FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[AUSSENPOLITIKFORSCHUNG]
TITELINFO



TEILDOKUMENT:




Die neuen Herausforderungen für die Bundeswehr: Von der Wehrpflichtigen- zur Berufsarmee?

Die Bundeswehr muß drei große Herausforderungen bewältigen, die alle durch das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Vereinigung verursacht wurden:

• Die Armee der DDR, die Nationale Volksarmee (NVA), mußte aufgelöst und gleichzeitig die Bundeswehr im Osten Deutschlands aufgebaut werden;

• Als Folge der im „2+4"-Vertrag festgelegten Höchstgrenze deutscher Streitkräfte auf 370.000 Mann bis Ende 1994 stehen umfangreiche Reduzierungen ins Haus. Aufgrund des anwachsenden Haushaltsdefizits wird es immer wahrscheinlicher, daß sogar darüber hinaus weitere Reduzierungen erforderlich werden;

• Wegen des geänderten Anforderungsprofils Deutschlands und des Bedeutungszuwachses der Vereinten Nationen muß die Bundeswehr in der Lage sein, Einsatzaufgaben auch außerhalb der unmittelbaren Landes- bzw. Bündnisverteidigung übernehmen zu können, eine entsprechende Grundgesetzänderung vorausgesetzt. Aufgrund dieser sowie der vorgenannten Problematik ergibt sich zunehmend die Frage, ob sich die Bundeswehr von einer Wehrpflichtigen- zu einer Berufsarmee wandeln wird.

Am 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Vereinigung, übernahm das Bundesverteidungsministerium an allen Standorten der NVA die Kommando- und Befehlsgewalt über 1.500 Truppenteile und Dienststellen. Etwa 90.000 Soldaten sowie 47.000 Zivilangestellte wurden Angehörige der Bundeswehr in einem vorläufigen Dienstverhältnis. In Strausberg bei Berlin wurde das Bundeswehr-Kommando Ost errichtet, ca. 2.000 Soldaten und einige hundert Beamte aus der Bundeswehr übernahmen leitende Funktionen.

Die Übernahme einer ganzen, militärisch nicht besiegten Armee durch eine andere, ihr zuvor feindlich gegenüberstehende, war historisch ohne Vorbild. Die sich daraus für die Bundeswehrführung ergebenen Aufgaben waren enorm, zumal gleichzeitig aufgrund internationaler Abrüstungsabkommen umfangreiche Reduzierungen bei Waffen und Personal eingeleitet werden mußten. Vom Personal der NVA wurde nur ein sehr geringer Prozentsatz an Berufsoffizieren nach eingehender Prüfung übernommen, das Gerät und die Waffen größtenteils ausgemustert, wobei es allerdings spektakuläre Ausnahmen gab wie die Übernahme von 24 MIG-29 Jagdflugzeugen sowjetischer Herkunft, die nunmehr bei der Bundesluftwaffe geflogen werden und den Auftrag haben, den Luftraum im Osten Deutschlands zu sichern. Im großen und ganzen kann die Übernahme der NVA als gelungen angesehen werden. Sie wurde vom Bundespräsidenten sogar als ein positiver Beitrag für das Zusammenwachsen des geeinten Deutschlands gelobt. [ Vgl. Christoph Bertram, "Eine Eroberung im Frieden", in: Die Zeit vom 27. August 1992, S. 3; Werner von Scheven, "Die Vereinigung der ehemals feindlichen deutschen Armeen", in: Außenpolitik Nr. 2/1992, S. 164-173.]

Doch damit hat die Bundeswehr noch längst nicht alle Probleme, die die Post-Kalte-Kriegs-Ära für sie bereithält, gelöst. Die Hauptaufgabe ist nun nicht mehr die Fähigkeit zur umfassenden Verteidigung gegen eine ständig drohende Aggression. Vielmehr muß die Bundeswehr flexibler werden, zur Bündnisverteidigung auch außerhalb der Landesverteidigung befähigt sein und darüber hinaus - wiederum vorausgesetzt, es kommt auch zu einer entsprechenden Grundgesetzänderung - auch in der Lage sein, außerhalb der NATO an humanitären Einsätzen, Friedensmissionen und ggf. auch Kampfeinsätzen teilzunehmen. Daraus ergibt sich - im Einklang mit den NATO-Planungen - die Teilung der Bundeswehr in mobilmachungsabhängige Hauptverteidigungsstreitkräfte und präsente Krisenreaktionskräfte, wobei der Planungsschwerpunkt eindeutig bei letzteren liegt. Krisenreaktionsfähigkeit genießt bei der Bundeswehrplanung erste Priorität, woraus sich die abgeleiteten Kriterien der Flexibilität, Mobilität und der Fähigkeit zur Multinationalität ergeben. [ Vgl. Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundes ministers der Verteidigung (1992), S. 29ff; Volker Rühe, "Die Bundeswehr im 21. Jahrhundert", in: Europäische Sicherheit Nr. 1/1993, S. 8-12.]

Wie schon angedeutet, müssen diese neuen Aufgaben unter den Bedingungen der Reduzierung der Bundeswehr gelöst werden. Von den bislang 48 Brigaden des Heeres werden lediglich 28 übrigbleiben, von denen allerdings nur sieben voll präsent sein werden. Dazu zählen drei mechanisierte Brigaden, eine Gebirgsjägerbrigade, zwei Luftlandebrigaden sowie die deutsch-französische Brigade. Diesen zur Krisenreaktion vorgesehenen Kräften stehen 18 mechanisierte Brigaden der Hauptverteidigungskräfte gegenüber, die zu 60 % präsent sein sollen, sowie zwei voll mobilmachungsabhängige Brigaden und Heimatschutzverbände. Insgesamt wird das Heer von 328.000 aktiven Soldaten auf 255.400 schrumpfen. Bei Luftwaffe und Marine sind ähnliche Reduzierungen vorgesehen. Die Luftwaffe wird von 150.000 auf 83.400, die Marine von 38.000 auf 26.200 Soldaten reduziert. In der gesamten Bundeswehr sollen künftig 155.000 Wehrpflichtige 211.000 Zeit- und Berufssoldaten gegenüberstehen. [ Vgl. Otfried Nassauer, "Bundeswehrplanung für das neue Deutschland", in: In formationsdienst Frieden Nr. 3/1992, S. 61-66; Christoph Bertram, "Armee auf dem Rückzug", in: Die Zeit vom 21. August 1992, S. 3.]

Wegen der angespannten Lage des Bundeshaushalts sind weitere Reduzierungen nicht ausgeschlossen. Der Verteidigungshaushalt scheint schon jetzt mehr von seitens des Finanzministers vorgegebenen Einsparungserfordernissen als von den Vorgaben des Verteidigungsministers abhängig zu sein. Dabei scheint der Bundeskanzler eine Reduzierung der Streitkräfte unter 370.000 Soldaten bis zum Ende des Jahrzehnts in Kauf zu nehmen. [ Vgl. Christoph Bertram, "Der Rotstift kommandiert", in: Die Zeit vom 12. Februar 1993, S. 6. Für den Bundeshaushalt 1994 sind für den Verteidigungsetat Ein sparungen von 2,5 % vorgesehen.] Diese Situation erzeugt Planungsunsicherheit und trägt damit auch zu weiteren Verunsicherungen der Soldaten bei. Viele von ihnen waren als Folge der Bundeswehrplanungen außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt und waren zum Beispiel wegen der Schließung von Standorten zu Umzügen gezwungen. Dies traf nicht so sehr die Offiziere, die dies mehr oder weniger gewohnt sind, als die Unteroffiziere, deren persönliche Planung oftmals davon ausging, an einem Standort zu bleiben. Bei weiteren Reduzierungen müssen viele von ihnen erneut umziehen. Solcherlei Strukturanpassungen sind jedoch unvermeidlich. Sie sollten bei weiteren Streitkräftereduzierungen bei den Betroffenen möglichst wenig Ungemach verursachen.

Die neuen Aufgaben und Herausforderungen der Bundeswehr haben jedoch auch zu einer mehr grundsätzlichen Debatte geführt, nämlich darüber, ob Deutschland weiterhin eine Wehrpflichtigenarmee unterhalten oder zum Konzept einer Berufsarmee übergehen sollte. Damit wird ein Tabu angerührt, hatte doch der erste Bundespräsident Heuss die Wehrpflicht als das legitime Kind der Demokratie bezeichnet, eine Phrase, die auch vom derzeitigen Bundespräsidenten von Weizsäcker bei Gelegenheit zitiert wurde. Hier schwingt vor allem die historische Erfahrung mit der Reichswehr der Weimarer Republik mit, die sich zum „Staat im Staate" entwickelte, die Demokratie während des Kapp-Putsches 1920 nicht verteidigte und hauptsächlich anti-demokratische Elemente aus der Kaiserzeit in sich vereinigte. Die Bundeswehr setzte dem von Anfang an das Konzept des „Bürgers in Uniform" entgegen mit dem Ziel, von vornherein zu vermeiden, daß die Armee wieder zu einem Fremdkörper in der Demokratie werden könnte. Daher heißt es auch heute noch in Dokumenten des Bundesverteidigungsministers: „Die Allgemeine Wehrpflicht ist die Klammer zwischen Bundeswehr und Gesellschaft. Die Wehrpflicht hat sich als Wehrform für unseren demokratischen Staat bewährt und bleibt auch weiterhin zentrales Element unserer Sicherheitsvorsorge." [ Verteidigungspolitische Richtlinien (Anm. 25), S. 25.]

Weitere Überlegungen mögen hinzukommen. So fürchtet der oberste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Klaus Naumann, offensichtlich eine völlige Überforderung der Armee, sollte jetzt auch noch das Konzept des Berufsheeres übernommen werden. Dies könnte - so Naumann - den völligen Bundeswehrkollaps verursachen. [ Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 28. Juni 1992, S. 2.] Befürchtet wird auch, die Bundeswehr könnte als Berufsarmee ins gesellschaftliche Abseits geraten und sich zu einer Söldnertruppe entwickeln, die sich von den Politikern beliebig einsetzen ließe. Außerdem sei für eine Berufsarmee ein hohes Bewerberaufkommen erforderlich, so daß Nachwuchsschwierigkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten. Dabei könnten sich aber gerade diejenigen jungen Männer melden, die am ehesten zu rechtsextremen politischen Einstellungen neigen. [ Vgl. Wolfgang Ehlert, "Vom unbequemen Weg. Wehrpflicht im Pro und Contra der Argumente", in: Informationen für die Truppe Nr. 3/1993, S. 50-55; Ste phan-Andreas Casdorff, "Ohne die Wehrpflicht geht es nicht", in: Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 1992, S. 4.] Schließlich ergibt sich als Argument für die Wehrpflicht, daß ohne sie vermutlich das gesamte Gesundheitssystem zusammenbrechen würde, da ihm die Zivildienstleistenden, die den Kriegseinsatz verweigerten, fehlen würden, weshalb sich die Trägerverbände der freien Wohlfahrtspflege für die Beibehaltung der Wehrpflicht aussprechen. [ Vgl. Christoph Bertram, "Armee auf dem Rückzug" (Anm. 26).]

Gegen die Wehrpflicht spricht zunächst, daß eine Wehrgerechtigkeit unter den Bedingungen einer stark reduzierten Armee kaum aufrechterhalten werden könnte. Die wehrpflichtigen Jahrgänge haben seit der deutschen Vereinigung im Umfang zu, die Anzahl der Dienstposten für Wehrpflichtige dagegen abgenommen. Daher würde nur ein bestimmter Prozentsatz junger Männer in Zukunft tatsächlich einberufen werden, was gesellschaftspolitisch auf die Dauer kaum zu legitimieren wäre. Theoretisch könnte dieses Problem eventuell durch eine weitere Reduzierung der Wehrdienstzeit gelöst werden, doch machte der Wehrdienst aus Sicht der militärischen Führung dann kaum noch Sinn. [ Vgl. Jürgen Kuhlmann/Ekkehard Lippert, "Armee ohne Marschzahl? Die Ent wicklung und Zukunft der Bundeswehr", SOWI-Arbeitspapier Nr. 72, München 1993, S. 35.] Gegen diese Argumentation spricht allerdings, daß die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer in letzter Zeit stark angestiegen und 1992 die Rekordhöhe von 130.000 erreicht hat. Daher könnten sich für die Bundeswehr ab 1994 nach dem derzeitigen Planungsstand sogar Bedarfsdeckungsprobleme ergeben. [ Vgl. "Gewehr unterm Baum", Der Spiegel vom 11. Januar 1993, S. 34-35.] Gerade diese Entwicklung läßt sich jedoch gegen die Wehrpflicht selbst wenden, denn sie wird dadurch ausgehöhlt und wandelt sich mehr und mehr zu einer Zivildienstpflicht.

Der Grund dafür, warum immer mehr Wehrpflichtige den Dienst an der Waffe verweigern besteht darin, daß sie fürchten, bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt zu werden. Tatsächlich ist es aber fraglich, solche Einsätze mit Wehrpflichtigen durchzuführen, da in solchen Fällen professionelle Soldaten benötigt werden. Nach nur wenigen Monaten Ausbildung wäre es unverantwortlich, einen Wehrpflichtigen in eine Auseinandersetzung wie den zweiten Golf-Krieg zu schicken, und er wäre dort wegen des Einsatzes fortgeschrittener Waffentechnologie vermutlich auch wenig nützlich. Die deutsche Öffentlichkeit jedenfalls scheint sich mehrheitlich für eine Freiwilligenarmee auszusprechen. Sie befürworten einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zufolge 45 %, während 34 % der Befragten die Wehrpflicht bevorzugten und 11 % zu dieser Frage keine Meinung hatten. [ Vgl. Bernard Fleckenstein, "Vereint im Desinteresse. Deutsche Sicherheitspolitik im Meinungsbild", in: Informationen für die Truppe Nr. 3/1993, S. 14-19, S. 16.]

Der Auffassung einiger Militärhistoriker zufolge ist die These, Wehrpflicht und Demokratie gehörten zusammen, nicht haltbar. So gebe es in den traditionellen Demokratien der Vereinigten Staaten und Großbritannien in Friedenszeiten keine Wehrpflicht, während umgekehrt es kaum eine Diktatur ohne Wehrpflicht gebe. In Deutschland zumindest sei die Wehrpflicht bis 1945 lediglich ein Instrument zur Zwangsrekrutierung von Soldaten gewesen, mit denen die jeweilige politische Führung machen konnte, was sie wollte. Die preußisch-deutsche Armee der allgemeinen Wehrpflicht habe mit Demokratie nichts zu tun gehabt. Auch sei die Wehrpflicht Voraussetzung für die Massenheere gewesen, die die beiden Weltkriege dieses Jahrhunderts erst ermöglichten. Im Ergebnis sei - so Messerschmidt - der Satz, die Wehrpflicht sei das legitime Kind der Demokratie, falsch. [ Vgl. Manfred Messerschmidt, "Der Mythos von der allgemeinen Wehrpflicht als dem legitimen Kind der Demokratie", in: Frieden und Abrüstung Nr. 1/ 1993, S. 10-14; Wolfram Wette, "Kein Kind der Demokratie", in: Die Zeit vom 19. Februar 1993, S. 5.]

Sollte es zu einer Änderung des Grundgesetzes kommen, so daß auch Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb der NATO in Zukunft möglich sind, so wird die Bundeswehr früher oder später zu einer Berufsarmee werden. Gebraucht wird in Zukunft eine kleinere, aber professionelle Armee. Sie muß als Berufsarmee keineswegs im Widerspruch zur Demokratie stehen. Allerdings sollte bei der Rekrutierung strengstens darauf geachtet werden, daß rechtsextreme Elemente ihr ferngehalten werden. Ein Radikalenerlaß für die Bundeswehr ist mit dem Prinzip der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes durchaus vereinbar.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998

Previous Page TOC Next Page