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TEILDOKUMENT:

[Seite der Druckausg.: 83]


Joannis Goudoulakis
Mitwirkungs- und Beteiligungschancen von Einwanderern -
Bestandsaufnahme und Forderungen


Als die Ausländer in den 60er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland kamen, haben es die Wirtschaft und die Politik versäumt zu erkennen, daß nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch Menschen gekommen sind. Wir Ausländer haben uns immer wieder darum bemüht, dies in der Öffentlichkeit deutlich werden zu lassen. Da Hilfe von außen zunächst ausblieb, haben wir uns selbst helfen müssen. Wir haben nationale Vereine gegründet, damit wir unsere Landsleute beraten und ihnen die nötigen Hilfen anbieten konnten. Alle anderen Institutionen, so auch die Gewerkschaften, die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände, haben die Probleme erst viel später erkannt.

Ein Problem war und ist die Finanzierung der Beratungs- und Betreuungseinrichtungen. Ich kann hierzu ein aktuelles Beispiel aus Leverkusen anführen. Die Sozialberatung für Türken und Jugoslawen wurde in der Vergangenheit durch die Arbeiterwohlfahrt gewährleistet. Da sie keine eigenen Mittel zur Verfügung hat, ist sie auf finanzielle Zuwendungen des Staates angewiesen. Da diese gestrichen wurden und auch die Kommune keine finanziellen Mittel beisteuern kann, wurden die beiden Stellen gestrichen.

Wie sind nun die Ausländerbeiräte entstanden und welchen Stellenwert haben sie? Erst Ende der 70er Jahre wurden auf kommunaler Ebene in verschiedenen Städten Koordinierungskreise für Ausländerfragen gegründet. Dies geschah auch in Leverkusen. Es waren Organe, die keine politische Legitimation hatten. Sprecher dieser Gremien waren in der Regel die Sozialdezernenten, und wir Ausländer waren nur Zaungäste des Geschehens, zumal es keine Statuten gab, auf die man sich berufen konnte. Entsprechend wenig konnten wir auch bewirken. So war es nicht verwunderlich, daß wir nach kurzer Zeit verlangten, den Ausländerbeirat zu demokratisieren und ihm dadurch eine größere Legitimität zu verleihen.

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Glücklicherweise ist der SPD-Geschäftsführer in Leverkusen sehr aktiv, und zusammen mit anderen engagierten Frauen und Männern dieser Partei haben wir in einer Reihe von Wochenendseminaren der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Geschäftsordnung für den Ausländerbeirat ausgearbeitet. Diese Geschäftsordnung, die in ihren Grundzügen auch heute noch gilt, hat der Rat der Stadt Leverkusen im Sommer 1982 einstimmig akzeptiert. Im Juli 1982 wählten die Mitglieder des Ausländerbeirates zum ersten Mal ihren Vorsitzenden. Weil wir diesem Gremium mehr politisches Gewicht geben wollten, haben wir uns zur Aufgabe gestellt, die Mitglieder des Ausländerbeirates, die bis dahin von den einzelnen Nationalvereinen delegiert wurden, künftig durch die ausländischen Einwohner in Leverkusen wählen zu lassen. Dieses Vorhaben ist uns erst nach vier Jahren gelungen.

Im Juni 1986 wurde zum ersten Mal in einer direkten, unmittelbaren und geheimen Wahl der Ausländerbeirat gewählt. Damals beteiligten sich 39 % der Ausländer in Leverkusen an der Wahl. Wir waren über diese geringe Beteiligung enttäuscht, da wir mit einer erheblich höheren Prozentzahl gerechnet hatten. Heute sieht es aber so aus, daß die Wahlbeteiligung anderswo noch viel niedriger ist. Zum Beispiel in Frankfurt/Main wählten kürzlich trotz eines erheblichen Werbeaufwandes nur 20 % der Ausländer ihre Vertretung. Im Sommer d. J. hatten wir in Leverkusen bei der zweiten Wahl eine Beteiligung von 33 %. Sie liegt also noch unter der von 1986. Ein Grund für diese Entwicklung ist sicherlich, daß die Leute erkennen, daß der Ausländerbeirat nur geringe Entscheidungsbefugnisse hat, und er deshalb mehr oder weniger eine Alibifunktion erfüllt.

Trotz dieser politisch negativen Rahmenbedingungen versuchen wir, das Instrument "Ausländerbeirat" einzusetzen, um die Situation der Ausländer zu verbessern. In Leverkusen haben wir verschiedene Arbeitskreise gegründet, die sich wichtigen, Ausländer betreffenden Problemen widmen. In diesen Arbeitskreisen sind nicht nur Mitglieder des Ausländerbeirats vertreten, sondern auch andere engagierte und kompetente ausländische sowie deutsche Ansprechpartner. Ich will hierzu ein Beispiel geben. Wir haben u.a. einen Arbeitskreis für Schule und Soziales. In diesem Arbeitskreis haben wir uns nun zum Ziel gesetzt, die ausländischen Mitbürger über das für viele undurchsichtige deutsche Bildungssystem zu informieren. Wir haben festgestellt, daß selbst die zweite Generation noch erhebliche Schwierigkeiten hat, die vielfältigen Bildungseinrich-

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tungen zu bewerten und den für ihre Kinder richtigen Bildungsgang auszuwählen. Um diesem Problem abzuhelfen, will der Ausländerbeirat durch entsprechende Schulungen (an fünf Samstagen) mindestens zwei Personen (sogenannte Multiplikatoren) von jedem Nationalverein in die Lage versetzen, selbständig Elternabende im Verein zu organisieren und in der Muttersprache durchzuführen.

Der Schulbereich ist für uns sehr wichtig. Bereits 1983 ist es uns gelungen, Lehrer und Sozialpädagogen im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Schulen mit hohem Anteil an ausländischen Schülern einzustellen. Sie hatten die Aufgabe, sich in den Schulen um die Probleme und Schwierigkeiten nicht nur ausländischer Kinder und Jugendlicher zu kümmern. Heute ist ein internationaler Förderverein, der vom Ausländerbeirat initiiert wurde und von ihm geführt wird, Träger dieser Maßnahme. Insgesamt sind 15 Lehrer und Sozialpädagogen an Leverkusener Schulen tätig. Dies ist m.E. eine sehr wirksame Initiative, die auch von anderen Städten nachgeahmt werden kann.

Unsere Forderungen nach politischer Mitbestimmung und wirklicher Partizipation an Entscheidungsprozessen ist leider bis heute noch nicht verwirklicht worden. In Nordrhein-Westfalen gibt es die Institution des "Sachkundigen Einwohners". Die Intention des Gesetzgebers war, sachkundige Ausländer an den Beratungen der jeweiligen Ausschüsse des Rates zu beteiligen. Bis heute haben aber nur wenige Städte und Gemeinden von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. In Leverkusen ist es uns gelungen, daß die Fraktionen ihr Vorschlagsrecht für diese sachkundigen Einwohner an den Ausländerbeirat abgetreten haben. Die Folge ist, daß nun alle benannten sachkundigen Einwohner auch Mitglieder des Ausländerbeirates sind, so daß die Belange der ausländischen Mitbürger besser vertreten werden können. So werden Forderungen und Vorschläge des Ausländerbeirates über die "Sachkundigen Einwohner" in die Ratsausschüsse eingebracht. In den Sitzungen des Ausländerbeirates werden wir über die Ergebnisse informiert, und dann diskutieren wir darüber.

Die aktuelle Situation in Deutschland, was die Ausländerpolitik und die Ausländerfeindlichkeit betrifft, ist erschreckend. Es ist eine Schande für ein so reiches Land, daß in vielen Fällen die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Die Parteien tragen ein erhebliches Maß an Verantwortung für diese Entwicklung. Dies trifft auf alle Parteien zu. Auch auf die SPD. Wenn ich z.B. von

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einem SPD-Oberbürgermeister höre, "das Faß ist voll, es paßt nicht mal mehr eine afrikanische Ameise hinein", dann schlägt dies dem dicksten Faß den Boden aus. Dies fördert ausländerfeindliche Einstellungen. Wir Ausländer, die lange in Deutschland leben, machen uns mehr Sorgen um den guten Ruf der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als es die Deutschen selbst tun. Deutschland ist ein exportorientiertes Land. Es sollte deshalb bedacht sein, seinen guten Ruf nicht zu verlieren.

Zum Schluß möchte ich noch einige allgemeine Forderungen erheben:

  1. Als erstes fordern wir das Wahlrecht für Ausländer. Man spricht immer von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Aber da uns wesentliche Rechte vorenthalten werden, sind wir Bürger zweiter Klasse. Meine Überzeugung ist: Erst wenn wir das Wahlrecht erhalten, werden sich die Parteien wirklich um uns kümmern. Erst, wenn wir zu einem Wählerpotential geworden sind, werden wir ernstgenommen.

  2. Deutschland soll sich endlich dazu bekennen, was es längst ist, nämlich ein Einwanderungsland. Es ist wichtig, ein Einwanderungsgesetz zu erarbeiten. Das heutige Ausländergesetz ist sehr restriktiv. Es sollte abgeschafft werden. Stattdessen sollte die rechtliche Gleichstellung der Einwanderer sichergestellt werden. Die Suche nach neuen Lösungen muß unter Beteiligung der direkt Betroffenen erfolgen. In diesem Zusammenhang ist das Vorhaben der SPD, eine "Arbeitsgemeinschaft für Einwanderer" zu gründen, ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung.

  3. Die z.Zt. existierenden Gremien wie Ausländerbeiräte und "sachkundige Einwohner" sollten mehr Gewicht bekommen. Wichtig ist, daß die finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, damit sie auch ihre Aufgaben erfüllen können. Zur Durchführung von Seminaren und Aufklärungskampagnen benötigt man eben Geld.

  4. Wir halten es für besonders wichtig, daß die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassen wird. Diese Forderung ist nicht nur in der Sentimentalität der Ausländer, sich von ihrer Staatsangehörigkeit nicht trennen zu wollen, begründet, sondern es spielen auch finanzielle und rechtliche Fragen eine

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    wichtige Rolle. Bei der Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit können z.B. bei Erbschaftsfragen Nachteile entstehen.

  5. Die ausländerfeindlichen Einstellungen und die gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber Ausländern haben zugenommen. Auch einige Medien, wie die BILD-Zeitung, beteiligen sich an Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge und Ausländer. Ich vermisse eindeutige Äußerungen von Politikern, die sich gegen diese Tendenzen wenden und solche Aktionen aufs schärfste verurteilen. Es reicht einfach nicht aus zu sagen "Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land", wenn man gleichzeitig den § 16 des GG und damit das politische Asyl abschaffen will. Die Politiker sind an der Verwirrung der Bevölkerung mitbeteiligt. Es ist kein Wunder, wenn immer mehr Menschen dann fordern, daß etwas geschehen muß. Nur leider werden die falschen Maßnahmen ergriffen. M.E. ist es wichtig, eine Außenpolitik zu betreiben, die die Entstehung von Armut und politischer Verfolgung in den Herkunftsländern der Auswanderer und Asylsuchenden einzudämmen versucht. Ein Beispiel ist das NATO-Land Türkei. Hier sollte die Bundesrepublik verstärkt Druck ausüben, um die politische Verfolgung der Kurden zu verhindern.

    Weiter ist es wichtig, eine gezielte Entwicklungshilfe zu leisten, die die Lebensverhältnisse der Menschen in den Entwicklungsländern tatsächlich verbessern. In vielen Fällen kann man die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und politisch Verfolgten nicht aufrechterhalten. Eine Mutter, deren Kind an Hunger stirbt, ist ebenso verzweifelt wie eine, deren Sohn an Folterungen stirbt. Für beides tragen wir mit die Verantwortung und es ist unsere Pflicht, diesen Menschen zu helfen.

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