserkreis dieselben wären. „Überdies würden Berliner Ausgewiesene im Verlage beschäftigt, und dieses allein genüge" (Dietz in: Laufenberg 1931, S. 48).

Die Hamburger Polizeibehörde hatte allerdings das von Altona beantragte Verbot in der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 8 Tagen nach Vorlage des beschlagnahmten Blattes nicht erlassen (GZ 11878Nr. 11, 22. 11.). Einen über zwei Instanzen geführten Prozeß gegen Kolporteure der „Gerichts-Zeitung" verlor die Altonaer Polizeiführung, sie mußte die beschlagnahmten Zeitungen dann wieder herausgeben – es war „ein Wagen voll"! (Dietz, in: Auer 1913, S. 242)

Die „Gerichts-Zeitung" wurde in der Folgezeit von der preußischen Politischen Polizei sehr aufmerksam beobachtet: „Eine der sehr wenigen noch bestehenden, zugleich aber die wichtigste Zeitung ist die „Hamburger Gerichts-Zeitung", welche gegenwärtig als das Parteiorgan betrachtet werden muß, große Verbreitung finden und bedeutende Überschüsse abwerfen soll. Auf ihren Fortbestand wird deshalb der größte Wert gelegt, und man vermeidet, [...] ängstlich jede Gelegenheit, um die Augen der Polizei auf sie zu lenken" (von Madai im Juni 1879, in: Höhn 1964, S. 15).

Ähnliches stand im Bericht vom Dezember desselben Jahres: „Von den inländischen periodischen Schriften ist die wichtigste noch immer die Hamburger Gerichtszeitung, deren Ertrag nicht nur einer großen, bei der Redaktion, Druckerei p.p. angestellten Zahl von Parteigenossen auskömmlichen Lebensunterhalt gewährt, sondern auch noch reichliche Fonds für Unterstützungen und allgemeine Parteizwecke übrig läßt" [Nach einem Spitzelbericht über den Kongreß in Wyden sollte der Reingewinn der „Gerichts-Zeitung" 12.000 bis 13.000 Mark betragen haben (Stern 1956, S. 397).] (in: Höhn 1964, S. 26). Auch die Hamburger Politische Polizei war aufmerksam: In der (erst 1886 nachgelieferten) Begründung für die Ausweisung von Heinrich Dietz aus Hamburg wurde u.a. notiert: „Nach dem Erlaß des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 kaufte der soviel diesseits bekannt vermögenslose Dietz, wie angenommen wird, zum Schein die Hamburger Genossenschaftsdruckerei und druckte sämtliche Parteischriften sowie die Gerichtszeitung" (StAH S 149/63, Bl. 194f.).

In den nächsten Jahren verlor die Genossenschaft fast alle Druckaufträge der Gewerkschaften, nur „Der Gerber" erschien vorübergehend noch in der Dietzschen Druckerei [Ab ca. 1886 erschienen gewerkschaftliche Periodika vorwiegend gedruckt bei Fr. Meyer oder im Verlag von E. Jensen – dort z.B. „Der Bauarbeiter", „Der Zimmerer", „Der Goldarbeiter", „Der Gerber", „Die Gärtnerzeitung" und „Die Allgemeine Tapeziererzeitung" (HE 3[1889]Nr. 254, 29. 10.); vgl. auch den ‘Generalanzeiger zu Jensen’s Fachzeitschriften’ (in: StAH S 1887).] . Selbst unter diesen Bedingungen blieb durch die Einnahmen der Druckerei der Partei eine wichtige Geldquelle erhalten. Heinrich Dietz erwirtschaftete Überschüsse von jährlich 12.000 bis 13.000 Mark, die er an die Parteikasse abführte (Bartel u.a. 1975, S. 34).

Zur gleichen Zeit, als sich die Ereignisse in Hamburg nahezu überschlugen, zog der ‘Druckereibesitzer’ Heinrich Dietz im November 1878 mit seiner Familie noch einmal um: Die neue Wohnung lag im neuen Steinweg 60 (Adreßbuch HH 1879) – endlich im Vorderhaus. Seine alten Kontakte nach Lübeck und zu den Schleswig-Holsteinischen Sozialdemokraten waren in der Zwischenzeit nicht abgerissen: Zu Ostern 1879 fand, wie alljährlich, ein Treffen von SPD-Funktionären aus Schleswig-Holstein und Hamburg in der Umgebung von Neumünster statt, an dem „auch die Lübecker Theodor Schwartz [...] und der Verleger J.H.W. Dietz teilnahmen" (Osterroth 1973, S. 8).

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3.1.4. Fraktionsstreitereien

Schon früher hatte es in Hamburg innerparteiliche Differenzen gegeben, insbesondere die Geschäftsführung der Genossenschaft durch Parteivorstandsmitglieder bildete für die Basis ein dauerndes Ärgernis. Wahrscheinlich, um die Genossenschafts-Buchdruckerei noch uneingeschänkter kontrollieren zu können, hatte die Parteileitung schon auf der Ordentlichen Generalversammlung am 24. April 1876 versucht, sich den Vorstand so umgestalten zu lassen, „daß derselbe aus einem Redakteur, dem Faktor der Druckerei und einem Expedienten besteht [Heinrich Dietz wurde nicht als Vorstandsmitglied in das Handelsregister eingetragen (Amtsgericht HH).] " (HAV 21876Nr. 44, 11. 4.). Die Genossenschaftsversammlung war nicht einverstanden. „Bei der Parteipresse seien sehr viele überflüssig beschäftigt [...], nichts sei leichter, als für dieses Blatt das HAV; Anm. zu arbeiten", wurde auf einer Parteiversammlung desselben Jahres geklagt. „Es sei unverantwortlich, daß so viele Leute von den Pfennigen der Arbeiter lebten". Die Kritik von der Parteibasis wehrten Vorstandsmitglieder der Genossenschaft harsch zurück: „Hartmann und Geib stempelten ihren Vorredner zum notorischen Schwindler, Parteisekretär Auer desgleichen" (StAH Senat, Cl. VII 18, Bericht vom 29.7.1876).

Die Tatsache, daß die Hamburger Partei finanziell recht gut dastand und vor allem über die Einnahmen aus der Druckerei verfügen konnte, war Anlaß für weitere Streitereien. „Wirtschaftliche Unsicherheit" nährten „Neid und Unzufriedenheit unter den Genossen" (Kutz-Bauer, S. 293). Hinzu kamen erhebliche Differenzen über das ‘richtige’ taktische Verhalten unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes. Das Verhalten der in der Mehrzahl gemäßigten Reichstagsfraktion, die faktisch die Parteiführung übernommen hatte, war den Mitgliedern an der Basis zu ‘lasch’, sie empfanden den Parlamentarismus langsam als „zu nichts mehr nutze" (Laufenberg 1931, S. 89).

Der Unmut wuchs und es bildeten sich in Hamburg mehrere Fraktionen: auf der einen Seite sammelte sich um Geib und Auer, der einer der exponiertesten Vertreter der gemäßigten Linie war, der große Teil des Personals in der Amelungstraße [Auch die gerade aus Berlin angekommenen Brüder August und Otto Kapell konnten auf die Seite der ‘Amelunger’ gezogen werden – nachdem man für sie eine Kredit-Bürgschaft übernommen hatte. ] . Zu dieser Fraktion hielt sich auch Heinrich Dietz. Auf der anderen Seite formierte sich eine Gruppe um Hasselmann, der großen Anhang unter den Berliner Ausgewiesenen gefunden hatte [Jensen (1966) registrierte eine weitere Gruppe, die aber in die hier geschilderten Auseinandersetzungen nicht direkt einbezogen waren: „Von einer einheitlichen Parteilinie [der SAPD; agr.] konnte jedoch nach Erlaß des Oktobergesetzes zunächst nicht die Rede sein [...] Jeder der örtlichen Richtungen orientierte sich an ihren Zeitungen: hier die ‘Amelunger’ an der „Gerichtszeitung", dort die ‘Hasselmänner’ an ihren zahlreichen Presseorganen und schließlich die ‘Staatssozialisten’ [die sich noch immer Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV) nannten und sich als wahre Gefolgschaft Lassalles verstanden; agr.] vornehmlich an der „Deutschen Volkszeitung"" (S. 72).] . Zu den Konflikten trug entschieden das Verhalten einiger Parteivorstandsmitglieder bei: „Die führenden Funktionäre der Hamburger Arbeiterbewegung verstehen sich als Teil einer Leistungselite, die sich deutlich von breiteren proletarischen Schichten [...] abhebt" (Kutz-Bauer 1988, S. 297).

Eine dritte Fraktion bildete sich um Hartmann, Mitglied des alten Parteivorstandes und dadurch auch im Vorstand der Genossenschaften in Hamburg und Leipzig tätig. Er kritisierte mehrfach die aus seiner Sicht nicht immer ‘ehrliche’ Kassenführung von Auer [Auer hatte auf dem Vereinigungsparteitag in Gotha erklärt, die Eisenacher wären „zwar arm, aber ehrlich" , was seiner Fraktion damals den Beinamen ‘die Ehrlichen’ eintrug (vgl. z.B. Hartmann 1893, S. 6).] und seinen Genossen. Hartmann hatte sich in den Genossenschaftsversammlungen auch mehrfach gegen den Verkauf der Druckerei an Heinrich Dietz gewandt. In einem Protokoll der Generalversammlung vom 28. April 1879 wurde notiert: „Das Mitglied Hartmann bringt zur Sprache, daß bezüglich der Geschäftshandhabung, welche so viel wie möglich auf Sparsamkeit gerichtet werden sollte, dies nicht in dem nötigen Maße der Fall gewesen sei. Redner führt hierauf mehrere Punktes an [...], ferner übermäßige Ausgaben in der Expedition durch Anstellung von überflüssigen Arbeitskräften, in der Redaktion in gleicher Weise und durch Anschaffung einer kostspieligen Bibliothek" (Laufenberg 1931, S. 122). August Geib widersprach Hartmanns Antrag, die Druckerei schnellstens von Heinrich Dietz zurückzukaufen: das wäre jetzt nicht an der Zeit. „Die Mitglieder Braast, Blos, Dietz und Oldenburg sämtlich Angestellte der Genossenschaftsdruckerei, agr. wenden sich ebenfalls gegen die Ausführungen Hartmanns" (Laufenberg, ebd.).

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen verstarb am 1. August 1879 der schon lange kranke, aber auch nach der Rückgabe seiner offiziellen Parteiämter weiterhin unermüdlich tätige August Geib. Seine Beerdigung wurde zu einer mächtigen Demonstration – ihm und der Partei zu Ehren. Tausende reihten sich in den Leichenzug ein; die Polizei schritt nicht ein [Zu August Geibs Gedächtnis gab die Genossenschaftsdruckerei ein Flugblatt heraus. Die Hamburger Politische Polizei bequemte sich erst auf Verlangen des Berliner Polizeipräsidiums zu einem Verbot (Laufenberg 1931, S. 98). ] (Wir sind die Kraft 1988, S. 40). „Und die überwiegende Mehrheit aller bekannte ihre politische Gesinnung durch äußere Zeichen. Die Frauen trugen rote Blumen, Schleifen und Bänder [...]. Auch unter den männlichen Teilnehmern fand sich kaum einer, der nicht eine rote Nelke, eine rote Rose oder eine Geranienblüte im Knopfloch gehabt hätte. [...] Diese Menschenmassen bewiesen es aufs deutlichste, wie wenig das Sozialistengesetz den Geist der Zusammengehörigkeit in der Sozialdemokratie zu zerstören vermocht hatte" (Laufenberg 1931, S. 96ff.).

Doch selbst der Tod des hoch angesehenen und gerade zu Grabe getragenen Geib konnte die Differenzen in der Genossenschaft nicht beseitigen. Sein Wort, das im Kreise der eingetragenen Mitglieder großes Gewicht gehabt hatte, fehlte in der Zukunft. Die Opposition wagte einen Vorstoß: Sie beantragte eine Satzungsänderung, wonach den Beschäftigten aus der Amelungstraße bei Themen, die ihre eigenen Angelegenheiten beträfen, kein Stimmrecht zustand, „weil dieselben immer zu ihren Gunsten und zum Schaden der Genossenschaft beim Abstimmen den Ausschlag geben." Der Antrag wurde zwar angenommen, es fehlte aber die nötige 2/3-Mehrheit. Als im August auch noch Georg Hartmann zum 1. Disponenten der Genossenschaft gewählt wurde, „fuhr den Herren Redakteuren ein gelinder Schrecken in die Glieder!" (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 2, Berichte vom 27. Juni, 1. und 8. Aug. 1879).

Hartmann befand sich mittlerweile in Geldschwierigkeiten. In der Hoffnung, das würde ihn zum Schweigen bringen, verschaffte man ihm die Möglichkeit, sich eine Gastwirtschaft einzurichten. Nichts aber konnte Hartmann davon abhalten, weiter gegen die „Gerichts-Zeitungs"-Fraktion zu polemisieren. So verlangte er etwas später noch einmal, die Druckerei wäre von Heinrich Dietz zurückzukaufen. Der Antrag wurde abgelehnt, dafür sorgte die Mehrheit der in der Amelungstraße Beschäftigten.

Als Hausherr der ‘Amelunger’ stellte sich Heinrich Dietz in allen diesen Auseinandersetzungen konsequent an die Seite von August Geib, Ignatz Auer und Wilhelm Blos. Die preußischen Spitzelberichte über die ‘Amelunger’ zum Beispiel nannten Heinrich Dietz fast immer in einer Reihe mit Blos und Auer (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 2-5). Als Geschäftsführer der Genossenschaftsdruckerei hatte er ständigen Kontakt zu allen Beteiligten, in ‘seinen’ Geschäftsräumen spielten sich die meisten ‘Schlüsselszenen’ der Streitereien ab, fanden Treffen der Parteiführer statt und liefen alle Nachrichten zusammen. ‘Seine’ Drukkerei und die Redaktion in der Amelungstraße beherbergten das Hamburger Parteizentrum. Als es Ende 1879 der Hamburger Politischen Polizei gelungen war, als Anzeigenleiter einen ihrer Spitzel in die Genossenschafts-Buchdruckerei zwischen die ‘Amelunger’ und die ‘Hasselmänner’ einzuschleusen, registrierte der akribisch alle Vorkommnisse. Die preußische Politische Polizei hatte schon vorher ihre eigenen Informanten plaziert, die detailliert über die Hamburger Zwistigkeiten berichteten [Deckname des Hamburger Spitzels war ‘Hans’ (StAH S 14; Jensen 1966, S. 60f.). Auf den preußischen Spitzelberichten (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 1-5) basierten die Hamburger Anteile an den regelmäßigen Lageeinschätzungen des preußischen Polizeipräsident von Madai (vgl. Höhn 1964; Fricke/Knaack 1983).] .

Heinrich Dietz’ Rolle beim ‘Verkauf’ der Druckerei wurde von mißtrauischen Mitgliedern immer wieder in den Sitzungen der Genossenschaft zur Sprache gebracht (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 2 und 3). August Geibs Rechnung aber war aufgegangen, die vierteljährlich stattfindenden Genossenschaftsversammlungen wurden nicht von der Polizei überwacht und konnten unbehelligt zu Parteiversammlungen genutzt werden.

Als ab Oktober 1879 dann in Zürich der „Sozialdemokrat" erschien [Über die Herausgabe wurde in den Räumen der Hamburger „Gerichts-Zeitung" beraten (Voss-Louis 1987, S. 189). Vgl. zum „Sozialdemokrat" ausführlich Bartel u.a. 1979; zur Struktur: Julius Motteler in einem Bericht an italienische Genossen (IISG, NL Motteler, abgedruckt in: Engelberg 1959, S. 253ff.).] , verfügte die Partei wieder über ein Organ, das politische Orientierung bot. Rücksichten auf Zensurbeschränkungen brauchte der „Sozialdemokrat" nicht zu nehmen. Überall im Deutschen Reich entwickelten die Genossen viel Phantasie, den illegalen Massenvertrieb zu organisieren: „In Koffer, Reisekörbe, Mägdetruhen, Stoffballen, Schuhleisten und Jahrmarktskisten usw. verpackt, wurde die ‘heiße Ware’ als Reisegepäck per Eisenbahn über die Grenze befördert" (Bartel u.a. 1975, S. 80).

Etwa ein Zehntel der Auflage des ‘Schweizer Käses’ (Bruhns 1921, S. 39) wurde regelmäßig in das Vier-Städte-Gebiet geliefert und abgesetzt [Heinrich Dietz korrespondierte später ausführlich mit Julius Motteler über den Vertrieb des „Sozialdemokrat" und anderer Schriften der Partei (IISG/AdSD, Nachlaß Motteler, Korr.; vgl. auch Pospiech 1977, S. 188).] , „außerdem oblag den Hamburgern die Verbreitung des Blattes in der ganzen Provinz Schleswig-Holstein". Die Politische Polizei hatte keinen Zweifel daran, daß „bekannte Sozialdemokraten und „Gerichtszeitungs"-Mitarbeiter mit der Schweizer Redaktion in fortdauernder Verbindung standen" (Jensen 1966, S. 90 und 158).

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3.1.5. Der erste Jahrgang des „Wahren Jacob"

Aus finanziellen Gründen mußte schon zum 1. Mai die Zahl des Hamburger Druckereipersonals reduziert werden (Geib in einem Brief am 24. April 1879 an Liebknecht, in: Rüdiger 1978, S. 688), denn das Mißtrauen der Parteimitglieder gegenüber ihren Führern und deren vermeintlich egoistischem Umgang mit Parteigeldern und den Einnahmen der Druckerei vertiefte sich ständig weiter: „Es wurde darüber geklagt, daß sie die ‘Amelunger’, agr. eine fast diktatorische Stellung für sich beanspruchten, daß sie zu vornehm lebten und für den [...] gewöhnlichen Parteigenossen unnahbar seien, daß sie am meisten für ihr eigenes Wohl sorgten, daß sie die einträglichsten und an Zahl weit über das Bedürfnis hinausgehenden Stellungen bei der Parteipresse lediglich für sich und ihre speziellen Freunde ausnutzten, und daß bei der Verteilung der Gelder, welche für die auf Grund des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 ausgewiesenen gesammelt waren, ungerecht und parteiisch verfahren werde" (von Madai im Dez. 1880, in: Höhn 1964, S. 51f.).

Beiträge – im allgemeinen als Einnahmen für Flugblätter und ähnliches getarnt – flossen nun sehr viel spärlicher [Versammlungen der Gewerkschaftsgruppen und der Partei waren vor dem Erlaß des Sozialistengesetzes nur noch mäßig besucht worden, „Mitgliedsbeiträge gingen nur schleppend ein" (Wir sind die Kraft 1988, S. 38). Zwar hatte sich die Spendenfreudigkeit aus Solidarität mit den Verfolgten erhöht, aber die allgemeine Wirtschaftskrise hatte auch Hamburg erreicht. Die finanzielle Lage zahlreicher Arbeiterhaushalte verschlechterte sich drastisch. ] . Die Kolporteure klagten, daß Abonnements gekündigt wurden, wobei sich die „Arbeiter verschiedener Werkstätten [...] oft der beleidigendsten Ausdrücke bedienen" (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 2, Bericht vom 1. Nov. 1879), und es kam sogar zu einem zivilrechtlichen Prozeß, in dem peinliche Fragen nach den Geldern aus den Gewinnen der Zeitung gestellt wurden [Das Mißtrauen richtete sich insbesondere gegen Ignatz Auer und nahm später sogar noch zu. Er gab schließlich die Kassenführung für Hamburg im August 1880 ab (Kutz-Bauer 1988, S. 303f.).] (Laufenberg 1931, S. 182ff.).

In dieser prekären Lage entschlossen sich die Sozialdemokraten, eine humoristische Zeitschrift in Hamburg herauszubringen. Man hatte verfolgen können, daß die „Fliegenden Blätter" in München und vor allem der „Kladderadatsch" [Fliegende Blätter. München : Braun & Schneider 1(1844) – 85(1928); Kladderadatsch. Berlin : Hofmann [später Mosse] 1(1848) – 96(1944).] aus Berlin durch regelmäßige hohe Auflagen gute Gewinne einbrachten. Politische Satire ermöglichte relativ deutliche Kommentare des Tagesgeschehens – der Zensur zum Trotz. Interessenten für solche Lektüre gab es in allen Bereichen der Bevölkerung.

Die erste Nummer des „Wahren Jacob" [Seinen Namen verdankte das humoristische Blatt dem verantwortlichen Redakteur Wilhelm Blos: „Den Namen hatte ich dem Blatte gegeben; er war indes nicht Original, sondern von einem Blättchen entnommen, das Friedrich Stoltze eine Zeitlang in Frankfurt am Main herausgegeben hatte" (Blos 1914, S. 257, Fußnote 2. Hervorhebung im Orig.) .] erschien am 5. November 1879 [Im Bericht an den Polizeisenator irrtümlich: Erscheinen ab Oktober (StAH S 613, 23. Febr. 1884). Läuter schrieb dazu: „Dietz suchte den Erfolg, und nicht zuletzt deshalb gründete er 1877 gemeinsam mit Wilhelm Blos das Witzblatt „Der wahre Jacob"" (1966, S. 202); Hervorhebung von mir, agr.). Er gab aber seine Quelle nicht an, wahrscheinlich Laufenberg 1911 (S. 572f.). Zum „Wahren Jacob" insgesamt – aber zuweilen nicht ganz korrekt – vgl. Ege 1992.] , gedruckt und verlegt von ‘J.H.W. Dietz in Hamburg’. Das vierseitige Monatsblatt nahm mit recht spitzer Feder vorwiegend zu politischen Vorkommnissen in Hamburg und im Reich Stellung. Wilhelm Blos schrieb fast den ganzen „Jacob" selbst, einige Beiträge stammten von den Redakteuren Hillmann und Oldenburg. Die Gestaltung ähnelte in ihrer Aufmachung den bereits bekannten Satireblättern, wurde aber für nur 10 Pfennige pro Ausgabe verkauft, während zum Beispiel der „Kladderadatsch" 25 Pfennige kostete. Der ‘Jacob’ stellte sein Programm in etwas holperigen Reimen vor:

„Wollt Ihr ins Meer der Lustigkeit nun tauchen
So kommt; ich weise Niemanden zurück
Nur Sauertöpfe kann ich nicht gebrauchen
Und lasse gern sie ihrem Mißgeschick.
Wohl kenne ich der Feinde viel und Neider;
Sie ärgern sich, ich lache lustig weiter."
(„Der Wahre Jacob", 1879, Nr. 1)

Der „Wahre Jacob" wurde in Hamburg nicht ein einziges Mal verboten, obwohl der Politischen Polizei sehr wohl bekannt war, daß es sich um ein sozialdemokratisches Blatt handelte (StAH S 613, Bericht vom 6. Nov. 1879). Herausgegeben wurden insgesamt 12 Nummern, die letzte erschien noch im Oktober 1880, „wobei zu bemerken ist, daß die Schrift seinerzeit [...] in Folge der Abreise sämtlicher Mitarbeiter, welche am 2. November 1880 ausgewiesen wurden, einging" [Auch Wilhelm Blos mußte die Stadt verlassen (dazu siehe weiter unten) und zog nach Mainz. Das war das (vorläufige) Ende des „Wahren Jacob". Über die Aussichten, wie lange der „Wahre Jacob" ohne die Ausweisungen noch hätte existieren können, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Satirische Blätter hatten es in Hamburg nicht leicht. 1912 resümierte der Redakteur Martin Behrend in einer Rückschau über eingestellte Zeitungen der Hansestadt: „Auch Witzblätter hatten wir in Hamburg; [...] aber der Witz gedeiht wohl nicht gut auf Hamburger Boden" (Behrend 1912) .] (StAH S 613, Bericht vom 23. Febr. 1884).

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3.1.6. Die ‘Fortschrittler avec phrase’ vor den Nachwahlen zum Reichstag

„Mitten in die Beratungen des Reichstages über die Verlängerung des Sozialistengesetzes schleuderte das alte treue Hamburg diesen schneidenden Protest" (Mehring Bd. 4 1909, S. 181).

Trotz des Gesetzes gegen die ‘gemeingefährlichen’ Sozialdemokraten war ihnen die Teilnahme an Wahlen gestattet [Vgl. hierzu allgemein: Wehler 1988 6 , S. 60ff.; Ritter/Tenfelde 1992, S. 90ff.] . An den Hamburger Bürgerschaftswahlen beteiligten sich die Sozialdemokraten erstmals 1877. Wegen des undemokratischen Wahlrechts im Stadtstaat blieben die Kandidaturen aussichtslos, viele ihrer Anhänger waren keine Hamburger Bürger und damit nicht wahlberechtigt. Aber auch alle Bürger blieben ausgeschlossen, die keine Einkommensteuer zahlten oder Steuerschulden hatten. So waren von den ungefähr 364.000 Menschen, die in Hamburg, seinen Vorstädten und Vororten wohnten, ca. 30.000 als Bürger registriert und von diesen für die Bürgerschaftswahlen im Frühjahr 1880 nur etwa 17.000 überhaupt wahlberechtigt [Voss-Louis nannte ca. 407.000 Einwohner, davon stimmten etwa 20.000 Bürger, 5.500 Grundeigentümer und 575 Notable über die Zusammensetzung der Bürgerschaft ab (1987, S. 192).] (Laufenberg 1931, S. 128).

Ein Nationalliberaler, der 1876 in die Bürgerschaft und als Vertreter des Wahlkreises Hamburg II [Das Hamburger Stadtgebiet war in drei Wahlkreise eingeteilt: WK Hamburg I: Altstadt, St. Georg, Hammerbrook (1., 2., 3. und 7. Steuerdistrikt), WK Hamburg II: Neustadt und St. Pauli (4., 5., 6. und 8. Steuerdistrikt), WK Hamburg III: Hamburger Randgemeinden (wie z.B. Eimsbüttel), die Geestlande, Marschlande, Bergedorf und Amt Ritzebüttel.] dann auch in den Reichstag gewählt worden war, begann, sich dort für den Anschluß an das Zollgebiet des Deutschen Reiches einzusetzen. Damit verärgerte er einen großen Teil der Handwerker, die ihn unterstützt hatten. Der Bürgerschaftswahlkampf wurde daraufhin sehr scharf geführt, und als Bauer im Februar 1880 schließlich unterlag, legte er auch sein Reichstagsmandat verbittert nieder (Laufenberg 1931, S. 128f.).

Auch während der Vorbereitungen zur nun nötigen Nachwahl spielte der Zollanschluß wieder eine wichtige Rolle. Gegner und Befürworter des Zollanschlusses im bürgerlichen Lager blockierten sich gegenseitig, deshalb stiegen erstmals die Aussichten für einen Erfolg der Sozialdemokraten. Die „Gerichts-Zeitung" [Die Wahlvorbereitungen wurden von einem Komitee übernommen, dem auch Rudolf Praast von der „Gerichts-Zeitung" angehörte.] veröffentlichte zahlreiche Artikel gegen den Zollanschluß mit Argumenten, die auch in bürgerlichen Kreisen überzeugten. Die Hamburger Partei konnte sich zunächst nicht auf einen Kandidaten einigen. Hartmann, der schon mehrfach aufgestellt worden war, paßte den ‘Amelungern’ überhaupt nicht mehr, weil er ihnen keine Ruhe ließ. Deswegen waren Jacob Audorf und Louis Viereck im Gespräch (StAH S 133, Bericht vom 18. März 1880; Laufenberg 1931, S. 148). Bebel hatte August Kapell vorgeschlagen, der sich aber nicht zur Verfügung stellte. Schließlich bekam Hartmann das Mandat doch, weil die Parteileitung in Leipzig richtig einschätzte, daß er nicht nur unter den ‘Arbeitern’ beliebt war, sondern – als Kleingewerbetreibender – auch die Sympathie der selbständigen Handwerker und damit die besten Chancen besaß, gewählt zu werden.

Öffentliche Agitation war den Sozialdemokraten verboten, sie nutzten vor allem die Versammlungen der anderen Kandidaten und die Haus- und Betriebsagitation (Laufenberg 1931, S. 141ff.; Thümmler, S. 59). Trotz massiver Behinderungen durch die Polizei wurde erstmals wieder ein Flugblatt hergestellt, und der Verkauf eines „Auszuges aus dem Wahlgesetz und Wahlreglement" wurde „im großartigsten Maßstabe betrieben und habe ich selbst gesehen, daß sich Arbeiter zwanzig Exemplare geben ließen, dieselben bezahlten und sofort vernichteten. Auf diese Weise können auch die Geldsammlungen kontrolliert werden" (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 3, Bericht vom 7. April 1880).

Conrad L. Vater – als Mitglied des Wahlkomitees – annoncierte in mehreren Zeitungen einen Aufruf zur Wahl Hartmanns. Auch noch andere Komiteemitglieder unterzeichneten die Annoncen, deswegen verbot die Hamburger Politische Polizei das Komitee gleich als sozialistische Vereinigung (Stern 1956, S. 813ff.). Daraufhin wurden sämtliche Mitglieder des Komitees verhaftet. Der Polizeisenator bestellte Heinrich Dietz als den verantwortlichen Drucker eines Wahlflugblattes zu sich (StAH S 132). Dort befragt, bedauerte Heinrich Dietz sehr, das Flugblatt wäre leider nicht über die Druckerei zu beziehen; was eigentlich der Druck gekostet hätte, das könnte er auch nicht mehr so ohne Weiteres beantworten. Ein Pflichtexemplar aber hatte Heinrich Dietz – nachdem das Flugblatt ab 6.00 Uhr morgens verteilt worden war – sicherheitshalber erst um 10.00 Uhr zur Polizeibehörde gebracht (StAH S 14, Bericht vom 12.4.1880).

Während der fortdauernden parteiinternen Streitereien nutzten die ‘Amelunger’mit ihrem Verfügungsrecht über die Druckerei ihre Stellung offenbar aus, soweit es nur ging. Heinrich Dietz agierte in diesem Konflikt loyal auf der Seite des Parteivorstandes. „Der Riß zwischen dem Wahl-Komitee und der Gerichtszeitungsfraktion, also den Herren Blos, Auer, Dietz, Oldenburg, ist nahezu unheilbar geworden, weil die Genannten nicht nur der Wahl Hartmanns feindlich gegenüberstehen, sondern auch gegen diese direkt agitieren" [Hartmann erhob später den Vorwurf, daß ihm die Genossenschaftsdruckerei eher geschadet als beim Wahlkampf unterstützt hätte (Hartmann 1893, S. 11).] (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 3, Bericht vom 10. April 1880).

Eine weitere Annonce zur Reichstagswahl, vom Komiteemitglied Praast nur widerwillig mit unterzeichnet, erschien in fast allen Hamburger Zeitungen – nur nicht in der „Gerichts-Zeitung". Den Druck der Komitee-Flugblätter ließ sich Heinrich Dietz sofort bezahlen, ein ganz unübliches Verlangen unter Parteigenossen (StAH Senat Cl. VII, Bd. 3, Bericht vom 16. März 1880). Weiteres Agitationsmaterial ließ er – in Absprache mit Blos und Auer – entweder nur geändert (im Falle eines Plakates) oder gar nicht erst zu. Hasselmann, Hartmann und ihre Anhänger empörten sich: Die ‘Amelungia’ unterschiede sich nur noch gering von den bürgerlichen Parteigängern des aussichtsreichsten Gegenkandidaten Anton Rée. Jene „seien ‘Fortschrittler sans phrase’, hingegen Dietz, Blos und Genossen samt ihrem Organ „Gerichts-Zeitung" Fortschrittler ‘avec phrase’" (StAH Senat Cl. VII, Bd. 3, Bl. 167ff.).

Georg Wilhelm Hartmann gewann das erste sozialdemokratische Reichstagsmandat in Hamburg aber doch. Er bekam am 27. April 1880 nicht nur von den Parteianhängern, sondern auch durch große Unterstützung der von Bauer enttäuschten Zünftler über 13.000 Stimmen, seine Konkurrenten hingegen erhielten zusammen ca. 10.000 (Laufenberg 1931, S. 155f.). Erstmals konnte ein Wahlkreis unter dem Sozialistengesetz neu erobert werden. Eine Gruppe von Hartmanns Parteigenossen allerdings hatten es vorgezogen, sich der Stimme zu enthalten. „Am Tage nach der Wahl wurde mir mitgeteilt, daß Auer und einige seiner Intimen mit weißen Stimmzetteln gestimmt hätten; ich war auch der Überzeugung, daß es wahr sei, aber womit dieses beweisen? Als dann aber später der Belagerungszustand erklärt und die Ausweisungen erfolgt waren, da hielt es der Herr Auer nicht mehr für nötig, seine ‘Heldentaten’ zu verbergen: [...] so erklärte er denn jetzt auch mit einem gewissen ‘Stolz’: ‘daß er mich nicht gewählt, sondern mit einem weißen Stimmzettel gestimmt hätte’" [Nicht nur Wilhelm Blos sprach in seinen Erinnerungen davon, daß „viele Parteigenossen" sich nicht dazu hatten entschließen können, „für Hartmann zu stimmen" (Blos 1914, S. 266; vgl. auch Laufenberg 1931, S. 266). Hartmann ‘vergaß’ in seiner Empörung aber, daß er mit Gleichgesinnten kurz zuvor versucht hatte, Ignatz Auer – als dieser in Glauchau-Meerane kandidierte – gegenüber seinen Wählern unbeliebt zu machen (StAH Senat, Cl. VII, Bd. 3, Bl. 54).] (Hartmann 1893, S. 11f.).


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