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[Seite der Druckausg.: 30 (Fortsetzung)]


5. Der illegale Arbeitsmarkt


Dieses Kapitel konzentriert sich auf den Bereich der illegalen Erwerbsbeschäftigung von Ausländern, womit die Aspekte des illegalen Grenzübertritts und Aufenthalts in den Hintergrund rücken; für illegale Migrationen, die primär aus nicht-ökonomischen Motiven erfolgen (z.B. Flucht, Familiennachzug) sind somit folgende Überlegungen gegenstandslos.

Der Analyse liegt die Annahme eines ungeregelten (illegalen) Arbeitsmarktes, bestehend aus Anbietern (illegal beschäftigte Ausländer) und Nachfragern (Arbeitgeber) des Gutes Arbeit zugrunde. Anbieter und Nachfrager versuchen auf diesem Markt ihr jeweiliges maximales Kosten-Nutzen-Kalkül zu verwirklichen. [Einige wertvolle Anregungen für dieses Kapitel verdanken die Verfasser zwei Gesprächen mit Hrn. Hans von Lüpke (Bundesanstalt für Arbeit) und Hrn. Leo Monz (DGB, Referat Migration), denen an dieser Stelle für ihre Gesprächsbereitschaft herzlich gedankt sei. Zudem stützen sich die folgenden Ausführungen auf Borjas (1990) und Heckmann/Lederer (1997). Ein ökonomisch orientiertes Entscheidungsmodell zur illegalen Einwanderung hat Steineck (1994: 167ff.) vorgelegt. Ferner sei hier auf Jahn (1997) verwiesen, der die Interessens- und Anreizstrukturen der Akteuer illegaler Beschäftigung analysiert hat.]
Die illegale Ausländerbeschäftigung

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weist damit in vielen Bereichen eine inhaltliche Verwandtschaft zum Phänomen der allgemeinen Schwarzarbeit auf.

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5.1 Die Nachfrage nach Arbeitskräften

Trotz der wirtschaftlichen Krise und der hohen Arbeitslosigkeit besteht auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt in bestimmten Bereichen und Sektoren eine Nachfrage nach Arbeitskräften außerhalb des regulären Arbeitsmarktes. Diese Beschäftigung muß folgende Charakteristika aufweisen, um für den illegalen Arbeitsmarkt "geeignet" zu sein (vgl. Deutscher Bundestag 1992, ders. 1996):

  • Es handelt sich um Arbeiten, bei denen keine längere Einarbeitungsphase nötig ist; eine hohe Personalfluktuation muß ohne Probleme bewältigbar sein, und die schnelle Ersetzbarkeit der illegalen Arbeitskräfte muß leicht möglich sein.
  • Häufig handelt es sich bei der Beschäftigung um zeitlich begrenzte oder saisonabhängige Tätigkeiten.
  • Die Kenntnis der deutschen Sprache spielt eine eher untergeordnete Rolle; es handelt sich daher meist um körperliche Arbeiten.
  • Meist werden Hilfs- oder Aushilfskräfte gesucht, weshalb ein niedriges Qualifikationsniveau häufig ausreicht. [Für bestimmte handwerkliche Tätigkeiten und auf dem Bau werden dennoch qualifizierte Facharbeiter gesucht.]

Hinzu kommt, daß häufig in den entsprechenden Branchen und bei nachfragenden Arbeitgebern im Bereich der illegalen und informellen Arbeit(-sabsprachen) bereits Traditionen existieren; so wurden beispielsweise im Bau- und handwerklichen Bereich Arbeitsverträge lange Zeit nur mündlich geschlossen. Halblegale und illegale Praktiken erlangen dadurch eine erhöhte Akzeptanz.

Aufgrund des Arbeitgeberinteresses zur Kostenminimierung in der Herstellung eines gutes oder einer Dienstleistung gibt es ein Interesse, daß auch der Faktor Arbeit möglichst kostengünstig erworben wird. Tarifvertragliche, arbeits- und sozialrechtliche Regelungen gewähren in der Bundesrepublik Deutschland Mindeststandards im Bereich der Arbeitslöhne, des Arbeitsschutzes und bei bestimmten Sozialleistungen. Tarifverträge setzen so in viele Branchen die untere Schranke der Lohnkonkurrenz; das Gut Arbeit ist nicht mehr unter einem bestimmten Preis erhältlich. Insgesamt wird reguläre Arbeit dadurch teurer als auf einem ungeregelten Arbeitsmarkt.

Ein Teil der Nachfrager nach Arbeit versucht, ihre (Lohn-)Kosten widerrechtlich dadurch zu minimieren, daß sie Personal vom illegalen Arbeitsmarkt rekrutieren. Weder müssen sie dann den vollen Tariflohn, die Sozialleistungen und Steuern bezahlen, noch für die kostenverursachenden arbeitsrechtlichen Mindeststandards aufkommen; der Faktor Arbeit wird im Vergleich zu den Konkurrenten, die sich an bestehendes Recht halten, stark verbilligt. In ihr Kosten-Nutzen-Kalkül muß zudem die Möglichkeit einer Bestrafung - im Falle der Entdeckung - wegen illegaler Ausländerbeschäftigung einbezogen werden.

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Sind die Sanktionen von seiten des Staates milde, wird dies sicherlich nicht dazu führen, daß Arbeitgeber von den illegalen Praktiken ablassen. [Eine Erörterung der Wirksamkeit von staatlichen Kontrollinstrumenten und Sanktionen findet sich bei Steineck (1994: 173ff.).]

Prinzipiell kommen als Nachfrager alle ökonomisch wirtschaftenden Institutionen in Frage, die einen Bedarf an Arbeitskräften haben, die obigen Kriterien entsprechen. Neben dem produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsunternehmen treten vor allem Leih-arbeitsfirmen und sog. Subunternehmer als Nachfrager auf. Daneben besteht auch im landwirtschaftlichen Bereich sowie in Privathaushalten ein großer Bedarf an billiger Arbeit.

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5.2 Das Angebot an Arbeitskräften

Der Nachfrage steht andererseits ein Angebot in Form von Menschen gegenüber, die bereit sind, diesen Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Angesichts der sich in den letzten Jahren entwickelnden Personentransportkapazitäten und der Tatsache, daß für immer geringere Geldsummen in kürzester Zeit global Entfernungen zurückgelegt werden können, erweitert sich der Kreis der potentiell in Frage kommenden Menschen. Das Interesse dieser Menschen besteht darin, überhaupt eine Arbeits- und Verdienstmöglichkeit zu erhalten, da in vielen Teilen der Welt sehr hohe Arbeitslosenraten herrschen.

Hauptursache für diesen Migrationsprozeß sind die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den westeuropäischen Ländern und den osteuropäischen, asiatischen, südamerikanischen sowie afrikanischen Staaten; dabei sind das Lohngefälle und die Kaufkraftunterschiede der entscheidende Anreiz (vgl. u.a. Wallace/Chmouliar/Sidorenko 1995: 58ff.). So erhalten in der Bundesrepublik Deutschland weit untertarifliche Löhne nach einem Währungsumtausch im Heimatland der Migranten eine hohe Kaufkraft. Dadurch werden die (relativ) niedrigen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen für die Migranten hinnehmbar. Aufgrund der geringeren Arbeitskosten erlangen diese Zuwanderer einen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber Einheimischen (Deutsche und ihnen arbeitsrechtlich gleichgestellte Ausländer) auf dem deutschen Arbeitsmarkt (Vogel 1996a: 14f.).

Das Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt läßt sich folgendermaßen charakterisieren:

  • Die Gruppe der illegal aufhältlichen Migranten hat aufgrund der oben angesprochenen Lohndifferenz nur geringe Ansprüche hinsichtlich der Bezahlung; ein untertariflicher Lohn ist für sie durchaus akzeptabel. [Die Süddeutsche Zeitung berichtet beispielsweise von Ukrainern, die auf Hamburger Baustellen für einen Stun- denlohn von weniger als zwei Mark beschäftigt waren (15.4.1996).]
  • Zudem muß ein Arbeitnehmer auf dem illegalen Arbeitsmarkt flexibel und anpassungsfähig bezüglich der Art der Beschäftigung, der Arbeitsbedingungen, der Arbeitszeiten etc. sein.

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  • Die Migranten müssen in zweierlei Hinsicht in einem hohen Maße räumlich mobil sein: zum einen hinsichtlich der Anreise auf den Arbeitsmarkt sowie auch häufig innerhalb des Bundesgebiets, da Beschäftigung dieser Art nicht immer und jederorts angeboten wird.

Ob und in welchem Maße die Zuwanderer diese Anforderungen erfüllen, hängt überdies auch vom jeweiligen kulturellen, historischen und ökonomischen Hintergrund ab.

Begeben sich wanderungswillige Migranten aus meist visapflichtigen Drittstaaten auf den Weg, so stoßen sie auf die von den westeuropäischen Staaten errichteten Migrationsbarrieren (rechtlich-institutionelle Hindernisse, polizeiliche Grenzüberwachung usw.). Für die Zuwanderer bedeutet dies, daß zusätzliche Risiken und Kosten in Kauf genommen werden, um beispielsweise mit professioneller Hilfe die Staatsgrenze zu überqueren oder um in den Besitz eines gefälschten Aufenthaltsdokuments zu gelangen (vgl. u.a. Borjas 1990: 57). Damit begeben sich die Migranten in die Hand von Schleppern und Schleusern und damit häufig auch in fatale Abhängigkeiten; zahlreiche Zuwanderer müssen sich verschulden und diese Verbindlichkeiten teilweise jahrelang im Zielland abarbeiten. [Dieses System kann durchaus mit dem sog. "indentured service" verglichen werden, das während der frühen Besiedelung der USA praktiziert wurde. Dabei mußten die Zuwanderer die Kosten für die Überfahrt nach Amerika zwangsweise abarbeiten (vgl. Heckmann 1992: 65).]
So hat sich ein gewinnbringender Handel mit Menschen (Migrationsmarkt) entwickelt, bei dem Schlepperorganisationen, illegale Arbeitsvermittler und andere illegale Organsationsformen eine zentrale Rolle spielen. Auch wurde bekannt, daß Schlepperorgansationen versuchen, das Angebot zu "stimulieren", indem gezielt (An-)Werber in den betreffenden Herkunftsländern eingesetzt werden (Müller-Schneider 1997).

So fließen in das individuelle Kosten-Nutzen-Kalkül der betreffenden Arbeitskräfte folgende Größen auf der Kostenseite ein: Reisekosten, evtl. Schleusungsgebühren, Wohnkosten, evtl. Gebühren für die illegale Arbeitsvermittlung, Lebensunterhaltskosten bei möglicher Arbeitslosigkeit u.a. Auch müssen mögliche Strafen wegen illegaler Arbeitsaufnahme miteinkalkuliert werden. Es ist fraglich, ob in allen Fällen der freiwilligen Migration die Kostenseite realistisch antizipiert und kalkuliert wird. Dem steht der erhoffte Nutzen, das monetäre Einkommen aus einer illegalen Beschäftigung im Zielland gegenüber. Die Bereicherung des persönlichen Erfahrungsschatzes sowie das Reiseerlebnis dürften für einige auch auf der nicht-monetären Habenseite zu verbuchen sein.

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5.3 Der illegale und der geregelte Arbeitsmarkt

Auf allen Arbeitsmärkten - so auch auf dem illegalen - werden Arbeitsleistungen gegen Arbeitslohn gehandelt. Auf dem geregelten Arbeitsmarkt wird eine freie Preisfindung für das Gut Arbeit durch gesetzliche Vorschriften und kollektive Tarifverträge eingeschränkt. Der Schwarzmarkt für ausländische Arbeitskräfte, der weder von den Tarifvertragsparteien noch vom Staat kontrolliert wird, kennt dagegen solche Einschränkungen nicht, so daß die Löhne frei über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zustandekommen.

Voraussetzung zum Funktionieren dieses Marktes ist, daß Angebot und Nachfrage auch örtlich zusammenkommen können. Für EU-Europäer, die illegal in der Bundesrepublik

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Deutschland arbeiten, ist der Zugang auf diesen Arbeitsmarkt weitestgehend ohne Hindernisse möglich. Migranten von außerhalb der EU müssen, wie geschildert, für den Zugang höhere Kosten in Kauf nehmen (Transportkosten, Schleppergebühren).

Der illegale Arbeitsmarkt ist zudem dadurch gekennzeichnet, daß das Angebot an Arbeit die Nachfrage übersteigt. Resultat dieses Überangebots an Arbeitskräften ist, daß das Gut Arbeit auf diesen Märkten zu sehr niedrigen Preisen gehandelt wird. Aufgrund dieses strukturell bedingten Marktungleichgewichts haben die Nachfrager eine strategisch weitaus bessere Situation als die Arbeitnehmer.

Wie bereits festgestellt, haben sich nur in bestimmten Wirtschaftsbranchen illegale Arbeitsteilmärkte etablieren können. Im Bau- und Baunebengewerbe sind die Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Marktes erfüllt (kurze Einarbeitungszeiten, saisonaler Arbeitsanfall, Tradition illegaler Praktiken, Entbehrlichkeit deutscher Sprachkenntnisse), so daß dort Formen der illegalen Ausländerbeschäftigung entstehen konnten.

Weitere Brennpunkte illegaler Ausländerbeschäftigung sind die Bereiche Gebäude- und Industriereinigung, das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Land- und Forstwirtschaft, der Weinbau, das Transportgewerbe sowie das Unterhaltungsgewerbe (vgl. u.a. dazu Deutscher Bundestag 1992). Hinzu kommt, daß illegale Arbeit von ausländischen Migranten in Privathaushalten (Hausarbeit, Reinigung, Küchentätigkeit, Kindererziehung, Renovierungen, Alten- und Krankenpflege) verrichtet werden (vgl. u.a. Vogel 1996b: 9).

Folgt man den Angaben der Bundesanstalt für Arbeit, so ist die illegale Ausländerbeschäftigung in großen Ballungszentren häufiger als in ländlichen Regionen; innerhalb der Bundesrepublik Deutschland existieren regional unterschiedliche Schwerpunkte.

Der illegale Arbeitsmarkt läßt sich hinsichtlich der regionalen Herkunft der ausländischen Beschäftigten folgendermaßen charakterisieren:

  • Eine große Gruppe stellen die illegal Beschäftigten aus Mittel- und Osteuropa dar. Teilweise treten illegale Praktiken im Gefolge von Werkvertragsarbeitnehmertum auf oder es handelt sich um zum Zwecke der Arbeitsaufnahme illegal zugereiste Personen aus diesem Raum.
  • Zahlreiche illegal beschäftigte Ausländer stammen aus dem Bereich der Europäischen Union. Ihr Aufenthalt ist zwar völlig legal, aber es treten illegale Beschäftigungsformen vielfältigster Art auf (Deutscher Bundestag 1996: 34ff.). [Zu nennen wären hier international operierende Scheinfirmen insbesondere aus den Niederlanden und Großbritannien, wie die sog. Koppellbaazen und sog. Handwerkergesellschaften (Deutscher Bundestag 1996: 34ff.); der Bundesanstalt für Arbeit sind derzeit 400 bis 450 solcher einschlägiger Firmen bekannt.]
  • Quantitativ weitaus weniger bedeutend als die beiden genannten Gruppen sind illegale Arbeitskräfte von außerhalb Europas; dabei handelt es sich beispielsweise um Asylsuchende oder Studierende, die in der Bundesrepublik Deutschland leben und die gegen bestehendes Arbeitsrecht verstoßen. Organisierte Formen der illegalen Arbeitsvermittlung treten bei dieser Personengruppe - im Vergleich zu den beiden erst-

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    genannten Gruppen - eher selten auf, es handelt sich tendenziell um singuläre Rechtsverstöße.

Neuartig an diesem Arbeitsmarkt ist, daß es sich nicht mehr um einen national beschränkten Markt handelt, sondern es entstehen international miteinander verflochtene (illegale) Migrationsarbeitsmärkte. Diese weisen eine inhärente Dynamik auf, die illegale Zuwanderung und illegale Beschäftigung wiederum eigendynamisch hervorbringen. Diese neu entstandenen Märkte lassen sich von den Politiken der Nationalstaaten nur noch sehr unzureichend kontrollieren und unterbinden - auch angesichts einer verstärkten Marktderegulierung auf nationaler und internationaler Ebene (Müller-Schneider 1995, Heckmann/Lederer 1997).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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