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TEILDOKUMENT:

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Jörg Volker Ketelsen
Zur Konzeption einer europäischen Migrationspolitik


I. Einführung

Für die Hälfte der Bürger der Europäischen Gemeinschaft halten sich einer Mitte dieses Jahres veröffentlichten Umfrage von Eurobarometer zufolge "zu viele" Drittstaatsangehörige innerhalb der Gemeinschaft auf. Für 34 % der Gemeinschaftseuropäer sind es bereits "viele", aber noch nicht "zu viele". Lediglich 9 % äußerten die Meinung, daß noch "nicht viele" Drittstaatsangehörige in die EG zugewandert seien. Diese überwiegend abweisende Haltung gegenüber Drittstaatsangehörigen setzt sich bei der Frage nach einer zukünftigen Beschränkung des Zustroms von Migranten aus dem Osten Europas und dem Mittelmeerraum fort. Eine überwältigende Mehrheit von über 60 % der Befragten befürwortet Beschränkungen, und noch 52 % setzten sich auch für Beschränkungen bei der Aufnahme politischer Flüchtlinge ein. Die Frage nach einer Erweiterung der Rechte von Zuwanderern wird ebenfalls eher negativ beantwortet. Während sich lediglich 19 % für eine Erweiterung einsetzen, vertreten 33 % der Befragten insoweit die Auffassung, daß die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen verkürzt werden sollte.

Diese abweisende Einstellung einer Vielzahl von Gemeinschaftsbürgern läßt sich nur schwer in Einklang bringen mit den weitreichenden Zielsetzungen der Gemeinschaft bei der Verwirklichung des Konzeptes eines Binnenmarktes 1992 als einem "Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ... gewährleistet ist". Die Realisierung dieses Binnenmarktes setzt die Abschaffung jeglicher noch bestehender Schranken physischer, technischer und steuerlicher Art zwischen den Mitgliedstaaten voraus, auch ohne daß es insoweit der ausdrücklichen ökonomischen Rechtfertigung bedürfte. Damit werden auch Elemente des Konzepts eines "Europa der Bürger" aufgegriffen, die im Zusammenwirken mit dem Grundsatz der Freizügigkeit von Personen innerhalb der Gemeinschaft dem Binnenmarktvorhaben nicht nur seine charakteristische Prägung verleihen, sondern auch die immer drängender werdende Frage aufwerfen, welchen Anteil Drittstaatsangehörige an dem Europa des Binnenmarktes 1992 und seinen konzentrischen Er-

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weiterungen haben werden. Wird diesen bereits anwesenden Bevölkerungsteilen durch die Europäische Gemeinschaft die Chance der Gemeinsamkeit und Gleichheit eröffnet, oder sehen sie sich einer wachsenden Gefahr "gemeinschaftlicher Marginalisierung" gegenüber, die darauf beruht, daß sie nicht die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten besitzen? Welche Möglichkeiten für künftige Zuwanderung kann und ist die Gemeinschaft gewillt zu gewähren, und in welchem Umfang ist ein Zustrom von Drittstaatsangehörigen in die Gemeinschaft überhaupt wünschenswert? Schließlich, welche Stellung nehmen dabei die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ein? Dies sind Fragen, die auf die Grundlagen, die Ziele und die Möglichkeiten einer Migrationspolitik in der Europäischen Gemeinschaft abstellen. Welche Antworten gibt - oder besser kann die Gemeinschaft darauf geben.

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II. Präsenz und Situation von Drittstaatsangehörigen in der Europäischen Gemeinschaft

Bezogen auf das Jahr 1989 kann nach den zur Verfügung stehenden, zum Teil unterschiedlichen Statistiken ungefähr davon ausgegangen werden, daß sich ca. 8,2 Millionen Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft besitzen, sowohl rechtmäßig als auch ständig in den Mitgliedstaaten aufhalten. Bei einer Gesamtbevölkerung innerhalb der Gemeinschaft im Jahre 1989 von etwa 325 Millionen stellt dies eine durchschnittliche reguläre Ausländerquote aus Drittstaaten von ca. 2,5 % dar. Demgegenüber haben nur knapp 5 Millionen Gemeinschaftsangehörige ihren ständigen Wohnsitz aus ihrem Heimatstaat in einen anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft verlegt. Dies führte zu einer Ausländerquote aus Mitgliedstaaten von etwas über 1,5 %. Zusammen mit der Ausländerquote aus Drittstaaten kann damit von einer Gesamtausländerquote in der Gemeinschaft von etwa 4% aasgegangen werden.

Mehr als 80 % der Ausländer aus Drittstaaten halten sich allerdings in lediglich drei Mitgliedstaaten auf: der Bundesrepublik Deutschland mit über 3,5 Mio. (gleich 5,7 % der deutschen Bevölkerung vor der Vereinigung), Frankreich mit etwas über 2,1 Mio. (gleich 3,8 % der französischen Bevölkerung) und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien mit knapp über 1 Mio. Drittstaatsangehörigen (gleich 1,8 % der britischen Bevölkerung). Aber auch in den

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Mittelmeerländern Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, die in der Vergangenheit Abwanderungsländer darstellten, ist ein sich vergrößernder Bevölkerungsanteil feststellbar, der aus Drittstaatsangehörigen zusammengesetzt ist und nach neueren Untersuchungen Quoten bis zu 1,2 % an der jeweiligen nationalen Gesamtbevölkerung erreicht.

Ungefähr 60 % der in der Gemeinschaft lebenden Drittstaatsangehörigen rekrutieren sich aus Ländern des mediterranen Beckens, vornehmlich dem ehemaligen Jugoslawien (715.000), der Türkei (etwas über 2 Mio.), Marokko, Tunesien und Algerien (ca. 1,8 Mio.). Der Anteil dieser mediterranen Zuwanderer an der Drittstaatsbevölkerung in der Gemeinschaft stiege sogar auf etwa 75 %, würden die sich innerhalb der Gemeinschaft aufhaltenden Drittstaatsangehörigen aus den entwickelten Industriestaaten (USA, Kanada, Japan = annähernd 450.000) aus der Betrachtung herausgelassen. Dies verdeutlicht den insbesondere auf demographischen Ursachen beruhenden Wanderungsdruck aus den südlichen Ländern, der einen gewichtigen Aspekt des Problembereichs der Nord-Süd-Beziehungen der Gemeinschaft bildet.

Veränderungen dieses Bildes können infolge der tiefgreifenden politischen und ökonomischen Umstrukturierungsprozesse in Zentral- und Osteuropa nicht ausgeschlossen werden. Nicht nur die nunmehr gewährte grundsätzlich uneingeschränkte Möglichkeit des Reisens für die Bevölkerung der zentral- und osteuropäischen Staaten, sondern auch die in diesen Staaten rapide steigende strukturbedingte Arbeitslosigkeit führt zu einem erheblichen Wanderungsdruck in Richtung auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.

Mit Ausnahme von Irland weisen seit geraumer Zeit alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Nettozuwanderung auf. Diese Tatsache ist Ausdruck der strukturellen Veränderungen von Zuwanderung in die Gemeinschaft. Während bis in die Mitte der siebziger Jahre der wesentliche Bestimmungsfaktor von Zuwanderung in die Gemeinschaft im Bedarf der Mitgliedstaaten an Arbeitskräften bestand, und in der Folge der Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen ein lediglich vorübergehender Charakter beigemessen wurde, heterogenisieren sich die Bestimmungsfaktoren der Zuwanderung in den achtziger Jahren dahingehend, daß nunmehr überwiegend von der Zuwanderung einer ständigen Wohnbevölkerung ausgegangen werden muß. Als Stichworte können in diesem Zusammenhang angeführt wer-

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den die Familienzusammenführung, das Heranwachsen in den Mitgliedstaaten einer häufig im Lande geborenen zweiten und dritten Generation der ursprünglichen Zuwanderer, die Benutzung des von den Mitgliedstaaten gewährten Asylrechts aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen sowie die illegale Zuwanderung durch die unerlaubte Ausdehnung eines befristeten legalen Aufenthalts, z.B. als Tourist.

Die soziale Situation der sich legal in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aufhaltenden Drittstaatsangehörigen ist in einem 1989 von der Kommission vorgelegten Bericht beleuchtet worden. Darin wird mit der bei allgemeinen Aussagen notwendigen Zurückhaltung unter anderem festgestellt, daß die zugewanderten Bevölkerungsteile im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung eine jüngere Altersstruktur und eine Überrepräsentation männlicher Mitglieder aufweisen. Die Arbeitslosigkeit unter den dominierenden Einwanderergruppen ist grundsätzlich unproportional höher im Vergleich zu Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Im Bereich der allgemeinen Bildungssysteme sind jugendliche Zuwanderer aus Drittstaaten verhältnismäßig unterrepräsentiert im Sekundarschulbereich und überrepräsentiert im Sonderschulbereich, mit den sich daraus ergebenden negativen Konsequenzen für die Erlangung einer ausreichend qualifizierten Berufsausbildung und den Einstieg in ein Berufsleben, das den durchschnittlichen sozialen Standard des Aufnahmelandes zu sichern geeignet ist. Schließlich ist ein großer Teil der aus Drittstaaten Zugewanderten in den großen urbanen Zonen der Gemeinschaft konzentriert, mit der Folge, daß erhebliche Probleme bei der Wohnungsversorgung dieses Bevölkerungsteils zu konstatieren waren. Diese Feststellungen wurden in dem Ende 1990 von einer Sachverständigengruppe für die Kommission erstellten Bericht über Wanderungspolitiken und soziale Eingliederung der Zuwanderer in der Europäischen Gemeinschaft bestätigt. Der Bericht gelangte insoweit zu der zusammenfassenden Auffassung, daß zugewanderte Drittstaatsangehörige in aller Regel den untersten gefährdeten Bevölkerungsschichten angehören.

Damit drängt sich auch die Befürchtung auf, daß die durch die mitgliedstaatlichen Politiken und Rechtsetzungen zumindest nicht verhinderte faktische soziale Marginalisierung von Drittstaatsangehörigen sich zu einer solchen auch der gemeinschaftlichen Legalität perpetuieren könnte, deren Grundlage das Fehlen der Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft wäre.

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III. Der Grundsatz der Freizügigkeit von Personen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft

Die von der Europäischen Gemeinschaft darauf zu gebenden Antworten können nicht losgelöst gesehen werden von dem fundamentalen Grundsatz der Gemeinschaftsverträge zur Freizügigkeit von Personen innerhalb der Gemeinschaft. Diese Gewährleistung hat sich von einer anfänglich lediglich auf die Sicherstellung der Mobilität des Faktors Arbeit abzielenden "Institutsgarantie" hin zu einem Individualrecht entwickelt, dessen grundrechtsgleiche Ausprägung innerhalb der Gemeinschaft dem Einzelnen eine individualbezogene "Sphäre der Freiheit" verschafft. Darüber hinaus erzeugt die Gewährleistung von Freizügigkeit aber auch die personale Grundlage für einen mit der Vollendung des Binnenmarktes ein höheres Niveau erreichenden Integrationsverband, der mit der Überwindung des geschlossenen Nationalstaates auf einen nicht nur wirtschaftlichen Zusammenschluß der beteiligten europäischen Völker abzielt, in dem sich die rechtliche Stellung des Ausländers derjenigen des Inländers zunehmend angleicht.

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IV. Zur Unterscheidung von Gemeinschafts- und Drittstaatsangehörigen

Von den Gewährungen dieses Rechts auf Freizügigkeit, insbesondere seinem ihm inhärenten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht nur beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen, sondern auch bei den allgemeinen Lebensbedingungen, sind gegenwärtig allerdings noch kraft Gemeinschaftsrechts grundsätzlich diejenigen Personen ausgeschlossen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft besitzen, auch wenn sie sich im übrigen in einem der Mitgliedstaaten rechtmäßig und ständig aufhalten und den spezifischen Personengruppen zuzurechnen sind, deren Angehörigen das Gemeinschaftsrecht ein Recht auf Freizügigkeit zugesteht, als da sind Arbeitnehmer, selbständig Tätige, Dienstleistungsempfänger, Studenten, Pensionäre und sonstige Personen, einschließlich ihrer jeweiligen Familienangehörigen.

Diese Gemeinschaftsrechtslage für Drittstaatsangehörige wird durch die Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten, deren Regelungsgegenstand sich

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auch auf die jeweiligen Staatsangehörigen erstreckt, grundsätzlich unberührt gelassen. Gemeinsames Grundprinzip dieser Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten im Hinblick auf eine denkbare Freizügigkeit von drittstaatsangehörigen Personen ist, daß die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, über die Einreise von Staatsangehörigen aus den betreffenden Drittstaaten in und deren Aufenthalt im jeweiligen Mitgliedstaat nach eigenen Maßstäben entscheiden zu können, unangetastet bleibt. Die Abkommen bekräftigen lediglich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gegenüber den in ihrem Hoheitsgebiet rechtmäßig beschäftigten Arbeitnehmern aus den Drittstaaten keine Diskriminierungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, des Entgelts oder auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zuzulassen.

Darüber hinausgehend enthält allein der Beschluß 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei Regelungen zum Arbeitsmarktzugang für türkische Staatsangehörige und zum Zugang von Kindern türkischer Arbeitnehmer zu allgemeinbildenden Schulen und einer Berufsausbildung in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, sowie ein Verbot neuer mitgliedstaatlicher Beschränkungen bei den Voraussetzungen für den Zugang zur Beschäftigung.

Mit zwei erst kürzlich ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften hat allerdings die Bedeutung der arbeitnehmerbezogenen Regelungen in den bilateralen Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten erheblich zugenommen.

So stellte der EuGH in einer Entscheidung vom September 1990 in der Rechtssache Sevince fest, daß Artikel 6 des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei, der dem türkischen Arbeitnehmer nach einer ununterbrochenen vierjährigen Beschäftigungsdauer bei ein und demselben Arbeitgeber in einem der Mitgliedstaaten einen freien Zugang zu jeder unselbständigen Tätigkeit im Aufenthaltsstaat verbürgt, als integraler, keiner weiteren mitgliedstaatlichen Umsetzung bedürftiger Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung anzusehen ist und ihm in der Folge eine unmittelbare, die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtende Wirkung zukomme. Darüber hinaus impliziere die angeführte Bestimmung des Assoziationsratsbeschlusses zwangsläufig, daß "den türkischen Arbeitnehmern ... zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht (in dem betreffenden Mitgliedstaat) zusteht", ohne daß das gewährte Zugangsrecht zum nationalen Arbeitsmarkt "völlig wirkungslos" sei. Diese Auffassung kann als

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grundsätzliche Herauslösung des Aufenthaltsrechts türkischer Arbeitnehmer aus den Bestimmungsgründen mitgliedstaatlicher Gesetzgebung und seine 'Verortung' im Gemeinschaftsrecht verstanden werden. Sie stellte insoweit einen bedeutenden Schritt für einen nicht unerheblichen Teil der Drittstaatsangehörigen in der Gemeinschaft dar, im Wege der Verstetigung ihres Aufenthaltsstatus eine verbesserte soziale Integration in die Gesellschaft des Aufnahmelandes erreichen zu können.

Auch in einem weiteren Urteil des EuGH von Anfang dieses Jahres in der Rechtssache Kziber, einem jungen arbeitslosen Marokkaner in Belgien, dem von den zuständigen belgischen Behörden die Gewährung einer Beihilfe für junge Arbeitssuchende mit dem Argument verwehrt wurde, daß er eine Drittstaatsangehörigkeit besitze, die Leistung aber nur an belgische Staatsangehörige oder Staatsangehörige aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gewährt werden könne, hielt der Gerichtshof die unmittelbare, entgegenstehendes nationales Recht verdrängende Geltung von Bestimmungen bilateraler Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten entgegen. In diesem Falle handelte es sich um die Regelung des Artikel 41 Absatz 1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko vom September 1978, nach dem Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und ihren Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine Behandlung zugesichert wird, "die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt". Nach Auffassung des Gerichtshofs enthält diese Bestimmung eine klare und eindeutige Bestimmung, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen.

Auch dieses Urteil, mit dem das Gebot der Gleichbehandlung von bestimmten Drittstaatsangehörigen auf eine Grundlage des Gemeinschaftsrechts gestellt wird, bewirkt eine in ihren praktischen Auswirkungen gegenwärtig noch kaum abzuschätzende partielle Verstärkung des rechtlichen Status nicht nur von marokkanischen, sondern auch von tunesischen, algerischen, jugoslawischen und türkischen Staatsangehörigen in der Gemeinschaft, auf die gleichlautende Klauseln der bilateralen Abkommen der EG mit den jeweiligen Ländern Anwendung finden.

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Im Zusammenhang der bilateralen Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten, die in der Praxis häufig als sogenannte gemischte Abkommen unter Beteiligung der Mitgliedstaaten abgeschlossen werden, erscheint schließlich von grundsätzlicher Bedeutung, daß die Rechtsprechung des EuGH aus der Vertragsabschlußkompetenz der Gemeinschaft nach Artikel 238 EWGV auch eine Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Eingehen von Verpflichtungen Drittstaaten gegenüber in allen vom EWG-Vertrag erfaßten Bereichen ableitet, damit aber auch im Bereich der Freizügigkeit von Personen. Daraus ließe sich durchaus die These ableiten, daß die Gemeinschaft eine Regelungsbefugnis gegenüber Drittstaatsangehörigen besitzt, wenngleich auch nur im Hinblick auf die bilateralen Beziehungen mit einem bestimmten Drittstaat.

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V. Eine Gemeinschaftspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen

Der Begriff einer Wanderungspolitik der Gemeinschaft wurde erstmalig im Jahre 1985 in einem offiziellen Dokument der Kommission verwendet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Institutionen der Gemeinschaft, insbesondere der Rat, zwar zunehmend erkannt, daß ein gemeinsames Interesse der Mitgliedstaaten besteht, zu koordinierten Lösungen zu gelangen, doch blieben die praktischen Ergebnisse auf Gemeinschaftsebene weit hinter diesen allgemeinen Feststellungen zurück. Weder das 1973 dem Rat unterbreitete Sozialpolitische Aktionsprogramm, noch das darauf beruhende Aktionsprogramm zugunsten der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien von 1974 erbrachten bei den Fragen der Einreise von Drittstaatsangehörigen und ihrer Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft Fortschritte. Ein von der Kommission 1978 dem Rat vorgelegter Richtlinienvorschlag zur illegalen Einwanderung und der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen wurde vom Rat nicht aufgegriffen und 1984 von der Kommission schließlich wieder zurückgezogen.

Das gleichfalls 1985 von der Kommission an den Rat der Gemeinschaften gerichtete Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, das eine detaillierte Übersicht der bis 1992 dazu erforderlichen Maßnahmen enthält, kündigte im Hinblick auf die vorgesehene Beseitigung der physischen Kontrollen an den Binnengrenzen die Vorlage von Vorschlägen der Kommission zur Angleichung der auf Drittstaatsangehörige anwendbaren Regeln für Niederlassung, Einreise

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und Zugang zur Beschäftigung innerhalb der Gemeinschaft, sowie zur Formulierung einer europäischen Visumpolitik und damit des Zugangs von Drittstaatsangehörigen zum Gemeinschaftsgebiet an. Darüber hinaus wurden Vorschläge zu Maßnahmen zum Asylrecht und zur Lage der Flüchtlinge in der Gemeinschaft nicht ausgeschlossen. Flankiert werden sollten diese Maßnahmen unter anderem durch eine Verstärkung der Mittel für wirksamere Kontrollen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten und durch die Amtshilfe zwischen den Polizei- und anderen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten.

Die Ankündigung konkreter Rechtsetzungsvorhaben auf Gemeinschaftsebene zur Regelung des Rechtsstatus von Drittstaatsangehörigen rührte an die entscheidende Frage der Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten in diesem Bereich, ohne daß damit jedoch auch eine entscheidende Antwort zugunsten der Gemeinschaft herbeigeführt worden wäre. Vielmehr verblieb es bis in jüngste Zeit bei der sich wie ein roter Faden durch die Entwicklungsgeschichte einer gemeinsamen Wanderungspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen ziehenden Positionsbestimmung der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft. Der Rat der Gemeinschaft anerkennt zwar im Hinblick auf die 1985 von der Kommission vorgelegten "Leitlinien für eine Wanderungspolitik der Gemeinschaft" die Zweckmäßigkeit einer Förderung der Zusammenarbeit und Konzertierung zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission in bezug auf die Wanderungspolitik, auch gegenüber Drittstaaten, und die Integration der Arbeitsmärkte, stellt im übrigen jedoch ausdrücklich fest, daß für die Bereiche im Zusammenhang mit dem Zugang, dem Aufenthalt und der Beschäftigung von Wanderarbeitnehmern aus Drittländern - unbeschadet der geltenden Gemeinschaftsabkommen mit diesen Ländern - die Regierungen der Mitgliedstaaten ausschließlich zuständig sind.

Obwohl zur selben Zeit in einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften der Kommission bestätigt wurde, auf der Grundlage des Artikel 118 EWG-Vertrag zumindest Koordinationskompetenzen im Bereich der Migrationspolitik gegenüber Drittstaaten geltend machen zu können, entsprechen gerade die politischen Erklärungen der Mitgliedstaaten bei der 1986 erfolgten Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte zur Frage der Freizügigkeit von Personen innerhalb der Gemeinschaft der traditionellen Haltung. So wird einerseits der Wille der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, zur Förderung der Freizügigkeit zusammenzuarbeiten, und zwar insbesondere

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hinsichtlich der Einreise, der Bewegungsfreiheit und des Aufenthalts von Staatsangehörigen dritter Länder, andererseits aber auch darauf hingewiesen, daß die durch die Artikel 13 bis 19 der Einheitlichen Europäischen Akte neu in den EWG-Vertrag eingefügten Bestimmungen zum Binnenmarkt in "keiner Weise das Recht der Mitgliedstaaten (berühren), diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die sie zur Kontrolle (unter anderem) der Einwanderung aus dritten Ländern für erforderlich halten". Eine bestätigende Neuauflage findet diese Kompetenzabgrenzung schließlich in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rats von Straßburg vom Dezember 1989, sowie in den Erwägungsgründen der auf diesem Rat verabschiedeten Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, nach denen es "Sache der Mitgliedstaaten ist, zu gewährleisten, daß Arbeitnehmern aus Drittländern und ihren Familienangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft aufhalten, im Hinblick auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen eine Behandlung zuteil wird, die derjenigen vergleichbar ist, welche die Arbeitnehmer des betreffenden Mitgliedstaates genießen".

Eingedenk der politisch äußerst delikaten Abgrenzung von Gemeinschafts- und Mitgliedstaatskompetenz in der Gemengelage von Binnenmarktverwirklichung und Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen sowie der manifesten Immobilität der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft entschloß sich die Kommission in ihrem Bericht vom Dezember 1988 über die Abschaffung der Personenkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen eine weitgehende Zurückhaltung bei der Vorlage entsprechender Rechtsetzungsvorschläge an den Rat aufzuerlegen. Die Kommission traf zunächst eine Unterscheidung zwischen den für die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen bis 1992 unerläßlichen und den nur wünschenswerten Maßnahmen: zu letzteren sollte insbesondere die Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik hinsichtlich des Status und des Aufenthaltsrechts von Drittstaatsangehörigen in der Gemeinschaft zählen. Dagegen wird eine gemeinsame Visum- und Asylpolitik sowie die Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft als eine unerläßliche Maßnahme angesehen.

Im übrigen schlug die Kommission in dem intern als 'Lord Cockfields Testament' bezeichneten Dokument vor, daß sich die Gemeinschaftsgesetzgebung auf diesem Gebiet nur derjenigen Fälle annehmen sollte, "in denen die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Rechtssicherheit und Einheitlichkeit das beste

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Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels darstellen". Damit wurde eine Form des Subsidiaritätsprinzips eingeführt, die darauf angelegt war, unter der Bedingung einer informellen Beteiligung der Kommission, der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Ebene ein weites Tätigkeitsfeld einzuräumen.

Die von der Kommission zunächst eingenommene abwartende Haltung schließt für sie allerdings ausdrücklich nicht die Möglichkeit aus, "zusätzliche Vorschläge vorzulegen, vor allem für den Fall, daß sich die zwischenstaatliche Zusammenarbeit als ineffizient oder ungeeignet erweist oder die Mitgliedstaaten einen Konsens darüber erzielen, daß eine größere Angleichung und Koordinierung wünschenswert ist".

Die beschriebene zurückhaltende Position der Kommission hat das Entstehen einer Gemengelage von unterschiedlichen Arbeitsgruppen auf zwischenstaatlicher Ebene bewirkt. Zu den bedeutenderen Gruppen im Hinblick auf Drittstaatsangehörige zählen insoweit

  • die auf Initiative der britischen Präsidentschaft Ende 1986 gebildete ad-hoc-Gruppe Einwanderung mit Untergruppen, die die in den Mitgliedstaaten für Einwanderungsfragen zuständigen Minister vereint,

  • die aus den Innen- und Justizministern bestehende sog. TREVI-Gruppe, die bereits 1975 auf Beschluß des Europäischen Rats von Rom eingerichtet wurde und Fragen aus dem Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung behandeln soll,

  • die Gruppe Juristische Zusammenarbeit, die im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit gegründet wurde und deren Aufgabenstellung sich insbesondere auf die mit den bestehenden internationalen Verträgen verbundenen Fragen erstreckt,

  • schließlich die Gruppe Schengen, innerhalb derer bereits zwei Übereinkommen zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland über eine vorzeitige schrittweise Beseitigung der Grenzkontrollen zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten und der damit zusammenhängenden Probleme abgeschlossen wurden. Diesen Vereinbarungen sind zwischenzeitlich Italien, Spanien und Portugal beigetreten.

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Die Vielzahl der entstandenen zwischenstaatlichen Gruppen und der von ihnen behandelten Themen ließen den Europäischen Rat von Rhodos im Dezember 1988 allerdings nicht nur unnötige Doppelarbeit befürchten, sondern auch eine dem Vorhaben Binnenmarkt 1992 abträgliche Wirkung. Er beschloß deshalb, daß jeder Mitgliedstaat einen Koordinator zu benennen habe, deren Gesamtheit in der Gruppe der Koordinatoren zusammengefaßt wurde. Dieser Gruppe fiel die Aufgabe zu, die Gesamtheit der Aktivitäten der intergouvernementalen Gruppierungen zu koordinieren, zu stimulieren und gegebenenfalls Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

In dem von der Gruppe der Koordinatoren Anfang 1989 ausgearbeiteten und vom Europäischen Rat von Madrid im Juni 1989 zustimmend bewerteten 'Dokument von Palma' wird der ursprünglichen Anregung der Kommission gefolgt und eine Liste von zur Beseitigung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen unerläßlichen Maßnahmen erstellt. Zu diesen Maßnahmen zählen in erster Linie die Festlegung der Zugangsbedingungen zur Gemeinschaft für Drittstaatsangehörige und die Prüfung der Frage des Wegfalls der Kontrolle von Drittstaatsangehörigen an den Binnengrenzen. Als zeitlicher Rahmen zur Erreichung dieses Ziels wurde Ende 1992 bzw. Ende 1999 angegeben. In dem von der Gruppe dem Europäischen Rat von Straßburg im Dezember 1989 vorgelegten Bericht wird allerdings schon wesentlich zurückhaltender lediglich von einem Beginn aktiver und umfassender Verhandlungen gesprochen, die am Anfang eines langen Weges stünden.

Als lediglich wünschenswerte Maßnahme und damit auf einen Zeitraum nach 1992 verschoben sieht die Gruppe der Koordinatoren dagegen die Harmonisierung - soweit erforderlich - der nationalen Ausländer- und Einwanderungsgesetzgebung an.

Auf die Tätigkeit der Gruppe der Koordinatoren ist es zurückzuführen, daß von den unterschiedlichen zwischenstaatlichen Gruppen die Ausarbeitung einer Reihe von Texten zu den prioritären Punkten des Dokuments von Palma in Angriff genommen wurde. Zu diesen Texten zählt zunächst das Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags, das während des Europäischen Rats von Dublin im Juni 1990 von den für Einwanderungsfragen zuständigen Ministern der Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde.

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Nach der Konvention ist der zuständige Mitgliedstaat - der anhand objektiver Kriterien bestimmt wird - verpflichtet, das Asylverfahren nach seinen nationalen Regeln durchzuführen und während dieser Zeit den Asylbewerber in seinem Hoheitsgebiet aufzunehmen.

Als weiterer Text ist insoweit das Übereinkommen über das Überschreiten der Außengrenzen anzuführen, dessen für Juni dieses Jahres vorgesehene Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten allerdings durch die Frage seiner Geltung auch für Gibraltar zunächst verzögert wurde. Das von der ad-hoc-Gruppe Einwanderung erarbeitete Übereinkommen definiert in annähernd 30 Artikeln den gemeinsamen Standard der Grenzkontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft, sieht bestimmte Maßnahmen gegen illegale Einwanderung vor, stellt gemeinsame Regelungen zur Erteilung von Visa auf und legt die Grundprinzipien einer zukünftigen gemeinsamen Politik fest, deren Ergebnis die Einführung eines europäischen Visum sein soll. In seinen Grundzügen knüpft das Übereinkommen an die Regelungen an, die die Unterzeichnerstaaten der beiden Schengener Übereinkommen von 1985 und 1990 in Kraft setzen wollen und die neben Vorschriften über das formelle Asylrecht und der Einrichtung eines polizeilichen Informationssystems (SIS) die Einreisebedingungen, das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen und deren Reisefreiheit in den Signatarstaaten betreffen. So bestimmt insbesondere Artikel 21 Absatz 1 des Zweiten Schengener Übereinkommens, daß Drittstaatsangehörige, "die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, ... sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments ... bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen" können. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sowohl das Zweite Schengener Übereinkommen, als auch das Übereinkommen der ad-hoc-Gruppe Einwanderung grundsätzlich lediglich eine auf jeweils drei Monate beschränkte Reisefreiheit von Drittstaatsangehörigen vorsieht, nicht dagegen eine Freizügigkeit, die auch das Recht der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat umfaßt. Die Unterschiede zwischen Drittstaatsangehörigen und Staatsangehörigen aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bleiben damit, wenn auch gedämpfter, zunächst bestehen.

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VI. Auf dem Weg zu einer umfassenden Einwanderungspolitik

Der Mangel der beschriebenen Initiativen und Regelungsansätze ist, abgesehen von einer Reihe sonstiger Bedenken, darin zu sehen, daß Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen und ihre Rechtsstellung innerhalb der Gemeinschaft lediglich als Problem und Resultante der angestrebten Beseitigung der physischen Kontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft und des Überschreitens von Außengrenzen der Mitgliedstaaten angesehen wird. Selbst die sich nunmehr konkretisierenden Ansätze auf einer wenn auch nicht gemeinschaftsrechtlichen, so doch zwischenstaatlichen Ebene verbleiben deshalb in dem Bereich der Verwirklichung eines präventiven Ordnungsdenkens, dem nationalstaatlich geprägte ausschließende Elemente nicht fremd sind. Daraus könnte eine Tendenz entstehen, den Zugang zum Gebiet der Gemeinschaft für Drittstaatsangehörige zunehmend zu erschweren und darüber die Integration der Zugewanderten in die Gesellschaft des Aufenthaltslandes mehr und mehr zu vernachlässigen.

An diesem Punkt setzt der Ende 1990 von der Kommission dem Rat vorgelegte Sachverständigenbericht über 'Wanderungspolitiken und soziale Eingliederung der Zuwanderer in der Europäischen Gemeinschaft' an. Ausgehend von der These, daß die Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen grundsätzlich unumkehrbar sei, weil die erzwungene Rückkehr des Zugewanderten in aller Regel ausgeschlossen und seine freiwillige Rückkehr sich nur selten erreichen läßt, wird das Hauptgewicht einer (Ein)wanderungspolitik der Gemeinschaft in der Integration des Zugewanderten in die Gesellschaft des Aufnahmelandes gesehen.

Diese Eingliederung im Sinne eines "Prozeß des Fortschritts, der die soziale Marginalisierung von Zuwanderern verhindert oder ihr entgegenwirkt", setze nicht nur einen rechtlich gesicherten und verstetigten Aufenthalt auch desjenigen Zugewanderten voraus, der keinen vollen Beitrag zur Gesellschaft leisten könne, sondern auch gleiche Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, eine besondere Anstrengung sowohl auf dem Gebiet der schulischen Betreuung der Zuwandererfamilien als auch bei der ihnen gegenüber erforderlichen Vermittlung sprachlicher Fähigkeiten. Darüber hinaus sei ein verstärktes Augenmerk auf die Wohnraumversorgung und die Verhinderung einer Ghettoisierung von Zugewanderten zu richten. Den zugewanderten Drittstaatsangehörigen seien alle bürgerlichen Rechte zuzuerkennen, die es ihnen erlaubten, ihre Lebensbedin-

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gungen mitzugestalten. Schließlich seien Verhaltensweisen und Einstellungen im Alltag, die Benachteiligungen für die Zuwanderer mit sich bringen, mit größerer Aufmerksamkeit zu bekämpfen als bisher.

Dennoch kann auch der Sachverständigenbericht nicht umhin, eine Beziehung zwischen erforderlicher und möglicher Eingliederung einerseits und der Beschränkung des quantitativen Umfangs der Zuwanderung andererseits zu konstatieren: erforderlich sei insoweit eine "Beherrschung der Neuzuwanderung". Dies könne nicht nur durch die Anwendung der bereits bestehenden und im Werden begriffenen Instrumentarien der Zuwanderungskontrolle erfolgen, sondern müsse darüber hinaus begleitet werden durch eine Berücksichtigung des Problems der Zuwanderung bei den gemeinschaftlichen, insbesondere auf Drittländer bezogenen Politiken.

Gestützt auf den Sachverständigenbericht und eine zunehmend intensivere Diskussion des Zuwanderungsproblems nicht nur durch Gemeinschaftsinstitutionen, wie dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß, sondern auch im internationalen Rahmen, ersuchte der Europäische Rat von Rom vom Dezember 1990 den Rat und die Kommission "zu prüfen, welche Maßnahmen und Schritte am besten geeignet erscheinen im Hinblick auf die Unterstützung der Auswanderungsländer, die Einreisebedingungen und die Hilfe bei der sozialen Eingliederung". Dabei sei im besonderen "die Notwendigkeit einer harmonisierten Asylpolitik zu berücksichtigen".

Anfang Oktober dieses Jahres hat nun die Kommission in der Form zweier Mitteilungen an den Rat und das Europäische Parlament zum Thema Einwanderung und über das Asylrecht insoweit ihre Überlegungen und Vorschläge der Öffentlichkeit vorgelegt.

Unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit einer realistischen und solidarischen Antwort der Gemeinschaft auf die drängenden Migrationsprobleme schlägt die Kommission vor, die Maßnahmen der Gemeinschaft auf drei Aktionsebenen zu konzentrieren. Zum einen die Berücksichtigung der Wanderungsbewegungen in der Außenpolitik der Gemeinschaft zwecks Abschwächung des Wanderungsdruckes. Zweitens die Beherrschung und Lenkung der Wanderungsströme auf der Grundlage eines harmonisierten Kenntnisstandes über diese Ströme, der Bekämpfung der illegalen Einwanderung, der Gewährleistung eines

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gemeinsamen Ansatzes im Bereich des Asylrechts, sowie der Annäherung der Kriterien für die Familienzusammenführung. Schließlich die Vertiefung der Politiken zur Integration der legalen Zuwanderer in die Gesellschaft des jeweiligen Aufnahmelandes.

Der Bereich des Asylrechts, aber auch der der Integration von Drittstaatsangehörigen beanspruchen dabei besondere Aufmerksamkeit. Die wesentlichen Einzelheiten der Kommissionsvorschläge sollen deshalb im folgenden dargestellt werden.

Ausgehend von dem Grundsatz, daß "keine Politik oder Maßnahme im Bereich der Einwanderung ... die humanitären Errungenschaften des Schutzes der Opfer politischer Verfolgung auf der Grundlage der Genfer (Flüchtlings-)Konvention beeinträchtigen darf", und daß eine wie auch immer beabsichtigte Harmonisierung des Asylrechts in der Gemeinschaft kein Alibi dafür darstellen darf, "die humanitären Verpflichtungen einzuschränken, die (die Mitgliedstaaten) im Rahmen der Genfer Konvention eingegangen sind", andererseits aber gerade zur Sicherung des Asylrechts eine Bekämpfung seines Mißbrauchs erfolgen müsse, wird ein Katalog von sieben Maßnahmevorschlägen erstellt:

  • die Beschleunigung der Verwaltungs- und Gerichtsverfahren (gemeinsame Definition des Begriffs des 'offensichtlich unbegründeten Antrags'),

  • Harmonisierung der Bedingungen für die Zurückweisung an den Außengrenzen der Gemeinschaft (Begriff des 'sicheren Landes'),

  • Sicherstellung der tatsächlichen Abschiebung abgewiesener Antragsteller,

  • Schaffung eines Konzertierungsverfahrens zum Informationsaustausch im Bereich des Asylrechts,

  • Harmonisierung und Koordinierung der Anwendung der Genfer Konvention durch die Mitgliedstaaten,

  • Harmonisierung der Vorschriften für den Aufenthalt von "de facto"-Flüchtlingen,

  • Harmonisierung der Aufnahmebedingungen der Asylbewerber, deren Antrag geprüft wird.

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Aber auch zur Vertiefung der Politiken zur Integration legaler Zuwanderer werden eine Reihe von detaillierten Vorschlägen unterbreitet, die sich an die in dem Sachverständigenbericht über Wanderungspolitiken und soziale Eingliederung der Zuwanderer in der Europäischen Gemeinschaft vom September 1990 enthaltenen Ansätze anknüpfen. Dazu zählen

  • eine Verstetigung des Aufenthaltsrechts für alle diejenigen Zuwanderer, die bestimmte Kriterien der Beständigkeit erfüllen,

  • die Sicherstellung der in den bilateralen Verträgen der Gemeinschaft mit Drittstaaten enthaltenen Gebote der Gleichbehandlung der jeweiligen Drittstaatsangehörigen mit Inländern in den Bereichen Entlohnung, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit,

  • die Sicherstellung der Möglichkeit der Beteiligung von Drittstaatsangehörigen bei den Austauschprogrammen der Gemeinschaft,

  • die Gewährung des Zugangs zur Beschäftigung in einem Mitgliedstaat für bestimmte Gruppen von Drittstaatsangehörigen, die bereits ein ständiges Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat besitzen,

  • die Sicherstellung der ungehinderten Einsetzbarkeit von drittstaatsangehörigen Arbeitnehmern bei der Erbringung von Dienstleistungen durch deren Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beschäftigungsstaat,

  • besondere Beachtung der Ausbildung, Beschäftigung und Unterbringung von Drittstaatsangehörigen,

  • die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, in deren Rahmen auch die Ausarbeitung gemeinsamer Grundsätze und eines Verhaltenskodex vorgeschlagen wird.

Auch ohne daß auf alle Einzelheiten der unterbreiteten Vorschläge eingegangen werden kann, ist festzustellen, daß die Kommission auch weiterhin ihre Position der politischen Zurückhaltung bei der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft verfolgt und eher dazu neigt, eine intergouvernementale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter Beteiligung der Kommission auf völkerrechtlicher Ebene zu befürworten, als das Instrument der Gemeinschaftsrechtssetzung einzusetzen.

[Seite der Druckausg.: 70]

Im Hinblick auf die auch heute noch oder - vielleicht angemessener - bereits wieder offene Diskussion über weitgehende Kompetenzübertragungen auf die Gemeinschaft im Bereich des Asylrechts, der Einwanderung und der Drittstaatsangehörigen, wie sie von der Bundesrepublik Deutschland auf dem Europäischen Rat von Luxemburg im Juni 1991 als Teil eines Vertrages über eine politische Union vorgeschlagen wurden, erscheint die Haltung der Kommission zunächst nachvollziehbar. Es besteht andererseits aber auch nur wenig begründete Aussicht, daß die Diskussionen der Mitgliedstaaten auf dem Europäischen Rat in Maastricht entscheidende Impulse für eine gemeinsame, europäische Migrationspolitik erbringen werden. So wird es wohl eher der zunehmende Druck der politischen und ökonomischen Ereignisse sein, der die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Haltung in Migrationsfragen veranlassen wird, denn die bewußte und gewollte Gestaltung gemeinsamer Politik.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2001

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